Der Ewige – Mendelssohn und der Gottesname

Rosenzweig, Franz, Die Schrift. Aufsätze, Übertragungen und Briefe. Herausgegeben von Karl Thieme, Königstein 1984, (Jüdischer Verlag Athenäum)



“Der Ewige”
Mendelssohn und der Gottesname (1929)

Die geschichtliche Bedeutung der Mendelssohnschen Pentateuchübersetzung ist bekannt. Ihre Lebenskraft entspricht aber nicht diesem geschichtlichen Rang, noch auch ihrem Wert. In hebräischen Lettern ist sie zwar mehrfach wiederaufgelegt — zuletzt noch 1888 in Warschau—, dank der Verbindung mit dem wichtigen Kommentar, dem sogenannten Biur, der an der Schwelle des bibelkritischen Jahrhunderts noch einmal, schon in modemem Geiste und doch noch naiv, gleich fern von kritischer wie von restaurativer Tendenz, die Fackel der grossen mittelalterlichen Erklärer übernimmt und neu entzündet. Aber in deutschen Lettern ist sie nach einem von Mendelssohn selbst begünstigten, aber nur bis zur Genesis gekommenen Versuch zwar 1813 und 1815 herausgegeben, dann aber erst wieder 1845 und auch da nur im Rahmen der Gesamtausgabe der Schriften, und nachher nicht wieder. Als die deutsche Judenheit in dem grossen geistigen Aufschwung der dreissiger und vierziger Jahre nach einer deutschen Bibel verlangte; rangen nicht weniger als drei Unternehmen gleichzeitig um den Kranz: Zunz, Salomon, Johlson, etwas später dann Philippson; Mendelssohns Pentateuch galt als nicht vorhanden (1). Dabei ist er, objektiv betrachtet, eine der grossen Leistungen jener klassischen Jahrzehnte der deutschen Übersetzungskunst im Zeitalter der Goetheschen “Weltliteratur”; im Bewusstsein der “morgenländischen” “Sprache und Vortragsart” wagt er, mitten zwischen Falschem und Glättendem, Kühnstes und Überkühnes: etwa wenn seine Bünde weder geschlossen noch gestiftet werden, sondern wenigstens in der Genesis durchgängig —”zerschnitten”; in engstem Anschluss an die hebräische Metapher, die noch das Zerschneiden der Bundesopfer vor Augen hat. Aber all das spielt sich unter der Tarnkappe der hebräischen Buchstaben ah und wird dem deutschen Lesepublikum erst merkbar, als mit einem Male, wie aus dem Nichts entsprungen, eine Generation vollendeter jüdischer Stilisten in der deutschen Literatur und Journalistik erscheint.

Von dieser allgemein stilbildenden Wirkung abgesehen, hat die Mendelsohnsche Übersetzung nur an einem Punkt in das Deutsche und in das Welt-Judentum auf die Dauer hineingewirkt: mit ihrem Gottesnamen “der Ewige”. Er ist nicht bloss von den meisten späteren jüdischen Bibelübersetzungen übernommen worden, sondern auch in die gebräuchlichen Gebetsübersetzungen, in die Predigten und in alles sonst noch im Kult und im Zusammenhang mit dem Kult deutsch Gesprochene eingedrungen und bat so die jüdische Frömmigkeit des Emanzipationszeitalters überall, selbst bis in die Kreise der Orthodoxie hinein —obwohl hier sich S. R. Hirschs grossartig begründeter (2) Widerstand erhob —, gefärbt.

Er ist, soviel ich sehe, von Mendelssohn ins Judentum eingeführt. Die älteren jüdischdeutschen Bibelübersetzungen, die Mendelssohn in seiner Vorrede bespricht, sagen, wie später wieder S. R. Hirsch, “Gott” das anscheinend so naheliegende “der Herr” vermeiden auch sie. Dagegen hat der Name eine christlich-europäische Vorgeschichte, freilich eine “alttestamentlich” gefärbte. Sein biblischer Ursprungsort ist das “Alte Testament” im eigentlichsten Sion, nämlich der Teil, der sich nur in der christlichen Bibel erhalten hat, die Apokryphen: im Baruchbrief kommt in Kapitel 4 und dem Anfang von 5, also in dem Stück, das vielleicht gleich griechisch. geschrieben ist, nicht weniger als sechsmal als Gottesname ho Aionios (3), der Ewige, vor. Calvin braucht den strengen und erhabenen, recht eigentlich “numinosen” Namen zur Wiedergabe des alttestamentlichen Gottesnamens in der von ihm selbst redigierten, 1564 erschienenen französischen Ausgabe seines Hexateuchkommentars, aus der Reuss (4) die “Calvinbibel” hat zusammenstellen: können, dagegen noch nicht in den im Laufe der fünfziger Jahre erschienenen Kommentaren alttestamentlicher Bücher; don steht noch nicht Éternel, sondern Seigneur. Dieses (5) herrscht auch noch in der von Calvins Vetter Olivetanus 1535 veröffentlichten Urgestalt der “Genfer Bibel”, die nur gelegentlich l’Éternel hat, sowie in allen von Reuss untersuchten Genfer Bibeln, die zu Calvins Lebzieten erschienen sind; erst 1588 hat Calvins l’Éternel die Genfer Bibel ganz erobert und hat ‘sich seitdem in ihr und im reformierten Kult behauptet; zwei zu Lyon 1550 und 1551 erschienene Ausgaben der Genfer Bibel, die die Berliner Staatsbibliothek besitzt, zeigen allerdings schon weitgehende Verwendung. über eine auf der hiesigen Bibliothek vorhandene Ausgabe von 1565 wird unten noch zu sprechen sein.

