Abulafia en de mystieke ervaring

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4. Die innere Rezitation
Um die Mitte des 13. Jahrhunderts wird in der Literatur der jüdischen Mystik eine Technik erwähnt, zu deren wesentlichen Komponenten die Vorstellung der Buchstaben des Gottesnamens in der Imagination gehorte. Bezeugt wird diese Technik im Werk von R. Isaak Ibn Latif, der im einzelnen drei Stufen der Kontemplation der Buchstaben der Gottesnamen unterscheidet. lm Sefer zurath ha-‘olam, das er offenbar zu Ende des zweiten Drittels des 13. Jahrhunderts schrieb, heisst es: » Den Namen des Ewigen all seiner Materialität zu entkleiden und ihn im Geiste zu schauen -das ist das begehrte Ziel unseres Verlangens, wiewohl es doch der Vorstellung nicht moglich ist, ihn ohne ein Bild der körperlichen Stofflichkeit darzustellen; denn die Vorstellung ist nicht abgesondert van den sensibilia, und das meiste,das durch die Tätigkeit der Vorstellung erfasst wird, geschieht in der Kontemplation der Form der Buchstaben, ihrer Gestalt und ihrer Zahl. So muss auch erkannt werden, dass es die Buchstaben [des Gottesnamens] sind, die Bewegung verursachen und reden, während die übrigen sich hin- und herbewegen, doch kann man sie nicht in der gesprochenen Rede vorstellen ausser den Buchstaben des Gottesnamens, wiewohl sie sich nicht vermischen und nicht ihre Stelle im Viereck der Zahlen wechseln [ …] Auch ist jedem, der dem Herzen nach weise ist, bekannt, dass, wenn die Vorstellung schwindet, auch die Buchstaben vergehen. Darum muss der einfache Verstand den Gottesnamen der einfachen, vollendeten Stofflichkeit entkleiden und ihn in vollkommener intellektueller Gestalt sich vorstellen.”
Thema dieser Passage sind die Buchstaben des Gottesnamens ‘HWJ, die die Rede lebendig machen, sie »bewegen«, die zudem ihre Stelle bei der Quadrierung behalten. Drei Stufen folgen bei der Kontemplation dieser Buchstaben aufeinander: die materielle, die imaginative und die intellektuelle. Mit der zweiten Stufe dürfte wohl die Vorstellung der Buchstaben mit Hilfe der Einbildungskraft gemeint sein, d. h. ohne dass sie tatsächlich geschrieben erscheinen. So werden die imaginativ vorgestellten Buchstaben zum Gegenstand der Kontemplation des lntellekts, was der aristotelischen Erkenntnistheorie entspricht, insofern jede imaginative Form den Stoff abgibt für die Tätigkeit des Intellekts.
Aus lbn Latifs Worten geht hervor, dag diese Technik, die er ausführlich an mehreren Stellen erörtert, bereits vor Abulafia angewandt wurde. lm Sefer chaje ba-`olam ha-ba führt Abulafia dazu aus: »Richte deine wahrhaften Gedanken, die Vorstellung des Namens, gelobt sei Er und mit ihm seine Engel in der Höhe. Und stelle sie dir in deinem Herzen so vor, als seien sie Menschen, die bei dir stehen oder sitzen und du weilst unter ihnen wie ein gesandter [ …] und nachdem du dir all das vorgestellt hast, richte Herz und Hirn darauf, die mannigfachen Fragen deiner Gedanken zu verstehen, die dir die Buchstaben zuführen, die du in deinem Herzen gedacht hast. «
Einige Seiten weiter wird klar, dag sich dies auf die Buchstaben des Tetragramms bezieht, von denen es heisst, sie seien gleichsam gemalt: » Man schliesse die Augen und sammle seine Gedanken, und die erste Konzentration (kawwana) gelte der Vorstellung von vier Feldlagern der Schechina oder einem Stiftszelt, in dem man sich aufhalt, und drei herrliche Standarten, die das fünfte Feldlager umgeben.«
lm folgenden beschreibt Abulafia das Bild, das man sich vorzustellen habe: der Name aus 72 Buchstaben in der Mitte und die vier Namen aus vier Buchstaben in den Ecken des Quadrats. Neben dem Namen aus 72 Buchstaben steht die Zahl 32 geschrieben -ein Hinweis auf die Gematria: 72 + 32 = 104 = 4 mal 26. [26 ist der Zahlenwert des Tetragramfis JHWH.]
Nun soll noch auf die Parallelen in der Technik der Imagination in den Schriften weiterer Kabbalisten eingegangen werden. Ein jüngerer Zeitgenosse Abulafias, R. Josef ben Salomo Aschkenasi, führt im Namen von » Philosophen « das folgende Zitat an, das unter mehreren Gesichtspunkten ausserordentlich wichtig ist. Da es weiter unten ausführlich erörtert wird, beschränke ich mich hier darauf, lediglich einen Aspekt hervorzuheben: die nicht genannten Philosophen, möglicherweise Zeitgenossen oder Vorgänger Abulafias, boten eine Technik der Kontemplation an, die in bestimmter Hinsicht derjenigen ähnelt, die in den oben angeführten Passagen enthalten ist. Der Text lautet folgendermassen: » Die Philosophen haben schon zum Thema der Prophetie geschrieben, und das ist’s, was sie sagen: es ist nicht abwegig zu meinen, dass dereinst ein Mensch aus dem Menschengeschlecht hervorgehen wird, dem im Wachen Dinge erscheinen wie dem Schlafenden im Traum. Und all dies trüge sich zu, während seine Sinne ausgelöscht sind oder er wach ist, dieweil die Buchstaben des Tetragramms vor seinen Augen stehen zu Visionen gebündelt. Manchmal wird er eine Stimme vernehmen, auch Wind und Worte, Donner oder Gelärm mit all seinen Organen des Gehors, desgleichen wird er in seiner Vorstellung mit all seinen Organen seines Gesichtssinnes sehen, und mit allen Organen seines Geruchssinnes riechen, schmecken mit allen Organen seines Geschmacks und berühren mit allen Organen seines Tastsinnes, und so wird er gehen und sich nach oben erheben. Und all das begibt sich, während die Buchstaben des Heiligen vor seinen Augen stehen und seine Farben umhüllen ihn. Und dies ist der Schlaf der Prophetie.«
Die Ähnlichkeit der Aussagen mit Abulafias Auffassung ist interessant, obwohl man ihn nicht als den zitierten Autor ansehen darf. Die Kontemplation der Buchstaben des Tetragramms als eine Technik, die zur » Prophetie« führt, entspricht der Methode Abulafias. Mehr noch: diese im Namen von »Philosophen« angeführten Worte passen, ungeachtet der Tatsache, dass sie auch mit Vorstellungen des Sefer Jezira verbunden sind, zu der Mischung aus der Philosophie des Maimonides und dem Sefer Jezira, die für die Werke Abulafias so charakteristisch ist. Das Vorkommen eines bestimmten Motivs indessen, das von Abulafia entschieden zurückgewiesen wurde -»seine Farben umhüllen ihn« -, lässt die Möglichkeit einer plausiblen ldentifizierung dieser Passage als eines der verlorengegangenen Werke Abulafias nicht zu. Doch gerade diese Schlussfolgerung ist zusammen mit dem zitierten Text aus lbn Latifs Werk von grosser Bedeutung, um die Entwicklung der Theorie des ekstatischen Kabbalisten zu verstehen. Abulafia schuf nicht eine neue Lehre, sondern entwickelte eine bereits bestehende Tendenz weiter, die sich zum Teil von der Methode unterschied, die er vertrat. In der lmagination der Buchstaben, aus denen sich der Gottesnamen zusammensetzt, sah R. lsaak von Akko einen Weg, das Leben der zukünftigen Welt zu erlangen, und in seinem Sefer me’irath ‘enajim schrieb er dazu: »Ich, lsaak der Junge, Sohn des R. Samuel von Akko, moge es bald wieder erbaut werden, rede sowohl zu den Auserwählten wie zur Menge und sage: wer das Geheimnis erfahren will, seine Seele in den höheren Regionen anzubinden und seine Gedanken an den höchsten Gott zu heften, auf dass er in eben diesem beständigen, ununterbrochenen Gedanken die zukünftige Welt erwerbe und Gott immer mit ihm sei in dieser und der kommenden Welt, der tue also: er setze vor die Augen seines Verstandes und seines Gedankens die Buchstaben des Namens des Ewigen, gleichsam als stünden sie vor ihm geschrieben in einem Buch in assyrischer Schrift, und ieder Buchstabe werde in seinen Augen gross, ohne Willensanstrengung und ohne einen besonderen Zweck zu verfolgen. Das meint, nachdem du die Buchstaben des Namens des Ewigen, gelobt sei Er, vor deine Augen gesetzt hast, sollen die Augen deines Verstandes auf sie gerichtet sein, während der Gedanke deines Herzens sich dem En Sof zuwende, dies beides geschehe gleichzeitig, nämlich das Schauen und Denken sei wie eins, und dies ist das wahre Anhangen, von dem die Schrift sagt: >ihm anzuhangen<, >ihm sollst du anhangen<, >ihr, die ihr ihm anhingt< und so fort.
Und solange die Seele des Menschen dem Ewigen, gelobt sei Er, anhängt, wird ihm darum nichts Böses widerfahren, noch wird er verstandes- oder gefühlsmässig in die Irre gehen, auch wird er nicht in die Hand von Willkür und Zufall geraten, denn solange er dem Ewigen, gelobt sei Er, anhängt, steht er über allen Zufälligkeiten und beherrscht sie.«
Im selben Werk steht noch ein anderer Satz, der über die Technik der Imagination Aufschluss gibt: »Ich, Isaak von Akko [ …] habe eine Tradition aufgezeichnet, die sich mit der Vokalisation des Gottesnamens befasst [ …] und zwar wird jeder, der ihn kennt, ihn in seinem Herzen in seiner Vokalisation bedenken, als sähe er ihn vokalisiert vor sich.«
In einem magischen Textstück, das in einigen Handschriften erhalten ist, erscheint folgende Vorstellung von der Imagination:»Eine andere Methode. JHWH in der Vokalisation von dewarejcha. Stell dir in Gedanken die Buchstaben des Gottesnamens vor deine Augen, [und zwar denke sie] in einem Kreis van feuerroter Farbe, und dein Gedanke vollbringt vieles. Da sprach R. Tanchum.” Die Formulierung »dein Gedanke vollbringt vieles« wie auch der Schluss der ersten, aus dem Sefer me’irath `enajim angeführten Passage tragen eindeutig eine magische Färbung, die zu einer Technik überleitet, deren wichtigstes Element es ist, die Debekuth zu erreichen. Möglicherweise verband R. Isaak von Akko die lehre Abulafias mit magischen Ans chauungen über die Imagination der Buchstaben des Gottesnamens, eine Auffassung, die auch im 13.Jahrhundert weit verbreitet war.
Abschliessend verlohnt es, einige Textstellen aus der Hs. Sasson 290 (S. 648) auszugsweise anzuführen, die über die Imagination der Buchstaben handeln: »Wie die weisse Flamme der Kerze kannst du dir den Heiligen Namen vorstellen, in volligem Weiss und dem Licht, wenn du in die Kerze blickst, und selbst, wenn keine Kerze vorhanden ist, erinnere dich der Flamme, und dann vermagst du zusehen und zu schauen im Licht vom weissen, reinen, klaren Licht. Und du musst dir ständig vorstellen, dass du eine Seele ohne Körper bist, dass die Seele Licht ist und dass du dich immer inmitten der oben genannten Flamme befindest mit Hilfe der Nebel der Reinheit. Und strebe danach, rein und heilig zu sein; am Tage trage Zizith und Tefillin und den Ring am Finger, trage diesen desgleichen auch nachts. Und achte auf Reinlichkeit in deinem Hause, als stündest du im Tempel des Ewigen inmitten seiner teuren, heiligen und reinen Namen.«
Diese Technik war, wie gesagt, weit verbreitet und zahlreichen Kabbalisten bekannt und vertraut. Dassei verdient ein Punkt besondere Aufmerksamkeit, ist er doch von zentraler Bedeutung für das Verstandnis von Abulafias Lehre: was er als Mittel und Methode annimmt -etwa an den Stellen, die wir aus dem Sefer chaje ba-`olam ha-ba angefuhrt haben -, wird anderweitig zum Ziel, wie wir im 3. Kapitel noch sehen werden. Die Buchstaben des Gottesnamens bilden nicht lediglich ein Element der Methode, »Gott anzuhangen, sich mit ihm zu vereinigen«; die Imagination der Buchstaben auf der ersten geht der Schau der Buchstaben auf der dritten Stufe des ekstatischen Prozesses voraus. Diese Trennung zwischen Technik und Ziel wird von anderen Autoren nicht vollzogen, vielmehr wandelt sich in ihren Werken die lmagination der Buchstaben unmittelbar zum Anhangen, zur Debekuth an sie. Angemerkt sei noch, dass die Technik der lmagination bereits bei lbn Al-arabi erscheint, einem Mystiker vom Beginn des 13.Jahrhunderts.
