
Tage in weiß
In diesen Tagen steh ich auf mit den Birken
und kämm mir das Weizenhaar aus der Stirn
vor einem Spiegel aus Eis.
Mit meinem Atem vermengt,
flockt die Milch.
So früh schäumt sie leicht.
Und wo ich die Scheibe behauch, erscheint,
von einem kindlichen Finger gemalt,
wieder dein Name: Unschuld!
Nach so langer Zeit.
In diesen Tagen schmerzt mich nicht,
daß ich vergessen kann
und mich erinnern muß.
Ich liebe. Bis zur Weißglut
lieb ich und danke mit englischen Grüßen.
Ich hab sie im Fluge erlernt.
In diesen Tagen denk ich des Albatros’,
mit dem ich mich auf-
und herüberschwang
in ein unbeschriebenes Land.
Am Horizont ahne ich,
glanzvoll im Untergang,
meinen fabelhaften Kontinent
dort drüben, der mich entließ
im Totenhemd.
Ich lebe und höre von fern seinen Schwanengesang!
Reklame
Wohin aber gehen wir
ohne sorge sei ohne sorge
wenn es dunkel und wenn es kalt wird
sei ohne sorge
aber
mit musik
was sollen wir tun
heiter und mit musik
und denken
heiter
angesichts eines Endes
mit musik
und wohin tragen wir
am besten
unsere Fragen und den Schauer aller Jahre
in die Traumwäscherei ohne sorge sei ohne sorge
was aber geschieht
am besten
wenn Totenstille
eintritt
Das Spiel ist aus
Mein lieber Bruder, wann bauen wir uns ein Floß
und fahren den Himmel hinunter?
Mein lieber Bruder; bald ist die Fracht zu groß
und wir gehen unter
Mein lieber Bruder; wir zeichnen aufs Papier,
viele Länder und Schienen.
Gib acht, vor den schwarzen Linien hier
fliegst du hoch mit den Minen.
Mein lieber Bruder, dann will ich an den Pfahl
gebunden sein und schreien.
Doch du reitest schon aus dem Totental
und wir fliehen zu zweien.
Wach im Zigeunerlager und wach im Wüstenzelt,
es rinnt uns der Sand aus den Haaren,
dein und mein Alter und das Alter der Welt
mißt man nicht mit den Jahren.
Laß dich von listigen Raben, von klebriger Spinnenhand
und der Feder im Strauch nicht betrügen,
iß und trink auch nicht im Schlaraffenland,
es schäumt Schein in den Pfannen und Krügen.
Nur wer an der goldenen Brücke für die Karfunkelfee
das Wort noch weiß, hat gewonnen.
Ich muß dir Sagen, es ist mit dem letzten Schnee
im Garten zerronnen.
Von vielen, vielen Steinen sind unsre Füße so wund.
Einer heilt. Mit dem wollen wir springen,
bis der Kinderkönig, mit dem Schlüssel zu seinem Reich im Mund,
uns holt, und wir werden Singen:
Es ist eine schöne Zeit, wenn der Dattelkern keimt!
Jeder, der fällt, hat Flügel.
Roter Fingerhut ist’s, der den Armen das Leichentuch säumt,
und dein Herzblatt sinkt auf mein Siegel.
Wir müssen schlafen gehn, Liebster, das Spiel ist aus.
Auf Zehenspitzen. Die weißen Hemden bauschen.
Vater und Mutter sagen, es geistert im Haus,
wenn wir den Atem tauschen.
Ingeborg Bachmann, aus: Anrufung des Grossen Bären, Werke Bd. 1, S. 82-83
lm Gewitter der Rosen
Wohin wir uns wenden im Gewitter der Rosen,
ist die Nacht von Dornen erhellt, und der Donner
des Laubs, das so leise war in den Büschen,
folgt uns jetzt auf dem Fuss.
Salz und Brot
Nun schickt der Wind die Schienenvoraus,
wir werden folgen in langsamen Zügen
und diese Inseln bewohnen,
Vertrauen gegen Vertrauen.
