Aarde spreekt met God

Gedichten uit De aarde spreekt met God
Bron: Herbst, Hiltrud, Mendlewitsch, Doris (Hrsg), Die Erde spricht mit Gott. 200 Gedichte aus vielen Kulturen und Epochen zu den großen und kleinen Fragen des Glaubens, Münster 2017 (Daedalus)


Nu je mijn ziel hebt,
heb ik mijn ik verloren.
Leven is nu geen last,
nu ik zelf in jouw geboren.

Ik ben dood.
Jij hebt hier jouw plek opgericht
eeuwige God,
nu ik van mijn ik afstand doe.

Nun du meine Seele hast,
habe ich mein Ich verloren.
Leben ist nun nicht mehr Last,
da ich mich in dir geboren.

Ich bin tot.
Du hast hier deine Stätte aufgerichtet,
ew’ger Gott,
nun ich auf mein Ich verzichtet.

Tukâ-Râm

Aus dem altindischen von Peter Paul Althaus


GOTT HAT VERBORGEN SEIN GESICHT

Alle Wege haben geführt zum Tod,
alle Wege.
Alle Winde haben geatmet den Verrat,
alle Winde.
Auf allen Schwellen haben böse Hunde gebellt,
auf allen Schwellen.
Alle Wasser haben uns ausgelacht,
alle Wasser.
Alle Nächte sind fett geworden von unseren Schrecken,
alle Nächte.
Und die Himmel waren nackt und leer,
alle Himmel.
Gott hat verborgen sein Gesicht.

Rajzel Zychlinki

Aus dem Jiddischen von Hubert Witt



Das Wort

„Im Anfang
war das Wort
und das Wort
War bei Gott.“

Und Gott gab uns
das Wort
und wir wohnen
im Wort

Und das Wort ist
unser Traum
und der Traum ist
unser Leben.

Rose Ausländer


Was sollen wir tun mit dieser Abwesenheit?

Was macht der Fluss mit diesem Wasser:
Verschlucken kann er es nicht.

Was machen wir mit dieser Abwesenheit?

Aus dem Arabischen von Stefan Weidner

Wat moeten we doen met deze afwezigheid?

Wat doet de rivier met dit water:
Inslikken kan zij niet.

Wat doen wij met deze afwezigheid?

Abbâs Baidûn



Unikum

Im Zug redet
einer von Gott.

Die Leute schauen Löcher
in den Mann.

Dann lächeln sie
verständnisvoll
und frösteln.

Beat Brechbühl


Es werde Licht! Rief Allah
In die Nacht des Chaos hinein.
Da wurde das wundervollste Licht:
Deiner Augen Liebesschein.

Hafis

Aus dem Persischen von Hand Bethge


Ach, könnte nur dein Herz zu einer Krippe werden!
Gott würde noch einmal ein Kind auf dieser Erden.

Ich bin wie Gott, und Gott wie ich

Ich bin so groß als Gott,
Er ist als ich so klein:
Er kann nicht über mich,
Ich unter ihm nicht sein.

Angelus Silesius


Der du erschufst die Welt, ohne ihrer zu bedürfen,
Erschaffen hast du sie nach deiner Lieb Entwürfen,

Nach deiner Weisheit Plan, dem Zwecke deiner Macht;
Und kein Nachdenken denkt, was du hast vorgedacht.

Vorbringen kann kein Wort, was deins hervorgebracht.

Doch hast du die Vernunft geschaffen, dich zu denken,
Den Geist, nach dir den Flug, Unsichtbarer, zu lenken,

Der Sehnsucht Strom, o Meer, in dich sich zu versenken:

Den wir am Anfang, den wir sehn am Ende stehn,
Von dem wir kommen und zu dem wir alle gehn.

Woher ich kam, wohin ich gehe, weiß ich nicht,
Nur dies, von Gott zu Gott, ist meine Zuversicht.