Ein weiteres interessantes Element in Abulafias Technik der Kontemplation taucht im Sefer chaje ba-`olam ha-ba auf. An mehreren Stellen verweist er auf eine Technik der Rezitation und Kontemplation in Verbindung mit den drei wichtigsten Körperteilen: Kopf, Bauch, Brustkorb:»Und wiederhole noch einmal den Beginn des Schlusses, das ist L [Lamed], und stelle es dir so vor, als betrachtetest du deinen Bauch, und atme nicht zwischen der Erwähnung der Stelle von deinem Körperteil und der des Buchstabens, der über diesen Körperteil herrscht.”
Im selben Werk lesen wir an anderer Stelle:»Und beginne noch einmal und nenne den Anfang der Mitte des Namens. Und sieh, dag du die (Namen der) Körperteile nennst; aus dem, was ich gesagt habe, weisst du bereits, dass sie gleichsam drei Punkte auf deinem Kopf sind: die Vorderseite, die Kopf des Kopfes ist, die Mitte, die das Innere des Kopfes bildet, und die Rückseite, das Ende des Kopfes. Und so stelle dir auch vor, es gäbe drei Punkte auf deinem Brustkorb, der Ort deines Herzens ist: die Vorderseite ist der Kopf des Innern, die Mitte ist das Innere des Innern und bildet nur einen Punkt in seiner Mitte, und die Rückseite, das Ende des Endes; und so stelle dir auch vor, es waren drei Punkte auf deinem Bauch, die Vorderseite, sie ist der Punkt deines Nabels, Kopf des Endes; die Mitte, die Punkt deiner Eingeweide ist, Inneres des Endes, und die Rückseite, der Punkt am Ende des Steigbeins, die Stelle der Nieren, dort, wo das Rückgrat endet, Ende des Endes.«
Diese Passage beruht auf dem Aussprechen der Buchstaben des Gotesnamens aus 72 Buchstaben, der aus Einheiten zu je drei Buchstaben besteht, wobei drei dieser Einheiten eine Reihe, eine Spalte bilden. Eine Einheit umfasst den Anfang -den ersten Buchstaben; die Mitte -den zweiten Buchstaben; und den Schluss -den letzten Buchstaben. Daraus folgt, dag durch die Rezitation einer Reihe zu 9 Buchstaben, die den Körperteilen zugeschrieben werden, Kopf, Bauch und Brustkorb des Menschen gleichsam rezitiert, genannt werden. Ein Fehler beim Aussprechen eines Buchstabens konnte also zu Veränderungen in einem dieser Organe führen, weshalb der Gottesname aus 72 Buchstaben auch die Kombination MUM (Gebrechen) enthalt.
Worauf geht diese Technik zurück? G. Scholem meint, dass die Erwähnung des Nabels auf eine Verbindung zwischen Abulafia und dem Hesychasmus hinweist, eine Schule, die sich der Nabelschau verschrieben hatte. Mir scheint, dass just die Ans icht, von der Scholem sagt, »sie sei kaum vorstelIbar«, genau zutreffend ist: meiner Meinung nach entstand diese Technik im Zuge einer inneren Entwicklung beim Studium des Sefer Jezira.
lm Sefer chaje ba-`olam ha-ba heigt es: »Wisse, dag es im Menschen drei Stoffe gibt, von drei Müttern ‘MSCH geschaffen, verbunden mit JHWH, und sie sind die Engel von Feuer, Luft und Wasser. Und siehe, der Kopf ward erschaffen in dreierlei Gestalt des Feuers, gleichsam gegen T’K Feuer, und der Bauch wurde erschaffen aus dreierlei Gestalt des Wassers, gleichsam gegen S’D Wasser, und der Brustkorb aus Luft gleichsam gegen TMD Luft.«
Diese Gliederung des menschlichen Körpers stammt aus dem Sefer Jezira III, 4, wo es heisst: »Drei Mütter ‘MSCH in der Seele: Feuer und Wasser und Luft. Der Kopf ward aus Feuer geschaffen, der Bauch aus Wasser, der Brustkorb aus Luft, er steht zwischen beiden.«
Dieser Gliederung fügte Abulafia noch ein neues Element hinzu, das bereits in der Baraita de-Masaloth erscheint, nämlich die Einteilung der Sternkreiszeichen in vier Gruppierungen, wobei jede von ihnen jeweils einem Element zugehort: T’K = Widder, Löwe, Schütze = Feuer; TMD = Zwillinge, Waage, Fische = Luft; S’D = Krebs, Skorpion, Wassermann = Wasser. So entstand die Auffassung, derzufolge die drei Teile des menschlichen Körpers auch mit den drei Buchstaben in Verbindung stünden. Abulafia verwandte die Buchstaben des Gottesnamens aus 72 Buchstaben anstelle der Anfangsbuchstaben der Namen von den Tierkreiszeichen. Betrachtet man die Entwicklung von Abulafias Auffassung unter diesem Aspekt, wird klar, dass der Nabel lediglich einer unter neun anderen Punkten des menschlichen Körpers ist, dass folglich seiner Betrachtung keine eigentümliche Bedeutung zukommt. Erwähnt werden sollte noch der magische Charakter der Technik, den Namen eines Körperteils zu nennen sowie den Buchstaben, der ihm zugeschrieben ist. lm Sefer chaje ba-`olam ha-ba bemerkt Abulafia dazu:» Kopf und Bauch und Brustkorb, das meint Anfang, Mitte und Ende. Der Kopf ist der erste Teil, den du dir vorstellen sollst, das Ende ist das Ziel des Anfangs und gleicht einem Schwanz von ihm, und auch der Bauch ist wie ein Schwanz vom Kopf, er gleicht dem Brustkorb, wo das Herz gelegen ist. Und dies ist das Bild, das du dir vorstellen sollst zur Zeit der Zitation, um in eben dieser Vorstellung die Natur eines dieser Körperteile zu seiner Zeit zu verändern, für dich allein oder zusammen mit anderen: denke in deinem Herzen den Namen einer Sache, und sollte diese nun aus zwei Buchstaben bestehen, wie beispielsweise im [jam -Meer], und du möchtest sie in das Gegenteil verkehren, so wäre der Name jbschh (jabaschah}, so verbinde nun im mit jbschh, und daraus entsteht Anfang und Ende, nämlich JH. Die Mitte indessen lautet: me- jabesch jam, und siehe: JAH mejabesch jam [Gott trocknet das Meer aus], denn wahrhaftig macht er das Meer zu trockenem Land. Und zitiere während dieser Vorstellung alles, wessen du dich erinnerst, und so sprich zu Beginn in der Mitte des Kopfes [den Buchstaben] H, und stelle ihn dir in der Mitte deines Kopfes vor, als würdest du die Mitte deines Gehirns untersuchen und betrachten und den Punkt in seiner Mitte in deinen Gedanken, und schaue den Buchstaben H darüber eingraviert, der die Punkte deines Gehirns in ihrer Existenz bewahrt. «
Wir verstehen nun Abutafias Bernerkungen im Sefer pe`ulatb ha-jezira: »Man beginne am Kopf seines Kopfes, bis zu den ersten acht Häusern, (um) den Kopf aufzurichten, dann spreche man die zweiten acht Häuser, um die vorige als Ordnung zu bestätigen, alsdann die acht der dritten Häuser, der Sturm und der Wind, und ein Bild wird erstehen.«
Zweifellos ist hier von Kopf, Bauch und Brustkorb die Rede mit Hilfe einer leicht veranderten Terminologie -Kopf, Kama (möglicherweise ist Koma: Statur zu lesen), Ende. Wie im Sefer chaje ba-`olam ha-ba werden auch hier die Buchstaben des Gottesnamens aus Buchstaben verwandt, die gleichsarn über den Gliedmassen zu sprechen sind; hier -um den Golem zu erschaffen, irn Sefer chaje ha-`olam ha-ba hingegen, um die »Natur zu verändern«. Diese Technik umfasst zwei verschiedene Tätigkeitsfelder: die Buchstaben müssen ausgesprochen und die Stelle ihres wirksamen Einflusses gleichzeitig imaginiert werden.
Der magische Charakter dieser Technik tritt klar und deutlich hervor im Sefer sullam ha-`alija des R. Juda Albotini: in diesem Werk kopiert der Autor nahezu wortwörtlich aus den beiden Hauptwerken Abulafias -dem Sefer ‘or ha-sechel und dem Sefer chaje ha-`olam ha-ba. Bevor er die oben erwähnte Technik beschreibt, bemerkt der Verfasser: » Denn aus den 72 Buchstaben und ihren Kombinationen und Permutationen wurden die Engel geschaffen wie auch alle Geschöpfe, und so, wie Feuer seiner Natur nach wärmt und Wasser kühlt, so erschaffen die Buchstaben ihrer Natur nach jegliche Arten von Geschöpfen, daher das Streben derjenigen, die sie mit Weisheit und Wissen sprechen und wiederholen. Dazu sprachen unsere Weisen, ihr Andenken sei gesegnet: Bezalel wusste die Buchstaben zu kombinieren, mit denen Himmel und Erde erschaffen wurden. Und so vollbrachten auch alle übrigen Propheten und Frommen von Generation zu Generation mit Kombinationen und Permutationen der Buchstaben und ihrer Vokale Zeichen und Wunder und stürzten Gesetze und Ordnung der Schöpfung. Und solches finden wir erklart in unserem Talmud, nämlich dass Rabba einen Mann erschuf und ihn zu R. Sira sandte.«
5. Umstände und Bedingungen der Rezitation
Nachdem wir die Technik der Rezitation des Gottesnamens im einzelnen beschrieben haben, sollen nun die Umstände erörtert werden, unter denen sie sich vollzieht. In zwei seiner Werke beschreibt Abulafia diese Bedingungen: im Sefer ‘or ha-sechel heisst es: »Zur Stunde, da du diesen Namen aussprechen willst, wie er oben mit seiner Vokalisation eingegraben ist, schmücke dich und begib dich allein an einen besonderen Ort, wo ausser dir niemand deine Stimme vernimmt, und läutere dein Herz und deine Seele von allen Gedanken dieser Welt.«
Und im Sefer chaje ha-`olam ha-ba schrieb Abulafia: »Sei bereit, deinen Gott zu empfangen, Israel, und bereite dich, dein Herz [Gott allein] zu bestimmen; reinige deinen Leib und suche dir einen abgesonderten Ort aus, wo kein Mensch deine Stimme vernehmen kann, und sei allein und für dich und halte dich von allen anderen fern; sitze im Zimmer oder auf dem Söller, und enthülle niemandem dein Geheimnis. Wenn du kannst, so tu es bei Tage im Haus, das du etwas abgedunkelt hast, doch ist es besser, wenn du es bei Nacht vollbringst. Und hüte dich vor Gedanken an die Eitelkeiten der Welt zur Stunde, da du dich anschickst, mit deinem Schöpfer zu reden.«
Eine ähnlich lautende Beschreibung findet sich noch im Sefer ha-cheschek:” Wenn du nach den erwahnten Vorbereitungen den Namen aus 72 Buchstaben zu sprechen wünschst, musst du es so einrichten, dass du allein an einem abgelegenen Ort bist, um das Geheimnis des Gottesnamens auszusprechen; du musst getrennt und entfernt von jedem redenden Lebewesen sein, auch von allen Eitelkeiten der Menschengemeinschaft; und in deinem Herzen soll nicht ein einziger Gedanke an menschliche oder natürliche, an begehrte oder notwendige Dinge verbleiben, gleichsam als seist du ein Mensch, der allen Erscheinungsformen der niederen Welt den Scheidebrief gegeben, der vor Zeugen ein Testament gemacht hat und befiehlt, dass man sich seiner Frau und Kinder annehme und sein Vermögen verwalte, der für sich ist und sich jeglichem Gesetz, jeder Beaufsichtigung entzieht, der all das von sich getan hat und weiterzieht und seines Weges geht. «
Die hier genannten beiden Hauptbedingungen -die Absonderung von den Eitelkeiten der Welt und die Isolierung an einem besonderen Ort für die Zitation -erscheinen wieder im Sefer scha’are zedek: ” Man soll sich ferner aufmachen und seine Seele von allen überigen Weisheiten läutern, die man gelernt hat; der Grund hierfür ist, dass sie endliche, begrenzte Natürlichkeiten sind, die die Seele beschmutzen und verhindern, dass die göttlichen Formen in sie eingehen, die über alle Masse fein sind [ …] Und siehe, da dem so ist, bedarfst du der Absonderung in einem abgelegenen Haus, und sollte dieses Haus so beschaffen sein, dass man in ihm nicht einmal die Stimme vernimmt, ist das von noch grosserer Bedeutung. «
Eine dritte Bedingung will, dass sich der Mystiker mit seinem Tallit umhülle und die Tefillin anlege: “Und hülle dich in den Tallit und lege die Tefillin um Kopf und Hand, auf dass du in Ehrfurcht und Bangen vor der Schechina erscheinst, die zu dieser Stunde mit dir ist. Und reinige dich und deine Kleider, und sofern du kannst, lass sie ganz in Weiss sein, denn all das ist der Intention der Ehrfurcht und Liebe sehr forderlich. «
Und an anderer Stelle heisst es:»Und sitze nieder, in weisse, gesauberte, reine oder ganz neue Kleider gehüllt über all deinen anderen Kleidern oder deinem Tallit, und dein Kopf sei von den Tefillin geschmückt.«
Diese mystische Atmosphare wird noch durch die folgende Anweisung verstarkt: »Sollte es Nacht sein, zünde viele Kerzen an, bis deine Augen herrlich schon erleuchtet werden. «
Nach Auffassung von zwei Forschern auf dem Gebiet der Hypnose sind diese Anweisungen Abulafias der Methode der Selbsthypnose sehr verwandt, was sie in einer speziellen Studie zu zeigen suchten. Wir kommen später auf dieses Thema noch einmal zurück. Nachdem diese Bedingungen erfült sind, beginnt der Kabbalist mit der Kombination der Buchstaben nach den Methoden, die wir oben beschrieben haben. Das mittelbare Ziel dieser Kombinationen ist die » Erwärmung des Herzens«.
