
Wolken
Der Toten Geister seid ihr, die zum Flusse,
Zum überladnen Kahn der Wesenlosen
Der Bote führt. Euer Rufen hallt im Tosen
Des Sturms und in des Regens wildem Gusse.
Des Todes Banner wird im Zug getragen.
Des Heers carroccio führt die Wappentiere.
Und graunhaft weiß erglänzen die Paniere,
Die mit dem Saum die Horizonte schlagen.
Es nahen Mönche, die in Händen bergen
Die Totenlichter in den Prozessionen.
Auf Toter Schultern morsche Särge thronen.
Und Tote sitzen aufrecht in den Särgen.
Ertrunkene kommen. Ungeborner Leichen.
Gehenkte blaugeschnürt. Die Hungers starben
Auf Meeres fernen Inseln. Denen Narben
Des schwarzen Todes umkränzen rings die Weichen.
Es kommen Kinder in dem Zug der Toten,
Die eilend fliehn. Gelähmte vorwärts hasten.
Der Blinden Stäbe nach dem Pfade tasten.
Die Schatten folgen schreiend dem stummen Boten.
Wie sich in Windes Maul des Laubes Tanz
Hindreht, wie Eulen auf dem schwarzen Flug,
So wälzt sich schnell der ungeheure Zug,
Rot überstrahlt von großer Fackeln Glanz.
Auf Schädeln trommeln laut die Musikanten,
Und wie die weißen Segel blähn und knattern,
So blähn der Spieler Hemden sich und flattern.
Es fallen ein im Chore die Verbannten.
Das Lied braust machtvoll hin in seiner Qual,
Vor der die Herzen durch die Rippen glimmen.
Da kommt ein Haufe mit verwesten Stimmen,
Draus ragt ein hohes Kreuz zum Himmel fahl.
Der Kruzifixus ward einhergetragen.
Da hob der Sturm sich in der Toten Volke.
Vom Meere scholl und aus dem Schoß der Wolke
Ein nimmer endend grauenvolles Klagen.
Es wurde dunkel in den grauen Lüften.
Es kam der Tod mit ungeheuren Schwingen.
Es wurde Nacht, da noch die Wolken gingen
Dem Orkus zu, den ungeheuren Grüften.
Georg Heym
Na het recital
Het is gebeurd, ik heb gelezen, het is allemaal voorbij.
Een vriend zal mij nu ongetwijfeld omhelzen,
krachtig, onstuimig en met een zweem van nostalgie,
omhelzingen die je zeggen: het was allemaal goed.
Een vrouw, openhartig, vernederd door mijn verzen,
die vóór ik zal vertrekken de zijgang oversteekt,
zal zich met de grootste vastberadenheid in mijn armen werpen,
zoals een gedesoriënteerde bom in mijn ogen.
Dan komen die glazen hartstochtelijke wijn,
blikken en woorden, bevochtigd door een traan,
zoals iets van broederlijke tederheid voor de dichter.
Daarna valt de nacht om mijn eenzaamheid te tonen
en zal er geen vers zijn om mijn toestand te begrijpen.
Waarom vloog ik zo hoog, verliefd, om zo eenzaam te vallen?
MIGUEL OSCAR MENASSA (Argentinië 1949)
Vertaling: Germain Droogenbroodt
uit „La patria del poeta”
****
Dichter, lees je gedicht, zeiden ze
opdat de wereld eindelijk zou omkeren
als een hoofd onder de lamp
opdat eindelijk die naam zou worden gespeld
waarvan de onwetendheid ons verblindt.
Hij, het boek openslaand,
zag dan dat de bladzijden wit geworden waren.
GUY GOFFETTE, Belgie (1947)
Vertaling Germain Droogenbroodt – Annie Reniers
uit «Toevertrouwd aan de tijd”
Hedendaagse Franstalige poëzie uit België, Point 1991
*****
Poète, lis ton poème dirent-ils
que le monde enfin se renverse
comme une tête sous la lampe
qu’enfin s’épelle ce nom
dont l’ignorance nous aveugle
Alors, lui, ouvrant le livre
vit que les pages étaient devenues blanches.
Guy Goffette
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Communicatie
Sinds lange tijd stuur ik geen mails of
berichtjes als ik mij goed voel
we zijn er niet blij mee
antwoorden mijn vrienden als je
in de zon zit, in het zwembad zwemt
terwijl wij bibberend in de regen verdrinken
als jij miserabel onderweg bent
hebben we tenminste de kans
om medelijden met je te hebben en meteen
voelen we ons op slag beter.