Friedrich Ruckert



Das Mirakel

Von Pyramiden im Wustensand
Man brachte die Mumie ins nordische Land;
In Hieroglyphen geschrieben war:
Sie sei balsamiert für dreitausend Jahr’;
Dem Königin-Leibe, geschmückt und gepflegt,
Eine Ähre war in die Hände gelegt.

Die pflanzte man nun, nach Jahrtausenden, ein,
Und sie keimte im Frühlingssonnenschein,
Wuchs und trug Korn – und stärkt uns noch
Im Glauben: Was tot war, es lebte Ja doch!

Wenn so schon ein Korn zum Leben erwacht,
Was hat dann die menschliche Seele für Macht!
Man legt ihre Hülle ins Grab in der Zeit,
Sie lebt in Gottes Ewigkeit.
Das Wunder im Weizenkorn jedermann sieht
Und kann nicht verstehen – und sieht: es geschieht!

Hans Christian Andersen
Aus dem Dänischen van Heinrich Detering



Du, du, du!

Der Berditschewer pflegte ein
Lied zu singen, in dem es heißt:

Wo ich gehe-du!
Wo ich stehe – du!
Nur du, wieder du, immer du!
Du, du, du!

Ergeht’s mir gut-du
Wenn’s weh mir tut-du!
Nur du, wieder du, immer du!
Du, du, du!

Himmel-du, Erde-du,
Oben-du, unten-du,
Wohin ich mich wende, an jedem Ende
Nur du, wieder du, immer du!
Du, du, du!

Martin Buber

Anmerkung: Levi Jizchak von Berditschew, 1740-1810, chassidischer Rabbiner


Gleichmut gegen Gutes und Böses
in jeglicher Form –
Ein gelassenes Herz, in dem
die Warme nicht mit der Jugend vergeht
Und da mit der Zeit alle Blindheit verflogen,
die Vollendung der Liebe:
Solch ein Segen wird uns, wenn überhaupt,
so nur einmal im Leben zuteil.

Bhavabhuti

Aus dem Sanskrit van Giovanni und Ditte Bandini


Pauken dröhnen,
Harfen tonen,
Flügel rauschen,
Engel lauschen
Auf den Stufen.
Und sie rufen,
Widerstrahlend Helligkeit
Der Dreifaltigkeit:
Heilig, Heilig, Heilig!
Alle Schmerzen fliehen eilig
Froh machtjeden der Gesang,
Der durch die Himmel drang.

Thomas von Kempen


Mein Tag war heiter, glücklich meine Nacht.
Mir jauchzte stets mein Volk, wenn ich die Leier
Der Dichtkunst schlug. Mein Lied war Lust und Feuer,
Hat manche schone Gluten angefacht.

Noch blüht mein Sommer, dennoch eingebracht
Hab ich die Ernte schon in meine Scheuer-
Und jetzt soll ich verlassen, was so teuer,

So lieb und teuer mir die Welt gemacht!
Der Hand entsinkt das Saitenspiel. In Scherben
Zerbricht das Glas, das ich so fröhlich eben
An meine übermut’gen Lippen presste.

O Gott! wie hässlich bitter ist das Sterben!
O Gott! wie süß und traulich lasst sich leben
In diesem traulich süßen Erdenneste!

Heinrich Heine


Wie Gott kummet in die Seele

Ich kumm zu meiner Lieben
Wie ein Tau auf die Blume.

Mechthild von Magdeburg

Aus dem Mittelhochdeutschen von Friedrich Schulze-Maizier



Menschenbeifall

Ist nicht heilig mein Herz, schöneren Lebens voll,
Seit ich liebe? warum achtetet ihr mich mehr,
Da ich stolzer und wilder,
Wortereicher und leerer war?

Ach! der Menge gefallt, was auf den Marktplatz taugt,
Und es ehret der Knecht nur den Gewaltsamen;
An das Göttliche glauben
Die allein, die es selber sind.

Friedrich Hölderlin



Bitte

Weil’ auf mir, du dunkles Auge,
Ube deine ganze Macht,
Ernste, milde, träumerische,
Unergründlich süße Nacht!