»Und beginne,kleine Buchstaben mit grossen zu kombinieren, stelle sie um und permutiere sie geschwind, bis sich dein Herz in ihren Kombinationen erwärmt hat und sich an ihren Bewegungen und dem, was aus den Kombinationen hervorgeht, erfreut; und wenn du solcherart merkst, dass dein Herz bereits stark erwärmt worden ist in ihren Kombinationen. ..dann bist du schon bereit, die Fülle des göttlichen Influxus zu empfangen.«
lm Sefer ha-melamed heisst es: »Doch was ich dir kundtat über das Geheimnis der Kombination, wenn du die kombinierten Worter zitierst, wird auf dir der göttliche Geist ruhen durch die Erwarmung deines Herzens.«
lm Sefer scha’are zedek lernen wir eine andere Formulierung dieses Motivs kennen: » All das muss in einer raschen Bewegung ausgeführt werden, die den Gedanken erwärmt und Verlangen und Freude steigert.«
Das Motiv des Erwärmens des Herzens oder des Gedankens ist entscheidend für das verständnis des Wesens der von Abulafia vorgestellten Technik. Die Ähnlichkeiten zwischen den Elementen in Abulafias Methode zur Erlangung der Prophetie und denen in der Yoga-Lehre oder des Hesychasmus konnten leicht zu Missverständnissen führen. Abgesehen von Einzelheiten, die anderen Quellen entnommen sind, schlägt Abulafia einen durchaus eigentümlichen Weg ein hinsichtlich des psychologischen Mechanismus, der das neue Bewusstsein aktiviert, das der Mensch erlangt. Während bei anderen geläufigen Techniken – im Yoga, im Sufismus, im Hesychasmus -das Ziel eine möglichst vollständige Konzentration mit Hilfe einer einfachen Formel ist, die es ständig zu wiederholen gilt, schlägt Abulafia eine Methode vor, deren Grundlage die Kontemplation eines ständig sich verändernden Gegenstandes ist: die Buchstaben müssen kombiniert, ihre Vokalzeichen »gesungen« werden, der Kopf muss in Übereinstimmung mit der Vokalisation bewegt und selbst die Hände in die Stellung des Priestersegens gebracht werden.
Die eigentümliche Verbindung dieser verschiedenen und von einem Augenblick zum anderen sich ändernden Elemente während der Rezitation unterscheidet sich von allen anderen uns bekannten Techniken. Abulafias Ziel besteht nicht in einer Beruhigung des Bewusstseins durch Konzentration, sondern in seiner Läuterung infolge der Notwendigkeit, sich auf eine derart hohe Zahl an Aktivitäten zu konzentrieren, dass es schwerfallen dürfte, zur gleichen Zeit an irgend etwas anderes zu denken. Auf diese Weise wird aus dem Bewusstsein ieder andere Gegenstand bis auf die zu sprechenden Gottesnamen getilgt.
Das konzentrierte Bemühen sichert auch rasche Ergebnisse. lm Sefer chaje ha-`olam ha-ba stellt Abulafia fest: » Es gibt die Tradition bei uns, dass der göttliche Influxus dem vollkommenen Menschen zuteil wird, wenn er den ersten Vers vollendet hat nach seiner Rezitation der 24 Gottesnamen, deren Merkvers lautet: mein Freund ist weiss und rot, die Stimme meines Freundes klopft an.«
Ziel ist es, dass bereits nach dern Aussprechen der 24 Gottesnamen [dodi = DWDj = 24] zu je drei Buchstaben der Kontakt mit Metatron hergestellt werden kann. Diese plötzliche Steigerung der intellektuellen Tätigkeit während der Rezitation stellt die Erfahrung Abulafias in die Kategorie der »intensiven Ekstase«, wie die Formulierung von Marganita Laski lautet. Man findet in Abulafias Lehre keine kontemplative Mystik, die über einen längeren Zeitraum sich erstreckende Erfahrungen herbeizufuhren vermöchte. Sein Verfahren ist intensiv, weshalb auch der Zeitraum der Erfahrung begrenzt ist, weil das Bewusstsein für langere Zeit in einem solch intensiven Zustand nicht zu arbeiten vermag.
Das Verfahren Abulafias besteht also darin, den Weg zu einern jeweils kurzen Aufenthalt irn Ewigen Leben zu weisen und eine rasche Rückkehr in das Leben dieser Welt. Daher fällt es schwer, die oben erwähnte Auffassung, nach der es sich bei dieser Technik um eine methodische Anleitung zur Selbsthypnose handelt, zu akzeptieren.Die für die Hypnose so charakteristische Verringerung der körperlichen und intellektuellen Aktivitäten fehlt bei Abulafia vollig. Um es mit seinen Worten zu sagen: » Je mehr die höhre intellektuelle Ausgiessung bei dir verstärkt wird, desto schwächer werden deine inneren und ausseren Glieder und Organe, und dein Körper beginnt in grosser und starker Erregung zu zittem, dass du vermeinst, du würdest zu diesem Zeitpunkt sterben, denn deine Seele wird sich von deinern Körper trennen aus grosser Freude darüber, das erlangt und erkannt zu haben, was du erkannt hast. «
Auf einen interessanten Aspekt bei Abulafias Technik sei noch hingewiesen: nämlich auf seine Methode, die auf demn Aussprechen des Tetragramms nach allen bestehenden Möglichkeiten der Kombinationen der Buchstaben und ihrer Vokalisation beruht. Der Mischna zufolge hat der, »der den Namen in seinen Buchstaben ausspricht, nicht Anteil an der zukünftigen Welt. «
Abulafia behauptet das genaue Gegenteil- man erwirbt gerade dadurch das Ewige Leben, indem man das Tetragramm ausspricht. Dies ist eine eindeutige Überschreitung des Verbots, den Unaussprechlichen Namen im Munde zu führen und auszusprechen. Um so erstaunlicher ist die Tatsache, dass weder Abulafia , noch seine Gegner sich zu diesern Problem aussern. Wir haben es hier mit einern ungewöhnlichen Phänomen zu tun, und es sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass in einern anderen Falle Christen sich gegen den Gebrauch des Gottesnamens verwahrten. Ich beziehe mich auf eine religiose Bewegung, die in Russland im Jahre 1913 entstand und irn Namen Gottes die wichtigste Verbindung zu ihm sah. Die Anhänger dieser Bewegung glaubten, dass das Aussprechen des Namens während des Gebetes zur Vereinigung des Betenden mit Gott selbst führe. Gegen diese Auffassung wandten die Gegner ein, dass man den Namen Gones nicht unnütz aussprechen dürfe.
Abschliessend sei die Formulierung erwähnt, mit der Gershom Scholem jene Methode charakterisierte, die wir oben geschildert haben. Verschiedentlich bezieht er sich auf die Methode der Namen als einer »inneren Magie«, weil ihr wichtigstes Ziel in der Veränderung der inneren Struktur des Menschen besteht.
Abulafia behauptete, dag es möglich sei, sowohl die Natur wie auch die Seele des Menschen zu verandern. Deshalb kann man zu Recht seine Methode als magiscb bezeichnen, insofern sie gelegentlich die Möglichkeit andeutet, die äussere Natur verändern zu konnen. Das wichtigste Ziel indessen, die Beeinflussung der Seele, sollte eher mit dem Begriff » Technik« und nicht mit » Magie« bezeichnet werden. Angesichts des zum Scheitern verurteilten Bemühens, die aussere Welt zu verändern, gelang es offenbar Abulafia und anderen Mystikern, das eigene Bewusstsein zu verändern.
DRITTES KAPITEL
Mystische Erfahrung
Zwei zentrale Begriffe beherrschen das Gedankensystem Abulafias: Intellekt und Imagination. Der buchstabliche Sinn der Tora ist mit der Vorstellungskraft verbunden, während sich der verborgene an den Intellekt wendet. Diese beiden Begriffe sind gleichsam der Schlüssel zum Verständnis der Visionen Abulafias und deren verhültem Sinn. Der allegorische Zugang, der für seine Auslegung der Schrift so charakteristisch ist, wird uns helfen, die Bedeutung seiner Visionen zu verstehen. Handelt es sich bei Abulafias Bibelexegese um eine Allegorisierung des Textes, d. h. um die Einführung eines allegorischen Sinns in einen Text, dem eine solche Bedeutung a priori abgeht, unterliegt die Interpretation seiner Visionen nicht einer so klaren Definition. Einerseits hat Abulafia möglicherweise versucht, eigene psychische Erfahrung mittels solcher Begriffe zu erklären, die von vornherein diesem Materialtyp nicht angemessen waren, den sie interpretieren sollten. Andererseits könnte es auch sein, dass Abulafia jene Begriffe zu Eckpfeilem seines theoretischen Systems machte, die in seinen Visionen allegorisch ausgedrückt wurden, wobei die Interpretation nicht so sehr eine Allegorisierung, sondem eher eine Enthüllung des allegorischen Elements ist, das der Vision inhärent ist.
Es kann an dieser Stelle nicht der Versuch unternommen werden, dieses Problem anzugehen, doch soll hier Abulafia selbst sich zur Notwendigkeit äussern, seine Visionen zu interpretieren. Auf S. 85 seines Sefer ha- ‘oth schreibt er über seine Vision: ” Dies ist die allen enthüllte Lösung, doch die verborgene Lösung wird nur der verstehen, der sie aus seinem eigenen Wissen heraus zu begreifen vermag. «
Es stellt sich die Frage, warum Abulafia es für so unbedingt notwendig hielt, seine Visionen zu interpretieren. Die Antwort ergibt sich unmittelbar aus seiner Konzeption der Prophetie. Seiner Auffassung nach, die ganz mit der des Maimonides übereinstimmt, gibt es keine Prophetie ohne imaginatives Vermögen, mit dessen Hilfe sich der intellektuelle Influxus in Bilder und Töne der Visionen umsetzt. Die Funktion der Interpretation besteht darin, zum intellektuellen Influxus zurückzukehren, der in sich den intellektuellen Gehalt der Enthüllungen birgt. Da Abulafia sich selbst in ieder Hinsicht als Prophet betrachtete -was aus einem Abschnitt im Sefer ha-haftara hervorgeht, in dem er verlangte, dieses Werk möge am Sabbat in den Synagogen gelesen werden -ist es nur konsequent, dass auch seine Visionen eine intellektuelle Aussage in imaginativem Gewand beinhalteten.
Deshalb soll der Gegenstand unserer Untersuchung in zwei Bereiche geteilt werden: ein Teil wird den sinnlich-imaginativen Aspekt von Abulafias Erfahrung betreffen, der andere den interpretativen und “intellektuellen«. Die sinnliche Komponente von Abulafias Erfahrungen fallen nicht in den Bereich der Interpretation. Das Gefuhl von Freude oder messianischer Sendung wie auch die Fürcht, die den Propheten befällt, und ähnliche Empfindungen, sind Zeichen, die eine Botschaft in akustischer oder visueller Form begleiten.