Manfred Chobot, Oostenrijk
Vertaling Germain Droogenbroodt
uit “Gefallen gefällt”, Edition Art Science, Wenen 2012
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Kommunikation
Längst sende ich weder mails noch
es-em-ese wenn es mir gut geht
wir freuen uns nicht darüber
antworten meine freunde wenn du
in der sonne hockst im pool schwimmst
derweil wir frierend im regen ersaufen
bist du miserabel unterwegs
bleibt uns die chance wenigstens
dich zu bemitleiden und gleich fühlen wir
wie es uns besser geht mit einem schlag.
Manfred Chobot
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Über einem Grabe
Blüten schweben über deinem Grabe.
Schnell umarmte dich der Tod, o Knabe,
Den wir alle liebten, die dich kannten,
Dessen Augen wie zwei Sonnen brannten,
Dessen Blicke Seelen unterjochten,
Dessen Pulse stark und feurig pochten,
Dessen Worte schon die Herzen lenkten,
Den wir weinend gestern hier versenkten.
Maiennacht. Der Sterne mildes Schweigen…
Dort! ich seh es aus der Erde steigen!
Unterm Rasen quillt hervor es leise,
Flatterflammen drehen sich im Kreise,
Ungelebtes Leben zuckt und lodert
Aus der Körperkraft, die hier vermodert,
Abgemähter Jugend letztes Walten,
Letzte Glut verrauscht in Wunschgestalten,
Eine blasse Jagd:
Voran ein Zecher,
In der Faust den überfüllten Becher!
Wehnde Locken will der Buhle fassen,
Die entflatternd nicht sich haschen lassen,
Lustgestachelt rast er hinter jenen,
Ein verhülltes Mädchen folgt in Tränen.
Durch die Brandung mit verstürmten Haaren
Seh ich einen kühnen Schiffer fahren.
Einen jungen Krieger seh ich toben,
Helmbedeckt, das lichte Schwert erhoben.
Einer stürzt sich auf die Rednerbühne,
Weites Volksgetos beherrscht der Kühne.
Ein Gedräng, ein Kämpfen, Ringen, Streben!
Arme strecken sich und Kränze schweben –
Kränze, wenn du lebtest, dir beschieden,
Nicht erreichte!
Knabe, schlaf in Frieden!
Conrad Ferdinand Meyer
April
Das erste Grün der Saat, von Regen feucht,
Zieht weit sich hin an niedrer Hügel Flucht.
Zwei große Krähen flattern aufgescheucht
Zu braunem Dorngebüsch in grüner Schlucht.
Wie auf der stillen See ein Wölkchen steht,
So ruhn die Berge hinten in dem Blau,
Auf die ein feiner Regen niedergeht,
Wie Silberschleier, dünn und zitternd grau.
Georg Heym

Bist du nun tot …
Bist du nun tot? Da hebt die Brust sich noch,
Es war ein Schatten, der darüber fegt,
Der in der ungewissen Dämmrung kroch
Vom Vorhang, der im Nachtwind Falten schlägt.
Wie ist dein Kehlkopf blau, draus ächzend fuhr
Dein leises Stöhnen von der Hände Druck.
Das ist der Würgemale tiefe Spur,
Du nimmst ins Grab sie nun als letzten Schmuck.
Die weißen Brüste schimmern hoch empor,
Indes dein stummes Haupt nach hinten sank,
Das aus dem Haar den Silberkamm verlor.
Bist du das, die ich einst so heiß umschlang?
Bin ich denn der, der einst bei dir geruht
Vor Liebe toll und bittrer Leidenschaft,
Der in dich sank wie in ein Meer von Glut
Und deine Brüste trank wie Traubensaft?
Bin ich denn der, der so voll Zorn gebrannt
Wie einer Höllenfackel Göttlichkeit,
Und deine Kehle wie im Rausch umspannt,
In Hasses ungeheurer Freudigkeit?
Ist das nicht alles nur ein wüster Traum?
Ich bin so ruhig und so fern der Gier.
Die fernen Glocken zittern in dem Raum,
Es ist so still wie in den Kirchen hier.
Wie ist das alles fremd und sonderbar?
Wo bist du nun? Was gibst du Antwort nicht?
– Ihr nackter Leib ist kalt und eisesklar
Im blassen Schein vom blauen Ampellicht. –
Was ließ sie alles auch so stumm geschehn.
Sie wird mir furchtbar, wenn so stumm sie liegt.
O wäre nur ein Tropfen Bluts zu sehn.
Was ist das, hat sie ihren Kopf gewiegt?
Ich will hier fort. – Er stürzt aus dem Gemach.
Der Nachtwind, der im Haar der Toten zischt,
Löst leis es auf. Es weht dem Winde nach,
Gleich schwarzer Flamme, die im Sturm verlischt.