Von Genf aus ist dann der Name auch in die europäischen Literaturen eingedrungen. Der älteste Verwender, den Littré anführt, ist der 1540 gestorbene Dichter Marot dessen “fünfzig Psalmen” Calvin herausgegeben hat. Am bekanntesten sind die Stellen in Racines beiden alttestamentlichen Dramen. Auch für England bietet das Lexikon seit den achtziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts Belege. Dagegen haben es sich die Grimms entgehen lassen, obwohl es doch, abgesehen von dem Baruchbrief der Lutherbibel, mindestens in Gellerts durch Beethovens Töne unsterblich gewordenem Hymnus “Die Himmel rühmen”, dessen Psalmvorlage hier ja übrigens nicht den Namen, sondern bloss das Wort Gott hat, ein allbekanntes Vorkommen aufweisen kann.

So scheint für Mendelssohn, den, Bürger des Berlin, dessen starke Hugenottengemeinde damals und noch langhin mindestens im Kult, der Sprache ihres Rabenvaterlands ähnlich Treue hielt wie die türkischen Juden dem Kastilisch der Inquisition, die polnischen und russischen dem Rheinisch der Kreuzzüge, nicht viel Verdienst übrigzubleiben. Und dennoch hat er als Übersetzer einen scheinbar kleinen, in Wahrheit entscheidenden Schritt über seinen grossen Vorgänger Calvin hinausgetan und erst das Tüpfelchen hinzugefügt, durch welches das i zum i wird.

Wie lag für Mendelssohn das Problem? Negativ lässt sich zunächst vermuten, dass “der Herr” schon als christlich belastet ausschied; hatte es doch durch den Sprachgebrauch des griechischen und infolgedessen auch des deutschen Neuen Testaments eine Beziehung auf den Stifter des Christentums bekommen, die bis zum heutigen Tag auch das Alte Testament christlich einfärbt: wenn der fromme Christ sagt: “Der Herr ist mein Hirt”, denkt er nicht an Gott, sondern an den “guten Hirten”. Über die positiven Gründe der Wahl sind wir nicht auf Vermutungen angewiesen: grade zu dem Buch, das die entscheidende Stelle enthält, zu Exodus, hat Mendelssohn, im Stich gelassen von dem Kommentator seiner Genesis und vor dem Finden der Kommentatoren der folgenden Bücher, selbst den Kommentar geschrieben. Denn den Rechenschaftsbericht des Übersetzers hat man nicht etwa beim ersten Vorkommen des Namens zu suchen, nicht also zu 1. M 2,4 wie etwa bei Hirsch. Dort findet man nur einen vertröstenden Verweis auf den Kommentar zu 2. M 3,14 In diesem Aufschub, in den drei hebräischen Worten des grade in diesen ersten Kapitein wieder von Mendelssohn persönlich verfassten Kommentars: “denn dort ist der Ort dafür”, steckt im Keim Mendelssohns ganzes Verdienst urn das Problem und sein entscheidender Fortschritt über Calvin und die reformierte Bibel, sowie auch sein Vorsprung vor den späteren, den Gottesnamen selbst von ihm übernehmenden jüdischen Übersetzern (6). .

Zu dem 14. Vers des 3. Kapitels von Exodus also, der im Original etwa heisst:
Gott aber sprach zu Mosche:
Ich werde dasein, als der ich dasein werde.
Und sprach:
So sollst du zu den Söhnen Jisraels sprechen:
ICH BIN DA schickt mich zu euch
und bei Mendelssohn in breiter Paraphrase:
Gott sprach zu Mosche: Ich bin das Wesen, welches ewig ist.
Er sprach nämlich: So solist du zu den Kindern Jisraels sprechen:
“Das ewige Wesen, welches sich nennt: ich bin ewig,
hat mich zu euch gesendet”
bemerkt Mendelssohns Kommentar:
In einem Midrasch heisst es: “Der Heilige, gelobt sei er, sprach zu Mosche: Sprich zu ihnen: >Ich bin, der war, und jetzt bin ich der selbe und ich werde der selbe sein in der Zukunft!< Und ferner sagen unsre Lehrer, ihr Andenken zum Segen: >Ich werde mit ihnen sein in dieser Not, der ich mit ihnen sein werde in der Knechtschaft unter den übrigen Reichen<.” —Ihre Absicht damit ist folgende: “Weil die vergangene und die künftige Zeit in dem Schöpfer ganz Gegenwart sind, denn bei ihm gibt es keine ‘Veränderung und Abhängigkeit’(7), und von seinen Tagen ist nicht vergangen, darum werden in ihm alle Zeiten mit einem einzigen Namen gerufen, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umfasst. Durch diesen deutet er auf die Notwendigkeit det Existenz und deutet zugleich auf die ununterbrochen dauernde Vorsehung. Er sagt also mit diesem Namen gewissermassen: >Ich bin mit den Menschenkindern: gewogen zu sein und mich zu erbarmen, dessen ich mich erbarme; sprich also nun zu ihnen, zu Jisrael, dass ich es bin, der war, in und sein wird und Herrschaft und Vorsehung übt über das All, ich bin es und ich werde mit ihnen sein in all ihrer Not: werde mit ihnen sein in dieser Not und werde mit ihnen sein allemal, wenn sie zu mir rufen<.” —Nun gibt es aber im Deutschen kein Wort, das die Bedeutung der Allzeitigkeit mit der Bedeutung der Existenznotwendigkeit und der Bedeutung der Vorsehung in eins fasst wie dieser heilige Name (“das ewige notwendige, vorsehende Wesen”(8). So haben wir übersetzt: “der Ewige” oder “das ewige Wesen”(9).