Gefühle und Empfindungen
Seit der Antike weiss man, dass Prophetie und ihr verwandte Erscheinungen – wie Weissagung und Magie -in enger Verbindung mit physischen Gefühlen und psychischem Empfinden stehen. Im Mittelalter hielt man diese Phänomene für Begleiterscheinungen der prophetischen Erfahrung. Maimonides bezeichnete ieden Propheten mit Ausnahme von Moses als einen, den im Augenblick der Prophetie »die Kräfte verlassen, der Körperlich verfalle und den sehr grosse Fürcht überkomme, dass er nahe daran sei, seinen Geist aufzugeben«.An anderer Stelle vergleicht Maimonides den Magier mit dem » Kranken, der füllt«, d.h. dem Epileptiker, und die Erklärung, die er für die Verbindung zwischen Prophetie und Körperlichen wie seelischen Erscheinungen gibt, geht aus der wichtigen Funktion hervor, die die Vorstellungskraft besitzt. lm Sefer ha-mizwoth schreibt er: ” Es ist unmöglich, dass die, die solche imaginativen Kräfte besitzen, nicht eine dieser Tätigkeiten vollbringen, mit der diese Kraft aktualisiert und zum Vorschein gebracht wird. Unter ihnen gibt es solche, die mit einem Stab in ihrer Hand immer wieder auf die Erde schlagen, die merkwürdige Schreie ausstossen, die ausser sich geraten und lange Zeit auf den Boden starren wie die Fallsüchtigen und sagen, was die Zukunft bringen wird.«
Maimonides weist hier darauf hin, dass die Steigerung der nach innen gekehrten, imaginativen Tätigkeit unvermeidlich äusserliche Begleiterscheinungen nach sich zieht. Im Gegensatz zu Maimonides ist Ibn Ruschd der Ans icht, dass die vollkommene imaginative Tätigkeit gerade mit einer Neutralisierung der sinnlichen Tätigkeit verbunden ist. In seinem Werk Epitome de parva naturalia lesen wir: »Es ist daher durchaus normal, dass die imaginative Kraft vollkommener und auch spiritueller während des Schlafes wirkt, denn dann hat die Seele bereits den Gesichtssinn und dessen Organe ausgelöscht und sie dem inneren Empfinden zugewendet. Und der beste Beweis, dass die inneren Kräfte vollkommener funktionieren, wenn die äusseren Sinneskräfte ruhen, besteht wohl darin, dass bei Menschen, die häufig philosophieren, die Kräfte des Empfindens ins lnnere des Körpers gewandt werden, bis sie vom Schlaf niedergestreckt werden, und diesen Denkern kommt es auch darauf an, die äusseren Sinne ruhen zu lassen, um die GedankenTätigkeit zu verbessern. [ …] Und aus diesem Grund wird die Prophetie mit dem Thema der Epilepsie verknüpft. Und so geschieht es, dass wenn diese inneren Kräfte eine starke Bewegung vollführen, die äusseren Organe sich so zusammenziehen, dass es gelegentlich zu einem der Ohnmacht ähnlichen Zustand kommt. «
Sowohl die Ans icht, die eine Verstärkung, wie auch die, die hier eine Abnahme der äusserlichen,Aktivität während der Steigerung der Imagination erkennt, erscheint im Werk Abulafias, allerdings wurde nur die zweite Auffassung im Kreis seiner Schüller vertreten. In Sefer sitre tora schreibt er: » Wisse, dass, solange du die Buchstaben rasch oder gedehnt kombinierst und alle Haare auf deinem Kopf nicht aufrecht zitternd stehen, du noch nicht von allen Stufen jene des Geistes erreicht hast, der alle Glieder des Körpers bewegt, und vielleicht weisst du noch gar nichts von seiner Existenz, doch ist der Beginn jener Auffassung der Sturmwind, wie geschrieben steht: >Und ich sah, und siehe, ein Sturmwind kam von Norden her<; und es heisst femer: >Da antwortete Gott Hiob aus dem Sturm<.«
Der Sturmwind bezieht sich hier auf jene Erschütterung der Glieder, wie sie Abulafia in seinem Sefer ‘ozar ‘eden ganus beschreibt: » Die Haare auf deinem Kopf werden sich aufrechtstellen. Und dein Blut, das ja dein Lebensblut im Herzen ist, wie geschrieben steht: >Denn das Blut ist die Seele< und wie es auch heisst >Denn das Blut wird in der Seele sühnen<, dies Blut wird in Bewegung geraten in der Buchstabenkombination des Lebenden, des Redenden, und dein ganzer Körper wird nach rückwärts zu beben beginnen, und Zittern wird alle deine Glieder befallen, und du wirst die Fürcht vor Gott spüren, und die Ehrfürcht des Heiligen Namens wird dich umhüllen [ …] und dein Körper wird Zittern, gleich dem Reiter, der das Pferd antreibt: er ist froh und glücklich, aber das Pferd zittert unter ihm. «
Die Bedeutung dieses » Zitterns « wird im selben Werk eine Seite zuvor erläutert:» Und sein Intellekt ist stärker als seine Imagination und reitet auf ihr wie ein Reiter auf seinem Pferd, der es antreibt und mit seinen Stiefeln traktiert, damit es nach seinem Willen laufe, und der die Zügel in der Hand hält, um es anzuhalten, wo sein Verstand es will.«
Eine andere Beschreibung jenes Zitterns, das den in Abgeschiedenheit lebenden Mystiker während seiner prophetischen Erfahrung befällt, findet sich im Sefer chaje ha-‘olam haba:» In seiner Abgeschiedenheit überkommen ihn wieder Fürcht und Zittern, ihm sträuben sich die Haare auf dem Kopf, und seine Gliedmassen zucken.«
Ein solches Gefühl bezeugt auch ein Schüler von Abulafia, der anonyme Autor des Sefer scha’are zedek: » Ein grosses Zittern befiel mich, alle Kräfte verliessen mich, und die Haare auf meinem Kopf sträubten sich.«
Ein weiteres Element in Abulafias Beschreibung seiner Erfahrung ist der »Geist« (ruach). In der Folge der oben zitierten Passage aus dem Sefer sitre tora erfahren wir, dass »die zweite Stufe die des Geistes ist, doch ist diese nicht mit dem Geist Gottes identisch. « lm Sefer ‘ozar ‘eden ganus erlautert Abulafia die Natur dieses Geistes: ” Und du wirst spüren, wie in dir ein weiterer Geist dich erweckt, dich stärkt und über deinen ganzen Körper fährt, was du als angenehm empfindest, und es wird dir so vorkommen, als würde über dich von Kopf bis Fug balsamisches Öl gegossen, einmal oder auch öfter, und du wirst darüber froh und heiter sein und grosse Lust empfinden in Fröhlichkeit und Zittern.«
Das Gefühl von Lust und Entspannung, das dem Zittern folgt, wird auch im Sefer chaje ha-‘olam ba-ba beschrieben: “Und dann wird, sofern er es verdient hat, der Geist des lebendigen Gottes über ihn fahren, und der Geist des Heiligen Namens wird auf ihm ruhen, der Geist von Weisheit (chochma) und Verstehen (bina), von Kenntnis (da’ath) und Gottesfürcht, und es wird ihm so scheinen, als sei sein ganzer Körper von Kopf bis Fuss mit dem Öl des Messias gesalbt und er sei Gottes Gesalbter und sein Gesandter.”
lm Sefer scha’are zedek schreibt Abulafias Schüler in nahezu identischen Worten wie sein Lehrer: ” Und siehe, ich ward von Kopf bis Fuss wie mit dem Salböl übergossen und von übergrosser Freude umgeben, und ich weiss nicht, wem ich sie vergleichen könnte wegen ihrer grossen Geistigkeit und der Süsse ihres Vergnügens. Dies alles geschah eurem Diener in seinen Anfängen.”
Abulafias Schüler bestatigen übereinstimmend den Verlust jeglichen Gefühls nach dem “Sturmwind der Gliedmassen«. Im Sefer scha’are zedek heisst es: ” Und als sei ich nicht in der Welt, fiel ich plötzlich nieder, denn ich verspürte keinerlei Kraft mehr in meinen Gliedem.« Und ähnlich schreibt R. Jehuda Albotini: “[…] bis alle physischen Kräfte von ihm genommen werden und auch sein Intellekt ihn verlässt, desgleichen der Wille zu handeln, dann fällt er nieder, nahezu tot, liegt auf dem Boden und fällt in tiefen Schlaf.”
Diese Texte, die wenigstens in einigen Fallen persönliche Erfahrungen widerspiegeln,sind ausserordentlich selten in der jüdischen Mystik und insofem wichtige Beweisstücke für das Vorkommen ekstatischer Zustände und Tendenzen mit eindeutigen physischen Begleiterscheinungen.
Das Licht
Auch in seinem Sefer sitre tora beschreibt Abulafia die verschiedenen Stufen innerhalb der prophetischen Erfahrung. Weiter oben haben wir bereits seine Ausführungen über den »Sturmwind« und den »Geist« als die beiden » Verständnisstufen« zitiert. Wenden wir uns nun den anderen Graden zu: » Die dritte war das Beben, aber Gott war nicht gleich dem Beben, und die vierte war wie Feuer, aber Gon war nicht im Feuer, und nach dem Feuer erscholl eine feine ruhige Stimme.«
Die dritte und vierte Stufe werden, wie die beiden ersten, mit Hilfe von Bibelversen definiert. Die Bedeutung der dritten Stufe, des Erdbebens, ist mir nicht recht klar, möglicherweise bezieht sich diese Formulierung auf das oben erwähnte Zittern der Gliedmassen. Die vierte Stufe muss aufmerksam untersucht werden, da sie zwei unterschiedliche Elemente umfasst: das Feuer, das visuelle, und die Rede, das akustische Element. Die Reihenfolge, in der diese beiden Elemente zitiert werden, entspricht dem Text im 1. Buch der Könige, indes wird dem Gehör vor dem Gesichtssinn der Vorzug gegeben. In seinem Brief an R. Jehuda Salmon schreibt Abulafia: » Doch all die ersten unter den erwähnten Kabbalisten wurden >Propheten für sich selbst< genannt, und zusammen mit denen, die den Heiligen Namen durch seine Werke kennen [d.h. den Philosophen] dürfen sie bis zu einem gewissen Grade Ans pruch auf dieselbe Bezeichnung erheben. Und die in diesem Sinne Propheten genannt werden, reden nur mit sich untereinander, und das Licht des Heiligen Namens erleuchtet ihnen dann und wann ein wenig einige ihrer Gedanken mit einem kleinen Licht, und sie wissen selbst, dass dieses Licht ausserhalb von ihnen ist, aber kein Wort kommt zu ihnen,dass sie feststellen können, es sei ein Wort, vielmehr Licht. «
Hier wie in dem von Abulafia im Sefer sitre tora angeführten Vers wird deutlich zwischen dem visuellen und dem akustischen Element unterschieden, wo bei letzterem als einer in der Prophetie Höheren Stufe grössere Bedeutung zukommt. Abulafia zufolge ist die Enthüllung des Lichts charakteristisch für die ” Prophetie« jener Kabbalisten, die dem System der Sefimth folgen. Diese Behauptung ist durchaus nicht unberechtigt: in den Schriften R. lsaaks des Blinden und besonders denen des R. Asriel von Gerona findet sich eine Fülle von Symbolen, die mit dem Licht verbunden sind. So lesen wir beispielsweise an einer Stelle im Sefer scha’ar ha-kawwana, das R. Asriel zugeschrieben wird: » Jeder, der eine Sache ganz fest in seinen Geist einsetzt, (wird die Erfahrung machen, dass das Wesen dieser Sache ihn vollig einnimmt. Wenn du nun betest oder Segenssprüche sagst oder dich auf das wahre Wesen einer Sache ganz konzentrieren willst, so denke dir, dass du Licht seist und auch deine ganze Umgebung von allen Ecken und Enden in Licht getaucht sei, und inmitten dieses Lichts stehe ein Thron aus Licht mit dem strahlenden Licht ( ‘or noga), und ihm gegenüber ein Thron mit dem guten Licht ( ‘or ha-tow) [ …] Und wende dich nach rechts und du findest ein glänzend-helles Licht, und dann nach links, und du triffst auf einen Glanz, der ein funkeIndes Licht ist, und zwischen ihnen und über ihnen das Licht der göttlichen Glorie und um ihn das Licht des Lebens. Und über ihr die Krone des Lichts, welche die Gegenstände des Gedankens krönt und die Wege der lmagination erleuchtet und den Glanz der Visionen erhellt, und dieses Licht ist unerschöpflich und unerforschlich.«
Der erste Satz ist hier von entscheidender Bedeutung für das Verständnis des Textes: indem der Mensch seine Gedanken auf einen bestimmten Gegenstand konzentriert, ist er imstande, sich Zugang zu einem Universum zu verschaffen und dessen Struktur zu bestimmen. Die »Sache«, die der Meditierende »ganz fest in seinen Geist einsetzt«, ist in unserem Text das Licht, das infolge der geistigen Ans pannung als » Wesen « angesehen wird. Ein interessantes Dokument für die Beziehung zwischen Licht und Prophetie findet sich bei R. Esra von Gerona: “Denn er sass immer da und wiederholte die Lehre und heftete seine Gedanken in der Höhe an [ …] denn alles Licht bedarf des Lichts, das oberhalb von ihm ist, um zu ihm emporgezogen zu werden, denn jedes Licht unterscheidet sich vom anderen nach seiner inneren Feinheit.«
Diese Passagen wie auch andere von uns nicht angeführte zeigen deutlich, dass das Licht ein wichtiger Anziehungspunkt für die frühen Kabbalisten darsteIlte und auch weiter eine Quelle für Symbole in der kabbalistischen Lehre des R. Moses de Burgos blieb. Daher ist die von Abulafia getroffene Unterscheidung zwischen einzelnen Kabbalisten durchaus und in sehr vielen Fällen zutreffend. Auch seine zweite Feststellung ist richtig: die ersten Kabbalisten waren »Propheten für sich selbst«, womit gemeint ist, dass ihre Erfahrung Erbe enger Zirkel blieb und diejenigen, die diese Erfahrungen gemacht hatten, ganz bewusst darauf verzichteten, sie der Öffentlichkeit preiszugeben. Unter diesem Gesichtspunkt gleichen, wie Abulafia bemerkt, die frühen Kabbalisten den Philosophen, die sich mit der Erkenntnis Gottes durch dessen Werke begnügen und denen nicht daran gelegen ist, ihre Lehre in der Öffentlichkeit zu verbreiten.