Georg Heym
Lunovis
Lunovis in planitie stat
Cultrumque magn’ expectitat.
Lunovis.
Lunovis herba rapta it
In montes, unde cucurrit.
Lunovis.
Lunovis habet somnium:
Se culmen rer’ ess’ omnium.
Lunovis.
Lunovis mane mortuumst.
Sol ruber atque ips’ albumst.
Lunovis.
Christian Morgenstern
Der Rabe Ralf
Der Rabe Ralf Die Nebelfrau
will will hu hu will will hu hu
dem niemand half nimmt’s nicht genau
still still du du still still du du
half sich alleinsie sagt nimm nimm
am Rabenstein ’s ist nicht so schlimm
will will still still will will still still
hu hu hu hu
Doch als ein Jahr
will will hu hu
vergangen war
still still du du
da lag im Rot
der Rabe tot
will will still still
du du
Christian Morgenstern
Fisches Nachtgesang
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◡ ◡
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◡ ◡ ◡ ◡
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◡ ◡ ◡ ◡
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◡ ◡ ◡ ◡
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◡ ◡ ◡ ◡
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◡ ◡
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Christian Morgenstern
Galgenbruders Frühlingslied
Es lenzet auch auf unserm Span,
o selige Epoche!
Ein Hälmlein will zum Lichte nahn
aus einem Astwurmloche.
Es schaukelt bald im Winde hin
und schaukelt bald drin her.
Mir ist beinah, ich wäre wer,
der ich doch nicht mehr bin..
Christian Morgenstern
Gruft I
Die in der großen Gruft des Todes ruhen,
Wie schlafen sie so stumm im hohlen Sarg.
Des Todes Auge schaut auf stumme Truhen
Aus schwarzem Marmorhaupte hohl und karg.
Sein dunkler Mantel starrt von Staub und Spinnen.
Vor alters schlossen sie der Toten Gruft.
Vergessen wohnen sie. Die Jahre rinnen
Ein unbewegter Strom in dumpfer Luft.
Nach Weihrauch duftet es und morschen Kränzen,
Von trocknen Salben ist die Luft beschwert.
Und in geborstnen Särgen schwimmt das Glänzen
Der Totenkleider, dran Verwesung zehrt.
Aus einer Fuge hängt die schmale Hand
Von einem Kind, wie Wachs so weiß und kalt,
Die, balsamiert, sich um das Sammetband
Der schon in Staub zerfallnen Blumen krallt.
Durch kleine Fenster hoch im Dunkel oben
Verirrt sich gelb des Winterabends Schein.
Sein schmales Band, mit blassem Staub verwoben,
Ruht auf der Sarkophage grauem Stein.
Der Wind zerschlägt ein Fenster. Aus den Händen
Nimmt er der Toten dürre Kränze fort
Und treibt sie vor sich hin an hohen Wänden,
In ewigen Schatten weit und dunklen Ort.
Georg Heym
Zwey und vierzigstes Sonett.
Wenn ich mit Blindheit, die das Herz versehret,
Die Stunden zählend, mich nicht selbst betrogen,
So flieht die Zeit, dieweil mein Sprechen währet,
Die mir zum Lohn Verheißung zugewogen.
Welch böser Schatten hat die Saat verzehret,
Von der ich bald mir theure Frucht erzogen?
Welch Wild ist’s, so durch meine Hürde fähret?
Welche Wand zwischen Aehr’ und Hand gezogen?
Nicht weiß ich’s, ach! das aber ward ich inne,
Daß, um mein Leben mehr mir zu verleiden,
Amor mich führt’ in solcher Hoffnung Freuden.
Und nun steht, was ich las, mir vor dem Sinne:
»Daß keiner, sich vor seinem letzten Scheiden
Glücklich zu preisen, je das Recht gewinne.«
Francesco Petrarca

Schwarze Visionen
An eine imaginäre Geliebte
I
Du ruhst im Dunkel trauriger Askesen
In deinem weißen Tuch, ein Eremit,
Und deine Locken, die in Nacht verwesen,
Bedecken tief dein eingesunknes Lid.
Auf deinen Lippen gruben sich die Male
Der toten Küsse schon in Trichtern ein.
Die ersten Würmer tanzen um das fahle
Vom Grubenwasser bleiche Schläfenbein.
Wie Ärzte stechen lang sie die Pinzette
Der Rüssel, die im Fleische Wurzel schlägt.
Du jagst sie nicht von deinem Totenbette,
Du bist verflucht, zu leiden unbewegt.
Des schwarzen Himmels große Grabesglocke
Dreht trüb sich rund um deine Winterzeit.