Nimm mit deinem Zauberdunkel
Diese Welt von hinnen mir,
Dass du über meinem Leben
Einsam schwebest für und für.

Nikolaus Lenau


Die Leute fragen immerfort:
Sag, Herr, was ist das: >Liebe<?
Der eine sagt: »Mysterien«,
der andre: »Gott ist Liebe.«

Mir Taqi Mir
Aus dem Urdu von Annemarie Schimmel


Gott ist nah, ist überall,
Gott ist fern, ist nirgendwo
Jeder redet anders.

Warum klettern nicht die Fische
Auf die hohen Dattelbaume?
Herr, sag, warum redest du
solchen Unsinn mit den Leuten?

So sie dich gefunden haben
schweigen sie sich aus.
Die Gelehrten plärren Veden,
halten lange inhaltlose Reden –

Nâmdêv hat in seiner Einfalt
Dich, o Herr, erkannt –
Und singt.

Nâmdêv

Übersetzt aus dem Altindischen von Peter Paul Althaus


Konnten wir weisen den Weg,
Es wäre kein ewiger Weg.
Konnten wir nennen den Namen,
Es wäre kein ewiger Name.

Was ohne Namen,
Ist Anfang von Himmel und Erde;
Was Namen hat,
Ist Mutter den zehntausend Wesen.

Wahrlich:
Wer ewig ohne Begehren,
Wird das Geheimste schaun;
Wer ewig hat Begehren,
Erblickt nur seinen Saum.

Diese beiden sind eins und gleich.
Hervorgetreten, sind ihre Namen verschieden.
Ihre Vereinigung nennen wir mystisch.
Mystisch und abermals mystisch:
Die Pforte zu jedwedem Geheimnis.

Laotse

Aus dem Chinesischen von Günther Debon


Segen der Nacht

Ich bin, Geliebte, Gottes schmaler Spiegel,
In den er blickt, eh’ er zur Ruhe geht.
Mein Herz ist seines Ringes rotes Siegel,
Das er dem Abend aufprägt, eh’ er ganz verweht.
Ich bin, Geliebte, Gottes Silberschale,
Aus der er oft des Schlummers Rotwein trinkt,
Von deren tiefem Grunde wie aus einem Tale
Des bleichen Monds das Lied der Schwermut klingt.
Ich war, Geliebte, Gottes stummer Spiegel.
Nun sing ich in der Ferne leise Lieder
Zur Laute dir, wenn rings die Sterne steigen.
Mein Herz war Gottes abendrotes Siegel.
Nun spricht er zu mir aus der Sterne Schweigen:
»In meinem Garten sehet ihr euch wieder…«

In Theresienstadt geschrieben

Georg Kafka


Doch täglich kann man vielleicht
das zerrissene Netz, Masche um Masche, flicken,
und es wäre, im hoher gelegenen Raum,
als nahte man, Stern um Stern die Nacht wieder zu

Philippe Jaccottet

Aus dem Französischen von Bernhard Böschenstein



Anrede

Ich bin nur Flamme, Durst und Schrei und Brand.
Durch meiner Seele enge Mulden schießt die Zeit
Wie dunkles Wasser, heftig, rasch und unerkannt.
Auf meinem Leibe brennt das Mal: Vergänglichkeit.

Du aber bist der Spiegel, über dessen Rund
Die großen Bache alles Lebens geh’n,
Und hinter dessen quellend gold’nem Grund
Die toten Dinge schimmernd aufersteh’n.

Mein Bestes glüht und lischt – ein irrer Stern,
Der in den Abgrund blauer Sommernachte fallt
Doch deiner Tage Bild ist hoch und fern,
Ewiges Zeichen, schützend um dein Schicksal hergestellt.

Ernst Stadler


Christ ist erstanden
von der marter allen,
des sollen wir alle fro sein,
Christ will unser trost sein,
alleluia!
War er nicht erstanden
so war die welt zergangen,
seit dass er erstanden ist
so frewet sich alles das da ist,
alleluia!