*
In die Hand meines ältesten Freunds leg ich
mein Amt zurück; es verwaltet der Regenmann
jetzt mein finsteres Haus und ergänzt
im Schuldbuch die Linien, die ich zog,
seit ich seltener blieb.
*
Du, im Fieberweißen Ornat,
holst die Verbannten ein und reißt
aus dem Fleisch der Kakteen einen Stachel
– das Zeichen der Ohnmacht,
dein wir uns willenlos beugen.*
*
Wir wissen,
dass wir des Kontinentes Gefangene bleiben
und seinen Kränkungen wieder verfallen,
und die Gezeiten der Wahrheit
werden nicht seltener sein.
*
Schläft doch im Felsen
der wenig erleuchtete Schädel,
die Kralle hängt in der Kralle
im dunklen Gestein, und verheilt
sind die Stigmen am Violett des Vulkans.
Von den großen Gewittern des Lichts
hat keines die Leben erreicht.
Abschied
Das Fleisch, das gut mit mir gealtert ist,
die pergamentene Hand, die meine frisch hielt,
sie soll auf dem weißen Schenkel liegen,
das Fleisch sich verjüngen, augenblicksweise,
damit hier rascher der Verfall vor sich geht,
Rasch sind die Linien gekommen, etwas gesunden,
schon alles über der straffen Muskulatur.
*
Nicht geliebt zu werden. Der Schmerz könnte größer
sein, Der befindet sich wohl, dessen Tür zufällt.
Aber das Fleisch, mit der Einbruchslinie am Knie,
die faltigen Hände, über Nacht gekommen alles,
das verwitterte Schulterblatt, auf dem kein Grün wächst,
Es hat einmal ein Gesicht geborgen gehalten.
Um hundert Jahre gealtert an einem Tag.
Das zutrauliche Tier ist unter dem Peitschenhieb
um die prästabilierte Harmonie gebracht
worden.
Ingeborg Bachmann: Ich weiß keine bessere Welt Unveröffentlichte Gedichte; Piper Verlag, München 2000
daß ich mir abgehe, daß ich abwärts
gehe, daß ich mich abgebe,
und schreie, weil die Irren nach
ihren Wärtern tasten suchen, wie
ich nach meinem Wärter
Un altra notte ancora senza vederlo
Daß keiner meiner Schmerzen
ihn bewegt
(der Himmel, nein vom
Himmel red ich nie,
also von ihm, da doch vom Himmel
nicht)
daß nichts und nichts und
alles ihn nie bewegt,
kein Sammelsurium von Schmerzen, Ersticken, Angst
ich hab ihn nie gerührt, herbeigerufen
nie,
ich war schon weiß, schon kalt,
ihn hat es nie gerührt,
ich war so weiß nicht, nie so kalt,
ich war immer bewegt,
immer so bewegt,
als könnt es ihn bewegen.
Und es gelang mir nie.
Jahre von Haut, mir abgezogen
und ich gesotten, [ge]braten und verbrannt
gefoltert, gemordet, [er]drosselt
und erwürgt, es hat ihn nie bewegt
Wahrlich
Für Anna Achmatova
Wem es ein Wort nie verschlagen hat,
und ich sage es euch,
wer bloß sich zu helfen weiß
und mit den Worten –
dem ist nicht zu helfen.
Über den kurzen Weg nicht
und nicht über den langen.
Einen einzigen Satz haltbar zu machen,
auszuhalten in dem Bimbam von Worten.
Es schreibt diesen Satz keiner,
der nicht unterschreibt.
Erklär mir, Liebe
Dein Hut lüftet sich leis, grüßt, schwebt im Wind,
dein unbedeckter Kopf hat’s Wolken angetan,
dein Herz hat anderswo zu tun,
dein Mund verleibt sich neue Sprachen ein,
das Zittergras im Land nimmt überhand,
Sternblumen bläst der Sommer an und aus,
von Flocken blind erhebst du dein Gesicht,
du lachst und weinst und gehst an dir zugrund,
was soll dir noch geschehen –
Erklär mir, Liebe!