Und es erstickt der Schneefall, dicke Flocke,
Was unten in den Gräbern weint und schreit.
II
Der großen Städte nächtliche Emporen
Stehn rings am Rand, wie gelbe Brände weit.
Und mit der Fackel scheucht aus ihren Toren
Der Tod die Toten in die Dunkelheit.
Sie fahren aus wie großer Rauch und schwirren
Mit leisen Klagen durch das Distelfeld.
Am Kreuzweg hocken sie zuhauf und irren
Den Heimatlosen gleich in schwarzer Welt.
Sie schaun zurück von einem kahlen Baume,
Auf den der Wind sie warf. Doch ihre Stadt
Ist zu für sie. Und in dem leeren Raume
Treibt Sturm sie um den Baum, wie Vögel matt.
Wo ist die Totenstadt? Sie wollen schlafen.
Da tut sich auf im ernsten Abendrot
Die Unterwelt, der stillen Städte Hafen,
Wo schwarze Segel ziehen, Boot an Boot.
Und schwarze Fahnen wehn die langen Gassen
Der ausgestorbnen Städte, die verstummt
Im Fluch von weißen Himmeln und verlassen,
Wo ewig eine stumpfe Glocke brummt.
Die schwarzen Brücken werfen ungeheuer
Die Abendschatten auf den dunklen Strom.
Und riesiger Lagunen rotes Feuer
Verbrennt die Luft mit purpurnem Arom.
Kanäle alle, die die Stadt durchschwimmen,
Sind von den Lilienwäldern sanft umsäumt.
Am Bug der Kähne, wo die Lampen glimmen,
Stehn groß die Schiffer, und der Abend träumt
Wie zarte goldene Kronen um die Stirnen.
Der tiefen Augen dunkler Edelstein
Umschließt des hohen Himmels blasse Firnen,
Wo weidet schon der Mond im grünen Schein.
Die Toten schaun aus ihrem Winterbaume
Den Schläfern zu in ihrem sanften Reich.
Und das Verlangen faßt sie nach dem Saume
Des roten Himmels und dem Abend weich.
Da stürzt sie Hermes, der die Nacht erschüttert
Mit starkem Flug, ein bläulicher Komet,
Den Grund herab, der meilentief erzittert,
Da singend ihn der Toten Zug durchweht.
Sie nahn den Städten, da sie wohnen sollen,
Draus goldne Winde gehn im Abendflug.
Der Tore Amethyst im tiefen Stollen
Küßt ihrer Reiherschwingen langer Zug.
Die Silberstädte, die im Monde glühen,
Umarmen sie mit ihres Sommers Pracht,
Wo schon im Ost wie große Rosen blühen
Die Morgenröten in die Mitternacht.
III
Sie grüßen dich in deinem schwarzen Sarge
Und flattern über dich wie Frühlingswind.
Wie Nachtigallen rühren sie das karge,
Wachsbleiche Haupt mit ihren Klagen lind.
Mit Sammethänden wollen sie dich grüßen
Von meiner Qual. Und wie ein Weinblatt rot,
So taumeln ihre Küsse dir zu Füßen,
Und ziehn wie Tauben sanft um deinen Tod.
Sie schwingen über dir die Fackelbrände,
Die furchtbar wecken auf die schwarze Nacht.
Sie geben dir in deine weißen Hände
Tränen von Stein, die ich dir dargebracht.
Sie laden Düfte aus den Duft-Amphoren
Und überschütten dich mit Ambra ganz.
Dein schwarzes Haar steht auf, an Himmels Toren,
Wie eines Sterngewölkes dünner Glanz.
Sie werden große Pyramiden bauen,
Darauf sie türmen deinen schwarzen Schrein.
Dann wirst du in die wilde Sonne schauen,
Die in dein Blut stürzt wie ein dunkler Wein.
IV
Die Sonne, die mit Blumen sich beleuchtet,
Stößt wie ein Aar zu deinen Häupten weit,
Und ihrer Purpurlippen Traum befeuchtet
Mit Tränentau dein weißes Totenkleid.
Dann nimmst dein Herz du aus den weißen Brüsten
Und zeigst es rings dem stillen Heiligtum.
Und deine stolze Flamme rührt die Küsten
Des Himmels an, die werfen deinen Ruhm
Ins Meer der Toten aus wie starke Wellen.
Die großen Schiffe schwimmen um dich her,
Um deinen Turm, und ihre Lieder schwellen
Wie Abendwolken sanft vom großen Meer.
Und was ich dir in meinen Träumen sage,
Das schrein die Priester aus mit Tuba-Ton.