Alleluia
alleluia!
des sollen wir alle fro sein,
Christ sol unser trost sein,
alleluia!

Unbekannter Verfasser


Eine Taube

Aus anderen Sintfluten höre ich eine Taube.

Giuseppe Ungaretti

Aus dem Italienischen von M. Marschall v. Bieberstein


Psalm 121

Ich hebe meine Augen zu den Bergen.
Woher kommt mir Hilfe?
Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen;
und der dich behütet, schlaft nicht.
Siehe, der Hüter Israels schlaft und schlummert nicht.
Der Herr behütet dich;
der Herr ist dein Schatten über deiner rechten Hand,
dass dich des Tages die Sonne nicht steche noch der Mond des Nachts.
Der Herr behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele.
Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit.

Nach der Übersetzung von Martin Luther



Leben eines Mannes

Gestern fuhr ich Fische fangen,
Heut bin ich zum Wein gegangen,

Morgen bin ich tot –
Grüne, goldgeschuppte Fische,
Rote Pfützen auf dem Tische,
Rings um weißes Brot.

Gestern ist es Mai gewesen,
Heute wolln wir Verse lesen,
Morgen wolln wir Schweine stechen,
Wurste machen, Apfel brechen,
Pfundweis alle Bettler stopfen
Und auf pralle Bauche klopfen,

Morgen bin ich tot –
Rosen setzen, Ulmen pflanzen,
Schlittenfahren. fastnachtstanzen,
Netze flicken, Lauten rühren,
Hauser bauen, Kriege führen,
Frauen nehmen, Kinder zeugen,
Übermorgen Kniee beugen,
Übermorgen Knechte lohnen,
Übermorgen Gott versöhnen –
Morgen bin ich tot.

Werner Bergengruen


Was meinte Luther mit dem Apfelbaum?
Mir ist es gleich – auch Untergang ist Traum
ich stehe hier in meinem Apfelgarten
und kann den Untergang getrost erwarten –
ich bin in Gott, der außerhalb der Welt
noch manchen Trumpf in seinem Skatblatt halt
wenn morgen früh die Welt zu Bruche geht,
ich bleibe ewig sein und sternestet –
meinte er das, der alte Biedermann
u. blickt noch einmal seine Kate an?
und trinkt noch einmal einen Humpen Bier
u. schlaft, bis es beginnt – frühmorgens vier?
Dann war er wirklich ein sehr großer Mann,
den man auch heute nur bewundern kann.

Gottfried Benn


Esther

Esther ist schlank wie die Feldpalme,
Nach ihren Lippen duften die Weizenhalme
Und die Feiertage, die in Juda fallen.

Nachts ruht ihr Herz auf einem Psalme,
Die Götzen lauschen in den Hallen.

Der König lächelt ihrem Nahen entgegen –
Denn überall blickt Gott auf Esther.

Die Jungen Juden dichten Lieder an die Schwester
Die sie in Säulen ihres Vorraums prägen.

Else Lasker-Schuler


Ja

Als der Herr mit mächtiger Schwinge
Durch die neue Schöpfung fuhr,
Folgten in gedrängtem Ringe
Geister seiner Flammenspur.

Seine schönsten Engel wallten
Ihm zu Häupten selig leis,
Riesenhafte Nachtgestalten
Schlossen unterhalb den Kreis.

»Eh ich euern Reigen lose«,
Sprach der Allgewaltge nun,
»Schwöret, Gute, schwöret, Böse,
Meinen Willen nur zu tun!«

Freudig jubelten die Lichten:
»Dir zu dienen, sind wir da!“
Die zerstören, die vernichten,
Die Dämonen, knirschten: »Ja.«