Abulafias dritte Feststellung, derzufolge die der Sefirath-Lehre verpflichteten Kabbalisten nicht »das Wort« empfangen, ist ebenfalls zutreffend. lm Gegensatz zur Vielzahl jener Quellen, in denen das Licht eine Rolle spielt, gibt es nur wenige Kabbalisten, die behaupten, Stimmen oder gesprochene Rede vernommen zu haben. Nach Meinung Abulafias scheint das Aufnehmen des Lichts mit dem Sefimth-System verbunden zu sein, weshalb es sich hierbei um eine niedere Stufe der Prophetie handele. lm weiteren Verlauf jener oben zitierten Stelle aus dem Brief We sot li-Jehuda sagt er von den Kabbalisten, die die Heiligen Namen anrufen und die dort als »die Zweiten« bezeichnet werden, dass»sie alle Propheten sind, die damit beginnen, das Licht im Licht des Lebens zu sehen und von dort von einem Licht zum andem aufsteigen im inneren Diskurs ihrer Gedanken, die umfassend und lieblich sind [ …] « Wir können daraus schliessen, dass die in Zusammenhang mit Lichtphänomenen sich vollziehenden Offenbarungen die erste Etappe auf dem Weg zur Prophetie sind und dass sie auch denen erscheinen, die der Lehre Abulafias folgen.
Eine Untersuchung der Schriften Abulafias zeigt auf, dass dem Licht keinerlei ausschlaggebende Bedeutung bei der Prophetie zukommt. Dieses Phanomen könnte mit der Vermutung erklärt werden, dass es im Werk Abulafias vornehmlich um die höhere Stufe und nicht das Anfangsstadium der Prophetie geht. Abulafia meint von sich selbst, die höchste Stufe erreicht zu haben, von daher wäre es nur natürlich, dass das Licht in seinem System keine wichtige Rolle mehr spielt. Demgegenüber bezeugt ein Schüller Abulafias, der Autor des Sefer scha’are zedek, dass er zu Beginn seines Wegs die Erfahrung von Lichterscheinungen machte und erst später die der gesprochenen Rede -eben in der Weise, wie Abulafia es in der oben zitierten Stelle beschreibt. Seine erste prophetische Erfahrung beschreibt der anonyme Verfasser folgendermassen: »Und da ich zur dritten Nacht kam, nickte ich gegen Mitternacht ein wenig ein, die Feder in der Hand und das Papier auf meinen Knien, als ich sah, dass die Kerze zu verlöschen drohte. Ich stand auf und wollte sie wieder richten, wie es eben auch ein Mensch in wachem Zustand tut; da sah ich, dass das Licht weiterbrannte. Ich verwunderte mich sehr, und als ich der Sache auf den Grund gegangen war, sah ich, dass es von meinem Gesicht ausging. Ich sagte: Ich glaube das nicht. Ich ging durch das ganze Haus, und das Licht ging mit mir, und ich legte mich zu Bett und deckte mich zu, und das Licht ging die ganze Zeit mit mir.«
Bei dieser ersten Offenbarung wird die Rede nicht erwähnt, die der Autor einige Tage später vernahm, nachdem er Fortschritte in der Kabbala der Heiligen Namen gemacht hatte. Es sollte hier noch darauf verwiesen werden, dass das System des Sefer scha’are zedek eine Synthese darstellt zwischen der Sefimth-Kabbala und der Kabbala der Heiligen Namen und in diesem Sinne von der Methode Abulafias abweicht. In einem im Sefer schuschan sodoth erhalten gebliebenen Textfragment betont der Autor des Sefer scha’are zedek die Funktion des Buchstabenkombinierens für das Erscheinen des Lichts: » Und kraft des Buchstabenkombinierens und der Konzentration geschah mir das, was mir geschah, da ich das Licht mit mir gehen sah, was ich im Sefer scha’are zedek beschrieben habe.«
Charakteristisch für diese beiden Texte ist, dass die Quelle des Lichts im Körper des Menschen sich befindet. Dieser Auffassung war auch eine mystische Schule verpflichtet, die genau zur Zeit Abulafias und seiner Schüler in Griechenland bluhte. Die Lebensbeschreibung von Simeon dem Theologen, der im 11. Jahrhundert lebte und von bedeutendem Einfluss auf die Ausarbeitung des Hesychasmus in Griechenland während des 13. Jahrhunderts war, beschreibt die Erfahrung der Vereinigung- Verbindung des Körpers mit dem Licht, das er sah: » Und da das Licht immer stärker ward und wie die Sonne zu Mittag schien, sah er sich selbst im Mittelpunkt des Lichts, und die Süsse, die in seinen Körper drang, brachte ihm Freude und Tränen. Er sah, wie das Licht sich an seinen Körper heftete in einer unbeschreiblichen Weise und nach und nach alle seine Gliedmassen durchdrang [ ..] Und das Licht drang allmählich in seinen ganzen Körper ein, in sein Herz und seine Eingeweide und verwandelte sie in Feuer und Licht.”
Diese Ausführungen beeinflussten den Verfasser des Werks Über die Methode des Heiligen Gebets und die Konzentration, dem ersten hesychastischen Werk, das nach Meinung der Förscher im 13. Jahrhundert geschrieben wurde. Dort heisst es: » Wenn du den Ort deines Herzens in deinen Eingeweiden suchst, wirst du zum Anblick des Lichts gelangen, das dich in etwas ganz helI Glänzendes verwandelt, und du wirst eine grosse Freude verspüren, die du nicht zu schildem vermagst.«
Das Licht, das einen Heiligen oder einen Mystiker umgibt, ist selbstverständlich nichts Ungewöhnliches. Gleichwohl kann die Erscheinung von einem lichtumhüllten Mystiker zu ein und demselben Zeitpunkt nicht rein zufällig sein, zumal wenn man die Möglichkeit eines Kontakts zwischen den geographisch nahe gelegenen Schulen bedenkt. Zwar wurde ganz offensichtlich das Sefer scha’are zedek im Heiligen Land geschrieben, doch könnte es immerhin sein, dass die darin geschilderten Erscheinungen sich anderswo manifestiert haben. Abulafia selbst bezeugt ja, dass er SchüIer in Griechenland und auf Sizilien hatte, so dass wir die Möglichkeit nicht von vornherein ausschliessen können, dass diese Übereinstimmung hinsichtlich der Wahrnehmung von Lichtvisionen tatsächlich Ergebnis einer historischen Berührung war. Die Lichtvision bildete auch weiter die Form der Erfahrung jener Kabbalisten, die Abulafias System und Methode folgten.
R. Isaak von Akko schrieb in seinem Sefer ‘ozar chajim: “Und ferner sah ich zur Zeit der dritten Nachtwache, da ich vor mich hin dämmerte, das Haus, in dem ich schlief, von ganz süssem und lieblichem Licht erfüllt, denn dieses Licht glich nicht dem der Sonne, sondem dem Tageslicht vor Sonnenaufgang: und dieses Licht stand vor mir wohl drei Stunden, und ich eilte, meine Augen zu öffnen und zu sehen, ob der Tag angebrochen war oder nicht, um aufzustehen und zu beten, und ich sah, da immer noch Nacht war, und ich kehrte in grosser Freude zu meinem Schlaf zurück, und nachdem ich mich von meinem Lager erhoben hatte zu beten, sah ich plötzlich ein Geheimnis des Buchstaben Alef.«
Wie bei dem Autor des Sefer scha’are zedek erscheint auch R. Isaak von Akko das Licht im Zustand des Halbschlafes um Mitternacht. Wenden wir uns nun den Berichten des R. Schem Tow ben Abraham Ibn Gaon zu. Dieser Kabbalist, der zu Beginn seiner literarischen Tätigkeit Manuskripte kopierte und mit solchen Kabbalisten wie R. Salomo Ibn Adret oder R. Isaak Todros in Verbindung stand, änderte später seinen Weg, unter anderem nach einer Begegnung mit den Kabbalisten R. Abraham, dem Verfasser des Sefer jesod ‘olam, und dessen Sohn, R. Chananael. Dieser Wechsel fand seinen Ausdruck im Studium des Sefer Jezira, einem Werk, das im Kreis um Ibn Adret sich nicht eben besonderer Wertschätzung erfreute. lm Sefer badde ha- ‘aron, das ebenfalls von einem kabbalistischen Standpunkt aus geschrieben wurde, der deutlich von dem Ibn Adrets abwich, bemerkt R. Schem Tow, dass der Kabbalist, wenn er keinen seinem Herzen nahestehenden Gefährten hat, mit dem er sich zurückziehen kann, sich einsam und schweigend hinsetzen solle, wenn Gott es ihm auferlege, »und er soll anfangen, das aufzuschreiben, was er in seinem Geiste schaut, wie einer, der aus einem Buch kopiert, das vor ihm geschrieben wird [ …] in einer getreuen Zeichnung ein Ball wie die Sonne, denn das Licht erschien ihm zu dieser Stunde.«
Ganz ähnlich wie R. Schem Tow Ibn Gaon schreibt R. Moses von Kiew in seinem Sefer schuschan sodoth, dass »auch zu jener Zeit, da wir dieses Buch verfassten und den Unaussprechlichen Namen mit seinen Vokalzeichen aussprachen, gegen Abend Worte und Wendungen aus Bibelversen vor unsere Augen traten, und zwar in Form roten Feuers, so dag wir uns sehr erschreckten und dann beruhigt waren, und dies geschah uns wiederholt, während wir schrieben. «
Die Texte jüdischer Autoren zu Lichtphänomenen kann man nach zwei charakteristischen Merkmalen klassifizieren: 1. Die Lichtvision tritt in Zusammenhang mit dem Schreiben allgemein oder dem schriftlichen Kombinieren der Buchstaben des Tetragramms auf, auch wenn dies nicht ausdrücklich von den Autoren gesagt wird. Soweit wir die Technik kennen, die von dem Autor des Sefer scha’are zedek und R. Isaak von Akko bevorzugt wurde, wird uns klar, dag sie dem von Abulafia gewiesenen Weg bei der Buchstabenkombination des Heiligen Namens folgten. In den Werken von R. Schem Tow und R. Moses von Kiew wurde dies weiter oben ausgeführt. 2. Das Licht erscheint unvermittelt und plötzlich. Es handelt sich bei der Erscheinung nicht um das Ergebnis eines bewussten Prozesses, der darauf ausgerichtet ist, eben zur Schau des Lichts zu führen.
Anders als die im Sefer scha’ar ha-kawwana gegebene Beschreibung, wo die Erfahrung des Lichts Ergebnis einer bewussten Ans trengung ist, werden die oben zitierten Verfasser von der Erscheinung des Lichts überrascht. Ein weiterer Unterschied zwischen ihnen und dem anonymen Kabbalisten liegt in der Natur der Erfahrung: nach der Schilderung im Sefer scha’ar ha-kawwana wird der Eindruck erweckt, es handele sich bei der Lichtvision um eine pneumatische Schau, während die anderen Verfasser gerade die sinnliche Wahrnehmung der Erscheinung betönen. Sie versuchen, die Farbe des Lichts zu beschreiben oder die es begleitenden Empfindungen. Ein weiterer Unterschied betrifft die magischen Möglichkeiten, die in den Lichtern verborgen liegen, die dem anonymen Kabbalisten erscheinen. Diese Lichter bilden gewissermassen eine Welt für sich, an die man sich mit » Bitten « wenden kann, eine Vorstellung, für die es bei den anderen Kabalisten nichts Vergleichbares gibt.
Abschliessend seien die Meinungen zweier Forscher angeführt, die sich um die Interpretation des Lichtphänomens in der mystischen Erfahrung bemüht haben. Ihre Erklärungen erinnern an den Unterschied zwischen dem Autor vom Buch Scha’ar ha-kawwana und den Kabbalisten aus Abulafias Kreis. Die Hauptthese lautet, dass die Wahrnehmung von Licht Ergebnis einer Freisetzung spiritueller Energie sei, die sich im Gehim angesammelt hatte. Diese Freisetzung manifestiere sich in der Stimulierung der Sehnerven vermittels der inneren Energie, und im Ergebnis dieser Stimulierung, die keineswegs von aussen herbeigeführt wurde, wird das Wahrnehmen von Licht im Gehirn erzeugt. In den weiter oben angeführten Fallen können wir auf eine intellektuelle Ans trengung verweisen, die der Lichtvision vorausging: Schreiben, Kombinieren von Buchstaben oder gesammelte Ans trengung, wie bei dem Verfasser des Sefer scha’ar ha-kawwana.
Deikman bemerkt folgendes: » Die Vorstellung einer Verlagerung des Empfindens könnte das allgemein und überall beobachtende Vorkommen des Lichts als einer Metapher für mystische Erfahrung erklären. Möglicherweise handelt es sich nicht nur um eine Metapher. ‘Erleuchtung’ könnte ja tatsachlich von einer während der Vereinigung auf Bewusstseinsebene wahrgenommenen Gefühlserfahrung sich herleiten, wenn Energie freigesetzt wird bzw. es zur Auflösung eines unbewussten Konflikts kommt, wobei ein Gefühl von ‘Friede’, ‘Entspannung’ oder ‘Anwesenheit’ usw. entsteht. Freigesetzte Energie, die als Licht wahrgenommen wird, könnte den sensitiven Kern mystischer Erfahrung bilden. « Während Deikmans Beschreibung dem Kreis um Abulafia näher steht, finden wir in den Ausführungen Staudenmaiers, wie sie von Zimmer zitiert werden, eine Erklärung, die eher der Erfahrung des Sefer scha’ar ha-kawwana entspricht: » Beim Sehen, Hören, Riechen, Berühren usw. wird der Reiz zentripetal von den ausserlichen Organen wie Augen, Ohren usw. den Höheren Zentren im Gehim und schliesslich dem Bewusstsein übermittelt. Um optische, akustische oder andere Halluzinationen zu erzeugen, muss man wissen, wie diese besondere Energie in umgekehrter Richtung zu lenken ist, d. h. vom Gehim bzw. dem Bewusstsein zur Körperlichen Peripherie.«
Geht es Deikman um Empfindungen, die vom Mys’tiker unbeabsichtigt und unwillentlich auftreten, spricht Staudenmaier von Ergebnissen bewusster Bemühungen, deren Ziel im wesentlichen magischer Natur ist.
