Am Anfang schuf Gott

Am Anfang…

DAS WORT GOTTES p. 166

Um das Gleichnis der Schöpfung, das uns das Kunstwerk bietet, hier weiter und damit die erste Reihe Grundbegriffe der Kunstlehre zu Ende zu verfolgen, müßten wir nun vorgreifen und Begriffe, die wir erst im nächsten Buch durchsichtig machen können, vorwegnehmen. Denn die Kunstlehre – und hier zeigt sich plötzlich wieder aufs deutlichste der Unterschied von der Sprachlehre in diesem Teil – ist ganz systematisch, nach dem Bilde eines Stammbaums. Gerade daraus erhellt, daß sie nicht Organon sein kann, daß sie gegenüber der Sprache hier Gesprochenes ist. Alle Weiterentwicklung eines einzelnen Begriffes – und nur das ist, als einzelnes Glied des Menschen, die Kunst – muß stammbaumartig geschehen können. Der Sprachlehre kann höchstens tabellarische Form gegeben werden; selbst diese Form bringt bloß nachträglich eine Ordnung hinein, die dem ursprünglichen Hervorgang der Kategorien nicht entspricht.

Denn dieser Hervorgang geschieht ganz ursprünglich, ganz unmittelbar identisch mit dem wirklichen Vorgang, den sie kategorisieren, hier also mit der Schöpfung. Bei den weiteren Vorgängen wird, der Eigenart des einzelnen Vorgangs entsprechend – wirklich ent-sprechend -, die Reihenfolge der Kategorien jedesmal ganz anders sein, obwohl jede Kategorie ihre Geschwister innerhalb der andern Vorgänge hat, – nur eben nicht an der gleichen Stelle. Die Tabelle ist also leicht herauszuziehen, aber nur indem man eine formelle Ordnung in den Stoff bringt, der eben hier nicht als Stoff einer eigenen untergeordneten Sprachwissenschaft auftritt, sondern als die ursprüngliche Symbolik der Wirklichkeit selber und deshalb in engster „Identitäts“-Fühlung mit dieser Wirklichkeit erscheint. Die Sprache ist kein eigener Inhalt hier, der nach einer inneren Systematik sich entwickeln müßte, sondern die Beschreibung des Welttageslaufs unsres Gestirns am Himmelsgewölbe der Weltzeit, Beschreibung also jener Bahn, deren Elemente uns in der algebraischen Symbolik entstanden.
Wir beschreiben die Bahn, die wir glauben, mit den Worten, denen wir vertrauen. Die Bahn zu glauben ist schwer, denn wir sehen nur jeweils den einzelnen Punkt, den wir erleben; aber die Sprache ist die wahrhaft „höhere“ Mathematik, die uns aus dem einzelnen Punkt des selbsterlebten Wunders den ganzen Bahnverlauf des geglaubten offenbart; und ihr zu vertrauen ist leicht, denn sie ist in uns und um uns, und keine andre, wie sie uns von „außen“ kommt, als wie sie aus unserm „Innen“ dem „Außen“ widertönt. Das Wort ist das gleiche wie es gehört und wie es gesprochen wird. Gottes Wege und des Menschen Wege sind verschieden, aber das Wort Gottes und das Wort des Menschen sind das gleiche. Was der Mensch in seinem Herzen als seine eigene Menschensprache vernimmt, ist das Wort, das aus Gottes Munde kommt. Das Wort der Schöpfung, das in uns tönt und aus uns redet, vom Stammwort an, das unmittelbar herauf aus der Stummheit des Urworts aufklingt, bis zur vollkommen vergegenständlichenden Erzählform der Vergangenheit, das ist alles auch das Wort, das Gott gesprochen hat und das wir geschrieben finden im Buch des Anfangs.

