Jaspers over de Wereldscheppingsgedachte

Der Weltschöpfungsgedanke

In einem Hymnus des Rig-Veda, tausend Jahre vor Christus in Indien, fragt der Dichter nach dem Ursprung der Welt. Was war vorher? Nicht Sein, nicht Nichtsein, sagt er, nicht Luft, nicht Himmel, nicht Tod und nicht Unsterblichkeit. .. Nur das Eine atmet. Ausser ihm war nichts anderes. Von ihm kam die Welt … Aber, so fragt der Dichter sogleich: Wer weiss es denn in Wahrheit, woher sie kam? Die Götter, sagt er, reichen nicht in jene Feme. Wer ist es, der weiss, ob die Welt geschaffen oder ungeschaffen ist? Und die Antwort: Das weiss nur er, der Eine, der Allbeschauer, —oder weiss auch er es nicht?
Noch über die Götter hinaus fragt also der Dichter. Er kommt zu dem Letzten, zu dem Einen, er nennt ihn Aufseher und Herr von Allem. Ob auch dieser vielleicht es nicht weiss, solche Frage scheint skeptisch bis zur Blasphemie. Aber ist sie das wirklich? Wenn die Frage nach dem »vorher« Ernst gestellt ist, wenn der Blick in das Geheimnis fiel, dann ist vor im Allumgreifenden, dem Unendlichen keine Aussage mehr angemessen. Das Denken hält fragend an. Es steht still vor dem Sein. Das Sein soll nicht angetastet werden durch ein vermeintliches Wissen, auch nicht durch die Erwartung, es sei in der Form dessen, was wir Wissen nennen, überhaupt wissbar. Die Frage: Oder weiss auch er es nicht? verbirgt die Unsagbarkeit des Eigentlichen, verbirgt die Wissensfremdheit des alles bestimmte Wissen überschreitenden gegenstandslosen Grundwissens.
Solche Erfahrung gab es vor dreitausend Jahren. Sind wir weitergekommen? Wissen wir heute mehr vom Ursprung der Welt? Es sind seitdem viele Antworten gegeben. Sehen wir zu.
Es gibt die uralten Kosmogonien (Lehren von der Weltentstehung). Die Weltentstehung wird vorgestellt: als Zeugung durch geschlechtliche Verdoppelung und Vereinigung; — als Wachstumsursprung aus dem Urei, aus dem Meer, — dann weiter: als das Machen durch den Urheber der wie er Baumeister einen Bau die Welt hervorbringt, — dann schliesslich: als das Werden des Bewussten aus dem Unbewussten der Zweiheit aus der Einheit, der Denkbarkeit aus dem Unvordenklichen als das Herausspringen von Gewalt und Name aus der Unsichtbarkeit und Unhörbarkeit, als der Prozess des Sichentgegensetzens und Wiedervereinigens. Immer wird dabei am Leitfaden von Vorgängen in der Welt, an lebendigen, materiellen, geistigen, logischen Vorgängen die Weltentstehung gedacht.
Allen diesen Vorstellungen, bis zu den sublimsten hin, ist eines gemeinsam: Man scheint, wo sie vorgetragen werden, zu wissen, wie es geschehen ist. Man operiert mit Mächten, Göttern, Substanzen, Kategorien, nach deren Herkunft nicht wei ter gefragt wird. Das Geheimnis, wie es der Dichter im Rig-Veda zur Geltung brachte, ist im Bescheidwissen verloren. Die Frage hält nicht an vor dem Geheimnis: sie hört in der Antwort vielmehr gedankenlos auf.
Über all diese mythischen Kosmogonien hinaus scheint eine wahrere Antwort im Gedanken der Schöpfung aus Nichts zu liegen. Diese Schöpfung ist unvorstellbar, nach keiner Analogie in der Welt zu veranschaulichen. Sie ist nicht einmal mehr ein zeitlicher Vorgang, denn mit der Schöpfung wird auch erst die Zeit geschaffen. Die Weltschöpfung wird aus der Zeitlichkeit, die selber zur Welt gehört, herausgenommen. Es gibt zwei historische Beispiele dieses Gedankens:
Erstens der biblische Schöpfungsgedanke. Gott schuf die Welt aus Nichts, auf keine der Weisen, die am Leitfaden von Vorgängen in der Welt das, was über alle Welt hinaus liegt, nahe bringen sollen. Aber auch dieser Gedanke, einmal gedacht, bringt das Denken nicht zum Anhalten. Es fragt weiter, woher denn Gott sei; — es könnte doch auch nichts sein. Wie der Dichter im Rig-Veda, so steht Kant vor dem Geheimnis: “Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, man kann ihn aber auch nicht ertragen: dass ein Wesen, welches wir als das höchste unter allen möglichen vorstellen gleichsam zu sich selbst sage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, Ausser mir ist nichts, ohne das, was bloss durch meinen Willen etwas ist, aber woher bin ich denn?”
Das andere Beispiel ist der indische Gedanke: die Welt ist nicht in sich gegründete Wirklichkeit, sondern Maya, Zauber. Sie ist zwar Realität für unser Dasein, aber mit diesem Dasein Verhüllung· des Wirklichen durch ein Blendwerk. Weltschöpfung ist das Aufleuchten dieses Nichtseins in der Verführung durch den Schein des Seins. Aber woher der Zauber? Wer vollzieht ihn? Wieder entzieht sich der Ursprung der Frage: Das Ende ist auch hier der Abgrund vor der Frage, die uns schwindlig macht.
Allen Fragen nach der Weltentstehung begegnet eine ganz andere Antwort: die Frage sei falsch gestellt. Denn die Welt sei ewig, ungeworden, aus nichts anderem, selber alles. Auch diese Antwort liegt in grossen geschichtlichen Gestalten vor. Sie ist in China eine fraglose Selbstverständlichkeit. Die Welt ist von Ewigkeit her, immer die gleiche im Rhythmus der Gestirnabläufe und des Lebens. Sie ist gelenkt von der Ordnung des Tao, des still übermächtigen, er gewaltlos Wirkenden. Durch Abweichungen wird die Ordnung für einen Augenblick gestört, aber nie vernichtet, sondern stets wiederhergestellt.
In Indien und im Abendland wurden von vielen Denkern Weltentstehung und Weltvernichtung gedacht. Aber wenn die Welten werden und gehen, so ist für sie doch das Weltsein ewig: eine Welt entsteht und geht zugrunde, aber aus dem Untergang folgt sogleich die Neuentstehung. Die Welt ist ewig als der Prozess der ewigen Wiederkehr der Welten en Weltkreisläufen.
Ein Beispiel für viele sind die Worte Heraklits: »Diese Welt hat weder Gott noch der Menschen einer geschaffen, sondern sie war und ist und wird sein immer lebendiges Feuer, aufflammend nach Massen und verlöschend nach Massen.« In solchen Gedanken Chinas, Indiens und des Abendlandes ist die Welt selber göttlich oder Gott: Götter entstehen in den Welten, im Kreislauf der Welten, sind selber dem Wandel unterworfen.