*
Der Pfau, in feierlichem Staunen, schlägt sein Rad,
die Taube schlägt den Federkragen hoch,
vom Gurren überfüllt, dehnt sich die Luft,
der Entrich schreit, vom wilden Honig nimmt
das ganze Land, auch im gesetzten Park
hat jedes Beet ein goldner Staub umsäumt.
Der Fisch errötet, überholt den Schwarm
und stürzt durch Grotten ins Korallenbett.
Zur Silbersandmusik tanzt scheu der Skorpion.
Der Käfer riecht die Herrlichste von weit;
hätt ich nur seinen Sinn, ich fühlte auch,
daß Flügel unter ihrem Panzer schimmern,
und nähm den Weg zum fernen Erdbeerstrauch!
*
Erklär mir, Liebe!
Wasser weiß zu reden,
die Welle nimmt die Welle an der Hand,
im Weinberg schwillt die Traube, springt und fällt.
So arglos tritt die Schnecke aus dem Haus!
Ein Stein weiß einen andern zu erweichen!
*
Erklär mir, Liebe, was ich nicht erklären kann:
sollt ich die kurze schauerliche Zeit
nur mit Gedanken Umgang haben und allein
nichts Liebes kennen und nichts Liebes tun?
Muß einer denken? Wird er nicht vermißt?
Du sagst: es zählt ein andrer Geist auf ihn …
Erklär mir nichts. Ich seh den Salamander
durch jedes Feuer gehen.
Kein Schauer jagt ihn, und es schmerzt ihn nichts.
Die gestundete Zeit
Es kommen härtere Tage.
Die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.
Bald mußt du den Schuh schnüren
und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe.
Denn die Eingeweide der Fische
sind kalt geworden im Wind.
Ärmlich brennt das Licht der Lupinen.
Dein Blick spurt im Nebel:
die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.
Drüben versinkt dir die Geliebte im Sand,
er steigt um ihr wehendes Haar,
er fällt ihr ins Wort,
er befiehlt ihr zu schweigen,
er findet sie sterblich
und willig dem Abschied
nach jeder Umarmung.
Sieh dich nicht um.
Schnür deinen Schuh.
Jag die Hunde zurück.
Wirf die Fische ins Meer.
Lösch die Lupinen!
Es kommen härtere Tage.

Herbstmanöver
Ich sage nicht: das war gestern. Mit wertlosem
Sommergeld in den Taschen liegen wir wieder
auf der Spreu des Hohns, im Herbstmanöver der Zeit.
Und der Fluchtweg nach Süden kommt uns nicht,
wie den Vögeln, zustatten. Vorüber, am Abend,
ziehen Fischkutter und Gondeln, und manchmal
trifft mich ein Splitter traumsatten Marmors,
wo ich verwundbar bin, durch Schönheit, im Aug.
In den Zeitungen lese ich viel von der Kälte
und ihren Folgen, von Törichten und Toten,
von Vertriebenen, Mördern und Myriaden
von Eisschollen, aber wenig, was mir behagt.
Warum auch? Vor dem Bettler, der mittags kommt,
schlag ich die Tür zu, denn es ist Frieden
und man kann sich den Anblick ersparen, aber nicht
im Regen das freudlose Sterben der Blätter.
Laßt uns eine Reise tun! Laßt uns unter Zypressen
oder auch unter Palmen oder in den Orangenhainen
zu verbilligten Preisen Sonnenuntergänge sehen,
die nicht ihresgleichen haben! Laßt uns die
unbeantworteten Briefe an das Gestern vergessen!
Die Zeit tut Wunder. Kommt sie uns aber unrecht,
mit dem Pochen der Schuld: wir sind nicht zu Hause.
Im Keller des Herzens, schlaflos, finde ich mich wieder
auf der Spreu des Hohns, im Herbstmanöver der Zeit.
Die große Fracht
Die große Fracht des Sommers ist verladen,
das Sonnenschiff im Hafen liegt bereit,
wenn hinter dir die Möwe stürzt und schreit.
Die große Fracht des Sommers ist verladen.