Der Meere dunkle Buchten füllt die Klage
Um dich wie Schilfrohr sanft und schwarzer Mohn.
V
Getrübt bescheint der Mond die stumme Fläche,
Wie ein Korund, der tief im Grunde glüht.
In deiner Locken dunkle Flammenbäche
Verliebt, verweilt er auf den Städten müd.
Dann kommen alle Toten aus den Grüften
Und ziehn um dich in langer Prozession.
Von rosa Glase flattern in den Lüften
Die Schatten, die von innern Flammen lohn.
VI
Du zogst voraus nach dem geheimen Reiche.
Ich folge dir dereinst, du Trauerbild,
Und halte ewig deine Hand, die bleiche,
Die meiner Küsse blasse Lilie füllt.
Dann überschwemmen lange Ewigkeiten
Der Himmel Mauern und das tote Land,
Die, große Schatten, in den Westen schreiten,
Wo ehern ruht der Horizonte Wand.
Georg Heym

Himmel und Erde
Der Nachtwindhund weint wie ein Kind,
dieweil sein Fell von Regen rinnt.
Jetzt jagt er wild das Neumondweib,
das hinflieht mit gebognem Leib.
Tief unten geht, ein dunkler Punkt,
querüberfeld ein Forstadjunkt.
Christian Morgenstern
Die Westküsten
Die Westküsten traten eines Tages zusammen
und erklärten, sie seien keine Westküsten,
weder Ostküsten noch Westküsten –
»daß sie nicht wüßten!«
Sie wollten wieder ihre Freiheit haben
und für immer das Joch des Namens abschütteln,
womit eine Horde von Menschenbütteln
sich angemaßt habe, sie zu begaben.
Doch wie sich befreien, wie sich erretten
aus diesen widerwärtigen Ketten?
Ihr Westküsten, fing eine an zu spotten,
gedenkt ihr den Menschen etwan auszurotten?
Und wenn schon! rief eine andre schrill.
Wenn ich seine Magd nicht mehr heißen will? –
Dann blieben aber immer noch die Atlanten –
meinte eine von den asiatischen Tanten.
Schließlich, wie immer in solchen Fällen,
tat man eine Resolution aufstellen.
Fünfhundert Tintenfische wurden aufgetrieben,
und mit ihnen wurde folgendes geschrieben:
Wir Westküsten erklären hiermit einstimmig,
daß es uns nicht gibt, und zeichnen hochachtungsvoll:
Die vereinigten Westküsten der Erde. –
Und nun wollte man, daß dies verbreitet werde.
Sie riefen den Walfisch, doch er tat’s nicht achten;
sie riefen die Möwen, doch die Möwen lachten;
sie riefen die Wolke, doch die Wolke vernahm nicht;
sie riefen ich weiß nicht was, doch ich weiß nicht was kam nicht.
Ja, wieso denn, wieso? schrie die Küste von Ecuador:
Wärst du etwa kein Walfisch, du grober Tor?
Sehr richtig, sagte der Walfisch mit vollkommener Ruh:
Dein Denken, liebe Küste, dein Denken macht mich erst dazu.
Da war’s den Küsten, als säh’n sie sich im Spiegel;
ganz seltsam erschien ihnen plötzlich ihr Gewiegel.
Still schwammen sie heim, eine jede nach ihrem Land.
Und die Resolution, die blieb unversandt.
Christian Morgenstern

Duineser Elegien
Die erste Elegie.
Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.
Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf
dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen
wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,
und die findigen Tiere merken es schon,
daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind
in der gedeuteten Welt. Es bleibt uns vielleicht
irgend ein Baum an dem Abhang, daß wir ihn täglich
wiedersähen; es bleibt uns die Straße von gestern
und das verzogene Treusein einer Gewohnheit,
der es bei uns gefiel, und so blieb sie und ging nicht.
O und die Nacht, die Nacht, wenn der Wind voller Weltraum
uns am Angesicht zehrt –, wem bliebe sie nicht, die ersehnte,
sanft enttäuschende, welche dem einzelnen Herzen
mühsam bevorsteht. Ist sie den Liebenden leichter?
Ach, sie verdecken sich nur mit einander ihr Los.
Weißt du’s noch nicht? Wirf aus den Armen die Leere
zu den Räumen hinzu, die wir atmen; vielleicht daß die Vögel
die erweiterte Luft fühlen mit innigerm Flug.
Ja, die Frühlinge brauchten dich wohl. Es muteten manche
Sterne dir zu, daß du sie spürtest. Es hob
sich eine Woge heran im Vergangenen, oder
da du vorüberkamst am geöffneten Fenster,
gab eine Geige sich hin. Das alles war Auftrag.