Onkelos(10) übersetzt: “ich werde sein, mit wem ich sein werde” (nach der Lesart, die Nachmanides bringt), im Sinne von “Ich hin gewogen, wem ich gewogen bin, und erbarme mich, dessen ich mich erbarme” (unten Kapitel 33). Er beabsichtigt also, es nach dem Gesichtspunkt der Vorsehung allein zu übersetzen, ähnlich wie der zweite Midrasch. —Der Gaon Saadia schreibt, dass die Erklärung ist: der nicht vergangen ist und nicht vergehen wird, weil er der Erste und Letzte ist. Seine Worte sind also den Worten des ersten Midrasch verwandt, der auf die Ewigkeit deutet. —Maimonides im “Führer der Verirrten” erklärt es: der Existierende, der an sich Existenz hat. Seine Absicht geht also auf die Bedeutung der Existenznotwendigkeit. —In Wahrheit umfasst es alle drei Bedeutungen; nur dass Onkelos im Aramäischen und ebenso Saadia im Arabischen und ebenso auch Maimonides im Arabischen, in dem er seinen “Führer” verfasste, in jenen Sprachen kein Wort fanden, das alle jene Bedeutungen umfasst wie dieser heilige Name. Darum legte jeder in seiner Weise nach einer von jenen Bedeutungen aus. Und der deutsche Übersetzer entschied sich, es im Sinne der Ewigkeit auszulegen, weil davon die andern Bedeutungen abzweigen. So habe ich auch bei Jonatan ben Usiel gefunden, dass er es nach dieser Bedeutung übersetzt: Ich-der-ich-bin-und-sein-werde hat mich zu euch geschickt.

Aus diesem Kommentar springt zunächst die überraschende Tatsache hervor, wie sehr diese für das moderne Judentum so folgenschwere Entscheidung für den abstrakten “philosophischen” Gottesnamen bei Mendelssohn selbst an einem Haar gehangen bat. Das “ewig notwendige” und das “vorsehende” Wesen, jenes von den klassischen Religionsphilosophen” dieses von der eigentlichen volkhaften Tradition —Onkelos, Talmud(11), Raschi! —in dem Namen gefunden, gelten ihm an sich für gleichwertige, beides vom Text gemeinte Bedeutungen. In der Entscheidung steckt dann ein Stück von jenem, uns nach dem “Alleszermalmer”, als den ja grade Mendelssohn Kant bezeichnet hat, nicht mehr nachglaubbaren Glauben des achtzehnten Jahrhunderts an die Möglichkeit einer “rationalen Theologie”, für die sich —in flagrantem Widerspruch zur philosophiegeschichtlichen Erfahrung —aus dem “notwendig existierenden Wesen” das “vorsehende” mit logischer Schlüssigkeit ergäbe. Wir heute würden, wenn überhaupt, uns eher zu dem umgekehrten “Schluss” vom Fürsorgenden auf den Existierenden —verstehen. Aber für Mendelssohn, den vorkantischen Menschen, war in “der Ewige”, oder wie er an besonders wichtigen Stellen wie grade hier sagt: “das ewige Wesen”, der Gott des betenden Anrufs mitgemeint, mitgenannt.

Wie liegt nun das Problem vom Text aus? Die, wie ich glaube, für jetzt abschliessende Untersuchung darüber, vorbildlich in ihrer Nüchternheit und Umsicht, hat B. Jacob geliefert in seiner Abhandlung “Mose am Dornbusch”(12). Der ganze Zusammenhang der Erzählung des Kapitels spricht gegen die “erste”, die “Existenznotwendigkeits” —, und für die “Zweite”, die “Vorsehungs”-Bedeutung des fraglichen Worts, das ja übrigens auch schon rein sprachlich nicht den statischen Sinn des Seins hat, sondern den dynamischen des Werdens, Eintretens, Geschehens. Mose schreckt vor der Rolle des Führers, die Gott ihm auf trägt, zurück. Darauf versichert ihm Gott:
Wohl, doch ich werde dasein bei dir.
Darauf Mose:
Seis denn: ich komme zu den Söhnen Jisraels,
ich sage ihnen: Der Gott eurer Väter schickt mich zu euch,
sie werden mir sagen: Was ists um seinen Namen?
was soll ich ihnen sagen?,

Und hierauf, auf die Frage also nach der Bedeutung des Namens (nicht, wie Jacob nachweist und übrigens auch schon Mendelssohn(13)), freilich ohne es übersetzerisch zum Ausdruck zu bringen, kommentiert, nach dem Namen selbst), soll Mose das oben Angeführte antworten. Welchen Sinn hätte wohl für die verzagenden Unglücklichen eine Vorlesung über Gottes notwendige Existenz? Sie brauchen, genau wie der zaghafte Führer selbst eine Versicherung des Bei-ihnen-seins Gottes und brauchen sie, zum Unterschied von dem Führer, der es ja aus Gottes eigenem Munde vernimmt, in der die göttliche Herkunft der Versicherung bestätigenden Form einer Durchleuchtung des alten dunkeln Namens.

So ist aus dem erzählerischen Zusammenhang nur eine Übersetzung gerechtfertigt, die nicht das Ewigsein in den Vordergrund rückt, sondern, das Gegenwärtigsein, das Für-euch-und Bei-euch-dasein und -daseinwerden. Wie sich das dann zur Wiedergabe des von dieser Stelle aus durchsichtig gewordenen Namens, in den drei Dimensionen des persönlichen Fürworts, dem Anredenden, dem Angeredeten, dem Beredeten, verdichtet, das habe ich an andrem Ort (14) ausgeführt. Nur im Fürwort ballt sich die Bedeutung des Einen, jeweils in einer der drei Weisen Gegenwärtigen in der jeweils gemeinten, Art von, Gegenwart zu einem Wort zusammen. Im Fürwort natürlich, das nicht in der Objektivität der Erzählung oder der berichteten Rede verschluckt wird, sondern mit der explosiven Kraft der Mündlichkeit aus der immer vergangenen Sprache des Buchs in die Gegenwart hervorspringt, -es ist kein Zufall, daB die beiden am tief sten theologisch bewegten Übersetzer ins Deutsche, Luther und S. R. Hirsch, das Problem ebenfalls im Druck nicht ohne das Gewaltmittel einer Unterbrechung des ruhigen Fortflusses der Lettern zu lösen wussten, Luther mit seinen Versalien, Hirsch mit seinem Sperrdruck. Der jenen Gegenwärtige, bei ihnen Daseiende, also: ER, der einem Ich Gegenwärtige, bei mir Daseiende: DU, der einem Du Gegenwärtige, bei dir Daseiende: ICH. Eben der notwendige Wechsel der Personen ist die Probe auf das, gelöste Exempel, die Wiedergabe des Namens in festen Zusammenhang mit der Offenbarung des Namens zu bringen und so, wie noch gezeigt werden soll, die Einheit der Bibel schon als des geschriebenen, nicht erst als des gelesenen Buchs, die eben dieser Zusammenhang konstituiert, übersetzerisch wiederzugeben. Was Raschis Enkel, der “Raschbam”, in seinem Kommentar nur unter dem Siegel des vertauschten Alphabets mitteilen mag, ist ja nichts als der schlichte Sinn jener Offenbarung: “er nennt sich: ICH BIN DA, und wir nennen ihn: ER IST DA”.