Auf die Frage nach der Weltentstehung waren die berichteten Antworten ein blosses Spiel, um das Geheimnis auszusprechen — oder die Antworten wurden zu einem falschen Wissen, in dem das Geheimnis verlorenging —oder die Frage wurde abgeschnitten durch die Behauptung von der Ewigkeit der Welt.
Aber hat nicht heute die moderne Physik durch zwingende Erkenntnis das Geheimnis entschleiert?
Wir hören von den Physikern die Geschichte des Weltalls. Aus der Urexplosion begann der Prozess, der in dem Auseinanderstreben der Sternnebel sich heute den Astronomen zeigt als das sich noch ständig erweiternde All. Wer das hört und dazu die tatsächlichen Befunde der Forscher, steht verblüfft vor diesem nunmehr in grossen Zügen gekannten Kosmos und meint vielleicht, nun wisse man, woher. Wo Messungen und Mathematik regieren, da ist der moderne Mensch geneigt, sich zu unterwerfen.
Jedoch bei aller Richtigkeit der einzelnen Befunde: die Sache stimmt nicht, wo sie zu Behauptungen über das Weltganze nach seiner Herkunft und nach seinem gesamten Inhalt führt. Wo über den Bereich des Erfahrbaren hinausgegangen wird durch Schlüsse, ohne dass das Erschlossene erfahrbar wird, da gerät man ins Trügerische. Mathematische Möglichkeitsentwürfe sind ebenso täuschende Spekulationen wie die früheren begrifflichen der Metaphysik und ebenso verführerisch.
Entscheidend aber sind die Tatbestände, die nicht leicht zu fassen sind. Erstens: Kant begriff, dass die Welt im ganzen gar nicht Gegenstand werden kann. Wir sind in der Welt und stehen nie der Welt als Ganzem gegenüber. Versuchen wir die Welt als Ganzes zu fassen, so geraten wir in Antinomien, d. h. in Widersprüche, deren Thesen und Antithesen beide gleich beweisbar scheinen, wenn man nur abstrakt denkt, und unlösbar, wenn die Erfahrung befragt wird.
Und zweitens ist die Welt nicht nur der in solcher Erkenntnis notwendig als leblos gedachte astronomische Kosmos, wie er mit mathematischen Abstraktionen im Masse der Verifizierbarkeit durch Messungen zwingend erkannt wird. Dass das Leben ist, und dass wir Menschen sind und dass das Bewusstsein auftritt, für das dies alles ins Unabsehbare erkennbar wird, das ist aus der heute rein mathematisch erkannten Welt so wenig zu begreifen wie früher aus dem Mechanismus des Spiels der Atome. Aus dem erkennbaren Kosmos ist nicht die Herkunft des Denkens zu begreifen, das ihn erkennt.
Das Ergebnis ist in Kürze: Wir können die Welt als Ganzes nicht zum Gegenstand für uns gewinnen; wir bleiben immer darin. Aber die für uns ungeschlossene Welt überschreiten wir im Bewusstsein unserer Freiheit, die aus der Welt unbegreiflich ist.
Wer das einsiet wer in seinem Weltdenken auf diese Grenzen stösst, für den gerät die Welt gleichsam in die Schwebe. Der Gedanke der Weltschöpfung durch Gott ist dann ein Symbol, kein Wissen. Im Weltschöpfungsgedanken wird der Abgrund offen, in dem wir mit all unserem Weltwissen und Welttun verschlungen werden und zugleich uns geborgen finden. Dieser Weltschöpfungsgedanke aber hat seine Wahrheit nur unter der Bedingung, dass ein Symbolcharakter festgehalten wird. Der Gedanke, weil Symbol, liegt nicht auf der Ebene unserer Welterkenntnis. Der symbolische Gedanke wird durchdacht als Erhellung des Nichtwissens in ihm. Etwa so:
Die Weltschöpfung ist kein Vorgang in der Welt. Vor der Welt gab es keine Zeit, keinen Raum, keine Materie. Wir aber, gebunden mit all unserem Vorstellen an das Weltsein, denken unausweichlich, dass es eine Zeit vorher gab und ein Etwas vorher. Aber diese unsere Gebundenheit können wir erkennen. Das Symbol haben wir gerade dadurch als einen Halt der Vergewisserung, dass wir bewusst das Sichwidersprechende sagen: Gott schuf die Zeit – mit dem Wort »schuf« sagen wir aber einen zeitlichen Vorgang und widersprechen dem Sinn des Satzes. — Gott schuf die Welt aus Nichts – mit dem Worte »Nichts« operieren wir, als ob es ein »Etwas« wäre, und widersprechen wiederum dem Sinne des Satzes.
Das im Symbol des Weltschöpfungsgedankens Gedachte ist kein Vorgang, dem wir auch nur in der Fiktion zuzusehen vermöchten. Was darin gemeint ist, kann nie von uns angemessen gemeint sein, denn es steht ausserhalb unseres Vorstellungs- und Denkvermögens.