Die Rede
lm Ans chluss an seine Ausführungen über das Licht bemerkt Abulafia in seinem Brief an R. Jehuda Salmon zu den Kabbalisten, die die Buchstaben der Heiligen Namen kombinieren: » Und sie erheben sich von Licht zu Licht [ …] zur Einheit, bis ihre innere Rede zurückkehrt, die sich an die Rede des Ursprungs heftet, die Quelle ieder Rede ist, und sie erheben sich von Rede zu Rede, bis die innere menschliche Rede zu einer Kraft an sich selbst wird, und sie machen sich bereit, die göttliche Rede sowohl unter ihrem figurativen wie essentiellen Aspekt zu empfangen, und dies sind die Propheten in Wahrheit, Recht und Gerechtigkeit.«
lm Gegensatz zum Licht, aus dem die »individuelle« Prophetie hervorgeht, ist die Rede Ursprung der wahren Prophetie, jener, die sich an den Propheten und seinen Nachsten unmittelbar wendet. In Abulafias Lehre von der Prophetie hat der Begriff »Rede« (dibbur) unter anderem die Bedeutung von Influxus, wie er von der Vorstellungskraft empfangen, d. h. die Stimme, die während der Prophetie vernommen wird. Damit der Prophet die göttliche Rede empfangen kann, muss er nach der im Mittelalter gültigen aristotelischen Erkenntnistheorie seinen Intellekt, also seine »innere Rede« stärken, um so imstande zu sein, den Influxus -»die göttliche Rede« -zu empfangen, deren Ursprung in Gott oder im intellectus agens liegt, der » Rede des Ursprungs«. Die Rede wird auf zweierlei Weise erlangt: einmal im intellectus agens, d.h. mit Hilfe einer hypothetischen Annahme hinsichtlich des Inhalts des prophetischen Influxus, oder mittels der »Rede selbst«, also im Hören von Stimmen.
Zusätzlich zu dieser theoretischen Beschreibung der Rede, in der diese als Ergebnis der Vorstellungskraft gesehen wird und von daher auch nicht der Sprachorgane bedarf, finden sich in den Schriften Abulafias und seiner Schüler noch andere Aussagen zu diesem Thema. Der Prophet ist nicht nur derjenige, der die prophetische Botschaft mit Hilfe seiner Stimme übermittelt, sondem der sie »in seinen Hals« empfängt. Schon unter den Weisen des Altertums war die Ans icht weit verbreitet, dass die Schechina mit der Stimme von Moses geredet habe, auch war die Formulierung »die Schechina spricht durch seinen Hals« seit Raschis Bibelkommentar geläufig. Die Weisen stützten sich auf den Vers » Moses sprach, und Gott antwortete ihm mit einer Stimme« . Solange Gott mit einer Stimme antworten könnte, steIlte der Vers kein exegetisches Problem dar. Mit dem Entstehen aber der jüdischen Philosophie wurde es jenen Gelehrtenkreisen, die in Gott ein rein spirituelles Wesen erblickten, zusehends schwieriger, den Vers im wörtlichen Sinn zu interpretieren. Um die in diesem Vers enthaltenen Schwierigkeiten zu umgehen, schrieb R. Abraham Ibn Esra; » Derjenige, der redet, ist ein Mensch, und der, der hört, ist auch ein Mensch«, um so anzudeuten, dag Gott nicht mit Hilfe von Stimmen spricht, sondem dass er der Seele mittels spiritueller Rede deren intelligiblen Inhalt übermittelt, der in der Seele in die Rede transformiert wird, die ein anderer Mensch dann zu hören imstande ist.
So entfernt sich die Stimme Gottes aus dem Bereich der Prophetie, damit an ihre Stelle die Stimme des Propheten tritt. Im Sefer ‘ozar ‘eden ganus schreibt Abulafia;» Und was diese Stimme betrifft, so handeln wunderbare Verse aus der Thora, den Propheten und den Hagiographen von ihr, ” und deshalb heisst es auch; >Moses redete, und Gott< [Elohim] – das ist das Tetragramm in seiner vollen Schreibweise ->antwortete ihm mit einer Stimme<, und es heisst auch, mit der Stimme von Moses. Und siehe, die Stimme des lebendigen Gottes redet aus dem Feuer, und sie ist dem Herzen nahe, wo auch die Rede ist.«
Hier wird unmissverständlich gesagt, dass das menschliche Herz und nicht der brennende Dornbusch Ursprung der göttlichen Stimme und seiner Rede ist. In Abulafias Sefer mafteach hachochmoth lesen wir; »Denn die Rede, die vom Heiligen Geist zum Propheten kommt, kommt zunächst nur vermittels der menschlichen Rede, wie mit dem Vers gesagt wird; >Moses redete, und Gott antwortete ihm mit einer Stimme<, und das Geheimnis wurde enthüllt, indem gesagt wurde )mit einer Stimme<, das mmeint; mit der Stimme Moses’.« Die Rede, die aus dem Innern des Menschen hervorgeht, wird auch im Sefer scha’are zedek erwähnt.
Bei der Beschreibung der letzten Stufe seiner Erfahrungen bemerkt der anonyme Autor: “Und siehe, etwas, das Rede ähnlich war, ging aus meinem Herzen hervor und kam bis auf meine Lippen und zwang sie, sich zu bewegen, und ich sagte, es wird doch, Gott bewahre, nicht der Geist der Narrheit in mich gefahren sein, doch ich sah, es wurden weise Dinge ausgesprochen. Da sagte ich mir, das ist gewisslich der Geist der Weisheit. « Und an anderer Stelle schreibt er: ” Und eine Stimme ging aus mir hervor.« Eine ähnliche Aussage findet sich im Kommentar des R. Isaak von Akko zum Sefer Jezira: ” Denn der im Heiligen Geist redet, vernimmt nicht die Stimme, sondem dieser Geist geht in ihn ein und redet von sich aus, da er von einem Ort in der Höhe ist, an dem die Propheten bei Nezach und Hod [Namen der 7. und 8. Sefira] gestillt werden […] und da gibt es kein Stammeln der Lippen oder sonst irgend etwas.«
Die Vorstellung von der menschlichen Rede als Ausdruck für das Aufnehmen der Prophetie taucht später noch im Sefer hagilgulim des R. Chajim Vital Calabrese auf: “Siehe das Geheimnis der Prophetie. Es handelt sich dassei gewiss um eine Stimme, die von oben gesandt wurde, mit dem Propheten zu reden, und der Heilige Geist ist von gleicher Art.
Doch da diese Stimme von höherer Ordnung und spirituell ist, vermag sie allein nicht, materiell zu werden und in das Ohr des Propheten einzudringen, sofern sie sich nicht zuvor in jene materielle Stimme eingekleidet hat, die aus dem Munde jenes Menschen hervorgeht, der die Tora studiert, gerade betet oder mit dergleichen beschäftigt ist. Sie kleidet sich alsdann in diese ein und ist ihr verbunden, sie dringt zum Ohr des Propheten, und er vernimmt sie. Doch ohne menschliche Stimme kann sie nicht bestehen. Zwar gibt es zahlreiche Änderungen, wie es heisst: diese Höhere Stimme kommt und kleidet sich in seine Stimme ein [ …] Die Höhere Stimme der Prophetie, und das ist die erwähnte Stimme, schickt sich dann an, mit der hier gegenwärtigen Stimme des Menschen sich zu verbinden, und sie geht in dem Augenblick aus ihm hervor, da die Prophetie auf ihm ruht, wie geschrieben steht: “Der Geist Gottes redete in mir, und sein Wort ist auf meine Zunge. Denn der Geist und das erste Wort sind auf meiner Zunge. Und von ihm geht eine Art Stimme oder Rede aus seinem Halse, und er redet, und dann vernimmt der Mensch sie.”
Diese Betonung des Phänomens der Stimme im Innern des Propheten finden wir auch in den Worten des R. Elias ha-Kohen aus Ismir, der über die Maggidim, die Prediger, schreibt: “Aufgrund der grossen Kraft der Seele, die im Menschen ist, kann es geschehen, dass sie ihm [dem Maggid] Dinge mitteilt, und die Art des Mitteilens ist so, dass eine grosse Stimme aus seinem Herzen hervorgeht und in sein Ohr dringt, und er hört, doch die, die nahe bei ihm stehen, hören nichts. ” Es sei noch bemerkt, dag die oben angeführten Auffassungen den Hintergrund für die Erscheinung ähnlicher FälIe innerhalb des Chassidismus abgeben.
Rede als Zwiesprache
Die Vorstellung, derzufolge die unmittelbar direkte Quelle der Rede in der Prophetie die menschliche Seele sei, wurde von Abulafia noch in zwei anderen Werken weiterentwickelt. Im Sefer chaje ha-‘olam ha-ba beschreibt er den Prozess der Rezitation der Buchstaben des Tetragramms folgendermassen: ” Und wenn du das rezitierst, was in den Wörten rosch, toch, sof [Anfang, Mitte, Ende] enthalten ist, ziehe sie nicht in die Länge, sondem sprich sie so aus wie iemand, der ruhig einen anderen fragt: welcher Buchstabe hält den und den Vokalpunkt an der und der Stelle [des Körpers]? Und sei bereit, die Antwort bei der Rezitation des Buchstabens zu hören, und wenn du den Buchstaben hörst, wie er von seinem Munde ausgesprochen wird, so sprich du ihn nicht aus, denn er rezitiert ihn für dich, vielmehr vernimm die Botschaft, dass er schon zu dir reden wird, denn “durch eins spricht Gott”, und dein Herz wird froh sein, und nun beginne wieder, den Anfang vom Ende zu rezitieren, das ist das Lamed. [ …] Und selbst, wenn du zwischendurch ein wenig verweilst, um zu hören, solI alles in einem Atemzug geschehen, und die Vollendung des Atemzugs geschehe stets in der Rezitation des Buchstabens und in keiner anderen Sache, ausser in dem Augenblick, da er antwortet, und er wird den Buchstaben über der Stelle rezitieren, die du rezitiert hast, und von daher steht geschrieben >an jedem Ort, an dem ich meinen Namen zum Gedächtnis nennen werde< -nicht: wo du gedenken wirst. Und der verborgene Sinn ist, dass, wenn ich [den Namen] aussprechen werde, du [ihn] aussprechen wirst, und wenn du [ihn] aussprechen wirst, ich [ihn] aussprechen werde. Und bedenke seine Antwort, als ob du selbst es wärst, der dir selbst geantwortet hätte.”
Diese Passage beschreibt die Rezitation der Buchstaben mit Hilfe von Buchstabenkombination sowie die Antwort, die der Mystiker dabei erhält. Was nun denjenigen betrifft, der die Antwort gibt, wird uns etwas Widersprüchliches mitgeteilt: 1. Der Antwortende ist Gott -»durch eins spricht Gott« -und auch im zweiten angeführten Vers – »an jedem Ort, an dem ich meinen Namen zum Gedächtnis nennen werde« -ist Gott das Subjekt. Daraus folgt, dass bei der Rezitation ein Dialog zwischen Gott und demjenigen stattfindet, der die Buchstaben kombiniert. 2. Der Antwortende ist der Mensch selbst -»und bedenke seine Antwort, als ob du selbst es gewesen wärst, der dir selbst geantwortet hätte. « Diese Doppeldeutigkeit wird im selben Werk an anderer Stelle noch einmal aufgegriffen: »Und wenn du den Namen in seiner Gesamtheit [d.h. in allen Möglichkeiten der Buchstabenkombinationen] vollendet und erhalten hast, was der Name dir zu geben geneigt war, so danke dem Namen, doch solItest du -Gott bewahre -nicht erfolgreich sein, so wisse, dass du in völliger Reue umkehren und die Unzulänglichkeit deines Grades beweinen musst, auch dass du den Heiligen Namen vergebens angerufen hast, was eine schwere Sünde ist. Und du bist des Segens nicht würdig, denn der Heilige Name versprach uns in der Tora, uns in seinem Namen zu segnen, indem er sagte: >an jedem Ort, an dem ich meinen Namen zum Gedächtnis nennen werde<. Siehe, >an jedem Ort, an dem ich meinen Namen zum Gedächtnis nennen werde< meint, wo du meinen Namen aussprechen wirst, und der verborgene Sinn ist, dass du zuerst im Kopf meinen Namen aussprichst, wenn du meinen Namen nennst, wie ich es dir kundgetan habe, und das Geheimnis verweist auf die Bewegung des Kopfes bei der Rezitation der Keduscha.