Aber bewältigtest du’s? Warst du nicht immer
noch von Erwartung zerstreut, als kündigte alles
eine Geliebte dir an? (Wo willst du sie bergen,
da doch die großen fremden Gedanken bei dir
aus und ein gehn und öfters bleiben bei Nacht.)
Sehnt es dich aber, so singe die Liebenden; lange
noch nicht unsterblich genug ist ihr berühmtes Gefühl.
Jene, du neidest sie fast, Verlassenen, die du
so viel liebender fandst als die Gestillten. Beginn
immer von neuem die nie zu erreichende Preisung;
denk: es erhält sich der Held, selbst der Untergang war ihm
nur ein Vorwand, zu sein: seine letzte Geburt.
Aber die Liebenden nimmt die erschöpfte Natur
in sich zurück, als wären nicht zweimal die Kräfte,
dieses zu leisten. Hast du der Gaspara Stampa
denn genügend gedacht, daß irgend ein Mädchen,
dem der Geliebte entging, am gesteigerten Beispiel
dieser Liebenden fühlt: daß ich würde wie sie?
Sollen nicht endlich uns diese ältesten Schmerzen
fruchtbarer werden? Ist es nicht Zeit, daß wir liebend
uns vom Geliebten befrein und es bebend bestehn:
wie der Pfeil die Sehne besteht, um gesammelt im Absprung
mehr zu sein als er selbst. Denn Bleiben ist nirgends.
Stimmen, Stimmen. Höre, mein Herz, wie sonst nur
Heilige hörten: daß sie der riesige Ruf
aufhob vom Boden; sie aber knieten,
Unmögliche, weiter und achtetens nicht:
So waren sie hörend. Nicht, daß du Gottes ertrügest
die Stimme, bei weitem. Aber das Wehende höre,
die ununterbrochene Nachricht, die aus Stille sich bildet.
Es rauscht jetzt von jenen jungen Toten zu dir.
Wo immer du eintratst, redete nicht in Kirchen
zu Rom und Neapel ruhig ihr Schicksal dich an?
Oder es trug eine Inschrift sich erhaben dir auf,
wie neulich die Tafel in Santa Maria Formosa.
Was sie mir wollen? leise soll ich des Unrechts
Anschein abtun, der ihrer Geister
reine Bewegung manchmal ein wenig behindert.
Freilich ist es seltsam, die Erde nicht mehr zu bewohnen,
kaum erlernte Gebräuche nicht mehr zu üben,
Rosen, und andern eigens versprechenden Dingen
nicht die Bedeutung menschlicher Zukunft zu geben;
das, was man war in unendlich ängstlichen Händen,
nicht mehr zu sein, und selbst den eigenen Namen
wegzulassen wie ein zerbrochenes Spielzeug.
Seltsam, die Wünsche nicht weiter zu wünschen. Seltsam,
alles, was sich bezog, so lose im Raume
flattern zu sehen. Und das Totsein ist mühsam
und voller Nachholn, daß man allmählich ein wenig
Ewigkeit spürt. – Aber Lebendige machen
alle den Fehler, daß sie zu stark unterscheiden.
Engel (sagt man) wüßten oft nicht, ob sie unter
Lebenden gehn oder Toten. Die ewige Strömung
reißt durch beide Bereiche alle Alter
immer mit sich und übertönt sie in beiden.
Schließlich brauchen sie uns nicht mehr, die Früheentrückten,
man entwöhnt sich des Irdischen sanft, wie man den Brüsten
milde der Mutter entwächst. Aber wir, die so große
Geheimnisse brauchen, denen aus Trauer so oft
seliger Fortschritt entspringt –: könnten wir sein ohne sie?
Ist die Sage umsonst, daß einst in der Klage um Linos
wagende erste Musik dürre Erstarrung durchdrang;
daß erst im erschrockenen Raum, dem ein beinah göttlicher Jüngling
plötzlich für immer enttrat, das Leere in jene
Schwingung geriet, die uns jetzt hinreißt und tröstet und hilft.
Rainer Maria Rilke

Die achte Elegie.
Rudolf Kassner zugeeignet.
Mit allen Augen sieht die Kreatur
das Offene. Nur unsre Augen sind
wie umgekehrt und ganz um sie gestellt
als Fallen, rings um ihren freien Ausgang.
Was draußen ist, wir wissens aus des Tiers
Antlitz allein; denn schon das frühe Kind
wenden wir um und zwingens, daß es rückwärts
Gestaltung sehe, nicht das Offne, das
im Tiergesicht so tief ist. Frei von Tod.