GRAMMATISCHE ANALYSE VON GENESIS 1 p.168

Es geht ein Satz durch das ganze Kapitel hindurch, das von dem Werk im Anfang berichtet. Ein sechsmal wiederkehrender Satz, nur ein einziges Wort lang, nur von einem Doppelpunkt eingeleitet. Der Satz heißt: „gut!“: es war und ist und wird – „gut“. In dieser göttlichen Bejahung des kreatürlichen Daseins besteht die Schöpfung. Dieses „gut!“ ist das laute Schlußwort jedes Schöpfungstages, weil es nichts andres ist als das stumme Urwort seines Anfangs. Was ist „gut“? Was bejaht dies sechsfache göttliche Ja? Das Tagewerk je eines Schöpfungstages. Das Ding nicht einfach als Ding, sondern als Werk, als gewirktes, das Dasein als Schon-Dasein. Das Dasein wird bejaht, indem Gott zu seinem eigenen Werk „gut“ sagt: er hat es gemacht; es ist gut. Er schuf – diese Erzählform geht durch das ganze Kapitel hindurch: er schuf, er sprach, er schied, er sah, und so fort. Vergangenheit und „Er“- Form, doppelte Gegenständlichkeit. Kein Subjekt außer dem einen immer gleichen göttlichen; und dies geht nicht, wie jedes andere Subjekt, als ein Besonderes in sein Prädikat als in ein Allgemeines ein, so daß das Prädikat dadurch subjektiviert, verpersönlicht, und also entgegenständlicht würde, sondern bleibt in reiner, unberührbarer Jenseitigkeit und entläßt das Prädikat frei aus sich zu ruhiger Gegenständlichkeit. Wenn zwei dasselbe tun, so ist es nicht dasselbe, aber wenn der Eine, der nur Einer sein kann, dasselbe tut, so ist es allemal dasselbe: das göttliche Subjekt ist das einzige, das sein Prädikat nicht persönlich färbt. Zur Sicherung dieser reinen Gegenständlichkeit des „er schuf“ darf der Schöpfer auch keinen Namen haben, er ist nur „Gott“ schlechthin. Gott schuf. Und die Welt, das Geschaffene? Es „ward“; auch dies Wort klingt immer wieder. Wie der Psalm es zusammenfaßt: „Er sprach und es ward“. Die Schöpfung, für Gott Gemachthaben, ist für die Welt Gewordensein. Was ward? das gleiche, was Gott schuf: die Dinge. Gott schuf den Himmel und die Erde. Die Substantive dieses Kapitels, da der Platz des aktiven Subjekts von Gott allein eingenommen wird, sind akkusativische, von Gott geschaffene Objekte, oder stehen als Gewordenes im passiven Nominativ.

„Der“ Himmel und „die“ Erde: die andern Substantive erscheinen mit dem unbestimmten Artikel, aber dieser erste Satz, der die Schöpfung im Ganzen vorwegnimmt – „im Anfang, als Gott den Himmel und die Erde schuf“, übersetzen alte jüdische Erklärer -, dieser erste Satz, wie er dem Schaffen vorweg die klare aktive Form der Vergangenheit und damit der Schöpfung ihre Wirklichkeit als Zeit gibt, verleiht auch dem Geschaffenen als Ganzem mit einem Schlage die ihm gebührende Form; die Bestimmtheit, die jedes einzelne Ding erst auf dem Umweg über seine durch den unbestimmten Artikel ausgesprochene Zugehörigkeit zur Gattung erwirbt, besitzt die Gesamtheit der Dinge – Himmel und Erde -, die ja keiner Gattung mehr untersteht, unmittelbar; der bestimmte Artikel gibt hier der Gegenständlichkeit der Dinge überhaupt die Raumform noch vor aller einzelnen Bestimmung; gleichwie auch das bestimmte persönliche allgemeine „er schuf“, durch das die Zeitform der Gegenständlichkeit des Geschehens überhaupt festgelegt wird, dem ersten „war“ vorangeht, während alles einzelne verpersönlichte Geschehen, alle einzelne Tat also, erst möglich wird durch die besondere Zeitbestimmung, die an die Tat erst herankommt auf dem Umweg über das reine Geschehen in seiner Verbindung mit der Kopula, also dem „war“ erst folgt. „Den“ Himmel und „die“ Erde – das Ganze der Schöpfung ist ihr einziges Einziges, das einzige, was seine Individualität nicht erst auf dem Umweg über die Vielheit bezieht, – die geschaffenen Dinge nachher erscheinen in der Vielzahl; selbst Dinge, die sich dem Menschen als so einzig in ihrer Art aufdrängen und sich zur Individualisierung als göttliche Personen gradezu anbieten, wie Sonne und Mond, werden hier zu „Lichtern“ und durch diese Rückführung ihrer Individualität auf eine plurale Gattung erbarmungslos und ohne Ansehn der Person in die Dingwelt der Schöpfung gebannt.