Das Symbol des Weltschöpfungsgedankens ist nun von entscheidender Bedeutung für das Bewusstsein unseres eigenen Wesens. Die beiden Grundgedanken: Ewigkeit der Welt oder Geschaffensein der Welt, diese beiden sich bekämpfenden Symbole beantworten die Frage nach unserer eigenen Herkunft ganz verschieden. Wo die Welt ewig ist, da ist der Mensch in der Welt aus der Welt entstanden, ihr Produkt. Wo die Welt geschaffen ist, da ist der Mensch selbst unmittelbar von Gott geschaffen, seinem Leibe nach und in den physischen und psychischen Funktionen des Leibes Produkt der Welt, aber seinem Wesen nach wie vor ausserhalb der Welt.
Es ist, als ob wir geschaffen wären, wie die Welt geschaffen ist, aber nicht durch die Welt. Als beseelter Leib sind wir ein Teil der Weltschöpfung. Als Freiheit sind wir unmittelbar von Gott. Daher sind wir in der Welt zugleich von anderswoher. Wir finden uns in der Welt und sind doch nicht nur von dieser Welt.
Das aber wiederum durchschauen wir nicht in dem Sinne, wie wir uns durch die Wissenschaft der Psychologie in unseren Erscheinungen erkennen. Das heisst: wir wissen es nicht.
Könnten wir begreifen, woher wir sind, so würden wir aufhören, Menschen zu sein. Wir können nur die Grenze berühren im Bewusstsein unseres Menschseins. Dieses ist Unvollendetsein und Unvollendbarsein. Wir leben in der Zeit, das heisst: wir sind nie fertig, wir suchen und versuchen. Was ewig ist und was wir in unserem Tun ewig sind, das wissen wir nie, sondern das gewinnt Gegenwärtigkeit in Chiffern, im Gleichnis, im Spiegel, — so auch in der Chiffer des Weltschöpfungsgedankens.
Der Weltschöpfungsgedanke erweckt uns gerade dadurch, dass er kein Wissen in ihm erlaubt. Er weist in die Tiefe, in der er zugleich unsere Herkunft verbirgt. Das Wissen davon, wodurch wir geworden sind, die Mitwisserschaft mit unserem Geschaffensein, als ob wir dabeigewesen wären, würde die Bewegung unseres Menschseins in der Zeit aufheben. Das Wissen vom Vorgang der Schöpfung, wie es war und wie es geschah, wäre ein Wissen vollendeten Charakters. Wir würden wissen, was wir sind, brauchten es nicht mehr zu werden. Mit der vollen, restlosen Helligkeit des Vorher ist kein Nachher mehr, durch das das Vorher erst zur Klarheit kommen müsste. Wir lebten nicht mehr in den Möglichkeiten unserer Situation, sondern würden sie übersehen, beherrschen und damit zum Abschluss gebracht haben. Alles wäre offenbar. Mit dem Wissen des Ursprungs wären wir zugleich am Ende unseres Menschseins. Wir wären durch die Weise unseres Wissens zu einem anderen, uns jetzt unvorstellbaren Seinswissen und Denkenkönnen gelangt und damit andere Wesen geworden; wir wären nicht mehr Menschen.