Das Sonnenschiff im Hafen liegt bereit,
und auf die Lippen der Galionsfiguren
tritt unverhüllt das Lächeln der Lemuren.
Das Sonnenschiff im Hafen liegt bereit.
Wenn hinter dir die Möwe stürzt und schreit,
kommt aus dem Westen der Befehl zu sinken;
doch offnen Augs wirst du im Licht ertrinken,
wenn hinter dir die Möwe stürzt und schreit.
*
[Die Häfen waren geöffnet]
Die Häfen waren geöffnet. Wir schifften uns ein,
die Segel voraus, den Traum über Bord,
Stahl an den Knien und Lachen um unsere Haare,
denn unsere Ruder trafen ins Meer, schneller als Gott.
Unsere Ruder schlugen die Schaufeln Gottes und teilten
die Flut;
vorne war Tag, und hinten blieben die Nächte,
oben war unser Stern, und unten versanken die andern,
draußen verstummte der Sturm, und drinnen wuchs unsre
Faust.
Erst als ein Regen entbrannte, lauschten wir wieder;
Speere stürzten herab und Engel traten hervor,
hefteten schwärzere Augen in unsere schwarzen.
Vernichtet standen wir da. Unser Wappen flog auf:
Ein Kreuz im Blut und ein größeres Schiff überm Herzen.
Hôtel de la Paix
Die Rosenlast stürzt lautlos von den Wänden,
und durch den Teppich scheinen Grund und Boden.
Das Lichtherz bricht der Lampe.
Dunkel. Schritte.
Der Riegel hat sich vor den Tod geschoben.
Alle Tage
Der Krieg wird nicht mehr erklärt,
sondern fortgesetzt. Das Unerhörte
ist alltäglich geworden. Der Held
bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache
ist in die Feuerzonen gerückt.
Die Uniform des Tages ist die Geduld,
die Auszeichnung der armselige Stern
der Hoffnung über dem Herzen.
Er wird verliehen,
wenn nichts mehr geschieht,
wenn das Trommelfeuer verstummt,
wenn der Feind unsichtbar geworden ist
und der Schatten ewiger Rüstung
den Himmel bedeckt.
Er wird verliehen
für die Flucht von den Fahnen,
für die Tapferkeit vor dem Freund,
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse
und die Nichtachtung
jeglichen Befehls.

Curriculum Vitae
Lang ist die Nacht,
lang für den Mann,
der nicht sterben kann, lang
unter Straßenlaternen schwankt
sein nacktes Aug und sein Aug
schnapsatemblind, und Geruch
von nassem Fleisch unter seinen Nägeln
betäubt ihn nicht immer, o Gott,
lang ist die Nacht.
Mein Haar wird nicht weiß,
den ich kroch aus dem Schoß von Maschinen,
Rosenrot strich mir Teer auf die Stirn
und die Strähnen, man hatt’ ihr
die schneeweiße Schwester erwürgt. Aber ich,
der Häuptling, schritt durch die Stadt
von zehnmalhunderttausend Seelen, und mein Fuß
trat auf die Seelenasseln unterm Lederhimmel,
aus dem
zehnmalhunderttausend Friedenspfeifen
hingen, kalt. Engelsruhe
wünscht’ ich mir oft
und Jagdgründe, voll
vom ohnmächtigen Geschrei
meiner Freunde.
Mit gespreizten Beinen und Flügeln,
binsenweis stieg die Jugend
über mich, über Jauche, über Jasmin ging’s
in die riesigen Nächte mit dem Quadrat-
wurzelgeheimnis, es haucht die Sage
des Tods stündlich mein Fenster an,
Wolfsmilch gebt mir und schüttet
in meinen Rachen das Lachen
der Alten vor mir, wenn ich in Schlaf
fall über den Folianten,
in den beschämenden Traum,
daß ich nicht taug für Gedanken,
mit Troddeln spiel,
aus denen Schlangen fransen.
