Gedichten: NELLY SACHS

bron: Nelly Sachs, Gedichte, Zürich 1966, (Coron-Verlag)

 

Einer dreht sich um
und sieht in die Wüste –
die Halluzination öffnet
die Wand der Sonnenwildnis
wo ein Ahnenpaar
die Sprache des enthüllten Staubes spricht
muschelfern unterm Siegel –

 

 

2013 iceland27

 

 

Immer ist die leere Zeit
hungrig
auf die Inschrift der Vergänglichkeit –
In der Fahne der Nacht
mit allen Wundern eingerollt
wissen wir nichts
als dass deine Einsamkeit
nicht die meine ist –
Vielleicht dass ein Traum-verwirklichtes Grün
oder
ein Sang
aus der Vorgeburt schimmern kann
und von den Seufzerbrücken unserer Sprache
hören wir das heimliche Rauschen der Tiefe –

pag 390

 

Ahnungen
wandernde Ähren
auf schwarzem Feld –
liege neben mir
ausgewandert – luftig –
leblose Jenseitsentdeckung
Zwei zu Eins
oder Keins –
die Gesetze im Blitz der Stille verbrannt
am Rande hinausgebeugt
über mein aufgebahrtes Dasein –

pag 392

 

aardehemel

 

In der Zwischenzeit
reist die Liebe zuweilen ins Helle
die alle schützende Nacht
in Scherben schlägt

Posaune
des Jüngsten Tages Licht
mit Adlerflügeln schaudert der Leib
zu hoch entführt –

pag 393

 

Schließe ich die Augen
Sonnen rollen an ihrer Zeit
golden Heimat verlassend
und doch bewohnend
Mineral Weiß den Weg
in die aufgesparte Ewigkeit
befahrbar nicht mehr
nur bewusstlos in Liebe –

pag 395

 

Im Meer aus Minuten
jede einzelne verlangt Untergang
Rettung-Hilfe haushoch verschlungene W orte
nicht mehr Luft
nur Untergang
raumlos
nur Untergang
Hoffnung wurde kein Schmetterling
Tod erschaffen so mühsam
Was den Gott verhüllt
auflösen in Sand
dieses Erstlingswort
das in die Nacht stürmt
rettungslos

Erde
Träne unter den Gestirnen –
ich sinke in deinen Überfluss –

pag 396

 

 

So tief bin ich hinabgefahren
über meine Geburt hinaus
bis ich den früheren Tod traf
der mich wieder verstieß
in diese singende Pyramide
um auszumessen das entzündete
Schweigereich
und ich sehne mich weiß nach dir
Tod – sei mir kein Stiefvater mehr –

pag 397

 

Wo nur finden die Worte
die Erhellten vom Erstlingsmeer
die Augen-Aufschlagenden
die nicht mit Zungen verwundeten
die von den Lichter-Weisen versteckten
für deine entzündete Himmelfahrt
die Worte
die ein zum Schweigen gesteuertes Weltall
mitzieht in deine Frühlinge –

pag 400

 

Immer noch um die Stirn geschlungen
den strengen Horizont der Krankheit
mit dem rasenden Aufstand des Kampfes –
die Rettungsleine in den Abgrund geworfen
das Nacht-Ertrinkende zu fassen –

O-A-O-A
Ein wiegendes Meer der Vokale
Worte sind alle abgestürzt –

pag 401

 

Aber zwischen Erde und Himmel
beten immer noch die gleichen Psalmen
drehen sich in den Köchern aus strahlendem Staub –
Und die Taucher mit göttlichen Grüßen
finden kein Waisenreich
in den rosenroten Wäldern der Tiefe –

pag 406

 

CHOR DER STEINE

WIR STEINE
Wenn einer uns hebt
Hebt er Urzeiten empor –
Wenn einer uns hebt
Hebt er den Garten Eden empor –
Wenn einer uns hebt
Hebt er Adam und Evas Erkenntnis empor
Und der Schlange staubessende Verführung.

Wenn einer uns hebt
Hebt er Billionen Erinnerungen in seiner Hand
Die sich nicht auflösen im Blute
Wie der Abend.
Denn Gedenksteine sind wir
Alles Sterben umfassend.

Ein Ranzen voll gelebten Lebens sind wir.
Wer uns hebt, hebt die hartgewordenen Gräber der Erde.
Ihr Jakobshäupter,
Die Wurzeln der Träume halten wir versteckt für euch,
Lassen die luftigen Engelsleitern
Wie Ranken eines Windenbeetes sprießen.

Wenn einer uns anrührt
Rührt er eine Klagemauer an.
Wie der Diamant zerschneidet eure Klage unsere Härte
Bis sie zerfallt und weiches Herz wird –
Wahrend ihr versteint.
Wenn einer uns anrührt
Rührt er die Wegscheiden der Mitternacht an
Klingend von Geburt und Tod.

Wenn einer uns wirft –
Wirft er den Garten Eden –
Den Wein der Sterne –
Die Augen der Liebenden und allen Verrat –

Wenn einer uns wirft im Zorne
So wirft er Äonen gebrochener Herzen
Und seidener Schmetterlinge.