Ihn sehen wir allein; das freie Tier
hat seinen Untergang stets hinter sich
und vor sich Gott, und wenn es geht, so gehts
in Ewigkeit, so wie die Brunnen gehen.
Wir haben nie, nicht einen einzigen Tag,
den reinen Raum vor uns, in den die Blumen
unendlich aufgehn. Immer ist es Welt
und niemals Nirgends ohne Nicht: das Reine,
Unüberwachte, das man atmet und
unendlich weiß und nicht begehrt. Als Kind
verliert sich eins im Stilln an dies und wird
gerüttelt. Oder jener stirbt und ists.
Denn nah am Tod sieht man den Tod nicht mehr
und starrt hinaus, vielleicht mit großem Tierblick.
Liebende, wäre nicht der andre, der
die Sicht verstellt, sind nah daran und staunen …
Wie aus Versehn ist ihnen aufgetan
hinter dem andern … Aber über ihn
kommt keiner fort, und wieder wird ihm Welt.
Der Schöpfung immer zugewendet, sehn
wir nur auf ihr die Spiegelung des Frein,
von uns verdunkelt. Oder daß ein Tier,
ein stummes, aufschaut, ruhig durch uns durch.
Dieses heißt Schicksal: gegenüber sein
und nichts als das und immer gegenüber.
Wäre Bewußtheit unsrer Art in dem
sicheren Tier, das uns entgegenzieht
in anderer Richtung –, riß es uns herum
mit seinem Wandel. Doch sein Sein ist ihm
unendlich, ungefaßt und ohne Blick
auf seinen Zustand, rein, so wie sein Ausblick.
Und wo wir Zukunft sehn, dort sieht es Alles
und sich in Allem und geheilt für immer.
Und doch ist in dem wachsam warmen Tier
Gewicht und Sorge einer großen Schwermut.
Denn ihm auch haftet immer an, was uns
oft überwältigt, – die Erinnerung,
als sei schon einmal das, wonach man drängt,
näher gewesen, treuer und sein Anschluß
unendlich zärtlich. Hier ist alles Abstand,
und dort wars Atem. Nach der ersten Heimat
ist ihm die zweite zwitterig und windig.
O Seligkeit der kleinen Kreatur,
die immer bleibt im Schooße, der sie austrug;
o Glück der Mücke, die noch innen hüpft,
selbst wenn sie Hochzeit hat: denn Schooß ist Alles.
Und sieh die halbe Sicherheit des Vogels,
der beinah beides weiß aus seinem Ursprung,
als wär er eine Seele der Etrusker,
aus einem Toten, den ein Raum empfing,
doch mit der ruhenden Figur als Deckel.
Und wie bestürzt ist eins, das fliegen muß
und stammt aus einem Schooß. Wie vor sich selbst
erschreckt, durchzuckts die Luft, wie wenn ein Sprung
durch eine Tasse geht. So reißt die Spur
der Fledermaus durchs Porzellan des Abends.
Und wir: Zuschauer, immer, überall,
dem allen zugewandt und nie hinaus!
Uns überfüllts. Wir ordnens. Es zerfällt.
Wir ordnens wieder und zerfallen selbst.
Wer hat uns also umgedreht, daß wir,
was wir auch tun, in jener Haltung sind
von einem, welcher fortgeht? Wie er auf
dem letzten Hügel, der ihm ganz sein Tal
noch einmal zeigt, sich wendet, anhält, weilt –,
so leben wir und nehmen immer Abschied.
Rainer Maria Rilke
Qualen sind für mich wie Kleiderwechsel,
Ich frage den Verwundeten nicht, wie es ihm geht, ich werde selber der Verwundete,
Meine Wunden werden brandig, während ich mich auf meinen Stock lehne und zuschaue.
Ich bin der zerquetschte Feuerwehrmann mit zerbrochenem Brustbein,
Stürzende Mauern begruben mich unter ihren Trümmern,
Glut und Rauch atmete ich ein, hörte den gellenden Schrei meiner Kameraden,
Hörte das ferne Klickklack ihrer Hacken und Schaufeln,
Sie haben die Balken weggeräumt, nun ziehen sie mich sanft hervor.
Ich liege in der Nachtluft im roten Hemde, Schweigen herrscht um meinetwillen,
Schmerzlos liege ich da, erschöpft, doch nicht unglücklich,
Weiß und schön sind die Gesichter, die mich umgeben, die Häupter entblößt von den Feuerhelmen,
Die knieende Menge schwindet allmählich mit dem Lichte der Fackeln.
Ich bin ein alter Artillerist, ich erzähle vom Bombardement meiner Festung,
Ich bin wieder dort –
Wieder der lange Trommelwirbel,
Wieder die feindlichen Geschütze, die Mörser,
Wieder antworten Kanonen meinen horchenden Ohren.