Auch unsere Mütter haben
von der Zukunft ihrer Männer geträumt,
sie haben sie mächtig gesehen,
revolutionär und einsam,
doch nach der Andacht im Garten
über das flammende Unkraut gebeugt,
Hand in Hand mit dem geschwätzigen
Kind ihrer Liebe. Mein trauriger Vater,
warum habt ihr damals geschwiegen
und nicht weitergedacht?
Verloren in den Feuerfontänen,
in einer Nacht neben einem Geschütz,
das nicht feuert, verdammt lang
ist die Nacht, unter dem Auswurf
des gelbsüchtigen Monds, seinem galligen
Licht, fegt in der Machttraumspur
über mich (das halt ich nicht ab)
der Schlitten mit der verbrämten
Geschichte hinweg.
Nicht das ich schlief: wach war ich,
zwischen Eisskeletten sucht’ ich den Weg,
kam heim, wand mir Efeu
um Arm und Bein und weißte
mit Sonnenresten die Ruinen.
Ich hielt die hohen Feiertage,
und erst wenn es gelobt war,
brach ich das Brot.
In einer großspurigen Zeit
muß man rasch von einem Licht
ins andre gehen, von einem Land
ins andre, unterm Regenbogen,
die Zirkelspitze im Herzen,
zum Radius genommen die Nacht.
Weit offen. Von den Bergen
sieht man Seen, in den Seen
Berge, und im Wolkengestühl
schaukeln die Glocken
der einen Welt. Wessen Welt
zu wissen, ist mir verboten.
An einem Freitag geschah’s
– ich fastete um mein Leben,
die Luft troff vom Saft der Zitronen
und die Gräte stak mir im Gaumen –
da löst’ ich aus dem entfalteten Fisch
einen Ring, der, ausgeworfen
bei meiner Geburt, in den Strom
der Nacht fiel und versank.
Ich warf ihn zurück in die Nacht.
O hätt ich nicht Todesfurcht!
Hätt ich das Wort,
(verfehlt ich’s nicht),
hätt ich nicht Disteln im Herz,
(schlüg ich die Sonne nicht aus),
hätt ich nicht Gier im Mund,
(tränk ich das wilde Wasser nicht),
schlüg ich die Wimper nicht auf,
(hätt ich die Schnur nicht gesehn).
Ziehn sie den Himmel fort?
Trüg mich die Erde nicht,
läg ich schon lange still,
läg ich schon lang,
wo die Nacht mich will,
eh sie die Nüstern bläht
und ihren Huf hebt
zu neuen Schlägen,
immer zum Schlag.
Immer die Nacht.
Und kein Tag.
Römisches Nachtbild
Wenn das Schaukelbrett die sieben Hügel
nach oben entführt, gleitet es auch,
von uns beschwert und umschlungen,
ins finstere Wasser,
taucht in den Flußschlamm, bis in unsrem Schoß
die Fische sich sammeln.
Ist die Reihe an uns,
stoßen wir ab.
Es sinken die Hügel,
wir steigen und teilen
jeden Fisch mit der Nacht.
Keiner springt ab.
So gewiß ist’s, daß nur die Liebe
und einer den andern erhöht.
Dunkles zu sagen
Wie Orpheus spiel ich
auf den Saiten des Lebens den Tod
und in die Schönheit der Erde
und deiner Augen, die den Himmel verwalten,
weiß ich nur Dunkles zu sagen.
*
Vergiß nicht, daß auch du, plötzlich,
an jenem Morgen, als dein Lager
noch naß war von Tau und die Nelke
an deinem Herzen schlief,
den dunklen Fluß sahst,
der an dir vorbeizog.
*
Die Saite des Schweigens
gespannt auf die Welle von Blut,
griff ich dein tönendes Herz.
Verwandelt ward deine Locke
ins Schattenhaar der Nacht,
der Finsternis schwarze Flocken
beschneiten dein Antlitz.
*
Und ich gehör dir nicht zu.
Beide klagen wir nun.
*
Aber wie Orpheus weiß ich
auf der Seite des Todes das Leben
und mir blaut
dein für immer geschlossenes Aug.