„Am Anfang, als Gott Himmel und Erde geschaffen, war die Erde wüst und leer und Finsternis über dem Abgrund und der Geist Gottes brütend über den Wassern“. Ein doppeltes „war“. Als wüste und leer, in adjektivischer Form, erscheint angeschlossen an die Kopula des Seins und Schon-vergangenseins, die hier im Urtext gegen den Sprachgebrauch als lautes Wort auftritt, die erste Aussage von der Dingwelt; adjektivisch überhaupt, eine Finsternis, in der noch alle Eigenschaften nur die eine graue Farbe des Wüst-und-Leeren zeigen, bis Gott sein „es werde Licht“ hineinruft; Licht, kein Ding, so wenig wie die Finsternis, sondern selber eine Eigenschaft, für die Erkenntnis das Gleiche wie für das Wollen das „Gut!“ – die schlechthin bejahende Bewertung; und nun „scheidet“ er den Wirrwarr der Eigenschaften, und als die Scheidung vollbracht und in der Sichtbarkeit der einzelnen Eigenschaften der Anfang der Schöpfung vollendet ist, da klingt zum ersten Mal das im Licht schon Sichtbargewordene als tönender Laut, als Wort, das „gut“.

Aber im gleichen Satz, wo also aus der ersten noch wüst und leeren Masse der Eigenschaften die geschaffenen Einzeldinge hervorsteigen, wird auch die erste
schaffende Einzeltat geboren: das Tatwort aus dem Geschehenswort in seiner adjektivischen Form als Partizip; der Anfang der göttlichen Schöpfungstaten ist, daß sein Geist „brütend“ ist; nicht „Gott“, obwohl schon das eine Entpersönlichung ist, sondern das noch unpersönlichere „Gottes Geist“, im Urtext eine noch stärkere Entpersönlichung, weil Gott als „Geist“ das Schleppgewand der Weiblichkeit trägt; und „brütend“ – die dumpfste aller Tätigkeiten, aus denen sich das innermenschliche Gleichnis der Schöpfung, die Neuschöpfung der Individuen in der Gattung, zusammensetzt, und überdies noch eine Tätigkeit des weiblichen Teils. Dort das Finster des Wüst-und-Leeren, hier die Dumpfheit des Brütens; Ding wie Tat, beide entspringen hier in der Form von Eigenschaften und zwar Eigenschaften, die ganz an der unteren Grenze stehen, wo Ding wie Tat je aus dem, was überhaupt noch nicht Ding und überhaupt noch nicht Tat ist, aufsteigen. Das also ist der Wortformenschatz der Schöpfung. Aber vergessen wir nicht vor lauter Worten das Wort.

Geschieht denn die Schöpfung nicht selber im Wort? „Sprach“ Gott nicht? Durften
wir dies sein Gesprochenhaben, wie wir es machten, einfach unter seinen Schöpfertaten mit in der Reihe aufzählen? Wir durften es nicht. Zwar die Schöpfung ist, am Anfang mindestens, innerlich breiter als die Offenbarung; viel ist in ihr, was noch lange nicht als Weissagung offenbar geworden ist; niemand weiß, wie lange es noch währen wird, bis einmal alles Geschaffene seinen Mund aufgetan hat und als Voraussage des Wunders vernehmlich wird. Nur ein erstes Leuchten der Offenbarung springt schon im ersten Augenblick der Schöpfung herauf oder wenigstens im zweiten; denn der erste Augenblick ist ja der des intransitiven „es war“, der dunkelstummen Eigenschaftlichkeit der Dinge wie der Tat; aber im zweiten Augenblick bricht nach dem Schöpfungswort der ganzen Schöpfung als erstes Tatwort in der Schöpfung hervor das „Gott sprach“. Und als erstes sichtbares, wenn auch noch stummes Eigenschaftswort in der Schöpfung das „Licht“. Und in dem Satz, den Gott spricht, erscheint zum ersten Mal unter aller Vergangenheit die Gegenwart, unter allen ruhenden Indikativen die Plötzlichkeit des Imperativs: „es werde“. Und dennoch diese Gegenwärtigkeit und diese Plötzlichkeit noch gebunden in die Es-Form des reinen Geschehens. Gott spricht, aber sein Wort ist noch als ob etwas in ihm spräche, nicht er selber. Sein Wort ist wie eine Weissagung seines künftigen Selbersprechens; aber er spricht noch nicht selber, noch nicht als Selbst. Wesenhaft lösen sich aus seinem Wesen, ein Es aus einem Es, die Worte der Schöpfung. Bis er zur letzten Schöpfertat den Mund öffnet und spricht: „Lasset uns einen Menschen machen“. „Lasset uns“ – zum ersten Mal ist der Bann der Objektivität gebrochen, zum ersten Mal ertönt aus dem einzigen Munde, der bisher in der Schöpfung redet, statt eines „es“ ein Ich, und mehr als ein Ich, mit dem Ich zugleich ein Du, ein Du welches das Ich zu sich selbst spricht: „Lasset“ „uns“. Ein Neues ist aufgegangen. Ein Neues? Ist es nicht der gleiche, der spricht, wie bisher? Und ist es nicht das gleiche, was er spricht, wie das was vorher von ihm erzählt wurde? ein aus dem Selbst persönlich hervorgehendes Machen, wie es doch auch in „er schuf“ und so fort behauptet wurde? Behauptet allerdings; aber wollte es bisher laut werden, so verhallte es zum „es“; nun bleibt es persönlich, nun spricht es „Ich“. Wirklich „Ich“? Hier stoßen wir an die Grenze, die uns mahnt, daß wir auch am sechsten Tag noch in der Schöpfung stehen, und noch nicht in der Offenbarung.