Mendelssohn hat also die Entscheidung falsch getroffen, beeinflusst durch den Vorgang Calvins und einflussempfänglich geworden durch den rationalistisch-klassizistischen Geist seines Jahrhunderts, der sich ihm hier mit dem Geist des von Jugend auf verehrten, doch eben hier wie so oft aristotelisch beeinflussten Maimonides gegen den sicheren Instinkt der jüdischen Tradition verbündete. Aber das wiegt, obwohl es für das Judentum des Emanzipationsjahrhunderts verhängnisvoll geworden ist, leicht gegen das grosse Verdienst, dass er als Erster und auf lange hin Einziger —die spezifisch übersetzerische Entscheidungsfrage richtig gestellt hat, indem er die Wiedergabe des Namens an die Offenbarung des Namens gebunden hat. Wohl war auch die in den Ländern des christlichen Europa meist gebrauchte, aus der Septuaginta stammende und durch die Vulgata vermittelte Umschreibung “der Herr” insofern der Einzigartigkeit dieses Gottesnamens gerecht geworden, als sie eben Umschreibung war und dadurch die Transparenz des Namens, sein Durchleuchtetsein von Sinn, wiedergab. Und wohl war “der Herr” insofern sogar eine bessere Wiedergabe als “der Ewige”, als es wenigstens keinen in sich beschlossenen Sinn hatte, sondern einen über sich hinausweisenden: “der” Herr ist immer der Herr des jeweils ihm Gegenübergestellten, ihm jeweils Begegnenden, immer ein Wort der Beziehung (15). Aber —mindestens vom lateinischen “Dominus” an -, ganz im Gegensatz zu seinem hebräischen Urbild, der Deckaussprache des Gottesnamens, die nach der Rückkehr aus Babylon (16 ) aufkam, das Wort einer falschen, nämlich eben nur herrschenden, nicht helfenden, nur vorstehenden, nicht beistehenden Beziehung. Das hebräische Adonaj, wie es im Mund der Profeten, des Amos, des Jesaja, zum eigensten Wort des Botenbewusstseins geworden war —”mein Herr” —, behielt (und behält im jüdischen Munde bis auf diesen Tag) diesen innigen, mit einem Unterton von Vokativität, von Anrede und Anruf versetzten Klang, wie es denn in der nachbiblischen Gebetsliteratur ganz überwiegend im Vokativ steht; es blickt gewissermassen mitten aus dem Satz für einen Augen-Blick zum Himmel auf; so wie dem Toraschreiber das Gesetz auflegt, vor jedem Gottesnamen sich zu unterbrechen mit dem Wort, dass er ihn zur Heiligung des Namens schreiben wolle, und Frömmste des frommen Handwerks diesem Spruch durch ein Tauchbad Leibhaftigkeit geben; und wie den Toraleser die überlieferte Vokalisation zwingt, das Wort, wo auch immer im Satz es steht, so auszusprechen, als stünde es vor einer satzschliessenden oder satzunterbrechenden Pause. Und unter Adonaj lag eben zum Unterschied von “Herr” jedesmal sichtbar der wirkliche Name mit seiner Bindung an den Moment seiner Offenbarung. Und diese Aufgabe einer Bindung des Namens an den namenoffenbarenden Moment hat Mendelssohn der Übersetzer entdeckt.

Eben hier liegt der Punkt seines Fortschritts über Calvin. Die Genfer übersetzen verschieden, aber durchweg im Anschluss an die von der Septuaginta und Vulgata geschaffene Übersetzungstradition, also: ich bin, der ich bin ( oder mit humanistischem Rückgriff auf das aber doch immer nur im Sinn der Septuaginta verstandene (17) —hebräische Original: ich werde sein, der ich sein werde) oder: ich bin der, der ist; und: der, der ist (oder: “Ich bin” oder: der sich nennt “ich bin”), hat mich zu euch geschickt. Selbstverständlich ist ihnen, sobald sie Éternel statt Seigneur sagen, der Zusammenhang mit dieser Stelle bewusst; sehr eigentümlich zeigt sich das in der auf der hiesigen Bibliothek vorhandenen Ausgabe von 1565, die im allgemeinen (mit Ausnahme besonders zentraler Stellen, wie zum Beispiel 1. M 4,1 und 4,26 und 2. M 34,6) Seigneur hat: sie sagt von dem Vers der Namensoffenbarung bis zum Kapitelschluss Éternel und erklärt in Anmerkungen sowohl diesen Namen aus dem Verb des Verses 14 als umgekehrt auch diesen Vers mit: “ich werde es ewig sein” und: “der, der ewig ist”. Aber in der Übersetzung selbst schafft auch sie keine Verbindung: das aus dem platonisierenden “Ich bin der Seiende” der Septuaginta ererbte Wort der Namensoffenbarung bleibt ohne sprachlichen Zusammenhang mit dem wirklich gebrauchten Gottesnamen des Textes.

Wie viel aber darauf ankommt, dass das Erkannte hier auch übersetzerisch zum Ausdruck gebracht wird, mag Philon zeigen —, als Erstling all derer, die sich des grossen Privilegs der Menschheit bedient haben, das Menschheitsbuch im Knechtsgewand einer Übersetzung so zu lesen, als stünde es vor ihnen im Königskleid der heiligen Sprache. Philon hat aus seiner Septuaginta entnommen, nur “der Seiende” sei Gott selbst, der “Herr” sei nur eine untergeordnete Gotteskraft! und —natürlich -die göttliche Strenge, nicht die göttliche Milde!