Conrad Ferdinand Meyer


Paradies

Im Paradies angekommen
fragen wir uns
skeptisch bis zum letzten
Was geht hier eigentlich vor
Taube dürfen hier Musik hören
Musiker müssen aufspielen
Stumme haben sprechen gelernt
Redende beginnen zu lallen
Die Lahmen laufen wie die Wiesel
wenn sie nicht in der Luft herumfliegen
Wir Machtlosen
bleiben machtlos
etwas elegisch
geben wir uns damit zufrieden
sehen zu wie Hässliche schon werden
Engel
mit geschwärzten Flügeln
vom Himmel fallen
und die Schlange am Baum
uns entgegenzüngelt

Alfred Brendel


Sollst haben den segen
erdreich des hochlands
dass wolken dich tränken
mit üppigem regen

und wer dich fünfzig pilgerjahre leben ließ
der lass sie dich vor und zurück noch einmal leben

ich durchquerte zu ihr auf den wegen
jede wüste jedes geröll
auf einer stute mit höcker genau
so wie auf einem alten gaul

bis beim heiligtum der blitz erschien
und sein erscheinen nachts das hochgefühl
um hochgefühl vermehrte.

Ibn Arabi

Aus dem Arabischen von Stefan Weidner


Einer Dame, die ich kenne

Sie denkt, auch im Himmel konnte sie liegen
bleiben und bis mittags ruhn,
während die schwarzen Engel um sieben
aufstehn und den Singsang tun.

Countee Cullen

Aus dem amerikanischen Englisch Janheinz Jahn


Letzte Worte

Geliebte, wenn mein Geist geschieden,
so weint mir keine Träne nach;
denn, wo ich weile, dort ist Frieden,
dort leuchtet mir ein ew’ger Tag!

Wo aller Erdengram verschwunden,
soll euer Bild mir nicht vergehn,
und Linderung für eure Wunden,
für euern Schmerz will ich erflehn.

Weht nächtlich seine Seraphsflügel
der Friede übers. Weltenreich,
so denkt nicht mehr an meinen Hügel,
denn von den Sternen grüß ich euch!

Annette von Droste-Hülshoff



Allmacht

Forschen Fragen
Du trägst Antwort
Fliehen Furchten
Du stehst Mut!
Stank und Unrat
Du breitst Reine
Falsch und Tucke
Du lachst Recht!
Wahn Verzweiflung
Du schmiegst Selig
Tod und Elend
Du wärmst Reich!
Hoch und Abgrund
Du bogst Wege
Holle Teufel
Du siegst Gott!

August Stramm



Pilgerreise

Nackten
Fußes

andere
Wege
Nehmen

geh
auf
Sand

und
über
Kieselsteine

ins
gelobte
Land

Georg Maria Roers


Psalm 122

Voll Freude war ich,
da sie mir sagten:

“Wir ziehen zum Hause des Herrn! “

Und nun stehen wir
mit unseren Füßen in dir,
Jerusalem,
Jerusalem, starke Stadt,
dicht gebaut, fest gefügt.
Da hinauf ziehen die Stamme,
die Stamme des Herrn,
wie es Israel geboten ist vom Herrn
ihn zu preisen
Dort stehen die Throne des Gerichts bereit,
die Throne des Hauses David.
Friede für Jerusalem!
Betet darum!
Jeder, der dich liebt, sei geborgen in dir.
Friede sei in deinen Mauern,
Zufriedenheit in deinen Häusern.
Friede sei in dir! sage ich,
meinen Brüdern und Freunden zulieb.
Seinem Tempel zulieb
will ich für Jerusalem
Glück und Segen erflehn.

Aus dem Hebräischen von Arnold Stadler


Im Dezember

Da ruft einer und schreit: Hochherrliche Zeit!
Ich bin blank und bloß. Aber mein Engel ist groß.
Ich bin arm und bleich. Aber mein Engel ist reich.

Jesse Thoor


spätnachts im hin und her wandernden licht
hunderter kerzen scheint sie in bewegung,
die weiße kirchenwand: sie ist der flügel
der den heißen herzen der gläubigen kühlung bringt.

von drinnen der gesang der popen, fremd
und fesselnd wie ein duett van schlangenbeschwörern.
am rande der erwartung halten die jüngsten
die bösen geister mit feuerwerkskörpern in schach.

um mitternacht rollt etwas unmerklich zur seite,
ein stein, etwas schweres, die last des ganzen Jahrs,
und lässt die glocken frei: ein jeder trägt
sein licht nach hause im schrein der eigenen hand.