Abulafia erörtert hier den Fall, dass die Anrufung des Heiligen Namens zu keinem Ergebnis führt. Die Schuld liegt ganz bei dem Rezitierenden, der als falscher, als Lügenprophet mit einem dem Buch Hiob (31,28) entnommenen Ausdruck beschrieben wird: » Auch das wäre eine schwere Sünde gewesen, weil ich Gott in der Höhe verleugnet habe. « Auch dient die Ans pielung auf den Vers » Du solIst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht umsonst aussprechen« (Ex. 20,7) noch dazu, die Schuld demjenigen zuzuschreiben, der den Heiligen Namen vergeblich angerufen hat. Abulafia vertritt hier nachdrücklich die Auffassung, dass Gott immer antwortet, die Unzulänglichkeit also nur beim Menschen liegen kann. Folglich ergibt sich, dass es sich bei der wahren Rezitation des Heiligen Namens um ein Zwiegespräch zwischen Gott und dem Menschen handelt. Andererseits deutet Abulafia an, dass der Vers» [ …] an dem ich meinen Namen nennen werde« recht eigentlich bedeutet »wenn du meinen Namen nennen wirst«, und diese Rezitation wird mit einer bestimmten Kopfbewegung ausgeführt. Solche Dialoge finden sich auch in Abulafias Sefer ba-cheschek, wo es im Zusammenhang mit dem Aussprechen des Heiligen Namens heisst: » Wende dein Gesicht dem angerufenen Heiligen Namen zu, und stell dir vor, es stünde ein Mensch vor dir, der erwartet, dass du mit ihm redest, der auch bereit sei, dir auf alles, was du ihn fragst, zu antworten, und du sagst etwas, und er erwidert [ …] Und dann wirst du mit der Rezitation beginnen und den Beginn von rosch (Anfang) in einem langen Atemzug und ganz gelassen rezitieren, danach beginne wieder, als stünde der, der dir antwortet, dir gegenüber, und du selbst antwortest mit veränderter Stimme, so dass die Antwort nicht der Frage gleicht, und ziehe die Antwort nicht in die Lange, sondem gib sie ruhig und gesetzt, und dann rezitiere als Antwort einen Buchstaben des Heiligen Namens so, wie er tatsächlich ist.«
Aus der hier angeführten Textstelle geht klar und deutlich hervor, dass es sich bei dem »Antwortenden« während der Rezitation um ein und denselben Menschen handelt, der seine Stimme verandert und sich vorstellt, es stünde ein anderer Mensch vor ihm, der ihm antwortet. Es stellt sich die Frage, wie die Doppeldeutigkeit der Ausführungen im Sefer chaje ba’olam ha-ba zu erklären ist. Die Antwortet findet sich im Sefer ha-cheschek, wo wir lesen: »Richte dein Herz alsbald aus, und wirf dich vor der Gestalt nieder, von der dein Herz denkt, sie stünde vor dir. Und sie ist die Meisterin der Bewegung, was soviel heissen will, dass sie es ist, die die Antwort herbeiführt, die du gegeben hast, und die Natur deines Herzens ist, ihr als Thron zu dienen, und ihr Name ist Engel Gottes, und diese Natur ist die Vermittlerin zwischen dir und deinem Schöpfer, und sie ist seine Glorie, gepriesen sei Er.«
An anderer Stelle im selben Werk finden wir folgende Passage: »Zitiere aber die Heiligen Namen, einen nach dem anderen, wie ich dir befohlen habe, deren Geheimnis in dem System ihrer Bewegung eins – zwei liegt. Und wenn du in allem, was ich dich darüber gelehrt habe, rein und vollkommen bist, so zweifele ich nicht daran, dass die Glorie sich dir offenbart und vor dir in einer Gestalt sichtbar werden wird, dass du ihre Kraft erkennen kannst, oder sie wird dir eine Botschaft durch eine Rede zukommen lassen, die du verstehen wirst, denn sie kornmt aus ihr und nicht aus dir.«
Bevor wir auf diese beiden Zitate zurückkommen, sollen noch die etwas rätselhaften Bemerkungen des R. Baruch Togarmi aus dessen Kommentar zum Sefer ]ezira angeführt werden: » Und das Geheimnis des Glanzes der Schechina habe ich oben bereits angedeutet hinsichtlich der Bewegung eins – zwei, und es ist allgemein bekannt, dass die Tora ha-sot (diese) genannt wird, diese Lehre nach dem Unaussprechlichen Namen, wie es heisst: >die Worte dieser Tora<, die das Geheimnis des Bildes Gottes ist; dieses kann nur in einer Vision geschaut werden, wenn er redet, oder vielleicht ist Gabriel gemeint, in der Sprache B”S [baruch ha-Schem, das heisst Gottes], den er in menschlicher Gestalt erblickt. «
Die charakteristischen Merkmale der » zura ha-nechscheweth« , der Gedankenform, die auch Grund und Ursache der »Antwort« ist, scheinen sich zu widersprechen: man kann sich vor ihr niederwerfen, aber sie ist »in deinern Herzen«, insofern das menschliche Herz seine Wohnstätte, »sein Thron« ist. Die Form wird als Glorie Gottes beschrieben, deren Ziel es ist, zu beweisen, dass der Ursprung der Sprache nicht im Menschen, sondern ausserhalb von ihm liegt. lndes wird die genaue Natur der »Form« nicht recht deutlich: sie ist »Engel Gottes«, »Glorie Gottes«, » Vermittler« zwischen Mensch und Gott oder »mitten« zwischen ihnen. Es scheint mir, dass diese Merkmale auf den menschlichen Intellekt zutreffen, wie er im Sefer chaje ha- ‘olam ha-ba beschrieben wird: » Der intellektuelle Influxus, der ständig sich über uns ergiesst und vom intellectus agens in uns ausgeht, ist der Engel, der zur Debekuth, zur unio mystica, zwischen deiner Seele und dem Schöpfer, gelobt sei Er, führt.«
Diese Beschreibung steht ganz offensichtlich unter dem Einfluss von Abraham Ibn Esra und Maimonides, von denen der eine schrieb: » Und der Engel zwischen dem Menschen und seinem Gott ist intelligibel«, und der andere meinte: »Und dies ist der Intellekt, der über uns vom Heiligen Namen, gelobt sei Er, kommt, und er ist die Verbindung zwlschen uns und ihm.« Selbst der Begriff »kawod« (Ehre,Glorie) stört keineswegs diese Identifikation, da er in zahlreichen Schriften von Autoren aus der Zeit vor Abulafia vorkommt und dort die Bedeutung von Seele hat.
Vergleichen wir nun einmal Abulafias Ausführungen im Sefer ha-cheschek mit denen seines Vorgängers in dessen Kommentar zum Sefer Jezira:
1. In beiden Passagen erscheint die Formulierung »eins – zwei«, und zwar in derselben Bedeutung: als Name Gottes.
2. Beide Autoren schreiben über eine Offenbarung: bei Abulafia handelt es sich um die Offenbarung der »Glorie« (kawod), bei R. Baruch Togarmi um »das Bild Gottes«, das durch Gabriel offenbart wird.
3. In beiden Fällen vollzieht sich die Offenbarung in der Rede.
4. Abulafia spricht von einer »zura nechscheweth«, also einer Gedankenform, oder der »Glorie«, während es bei Baruch Togarmi einerseits um Gabriel geht, welcher Name nach der Gematria dem Zahlenwert 246 von medabber, dem Redenden, mar’eh, Schau oder Vision, zelem ‘Elohim, Bilde Gottes, entspricht, andererseits um die zurath ‘adam, die Gestalt des Menschen.
Könnte es sein, dass sich auch bei Abulafia Zeichen einer »menschtichen Gestalt« finden, die bei der Rezitation erscheint? lm Sefer chaje ha-‘olam ha-ba heisst es: » Und wenn, Gott bewahre, während der Rezitation der beiden Verse der göttliche Influxus noch nicht über ihn gekommen sein sollte, er keine Rede vernommen noch auch zur Schau eines Menschen oder :ahnlichem gelangt, was den Visionen der Prophetie eigentümlich ist, so soll er noch einmal umkehren und mit dem dritten Vers beginnen. «
Demgegenüber finden wir im selben Werk andere Formulierungen, die sich auf die Worte seines Lehrers beziehen: »Der Engel, der dir das Geheimnis Gottes kundtut, heisst Gabriel, und er redet im ersten Vers des Heiligen Namens, den du zitierst, und er zeigt dir die Wunder der Prophetie, denn dies ist das Geheimnis des Verses: > Wenn unter Euch ein Prophet ist, so offenbare ich mich ihm in einer Vision und rede durch den Traum zu ihm<, denn mar’eb (Vision), was der verborgene Sinn des Verses ist, hat denselben Zahlenwert wie Gabriel, und chalom (Traum), dessen Geheimnis ‘edi (mein Zeuge) ist, hat den Zahlenwert von Henoch. «
Auch hier stösst man wieder auf den gematrischen Zahlenwert von 246: Gabriel = passuk (Vers) = mar’eb (Schau) = medabber (er redet). Zweifellos verweisen diese Begriffe auf den intellectus agens. Und von daher erscheint dem Mystiker in seiner prophetischen Schau mittels des intellectus agens eine »menschliche Gestalt«, und diese Offenbarung wird von Rede begleitet.
Was die Verbindung zwischen dieser Gestalt, der Grundlage der »Antwort«, und dem redenden Menschen betrifft, so erfahren wir von Abulafia selbst, dass er diese Situation als Antwort darstellt, die der Mensch sich selbst gibt. Daraus folgt, dass die Gestalt des Menschen nichts anderes als eine Projektion der Seele (oder des Verstandes) des Mystikers ist, dem es während der Rezitation gelingt, ein Zwiegespräch mit ihr zu führen. Über den ontischen Charakter dieser Gestalt erfahren wir in Abulafias eigenen Worten im Sefer chaje ha-‘olam ha-ba: ” Wir, die Gemeinschaft Israel die Gemeinde des Heiligen Namens, wissen, dass der Heilige Name, gelobt sei Er, kein Körper und keine Kraft im Körper ist, noch auch sich je verKörpern wird. Doch während der Prophet prophezeit, erschafft sein Influxus ein Körpertiches Medium, nämlich den Engel.«
Daraus folgt, dag die menschliche Gestalt ein Produkt seiner Imagination ist und insofern auch “Körperlich” , wenngleich ihr Ursprung der menschliche Intellekt ist. Diese Auffassungen Abulafias, denen zufolge es sich bei der Prophetie um einen Dialog zwischen dem Menschen und seinem innersten Wesen -seinem Intellekt -handelt, sind nicht neu. Schon in der Gnosis erfahren wir von Begegnungen zwischen dem Menschen und seinem eigenen Bilde als Gipfel der Selbsterkenntnis. Diese Vorstellung erscheint in der jüdischen Literatur bereits im Sefer ha-chajim, das Abraham Ibn Esra zugeschrieben wird, wo es heisst: » Temuna (Bild) meint eine Vision innerhalb von etwas, wie die Energie im Feuer, wie der Mensch etwa eine Figur im Wasser oder eine Gestalt auf dem Mond oder die Form irgendeiner anderen Sache oder auch seine eigene Gestalt sieht, und so heisst es im Vers ,>das Bild Gottes sah er<, d. h., er sieht im Lichte des Heiligen Namens und seiner Glorie, und dies ist >ein Bild vor meinen Augen«<.
Aus den Kreisen, mit denen Abulafia bis zu einem gewissen Grade in Kontakt stand, ist uns eine Aussage über die Selbstschau als Bestandteil des prophetischen Prozesses überliefert: ” Alle Lager der Schechina haben weder Bild noch dinglichmaterielle Form, sondem sind eine spirituelle Emanation, und das gilt auch für die anderen Rangordnungen der Engel. Gleichwohl ist die zehnte Stufe, die den Menschenkindem am nächsten ist und ‘ischim (Menschen, Personen) heisst, den Propheten sichtbar. Alle stimmen überein, dass diese ‘ischim einen schrecklich anzusehenden menschlichen Körper haben. Der Prophet sieht alle seine verschiedenen Kräfte schwinden und sie von einer Form zur andem sich verändem, bis er sich aller Formen seiner Kräfte entledigt und in die Kraft jener Form gekleidet hat, die sich ihm offenbarte, und dann wird seine Kraft in die des Engels verwandelt, der mit ihm redet. Und diese Form gibt ihm die Kraft, die Prophetie zu empfangen, und sie ist in seinem Herzen als Bild eingraviert; und gleich dem Boten, der seine Mission erfüllt hat, so entledigt sich der Prophet dieser Form und kehrt zu seiner ursprlüglichen Gestalt zurück, und seine Gliedmass und Kräfte werden wieder zu dem, was sie zuvor gewesen sind und erstärken, und er prophezeit in menschlicher Gestalt.«
lm Kommentar zum Sefer Jezira des Jehuda Ibn Malka findet sich eine Passage, die den Ausführungen des Isaak ha-Kohen sehr ähnlich ist: » Es spricht der Verfasser: Ich sah mit meinen eigenen Augen einen Mann, der in völig wachem Zustand eine Kraft in Gestalt eines Engels sah, der mit ihm redete und ihm Zukünftiges berichtete. Darauf erwidert der Weise: Wisse, dass er nichts sah, was ausser ihm war, vielmehr sieht er wie einer, der sich im Spiegel erblickt, sich selbst von vorn und von hinten und sonst niemand anderen, doch hat es den Ans chein, als wäre es etwas ausserhalb deines Körpers, das dir gleicht. Und so kommt es auch, dass man eben die Kraft sieht, die den Körper bewahrt und die Seele lenkt, und dann jauchzt seine Seele und frohlockt beim Anblick dessen, was sie sieht; und drei Kräfte bemächtigen sich ihrer: die erste Kraft ist das Medium zwischen Geist und Seele, die zweite die des Gedächtnisses, die dritte die der Imagination.