Gott sagt, solange er noch im Schaffen ist, nicht „Ich“, er sagt „Wir“, und ein absolutes, allumfassendes Wir, das kein Ich außer sich meint, der Plural der absoluten Majestät. Ein Ich, das das Du, wie gerade die deutsche Übersetzung sehr schön zeigt, unmittelbar in sich selbst hat, ein Ich, das nur mit sich selber redet und nur mit sich selbst reden kann. Also ein unpersönliches Ich, ein Ich, das noch in sich selber bleibt, das im Du nicht aus sich heraustritt, sich nicht offenbart, sondern wie der metaphysische Gott der Vorwelt nur in sich lebendig ist. Der Schöpfer offenbart sich in der Schöpfertat; das Schöpferwort, selbst das der letzten Schöpfung, ist kein ihn offenbarendes Wort des Offenbarers,
sondern schließlich auch nur eine schaffende Tat des Schöpfers. Und der Mensch, das letztgeschaffene unter den Geschöpfen? Lasset uns einen Menschen machen, – einen Menschen: der Eigenname Adam klingt im Urtext mit, es wird der erste Eigenname unter lauter Gattungsgeschöpfen, lauter Wesen, die nur geschaffen sind „nach ihrer Art“. Und wirklich „im Ebenbilde Gottes“ geschaffen – und also herausgehoben aus den anderen Geschöpfen und, ob mit oder ohne Eigennamen, belehnt mit dem, was der Schöpfer selbst den Himmelslichtern weigerte: Gottebenbildlichkeit, einer nicht durch die Allgemeinheit der Gattung vermittelten und keiner Vielheit bedürftigen Persönlichkeit, einem Selbst. Ein Neues ist aufgegangen. Aber auch mehr als Selbst – Seele? Dem Menschen ist der Hauch des Lebens eingehaucht; aber haucht er ihn denn auch aus? Spricht er? Er ist stumm geschaffen. Und abermals stoßen wir an die Wand, die das Vorzeichen vom Zeichen, die Weissagung von dem Wunder scheidet.

 

DIE WEISSAGUNG DES WUNDERS p.172
Aber Weissagung ist hier. Zum letzten Mal sieht Gott an, was er geschaffen. Und diesmal: siehe! – „sehr gut“. Das Stammwort der Schöpfung tritt aus sich heraus. Es bleibt Adjektiv, bleibt im Rahmen seines Wesens; aber es hört auf, die einfache, einzelne, unverglichene Eigenschaft zu bezeichnen; es steigert sich, es vergleicht. Innerhalb des allgemeinen, alles Einzelne auf seinem breiten Rücken tragenden Ja der Schöpfung scheidet sich ein Bezirk ab, der anders, der „sehr“ bejaht wird, anders also als alles andre, etwas in der Schöpfung, das doch über die Schöpfung hinausweist. Dies „sehr“, in der Schöpfung selbst eine Überschöpfung, im Irdischen ein Überirdisches verkündend, ein andres als das Leben, das doch zum Leben gehört und nur zum Leben, das mit dem Leben als sein Letztes geschaffen wurde und das doch über das Leben hinaus ihm erst Erfüllung ahnen läßt: das ist der Tod. Der geschaffene Tod des Geschöpfs ist das Vorzeichen auf die Offenbarung des übergeschöpflichen Lebens. Der Tod, jedem geschaffenen Ding ein rechter Vollender zu seiner ganzen Dinglichkeit, rückt unmerklich die Schöpfung ins Vergangene und macht sie so zur stillen, ständigen Voraussage des Wunders ihrer Erneuerung. Darum wird am sechsten Tag der Schöpfung nicht gesagt, daß es „gut“ war, sondern „siehe, gut gar sehr!“ „Gar sehr“, so lehren unsre Alten, gar sehr – das ist der Tod.

Rosenzweig, F., Der Stern der Erlösung (den Haag 1976) (Martinus Nijhof)

 

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