Walt Whitman

Christmas
The winter storms penetrate
the world with furious power.
There sinks on snowy wings,
the fir-scented night . . .
There floats by the light of the candlesquietly, hardly meaning it,
through poor wandering hearts—
Faith—once it was.
There gleam tears in the eye,
you flee the joy—and weep.
Longingly, you recall your childhood—
Oh, if only it were as it once was!
You cry! The bells are ringing.
It descends in festive splendor,
descends on snowy wings,
the fir-scented night.
Rainer Maria Rilke, (Austria 1875-1926)
Translation by Germain Droogenbroodt – Stanley Barkan
***
Weihnacht
Die Winterstürme durchdringen
die Welt mit wütender Macht
da sinkt auf schneeigen Schwingen
die tannenduftende Nacht
Da schwebt beim Scheine der Kerzen
ganz leis nur, kaum, dass du’s meinst,
durch arme irrende Herzen
der Glaube – ganz so wie einst…
Da schimmern im Auge Tränen,
du fliehst die Freude – und weinst,
der Kindheit gedenkst du mit Sehnen, oh, wär es noch so wie einst!
Du weinst!… die Glocken erklingen
es sinkt in festlicher Pracht
herab auf schneeigen Schwingendie tannenduftende Nacht.
Rainer Maria Rilke
Overtocht
De winter draagt zijn koude uit
geselt met hagelslag en noordenwind
van een verijsd december
het kaalgetak der bomen
Vaal en uitgebleekt
hangt aan de wand van de nacht
de tijdspiegel maan
vermoeid oog
tussen het verwaarloosd zilverwerk
der sterren:
Pasmunt voor de overtocht
van jaar tot jaar
Germain Droogenbroodt
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Wachtend op de bus
Ik wacht op de bus.
Veel bussen rijden het station voorbij
ze rijden naar verschillende plaatsen,
maar er is geen bus die me brengt waar ik heen wil.
Ik wacht nog altijd, van de winter tot de lente,
niemand bekommert zich om de mensen die wachten op de bus,
ze lopen, of rennen.
Ik wacht van avondval tot dageraad.
De bomen houden een winterslaap en worden wakker,
zoals ook de vogels het doen.
De stad heeft duizenden jaren geslapen
slecht enkele sterren zijn wakker gebleven.
Ik weet niet hoe ver het is naar de plaats waar ik heen wil,
ik wacht nog steeds op de bus
ANNA KEIKO, China
Verlating Germain Droogenbroodt in samenwerking met de dichteres
uit: „Absurd Nobility“, Chinees- Engels
Independently Poetry, Chile – USA, 2022
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De onbegane weg
Onzeker
zoals een lichaam soms twijfelt
tussen leven en dood
zo twijfelt soms ook het woord
dat uit zijn winterslaap ontwaakt
niet meteen de weg vindt
de onbegane weg
naar het gedicht.
Germain Droogenbroodt
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Poesía sin Fronteras
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Schoonheid en verdriet
In een eenzaam verlaten gebied,
tijdens typische middernachtelijke uren
of op de overgang van dag en nacht
naar de vermoeide bloemen kijkend,
naar het vogelvolk dat huiswaarts keert
en naar de avond die zijn kleuren toont,
naar het maanlicht dat met een spoor
van sierlijke buien het wateroppervlak kust
is er een bijzonder geluid van stilte.
De bomen die er als torens staan,
en nog veel meer deel ik met jou
als ik in je ogen kijk.
DR. NAILA HINA, Pakistan
Vertaling Germain Droogenbroodt
uit “Shadows Of The Sun”
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HET LICHT
Het daagt,
de zon duikt op
uit het niets
ontsteekt
wat alleen schijnbaar
van ver komt
hoewel het nabij
en in ons is:
het licht.
Germain Droogenbroodt
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Getuigen van een tijd
Zoals door de regen
nagelaten sporen worden gewist
verdwijnt door een technisch probleem
of beslissing van hogere machten
wat we ooit hebben toevertrouwd
aan floppy, computer, VHS of CD.
Blijft van ons straks alleen nog vergeeld
wat met pen of schrijfmachine
op papier staat geschreven
en van wie na ons komt
helemaal niets?
Germain Droogenbroodt
Uit: De Weg van het zijn – el Camino del Ser
Titel: De Weg van het Zijn – El Camino del Ser
ISBN 9789086662876
Dichter: Germain Droogenbroodt
Illustraties: Satish Gupta
Uitgever: BOEKENPLAN
230 pagina’s paperback
Prijs 23,50
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