EXIL
Ein toter bin ich der wandelt
gemeldet nirgends mehr
unbekannt im Reich des Präfekten
überzählig in den goldenen Städten
und im grünenden Land
*
abgetan lange schon
und mit nichts bedacht
*
Nur mit Wind mit Zeit und mit Klang
*
der ich unter Menschen nicht leben kann
*
Ich mit der deutschen Sprache
dieser Wolke um mich
die ich halte als Haus
treibe durch alle Sprachen
*
O wie sie sich verfinstert
die dunklen die Regentöne
nur die wenigen fallen
*
In hellere Zonen trägt dann sie den Toten hinauf
Mirjam
Woher hast du dein dunkles Haar genommen,
den süßen Namen mit dem Mandelton?
Nicht weil du jung bist, glänzt du so von Morgen –
dein Land ist Morgen, tausend Jahre schon.
*
Versprich uns Jericho, weck auf den Psalter,
die Jordanquelle gib aus deiner Hand
und lass die Mörder überrascht versteinen
und einen Augenblick dein zweites Land!
*
An jede Steinbrust rühr und tu das Wunder,
dass auch den Stein die Träne überrinnt.
Und lass dich taufen mit dem heißen Wasser.
Bleib uns nur fremd, bis wir uns fremder sind.
*
Oft wird ein Schnee in deine Wiege fallen.
Unter den Kufen wird ein Eiston sein.
Doch wenn du tief schläfst, ist die Welt bezwungen.
Das rote Meer zieht seine Wasser ein!
Geh, Gedanke
Geh, Gedanke, solang ein zum Flug klares Wort
dein Flügel ist, dich aufhebt und dorthin geht,
wo die leichten Metalle sich wiegen,
wo die Luft schneidend ist
in einem neuen Verstand,
wo Waffen sprechen
von einziger Art.
Verficht uns dort!
*
Die Woge trug ein Treibholz hoch und sinkt.
Das Fieber riss dich an sich, lässt dich fallen.
Der Glaube hat nur einen Berg versetzt.
*
Lass stehn, was steht, geh, Gedanke !
*
von nichts andrem als unsrem Schmerz durchdrungen.
Entsprich uns ganz !
Strömung
So weit im Leben und so nah am Tod,
dass ich mit niemand darum rechten kann,
reiß ich mir von der Erde meinen Teil;
*
dem stillen Ozean stoß ich den grünen Keil
mitten ins Herz und schwemm mich selber an.
*
Zinnvögel steigen auf und Zimtgeruch!
Mit meinem Mörder Zeit bin ich allein.
In Rausch und Bläue puppen wir uns ein.
Ihr Worte
Für Nelly Sachs, die Freundin, die Dichterin, in Verehrung
Ihr Worte, auf, mir nach!
und sind wir auch schon weiter,
zu weit gegangen, geht’s noch einmal
weiter, zu keinem Ende geht’s.
*
Es hellt nicht auf.
*
Das Wort
wird doch nur
andre Worte nach sich ziehn,
Satz den Satz.
So möchte Welt,
endgültig,
sich aufdrängen,
schon gesagt sein.
Sagt sie nicht.
*
Worte, mir nach,
dass nicht endgültig wird
-nicht diese Wortbegier
und Spruch auf Widerspruch !
*
Lasst eine Weile jetzt
keins der Gefühle sprechen,
den Muskel Herz
sich anders üben.
*
Lasst, sag ich, lasst.
Ins höchste Ohr nicht,
nichts, sag ich, geflüstert,
zum Tod fall dir nichts ein,
lass, und mir nach, nicht mild
noch bitterlich,
nicht trostreich,
ohne Trost
bezeichnend nicht,
so auch nicht zeichenlos –
*
Und nur nicht dies: das Bild
im Staubgespinst, leeres Geroll
von Silben, Sterbenswörter.
*
Kein Sterbenswort,
ihr Worte!

Psalm
Be silent with me, as all bells are silent!
*
In the afterbirth of terror
the rabble grovels for new nourishment.