Hütet euch, hütet euch
Zu werfen im Zorne mit einem Stein –
Unser Gemisch ist ein vom Odem Durchblasenes.
Es erstarrte im Geheimnis
Aber kann erwachen an einem Kuß.

pag 104-105

 

IHR ZUSCHAUENDEN

UNTER DEREN BLICK getötet wurde.
Wie man auch einen Blick im Rücken fühlt,
So Fühlt ihr an euerm Leibe
Die Blicke der Toten.

Wieviel brechende Augen werden euch ansehn
Wenn ihr aus den Verstecken ein Veilchen pflückt?
Wieviel flehend erhobene Hände
In dem märtyrerhaft geschlungenen Gezweige
Der alten Eichen?
Wieviel Erinnerung wächst im Blute
Der Abendsonne?

O die ungesungenen Wiegenlieder
In der Turteltaube Nachtruf –
Manch einer hätte Sterne herunterholen können,
nun muss es der alte Brunnen für ihn tun!

Ihr Zuschauenden,
Die ihr keine Mörderhand erhobt,
Aber die ihr den Staub nicht von eurer Sehnsucht
Schüttelt,
Die ihr stehenbliebt, dort, wo er zu Licht
Verwandelt wird.

pag 59

 

VIELLEICHT ABER brauch Gott die Sehnsucht, wo sollte sonst sie auch bleiben,
Sie, die mit Küssen und Tränen und Seufzern füllt die geheimnisvollen Räume der Luft –
Vielleicht ist sie das unsichtbare Erdreich, daraus die glühenden Wurzeln der Sterne treiben –
Und die Strahlenstimme über die Felder der Trennung, die zum Wiedersehn ruft?
O mein Geliebter, vielleicht hat unsere Liebe in den Himmel der Sehnsucht schon Welten geboren –
Wie unser Atemzug, ein – und aus, bau eine Wiege für Leben und Tod?
Sandkörner wir beide, dunkel vor Abschied, und ich das goldene Geheimnis der Geburten verloren,
Und vielleicht schon von kommenden Sternen, Monden und Sonnen umloht.

pag 65

 

IM MORGENGRAUEN,
Wenn ein vogel des Erwachen übt –
Beginnt die Sehnsuchtsstunde allen Staubes
Den der Tod verliess

O Stunde der Geburten,
Kreissend in Qualen, darin sich die erste Rippe
Eines neuen Menschen bildet.

Geliebter, die Sehnsucht deines Staubes
Zieht brausend durch mein Herz.

pag 70

 

VERTRIEBENE
aus Wohnungen
Windgepeitschte
mit der Sterbeader hinter dem Ohr
die Sonne erschlagend –

Aus verlorenen Sitten geworfen
dem Gang der Gewässer folgend
dem weinenden Geländer des Todes
halten oft noch in der Höhle
des Mundes
ein Wort versteckt
aus Angst vor Dieben

sagen:Rosmarin
und kauen eine Wurzel
aus dem Acker gezogen
oder
schmecken nächtelang: Abschied
sagen:
Die Zeit ist um
wenn eine neue Wunde aufbrach
im Fuss.

Reissend wird ihr Leib
im Salz des Marter fortgefressen.

Hautlos
augenlos
hat Hiob Gott gebildet.

pag 290-291

 

WIE VIELE
ertrunkene Zeiten
im rauschenden Schlepptau des Kinderschlafes
steingen ein auf hoher See
in die duftende Kajüte
spielend auf mondenen Gebeinen der Toten
wenn eine Jungfrau mit der nachtgesprenkelten
Sonnenlimone
hineingeblendet
aus Schiffsiuntergang.

Hilflos
auf und zu
schlagen der Augenblicke Schmetterlingstüren
unverschliessbar
für die goldenen Lanzen
die mordbrennenden
in das blutende Schlachtfeld der Kinderangst.

Was für Umwege sind zu gehen
für Herzschritte
bevor endlich
das Erinnerungsboot
das tagfahrende
erreicht ist –

Wie viele traumumspülte Grenzen der Erde
sind auszuziehen
bis Musik kommt
von einem fremden Gestirn –

Wie viele todkranke Eroberungen
müssen sie machen
ehe sie heimkehren
Mondmilch im Munde
in die schreiende Luft
ihrer hellbewimpelten Kinderspielplätze –

pag 306-307

 

WIE VIELE HEIMATLÄNDER
spielen Karten in den Lüften
wenn der Flüchtling durch Geheimnis geht

wie viel schlafende Musik
im Gehölz der Zweige
wo der Wind einsam
den Geburtenhelfer spielt.

Blitzgeöffnet
sät
Buchstaben-Springwurzelwald
in verschlingende Empfängnis
Gottes erstes Wort

Schicksal zuckt
in den Blutbefahrenen Meridianen einer Hand –

Alles endlos ist
und an Strhalen
einer Ferne aufgehängt –

pag 321

Stokhem

 

Sie reden Schnee –
Das Stundentuch mit allen vier Weltzipfeln
trägt sich herein
Krieg und Sternenflug hocken beieinander
suchen Schutz dort wo die Nacht
voll Muttermilch überquillt
und mit schwarzem Finger winkt
wo die Neuentdeckungen für die Seelenfahrer harren
funkelnd in Finsternis
tief unter dem Schnee –

pag 388

 
IN DIESEM AMETHYST
sind die Zeitalter der Nacht gelagert
und eine frühe Lichtintelligenz
zündete die Schwermut an
die war noch flüssig
und weinte

Immer noch glänzt dein Sterben
hartes Veilchen

pag 352

mystiek

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