Da wir aber Menschen sind, das heisst auf dem Wege der Verwirklichung, um darin erst zu erfahren, was wir eigentlich sind, finden wir uns in der Situation, die folgende Ansprüche an uns zu stellen scheint:
Nicht die Welt im ganzen vergeblich zum Gegenstand der Erkenntnis zu machen, als ob wir sie gleichsam in die Hand bekämen, sondern in der Welt ins Unendliche hinein zu forschen, —
nicht die Welt aus einem vermeintlichen Totalwissen zu erklären, sondern uns mit unserem Orientierungswissen in der Welt einzurichten, —
das Nichtwissen zu erfassen durch das Maximum möglichen Wissens, uns zu bescheiden mit unserer geschichtlichen Verwirklichung im Hier , und Jetzt, —
uns der Grenzen bewusst zu werden dadurch, dass wir, ständig von ihnen betroffen, in der Unruhe bleiben, die uns in keinem Weltsein endgültiges Genüge finden lässt,
durch unsere Verwirklichung selber den Bezug auf Transzendenz zu gewinnen.
Denn das gehört zu unserem Wesen: statt uns aus der Welt zu verstehen, ist etwas in uns, das sich allem Weltsein gegenüberstellen kann. Sofern wir in der Welt von anderswoher sind, haben wir in der Welt eine Aufgabe über die Welt hinaus.


Entscheidend für alles, das uns Menschen möglich ist, bleibt es, das Geheimnis, dass eine Welt ist und wir darin sind, zu erhellen, aber nicht zu verdecken.
Seit dem Dichter des Rig-Veda haben wir wohl gewaltige Erkenntnisse in der Welt gewonnen. Wir haben dadurch die Klarheit im Wissen des Nichtwissens gesteigert. Aber im entscheidenden Punkt sind wir keinen Schritt weiter.
Es ist beschwingend für unsere menschliche Gemeinschaft in der Tiefe des Nichtwissens, dem alten Sänger zu begegnen wie den Denkern durch die Jahrtausende in dem einen umgreifenden Geheimnis.
Dies Geheimnis mit dem Gehalt der Sprache unserer Wirklichkeit zu erfüllen, das macht unser geschichtliches Leben aus. Aber es enthüllt zu haben, das würde entweder die Täuschung eines Scheinwissens sein, das das uns Mögliche versäumen lässt, oder es würde Wahrheit sein und dann bedeuten unsere Verwandlung in andere Wesen, als wir Menschen sind .


Bron:

Jaspers, Karl, Das Wagnis der Freiheit. Gesammelte Aufsätze zur Philosophie. Herausgegeben von Hans Saner, München Zürich 1996, (Piper), p. 311-317