On Good Friday a hand hangs on display
in the firmament, two fingers missing,
and it cannot swear that all of it,
all of it didn’t happen, and nothing
ever will. It dives into red clouds,
whisks off the new murderers
and goes free.
*
Each night on this earth
open the windows, fold back the sheets
so that the invalid’s secret lies naked,
a sore full of sustenance, endless pain
for every taste.
*
Gloved butchers cease
the breath of the naked;
the moon in the doorway falls to earth;
let the shards lie, the handle….
*
All was prepared for the last rites.
(The sacrament cannot be completed.)
2
How vain it all is.
Roll into a city,
rise from the city’s dust,
take over a post
and diguise yourself
to avoid exposure
*
Fulfill the promises
before a tarnished mirror in the air,
before a shut door in the wind.
Untraveled are the paths on the steep slope of heaven.
3
O eyes, scorched by th Earth’s reservoir of sun,
weighted with the rain of all eyes,
and now absorbed, interwoven
by the tragic spiders
of the present…
4
In the hollow of my muteness
lay a word
and grow tall forests on both sides,
such that my mouth
lies wholly in shade.
Ingeborg Bachmann
translated by Peter Filkins
Songs from an Island
Shadow fruit is falling from the walls,
moonlight bathes the house in white, and the ash
of extinct craters is borne in by the sea wind.
*
In the embrace of handsome youths
the coasts are sleeping.
Your flesh remembers mine,
it was already inclined to me,
when the ships
loosened themselves from shore and the cross
of our mortal burden
kept watch in the rigging.
*
Now the execution sites are empty,
they search but cannot find us.
.
When you rise from the dead,
when I rise from the dead,
no stone will lie before the gate,
no boat will rest on the sea.
*
Tomorrow the casks will roll
toward Sunday waves,
we come on anointed
*
soles to the shore, wash
the grapes and stamp
the harvest into wine,
tomorrow, on the shore.
*
When you rise from the dead,
when I rise from the dead,
the hangman will hang at the gate,
the hammer will sink into the sea.
.
One day the feast must come!
Saint Anthony, you who have suffered,
Saint Leonard, you who have suffered,
Saint Vitus, you who have suffered.
*
Make way for our prayers, way for the worshippers,
room for music and joy!
We have learned simplicity,
we sing in the choir of cicadas,
we eat and drink,
the lean cats
rub against our table,
until evening mass begins
I hold your hand
with my eyes,
and a quiet, brave heart
sacrifices its wishes to you
*
Honey and nuts for the children,
teeming nets for the fishermen,
fertility for the gardens,
moon for the volcano, moon for the volcano!
Our sparks leapt over the borders,
above the night fireworks fanned their
tails, the procession
floats away on dark rafts and gives
time to the primeval world,
to the plodding lizards,
to the carnivorous plant,
to the feverish fish,
to the orgies of wind and the lust
of mountains where a pious
star loses its way, collides with their face
and dissolves into dust.
*
Stand firm, you foolish saints.
Tell the mainland the craters aren’t resting!
Saint Roch, you who have suffered,
oh you who have suffered, Saint Francis.
.
When someone departs he must throw his hat,
filled with the mussels he spent the summer
gathering, in the sea
and sail off with his hair in the wind,
he must hurl the table,
set for his love, in the sea,
he must pour the wine,
left in his glass, into the sea,
he must give his bread to the fish
and mix a drop of his blood with the sea,
he must drive his knife deep into the waves
and sink his shoes,
heart, anchor and cross,
and sail off with his hair in the wind.
Then he will return.
When?
Do not ask.
.
There is fire under the earth,
and the fire is pure.
*
There is fire under the earth
and molten rock.
*
There is a torrent under the earth,
it will stream into us.
*
There is a torrent under the earth.
it will scorch our bones.
*
A great fire is coming,
a torrent is coming over the earth.
*
We shall be witnesses.
Ingeborg Bachmann

Der langen Zeit
Birkenrinde
zwischen
dem Spiegel
von weisseis
Wind schmerzt
die Winterhaut
am Blatt
verdorrte Schritte
am Feuer
der Nacht
im Schnee
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