Aber auch nach ihrer jüdischen Wichtigkeit ist Mendelssohns übersetzerische Klärung des Zusammenhangs zwischen Name und Namensoffenbarung gar nicht zu überschätzen, Nicht weniger hängt von der Sichtbarmachung dieses Zusammenhangs ab als die Einheit der Bibel. Und zwar ihre Einheit als einheitlicher Ausdruck und Ausfluss der Offenbarung des einen Gottes. Gelehrter und also verständlicher gesagt: ihre Einheit unter dem Prinzip des Monotheismus. Der biblische “Monotheismus” besteht ja nicht in der Erkenntnis einer Einheit des göttlichen Wesens; wäre er das, so ermangelte er jeder Besonderheit: es gibt kein “Heidentum”, das nicht -und nicht etwa erst in späten religiösen Philosophemen, sondern in echter und ursprünglicher religiöser Erfahrung —seinen “Polytheismus”, die Fülle seiner religiösen Erlebnisse also, in der Einheit eines “Religiösen” überhaupt, sei es in einer Götterhierarchie, sei es in einem Götterpantheon, sei es in Götteridentifikation, zusammenfasste. Sondern das Eigentümliche des biblischen Gottesglaubens besteht darin, dal! er diese “heidnische” Einheit —mit dem Kusari zu reden: den Gott des Aristoteles —zwar voraussetzt, aber diesen Gott in seinem Einssein mit dem persönlichst und unmittelbarst erfahrenen -wieder mit dem Kusari gesprochen: dem Gott Abrahams —erkennt. Die “heidnische Einheit” ist dabei nicht etwa nebensächlich; ein teilgebliebener Gott (etwa ein Gruppengott), der beanspruchte, “der ganze” zu sein, wäre ein Götze und unfähig, in die Ineinssetzung mit dem “Gott Abrahams” einzugehn ( das zu verkennen ist einer der zentralen Irtümer Goldbergs); aber ihre, sozusagen, monotheistische Pointe erhält jene heidnische Einheit erst durch diese jüdische Ineinssetzung des fernen mit dem nahen, des “ganzen” mit dem “eigenen” Gott. Diese Ineinsetzung erst ist das “Wesen des Judentums” und durch das trinitarische Dogma wie sehr auch gebrochen und in Gefahr des Rückfalls in die vor-und ausserjüdische Spaltung, auch das Wesen des Christentums (den Ernst und die Aktualität dieser Gefahr zeigen in der Gegenwart wieder Barth und Gogarten). Und diese Ineinssetzung ist der Offenbarungskern der Bibel und das, was sie zur jüdischen Bibel macht; der Unterschied der jüdische Bibel vom “Alten Testament” liegt darin. dass vom Neuen Testament aus allzu leicht der Gott des “Alten” dem “Vater Jesu Christie” gegenüber wieder gewissermassen auf den “Gott des Aristoteles” reduziert wird. Und eben diese Ineinssetzung ist es, die mit ihrer aus dem ICH BIN DARuf vom brennenden Dorn hervorschlagen den Glut in den Gottesnamen die ganze Bibel in eins schmiedet, indem sie überall die Gleichung des Gottes der Schöpfung mit dem mir, dir, jedem Gegenwärtigen vollzieht —diese Gleichung, deren Feuer am heissesten brennt an den Stellen, wo der Gottesname und das Wort für Gott aufeinanderprallen, wie in den Paradieskapiteln der Genesis oder in dem Einheitsruf des “Hör, Jisrael”, überhaupt den Stellen, wo Mendelssohn “der Ewige” nicht genügt und er durch “das ewige Wesen” das Bezogenwerden auf die Namensoffenbarung des Exodus in seiner Weise ganz sicherzustellen sucht.



Die verschiedenen historischen Möglichkeiten lassen sich unter dem Licht der hier entwickelten Erkenntnisse etwa folgendermassen skizzieren (18):

In der hebräischen Bibel, wie sie uns vorliegt erscheint der Gottesname in drei Gestalten, nämlich ausser in seiner vierkonsonantigen Form, dem sogenannten Tetragrammaton, noch in einer zweikonsonantigen und in einer dreikonsonantigen, also sozusagen als Di-und als Trigrammaton. Das Digrammaton Jàh, zu sprechen mit kurzem hervorgestossenen offenen o, gehört, wie Jastrow (19 ) —freilich mit verfehlten Konsequenzen —wahrscheinlich gemacht hat, zu der Gruppe der Gottnamen oder -beinamen, die auf kultische Aus-oder richtiger: Anruf zurückgehen, wie Iakchos, Euios und ähnliche. Er wäre also eine jener Interjektionen, einer jener Urschreie, aus denen die Sprache entstanden sein muss: Wort im Urstand der Begegnung, noch vor der Vergegenständlichung, reiner Vokativ vor aller Möglichkeit andrer Kasusse·. Also das was grade ein Gottname zum Unterschied von allen Eigen-und Dingnamen nicht bloss ursprünglich einmal gewesen sein, sondern immer bleiben sollte. Tatsächlich kommt dieser Name auch nie in objektiven Zusammenhängen, etwa in Erzählungen vor, sondern ausschliesslich in Wendungen eruptiven Charakters, als deren zugleich bekanntestes und häufigstes Beispiel der Kultruf HalleluJàh dienen möge. Das spricht auch gegen die ebenfalls von Jastrow vertretene Theorie, wonach das “Digrammaton” als Gottesname ein spätes Gelehrtenprodukt sei.