Und die erste Kraft ist das Vorstellungsvermögen. Und diese drei Kräfte werden mit einem Spiegel verglichen, insofern durch die Reinheit ihrer Mischung der Geist geläutert wird, und dank seiner Läuterung wird auch die dritte Kraft geläutert. Und siehe, wenn der Geist von dem Influxus, der sich über die Seele ergiesst, etwas erfasst haben wird, geht von ihm eine Kraft aus zu der Kraft der Rede entsprechend der Bedeutung des göttlichen Influxus, der über die Seele kam, und wird sein Sprachvermögen beeinflussen, und diese Kraft ist der Engel, der in ihm spricht und die Zukunft kündet. «
Hier wie bei Abulafia besteht eine Verbindung zwischen dem intellectus agens -den ‘ischim -und den Kraften des Menschen, die sich in ihm einkleiden. Während allerdings bei den drei hier angeführten Beispielen das Element des Dialogs fehlt, erscheint es in den Schriften von Abulafias Schülern wieder, offensichtlich unter dessen Einfluss.
lm Sefer schuschan sodoth findet sich eine im Namen von R. Nathall angeführte Bemerkung, bei dem es sich augenscheinlich um einen unmittelbaren Schüler Abulafias handelte: » Wisse, dass die Fülle des Geheimnisses der Prophetie für den Propheten darin besteht, dass er unvermutet seine eigene Gestalt sieht, wie sie vor ihm steht, und er vergisst sich selbst und hebt sich hinweg, und er sieht die Gestalt seiner selbst vor sich stehen und mit sich sprechen und Zukünftiges berichten, und über dieses Geheimnis sagten unsere Weisen gesegneten Andenkens: “Gross ist die Kraft der Propheten, die eine Form nach ihrem Schöpfer bilden”, und der Weise, R. Abraham Ibn Esra gesegneten Andenkens, sagte: “Der Hörende ist ein Mensch, und der Redende ist ein Mensch”.
Der Zusammenhang zwischen Prophetie und Zukunftsweissagung findet sich auch im Denken Abulafias. lm Sefer chaje ha-‘olam ha-ba schreibt er, dag auf der dritten Stufe der Prophetie “der Befehlempfangen wird, zu reden und Zukünftiges zu künden.« Demgegenüber weiss ein anderer Schüler Abulafias, der Autor des Sefer scha’are zedek, nur von der Erscheinung seines eigenen Bildes, ohne dass eine Rede an ihn ergangen wäre. lm Sefer schuschan sodoth lesen wir: ” Und ein anderer Weiser gesegneten Andenkens schrieb darüber: Und was mich betrifft, so geschah mir durch die Kraft der Buchstabenkombination und der Konzentration das, was mir mit dem Licht geschah, das ich sah und das überall mit mir ging, wie ich es im Sefer scha’are zedek geschildert habe. Allerdings war es mir nicht vergönnt, mein Selbstbildnis, wie es mir selbst gegenübersteht, zu sehen, dies vermochte ich nicht.«
Dieses Textstuck enthalt eine doppelte Aussage: 1. Ganz offensichtlich ist diesem Schüler die Höhe Stufe bekannt, die R. Nathan erreichte. 2. Die Tatsache, dag das Phänomen der Rede nicht erwähnt wird, bedeutet nicht zwangslaufig, dass die Erscheinung des Selbstbildes des Propheten nicht mit der Rede verbunden war; wie wir weiter oben sahen, erlebte der anonyme Kabbalist es ja, wie die Rede aus ihm hervorging, weshalb das Thema in diesem Zusammerrhang nicht wieder aufgegriffen wird.
Dass Abulafia über R. Nathan auf Isaak von Akko grossen Einfluss ausübte, ist allgemein bekannt. In seinem Sefer ‘ozar chaim schreibt letzterer: “Komm herbei, und ich werde dich über eine grosse Sache im Lesen unterrichten; und es heisst, dass sowohl Reden wie Sprechen, Schauen wie Sehen und das Wesen der Hand Gottes oder das Wesen der Rede oder das Streben der Rede oder der Predigt, der prophetische Traum oder die Schau, die Erhebungen des Geistes oder die Ruhestellung des Geistes, die Gabe des Geistes oder das Wesen des Geistes Gottes (Elohim) und des Geistes des Heiligen Namens -all dies und noch mehr findest du in in der schriftlich überlieferten Tora: all dies und was ihnen gleicht ist der neue Influxus der Geist Gottes, der kommt, um in der reinen und dementsprechend würdigen Seele zu weilen, in der er auch am Anfang nicht war. Wie ein König, der dann, wenn er milde gestimmt ist, einem seiner Vasallen, der sich da gerade aufhält, zu eben jener Stunde mit einem ehrenvollen Geschenk auszeichnet, dass dieser sich freut und es unter seinen Angehörigen aufteilt; so kommt auch der oberste Geist des Heiligen unvermittelt in die Seele dieses Propheten oder jenes Sehers, der sich des prophetischen Geistes als würdig erwiesen hat oder in die Seele, die des Heiligen Geistes allein würdig ist, oder in die Seele, die allein der Himmlischen Stimme würdig ist, die sich mit ihr unterredet und sie Weisheiten lehrt, die man bis dahin noch nie gehört oder aufgeschrieben gesehen hat, ohne Enthüllung der Zukunft oder ihr Zukünftiges enthüllend, ohne dass der Auftrag einer Mission an sie allein erginge, ohne dass der Auftrag einer Mission an einen einzelnen erginge, ohne dass der Auftrag einer Mission an viele erginge -all dies vernimmt er, wie das Ohr hört, das den Klang der Stimme seines Freundes vernimmt und versteht, der zu ihm spricht, aber er hört nur ihn allein, selbst wenn er sich zu diesem Zeitpunkt unter hundert oder gar tausend Menschen aufhälten sollte. Und meistens wird es so sein, dass seine Seele in diese göttliche Geistigkeit sich tief versenkt, nachdem sie sich von allem Körperlichen befreit hat, um dann ihren Palast [hejchal, d.h. den Körper] in seiner eigenen Gestalt wahrhaftig vor sich stehen zu sehen, wie er mit sich redet in der Art eines Menschen, der mit seinem Freund spricht, und er wird seine eigene Gestalt vergessen, als ware sein Körper nicht in der Welt. Und daher sagten die Weisen gesegneten Andenkens: Gross ist die Kraft der Propheten, denn sie vermögen, ein Abbild des Geschaffenen nach dessen Schöpfer herzustellen, und ihre Seele steht vor ihnen in Gestalt eben ihres Palastes und redet mit ihnen, und sie sagen, es sei der Heilige, gelobt sei Er, der mit ihnen rede. Und wer brachte sie zu diesem wunderbaren Geheimnis? Das Aufgeben und Ablegen sinnlicher Dinge durch ihre Seele und ihr Einkleiden in den Heiligen Geist. Und dieser Geist kommt von Zeit zu Zeit zu allen Propheten nach Gottes Wunsch und Willen. Doch bei dem Meister aller Propheten, unserem Lehrer Moses, Friede sei mit ihm, war der Heilige Geist standig und verliess ihn auch nicht für eine Stunde, nur wenn seine Seele in sinnliche Dinge versunken war, um die Worte der Kinder Israel zu vernehmen, um sie zu leiten und sowohl in unmittelbar anstehenden Angelegenheiten wie solchen für spätere Generationen zu unterweisen, weshalb er sagen rnusste: > Wartet, und ich werde hören, was Gott euretwegen befiehlt<; er stand da und gab ihnen Erläuterungen, er konzentrierte sich und loste seine Seele aus den sinnlichen Dingen, rnit denen er ihretwegen sich befasst hatte, und der Geist weilte auf ihm und sprach in ihm. «
Dieses Zitat enthält einige Vorstellungen, die denen Abulafias sehr verwandt sind:
1. Die Parabel von der Grosszügigkeit des Königs. Die Auffassung Isaaks von Akko wurde offensichtlich von einer Passage aus dem Sefer ‘ar ha-sechel beeinflusst, wo es heisst: »Influxus [schefa hat die Bedeutung sowohl van Überfluss wie Fluss, Einfluss ist ein anderes Wort für Grosszügigkeit [ …] und das ist das Gleichnis vorn König und dem letzten Armen, der in äusserster Armut lebte. Und der König, der von Reichtum überstromte, suchte, jeden einzelnen Menschen und alle Menschen im Vergleich zueinander reich zu rnachen, bis dass der gute Überfluss in die Hande des Herrn der Knechte gelangte«.
2. Dem oben angeführten Zitat geht im Sefer ‘ar ha-sechel eine Erörterung über die verschiedenen Grade der Propheten voraus, die an die Erläuterung des Isaak von Akko im Zusammenhang rnit der Parabel vorn grosszügigen König erinnert: » Denn die Stufe derjenigen, die nach Prophetie streben, ist höher als die derjenigen, die um Weisheit sich bemühen, und die Stufe der Propheten, die reden und Bücher schreiben, ist Höher als die derjenigen, die ihre ganze Ans trengungen auf die Prophetie richten, und die als Botschafter entsandt werden, überragen sie alle usw.« Diese beiden Vorstellungen tauchen auch in einem zu Ehren von R. Nathan geschriebenen Buch wieder auf.
3. Die Doppeldeutigkeit des Begriffs »medabber« (derjenige, der redet wie der, der antwortet) bei Abulafia wird von Isaak von Akko in den Worten wiedergegeben: » ihre Gestalt redet mit ihnen, und sie sagen, es sei der Heilige, gelobt sei Er, der mit ihnen redet.«
4. Die Auffassung von Moses als einem Mystiker, der von Zeit zu Zeit das mystische Leben aufgibt, um das Volk zu leiten, wird auch bei Abulafia angedeutet, der vom Mystiker spricht als dem, der vom Heiligen Namen zurückkehrt, um anderen zur Vollkommenheit zu verhelfen.
Schliesslich sollten wir noch eine Passage aus dem Sefer ‘ewen sappit des R. Elnathan ben Mosche Kalkisch anführen, einem byzantinischen Autor, der mit den Schriften Abulafias und den Mitgliedern seines Kreises wohl vertraut war: » Denn alles, was der Mensch im spirituellen Begreifen auffasst, beginnt im menschlichen Denken, und da der Mensch stets an existierende Dinge und deren Wesenheit denkt sowie an die Aktivitäten der oberen und niederen Welten und die göttliche Lenkung, die alles leitet und diese ganze Ordnung des Bestehenden bewahrt, das der Heilige, gelobt sei Er, angeordnet hat, richtet er alle seine Gedanken einzig auf diese Sache und halt alle Körperlichen und materiellen Angelegenheiten für attributiv und alle spirituellen für essentiell; und jeden Tag fügt er einem solchen Gedanken einen entsprechenden anderen hinzu, bis er durch ihre Vielzahl in einer grossen Ans ammlung ihr Produkt erzeugt, das Weisheit (chochma) heisst, und aus ihrer VielfaIt geht Verständnis (bina) hervor, aus der wiederum Wissen (da’at). Und all dies geschieht in der Kombination der heiligen Buchstaben von Wörtern und Sprachen der Reinheit, denn sie sind Werk zeuge aller Gedanken; dann werden aus diesen Kombinationen Gedanken von Chochma, Bina und des Intellekts hervorgebracht, und durch das viele Nachdenken über sie kommt er zum Verständnis alles Bestehenden, und dann erreicht er den erneuerten Geist, der die Frucht seines Intellekts ist und dessen Wurzel der wunderbare Gedanke bildet, und er wird von selbst reden; doch wird der Nachdenkende erkennen, dass es einen Beweger gibt, der ihn zum Denken und Sprechen, zum Leiten und zum Bücherschreiben motiviert, bis durch die starke Tätigkeit das Innere sich verkehrt, als wäre es das Äussere, das begriffen worden ist, und beide, der Begreifende und die Sache, die zu begreifen ist, sind eins und sind die intellektuelle Auffassungsgabe. ”
Wir haben es hier mit einer Beschreibung des Entwicklungsprozesses vom Stadium des intellektuellen Begreifens äusserlicher Dinge bis zu dem ihrer Verinnerlichung und Bestärkung in der menschlichen Seele zu tun. Mittels des Verfahrens der Buchstabenkombination können die inneren intellektuellen VorstelIungen in äusserliche verwandelt werden und den Eindruck bzw. die Erfahrung hervorrufen, dass die Motivation menschlicher Tätigkeiten ausserhalb des lndividuums liegt.

uit: M.Idel, Abraham Abulafia und die mystische Erfahrung, Frankfürt am Main 1994, 44-58, 92-120