Jan Wagner


Notiz zu CANTO CXX, Paradise

Ich versuchte, ein Paradise zu schreiben

Rühre dich nicht
Lass den Wind reden
so ist es das Paradies.

Lass die Götter mir nachsehn, was ich
hervorgebracht
Lass die, die ich liebe, mir nachsehn
was ich hervorgebracht.

Ezra Pound

Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Hesse


Sieh, wie die Himmelsflur
Ist eingelegt mit Scheiben lichten Goldes!
Auch nicht der kleinste Kreis, den du da siehst,
Der nicht im Schwunge wie ein Engel singt,
Zum Chor der hellgeaugten Cherubin.
So voller Harmonie sind ew’ge Geister,
Nur wir, weil dies hinfall’ge Kleid von Staub
Ihn grob umhüllt, wir können sie nicht hören.

William Shakespeare

Aus dem Englischen von August Wilhelm Schlegel


Luzifer

Ich will mein Licht vor eurem Licht verschließen,
ich will euch nicht, ihr sollt mich nicht genießen,
bevor ich nicht ein Eigenlicht geworden.

So bring ich wohl das Bose zur Erscheinung,
als Geist der Sonderheit und der Verneinung,
doch neue Welt erschafft mein Geisterorden.

Aus Widerspruch zum unbeirrten Wesen,
aus Irr-tum soll ein Götterstamm genesen,
der sich aus sich – und nicht aus euch – entscheidet.

Der nicht von Anbeginn in Wahrheit wandelt,
der sich die Wahrheit leidend erst erhandelt,
der sich die Wahrheit handelnd erst erleidet.

Christian Morgenstern


Ich ließ meinen Engel lange nicht los
und er verarmte mir in den Armen
und wurde klein, und ich wurde groß:
und auf einmal war ich das Erbarmen
und er eine zitternde Bitte bloß.

Da hab ich ihm seine Himmel gegeben –
und er ließ mir das Nahe, daraus er entschwand;
er lernte das Schweben, ich lernte das Leben,
und wir haben langsam einander erkannt…

Rainer Maria Rilke


Wasser und Eis sind vom gleichen Stoff:
Erleuchtung und Täuschung sind eins.
Nicht achtet unser Meister Du und Ich.
In ihm sind alle, die wir leben, eins.

Wenn wir den Weg des Buddha verfolgen,
erreicht ein jeder dieses Ziel:
des andern Tat
ist eigne Tat.

Wer auf diesem Wege wandelt,
weiß van keinem Neid.

Kyunyo

Aus dem Koreanischen von Franz Wilhelm Huber und Albert von Schirnding auf
Grundlage der Übertragungen von Peter H. Lee


Wer sich die Musik erkiest,
hat ein himmlisch Gut gewonnen,
denn ihr erster Ursprung ist
von dem Himmel hergekommen,
weil die lieben Engelein
selber Musikanten sein.

Wenn einst in der letzten Zeit
alle Ding wie Rauch vergehen,
bleibet in der Ewigkeit
die Musik doch noch bestehen,
weil die lieben Engelein
selber Musikanten sein.

Martin Luther


Das Zeichen

Freunde, dass der Mandelzweig
wieder blüht und treibt,
ist das nicht ein Fingerzeig,
dass die Liebe bleibt.

Dass das Leben nicht verging,
soviel Blut auch schreit,
achtet dieses nicht gering
in der trübsten Zeit.

Tausende zerstampft der Krieg,
eine Welt vergeht.
Doch des Lebens Blütensieg
Leicht im Winde weht.

Freunde, dass der Mandelzweig
sich in Blüten wiegt,
bleibe uns ein Fingerzeig,
wie das Leben siegt.

Schalom Ben-Chorin


My paintings on:
www.saatchiart.com/hacquinjean