Die zweite Gestalt des Gottesnamens, das “Trigrammaton”, ist biblisch nur in Eigennamen erhalten, und zwar in den beiden Ausspracheformen Jahuw (mit zwei langen Vokalen und stummem w) und Jehow (mit fast stummem e, langem o und stummem w) und in zwei diesen beiden Formen je zugehörigen Kurzformen Jah (mit langem a) und Jow (mit langem o und stummen w). Ausserbiblisch kommt es dagegen auch selbständig als Gottesname vor, und zwar oft in den in Elefantine gefundenen Dokumenten der ägyptischen Juden des fünften und auf in Jerusalem und Jericho ausgegrabenen Scherben usw. des fünften und vierten vorchristlichen Jahrhunderts; ferner darf doch wohl auch das sowohl in antiken wie in patristischen wie endlich in zahlreichen allerdings trüben gnostischen Quellen als jüdischer Gottesname überlieferte Iao (20) als Beleg für das Trigrammaton angesehen werden. Dieser merkwürdige Tatbestand, dass die Bibel diese ausserbiblisch belegte und in ihren Personennamen ausschliesslich vorkommende Gestalt des Gottesnamens in ihrem Text nirgends erhalten hat, sondern ausschliesslich eine andre, die vierbuchstabige Gestalt, verlangt nach Erklärung. Den Nichtgebrauch des Tetragrammatons in Personennamen und in profanen Urkunden sowie auf profanen Geräten könnte man zwar wohl ähnlich wie die Ersetzung des eigentlichen Profetennamens durch die Deckformen Mehmed und Mahmud in der islamitischen Namengebung und ähnlich wie so manchen andern frommen Brauch als eine Scheu vor Profanierung des Heiligen verstehen; das Umgekehrte aber, das Nichtvorkommen des Trigrammatons im biblischen Kontext, forderte auch dann noch Erklärung. Denn einerlei ob es eine ältere, im Tetragrammaton aufgelichtete Gestalt des Gottesnamens darstellt oder eine jüngere Deckform: in beiden Fällen ist nicht einzusehen, warum es sich nicht ebensogut erhalten haben könnte wie das Digrammaton. Es muss bewusst getilgt oder bewusst gemieden sein —oder auch beides.

Das Tetragrammaton, unbekannter oder wenigstens unsicherer Aussprache (21), ist Name und Beiname in einem (22) -, darin allen “Götternamen” gleich, und doch von allen geschieden dadurch, dass bei ihm das Namenhafte und das Beinamenhafte sich vollkommen decken, so dass also kein Teil des Namens vom Sinn undurchleuchtet bleibt (wie es etwa bei all den späten “Erklärungen” antiker Götternamen der Fall ist) und andrerseits die Flamme des Sinns an keiner Stelle über die Fläche des Namens hinausschlägt (wie etwa bei den Namen der römischen “Sondergötter”). Zum Namen wird das Tetragrammaton, ausser durch seine grammatische Behandlung, durch die Ausschliesslichkeit seines Vorkommens und seiner Verwendung; dass es aber nicht etwa bloss ursprünglich oder bloss nachträglich, sondern dauernd als bedeutungsvoll, beinamenhaft, empfunden wurde, lehren all die zahlreichen Stellen, in denen die Erkenntnis des Namens als grosses umwälzendes Ereignis, ja als das grosse umwälzende Ereignis, die Wende der Weltgeschichte, gefasst wird —, Stellen, die durch die übliche, pseudowissenschaftliche Wiedergabe jeglichen Sinns bar werden. “Sie sollen erkennen, dass ich Jahwe bin”, “Jahwe ist ein Kriegsheld, Jahwe ist sein Name”, das ist vollkommen sinnlos und wird erst sinnvoll, wenn man irgendwie, ganz einerlei wie: ob mit “Herr”, ob mit “Ewiger” oder sonstwie, den Namen als Bedeutungsträger wiedergibt. Dass die protestantische Wissenschaft vom Alten Testament an dem Gebrauch von ”Jahwe” im Deutschen, wo es doch ohne alle Beziehung als ein nackter, sinnloser Name dasteht, so starr festhält, obwohl sie sich über die eben angedeutete “Beinamenhaftigkeit” klar ist —man sehe die ausgezeichnete Behandlung der Frage im Lexikon von Gesenius-Buhl —, diese Degradierung des Gottesnamens zu einem Götzennamen (23) ist aus rein wissenschaftlichen Gründen nicht zu be·greifen; sie ist eine mit modernen Kriegsmitteln unternommene Fortführung des alten theologischen Kampfs gegen das “Alte Testament” oder wenigstens seinen Autarkieanspruch, seine Biblizität., die es für den Juden hat. Die jüdische Bibel ruft: Eli Eli! mein Gott, mein Gott! und die Alttestamentler schütteln den Kopf und erklären: Er rufet dem Elias.

Wie aber stelle sich nun das Verhältnis des Tetragrammatons zu den beiden andern Gestalten des Namens dar? Die zwei Möglichkeiten, die oben für das Verhältnis zum Trigrammaton abgesteckt wurden, treten, sowohl zueinander gegensätzlich, zµrück vor der einen Grundtatsache des ausschliesslichen Vorkommens des Tetragrammatons und Digrammatons im biblischen Kontext. Oder negativ ausgedrückt: des Nichtvorkommens des Trigrammatons. Verstehen lässt sich das nur so, dass das Tetragrammaton dem Trigrammaton, gegenüber nie blosser Name war, sondern immer mit dem vollen Spannungswert seiner theologischen Ladung auftrat, mit der es am Dornbusch gefüllt worden war. Historisch kann man sich den Gang der Dinge verschieden vorstellen. Wenn das Trigrammaton eine ältere Form war —sozusagen das “Jahwe” der Altestamentler — so ist das Tetragrammaton entweder das Zeugnis einer radikalen theologischen Umarbeitung der biblischen Texte bzw., da es ja schon im neunten Jahrhundert einmal in der moabitischen Mesainschrift als Name des israelitischen Gottes vorkommt, seiner älteren Schichten. Oder das Tetragrammaton ist in diesem Fall —und dazu neige ich selbst —ebenso alt wie die Bibel, mit andern Worten: es ist wirklich die Spur des im dritten Kapitel des Exodus berichteten Ereignisses am Dornbusch (bzw. für den, der lieber an Literatur glaubt als an Ereignisse, die Spur jener Erzählung und ihres ”Verfassers”). Wenn aber das Trigrammaton eine spätere Deckform des Tetragrammatons sein sollte —dann allerdings, wie die inschriftlich bezeugten Eigennamen beweisen eine recht alte —, so gilt historisch für seine Entstehung eine ganz ähnliche Alternative; nur ist dann die etwaige Vorform entweder unbekannt. (24) oder das Tetragrammaton selber als “blosser Name”. Das Digrammaton wäre all diesen historischen Möglichkeiten gegenüber der gemeinsame frühgeschichtliche Ursprung (vorausgesetzt natürlich, dass die Erklärung als Kultschrei zutrifft). Der Gott-Schrei wäre dann, um hier einmal eine der entwickelten Möglichkeiten auszuspinnen (25), im Trigrammaton durch Zufügung der altsemitischen Nominalendung u zu einer Gottbezeichnung geworden und diese wiederum im Tetragrammaton durch Konsonantwerdung des Endungsvokals zur Gottesoffenbarung, oder wenn man es lieber vom Menschen aus fasst: zur Gotteserkenntnis. Dieser Name, der ganz Wort ist, ganz Wort der Begegnung und Gegenwart, ist dann, als er durch die Fortentwicklung der Sprache in Gefahr geriet, doch wieder blosser Name zu werden, mit dem schützenden Zaun der Deckaussprache “mein Herr!” umgeben worden, die ihn selber zum verschwiegenen und doch sichtbaren Geheimnis macht und, indem sie ihn so vor gedankenlosem Hingesprochenwerden sichert, die lesenden Augen drängt, seines Sinns zu gedenken. Die Deckaussprache ihrerseits deutet einmal den Sinn des Namens insofern an, als auch sie Gott als den nennt, der nicht in seinem Sein, in seinem Wesen verharrt, sondern sich ins da-Sein, in die An-wesenheit herniederneigt; und zugleich deutet sie durch ihre grammatische Unverträglichkeit mit dem logischen Fluss des Texts an, wie der Name als eine Kraft der Wandlung und Neubildung die Sprache gewandelt, das Buch gebildet hat —, er selber Zeugnis eines Augenblicks der Offenbarung, der sich nun dem Leser in tausend Augenblicken der Erkenntnis wiederholt und erneuert. Beides, die Andeutung des Sinns und die Andeutung des Spannungsverhältnisses zwischen dem sinngeladenen Namen und dem Kontext, hat Mendelssohns Wiedergabe verfehlt, beides hat sie mit sicherem Blick für die Aufgabe einer jüdischen Bibelübersetzung erstmalig zum Problem gemacht.

Und dennoch —obwohl es nicht die biblische Konzeption wiedergibt und obwohl es jene von S. R. Hirsch gekennzeichnete Versuchung enthält, Gott in seinem Himmel zu lassen und sich auf der Erde einzurichten, kann auch dies “der Ewige” von echten Kräften der Menschenseele beseelt sein. Ewig ist ja uns Vergänglichen das Wort der Sehnsucht, das letzte Wort unsres “Lieds von der Erde”. Unser Herz weiss keinen Wunsch darüber hinaus. Die grossen Denker der Menschheit haben, von Platon und Aristoteles an, diesem Wunsch des Menschenherzens Erfüllung geschaffen, indem sie ihm ein Göttliches zeigten, in dem diese unsre Sehnsucht zur Ruhe kam. Auch der Gott der Bibel stillt dieses Verlangen, aber nicht indem er es erfüllt oder ihm Erfüllung verheisst, sondern wirklich indem er es stillt, indem er es schweigt. Die Sehnsucht nach seiner Ewigkeit vergeht dem Menschen, der Gottes Gegenwärtigwerden in dieser Weltzeit erfährt und erhofft. Selbst das Wort der Bibel, das gewöhnlich mit Ewigkeit übersetzt wird, bedeutet in Wahrheit ja eben diese unsere Weltzeit bis zu ihrer Wende, bis zu “jenem Tag”. Vor der lebendiggewordenen Zeit lernt das Verlangen des Menschen nach Ewigkeit schweigen.

Aber eben weil die Bibel es anders weiss, etwas anderes weiss, vermag sie sich auch den ihr fremden Ton, der ja doch ein echter Menschenton ist, einzustimmen. Wenn Hermann Cohen sprach: “Der Ewige ist mein Hirt”, so war dieses “der Ewige” nur wie ein augenblickhaftes Aufschiessen der Sehnsucht, das von dem seligen Bewusstsein des göttlichen Herniederneigens, der göttlichen “Demut”, in dem biblischen “in mein Hirte” sogleich überflutet wurde. Auch Mendelssohn selbst hat in seiner Fehlwahl zwischen “ewig” und “vorsehend” so empfunden, wenn er meinte, mit dem “Ewigen” wäre auch der “Vorsehende” mitgesetzt. Und wie müht sich der grosse Urheber des Wozu, Calvin, in seinem Kommentar, den ewig “Seienden ” über Plato “Seiendes” hinaus zum ewig Mächtigen und ewig Erlösenden zu steigern! Hätte die Bibel nicht diese geheimnisvolle Kraft unsre Irrtümer in ihre Wahrheit zu verwandeln, so wäre, sie zu übersetzen ein noch grösseres Wagnis als es das schon ist. Aber darum allein auch wird das Wagnis Gebot und ein jeder Mühe wertes Ziel. Denn diese Kraft der Bibel zur Verwandlung ist das Geheimnis ihrer weltgeschichtlichen Wirkung.


Noten:
(1) Philipp Ehrenberg an Jost (handschriftlich, im Besitz meiner Mutter): . Wolfenbüttel. den 26. Oktober 1841….Beim Lesen des Subscriptionsprospectus der Mendelssohnschen Werke fällt es mir auf dass die Übersetzung des Pentateuch wieder abgedruckt werden soll, und dass namentlich die Subscribenten gezwungen sind dies veraltete Werk zu kaufen, das nur für Literatur und Kulturgeschichte noch Werth hat…
(2) Im Kommentar zu 1.M 2,4
(3) ό αἰώνιοϛ
(4) Reuss, Bible française de Calvin, 1897 (auch Corpus Reformatorum, Band 56).
(5) Realenzyklopädie für protestantische Theologie 3. Aufl. III, 133 (Reuss)
(6) Eine Ausnahme macht Zadoc Kahn, der Mendelssohn genau folgt.
(7) Herr Dr. Torczyner versteht das Hiobzitat Mendelssohns, im Anschluss an den neuhebräischen Gebrauch, im Sinne von: keine ” Variation neben der Konstanz”. —Ein Terminus des mittelalterlichen Hebräisch ist das schwierige Wort, wie mir Dr. Klatzkin auf Grund der Materialien zu seinem wunderbaren philosophischen Wörterbuch versichert, nicht.
(8) Im Original deutsch.
(9) Siehe Anmerkung 1.
(10) Von hier an folgt Mendelssohn wohl zurückgelassenen Materialien des Kommentators seiner Genesis.
(11) Der nur den “zweiten” Midrasch recipiert hat (b. Berachot 9b).
(12) Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 1922.
(13) Und übrigens auch Calvin im ausführlichen (lateinischen) Kommentar (Corpus Reformatorum Band 52) zu 2. M 6,13 f. und 6,2
(14) Franz Rosenzweig, Briefe, Schocken Verlag 1935. S. 599 (Brief an Martin Goldner vom 23.6. 27).
(15) Dazu vgl. jetzt Baudissins überwältigend gründliches und überwältigend durchgeistigtes Nachlasswerk “Kyrios”.
(16) Vgl. B. Jacob, lm Namen Gottes, 1903, Exkurs. —Die interessante Hauptthese der beiden ersten Teile des Baudissinschen Kyrioswerks gibt der Verlagsvermerk durchaus irreführend an. In Wahrheit leitet Baudissin das Kyrios der Septuaginta und das, nach ihm viel spätere, Adonaj der Massoreten beides aus der altbiblischen und sowohl in Alexandria wie in Jerusalem lebendigen Gebetsanrede: Adonaj! mein Herr! her. —Dass er dann allerdings auf diese angegossene Spitze seines Werks zum Schluss noch die weitere Spitze auf montiert, zwar sei die Gefühlstönung des “der Herr” der Alexandriner (wie er in den zwei Bänden Überzeugend nachweist), “mein bzw. unser Herr” geblieben, aber die des “mein Herr” der Massoreten, also der nachchristlichen Juden sei die eines kalt-erhabenen “der Herr” geworden: dieses tolle chassez-croisez des simpten Tatbestands erledigt sich von selbst oder müsste sich von selbst erledigen, wenn nicht die Theologie, auch bei den Besten, immer eine militante Wissenschaft bliebe, —Mephisto behält, obwohl hier der Theologe einem Wort grade sein “Jota rauben” wilI, schon recht!
(17) Während Luther mit seinem wahrhaft genialen “lch werds sein, der hat mich zu euch gesandt” durch den Platonismus der Alexandriner zum echten. ungriechischen, zum jüdischen Sinn durchstösst. —Sehr merkwürdig wiederum, wenn dieser Seitenblick mir verstattet wird, das Verhalten des Aquinaten. In der Summa theologica. (Pars 1, qu. 13, art. 11) macht er sich selbst den, nachher natürlich beseitigten, Einwurf, ob denn dieser ihm von seiner Vulgata dargebotene Name “qui est” Gottes eigentlichster Name sein könne, da doch jeder Gottesname eine Beziehung auf die Kreaturen enthalten müsse, weil wir ja Gott nur durch die Kreaturen erkennen.
(18) Zum Folgenden vgl. als die wichtigste neuere Behandlung den Aufsatz von Driver: “The original form of the name Yahweh” (Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 1928), mit dem ich die entscheidende These, dass das Tetragrammaton als Theologumen entstanden und dauernd Theologumen geblieben sei, gemein habe, während ich ihm in der Trigrammatonfrage nicht folgen kann.
(19) Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft.
(20) Die fürchterliche Musterung die Baudissin in seiner grossen, auch heut noch als Sammlung des damals vorliegenden Materials wertvollen Abhandlung (in “Studien zur semitischen Religionsgeschichte) “Der Ursprung des Gottesnamens Iao” über die Quellen für ihn abgehalten hat, wäre wohl weniger fürchterlich ausgefallen, wenn er ihn damals -vor Elefantine und vor Sellins Ausgrabungen— schon auf ein selbständig existierendes Trigrammaton hätte beziehen können und nicht nur auf das Tetragrammaton. Tatsächlich bedeutet die Behandlung der Frage in “Kyrios” eine vollkommene und auch ausdrücklich als solche dargebotene Umkehr. — Vgl. auch Deissmann, Griechische Transkriptionen des Tetragrammaton (in “Bibelstudien”).
(21) Neben Jahweh kommt mindestens noch Jeheweh in Frage (vgl. Jacob, Monatsschrift für die Geschichte und Wissenschaft des Judentums 1922). — Auch Jahoh wird vertreten, kommt allerdings, wie mir scheint, nur für die Mesainschrift in Betracht, die dann das Trigrammaton in tetragrammatischer Orthographie böte. .
(22) Vgl. hierfür in Useners Götternamen den Abschnitt “Formale Wucherung”, besonders den Schluss, und zum Folgenden den Abschnitt “Sondergötter”.
(23) Frelich, auch Juden haben, irregeworden an den Übersetzungen “der Herr” und “der Ewige”, allen Ernstes mir vorgeschlagen, man solle im deutschen Text “Adonaj” schreiben!
(24) Drivers (a, a. O,) “verlängertes” Digrammaton Jahwah oder Jawahi kommt mir sehr unwahrscheinlich vor.
(25) Nicht die Driversche, in deren assyriologischer Begründung ein, mir als Nichtassyriologen freilich nicht feststellbarer, Fehler stecken muss, da die von Driver selbst (a. a. O. 15 ff.) zusammengestellten Zeugnisse der palästinensischen Ausgrabungen, genau den entgegengesetzten Schluss erzwingen, den Driver aus dem assyrisch-babylonischen Befund zieht.

p. 34-50

Rosenzweig, Franz, Die Schrift. Aufsätze, Übertragungen und Briefe. Herausgegeben von Karl Thieme, Königstein 1984, (Jüdischer Verlag Athenäum)