In Wereldoorlog Twee waren er Duitse dichters die ondanks de oorlog toch gedichten schreven over de vernietiging die plaatsavond en waartegen zij zich keerden. Ook nu worden weer steden soms met de grond gelijk gemaakt en woedt op veel plaatsen oorlog die niemand ontziet. Enkele gedichten van Karl Gerold en Stephan Hermlin worden hier gepresenteerd. Informatie over hen is via internet makkelijk op te zoeken.
Karl Gerold, Aus dunklen Jahren. 1939-1945, Stuttgart und Calw 1946, (Verlag Gerd Hatje)
VOM DUMPFEN TAG
Ein Vogelflug. Ein kleines Zeichen.
Gib, Herr, nur eine Wolke wind.
Auf steigt zu dir der Ruch der Leichen,
doch du stellst taub dich oder blind.
Wir hören nicht mehr deine Glocken.
Dumpf hat der Tag sich angespannt.
Im Tode noch zu Tode erschrocken,
verwesen wir von Rand zu Rand.
Was blauen, Her, noch deine Meere?
Uns frisst der Fisch, den keiner kennt.
Wir sinken tief, erstickt, ins Leere,
im Orient und Okzident.
Und deine Kirchen, Kathedralen,
die wir gebaut zu deiner Ruhm,
sie ragen steinern über Qualen,
und wir vergehn, dein Heiligtum.
Sind wir nicht deine Ebenbilder?
Formten wir dich nach unserm Sein?
Wir sind ja schlecht; doch manchmal milder
liegt auch auf uns ein bessrer Schein.
Der Tag ist lang, in dem wir sterben,
und mitleidlos steht still die Zeit.
Nur schneller wächst und das Verderben,
und du bist nicht — oder sehr weit.
Karl Gerold
KRIEGSAUSBRUCH
Nun ist die alte Angst ans Licht gestiegen,
sie ist ganz wirklich und ist gross.
Im Taglicht steht der Mord; wir liegen
gebannt in seinem schwarzem Schoss.
Und keine Schuld ist, darein wir nicht fielen:
Gemordete und Mörder ohne Mass.
Wir sind des blinden Untergangs Gespielen,
sind ohne Frucht, wie frühgemähtes Gras.
Im Taglicht steht der Tod und das Verderben.
Und ohne Gnade ist die Nacht, da jeder steht
blind vor des andern Qual und Sterben,
indes der Schrei in das Unendliche verweht.
1 September 1939
Karl Gerold

AUF DEN TOD EINER FREUNDIN
1943
Ich spür dein unruhvolles Wandern,
wie Stunde schwer um Stunde geht,
und wie sie fremd sind, all die andern,
und wie der Wind ums Haus her weht;
und wie so fern und immer weiter,
wo Menschenschreck nicht mehr bedrückt,
dein Tod als Freund kommt und Begleiter
und sanft dich fort entrückt —
Du gehst und lässt uns sehr verloren,
doch dürfen wir nicht mit dir gehn;
verstrickt in Streit, sind wir geboren,
dein Sterben zu bestehn.
Frau L’anger zum Gedächtnis der Nacht
vor der Deportation.
Karl Gerold
VERGÄNGLICHES BILD
Das ich trug in meiner Seele,
wirbelnd stürzt es in die Tiefe
und verweht wie Staub.
Ach, wohin sind all die Bilder?
Zeit, wie Wasser ging darüber,
wie der Wind durchs Laub.
Auch mein Bild wird so verrinnen,
wird vergehen in der Tiefe,
in der Zeit, wie Staub.
Karl Gerold

DIE AUGEN DES TlERES
In sich ruhend und beschlossen
bergen sie die Ewigkeit.
Seht, Jahrtausende verflossen,
und sie blieben in der Zeit.
In sich ruhend und beschlossen,
unergründlich tief und weit
liegt in ihnen alles Fühlen
und von allem eine Spur.
Unerreichbar, gleich den kühlen
Sternen schaut die Kreatur;
und von jenem, das sie fühlen,
ahnen wir ein wenig nur.
Ach, in Schmerzen und in Wehen stehn
wir täglich im Gericht!
Aber seht, die Tiere gehen
hin in ihrem gleichen Licht.
Und es schaut in ihrem Sehen
Gott uns selbst ins Angesicht.
Karl Gerold
IN VERSINKENDEN STÄDTEN
In diesen Städten, die versinken,
da Menschenhölle sich erbrach,
den bittern Sterbewein zu trinken
und atmen doch in solcher Schmach,
wir jedes Kind ein grosser Erbe,
der mit Gestorbenem beginnt,
und dem verderblich nach die herbe
Vergangenheit ins Leben rinnt …
Durch die gehäuften Trümmergassen
sehn sie Gestalten wankend gehn,
gelichte Bilder jäh verblassen,
im Nachtwind still vorüberwehn …
Karl Gerold
DUNKLE STADT
I
Nun ist verstummt
die grosse Stadt.
Das Dunkel hat
sie eingemummt.
Und keiner sieht
das Angesicht,
das an ihm dicht
vorüberzieht.
Wer Freund, wer feind,
wer wen bewacht,
wer küsst und lacht
und wer da weint,
weiss keiner mehr
in solcher Stadt,
die lichtlos, leer,
den Glanz verloren hat.
Karl Gerold
DUNKLE STADT
II
Nur manchmal hoen steht überm Haus
der Mond im weiten Meer der Nacht
und breitet seine Schleier aus,
dass neues Leben, wirr erwacht.
Dann glänzen weiss in diesem Licht
die Strassen; und im tiefen Strom
spiegelt die Stadt ihr Angesicht
mit Wohnhaus, Zuchthaus und dem Dom.
Doch was in solcher Nacht geschieht,
wo Traum auf Traum sich wieder drängt,
wo Liebe sich und Hass vollzieht,
weiss keiner, der darüber denk
Karl Gerold

DIE GRAUE GRUFT
I
Noch einen Blick vor dem Portal
zum Himmel hin, rund in die Welt,
dann bleiben mir drei Schritte schmal,
und, was ich bin, zerbricht, zerschellt.
Und nicht mehr ich, ein anderer jetzt,
ein Bündel Mensch, ein Bündel Tier,
lauscht, wo er liegt und steht, gehetzt
und spannt sich an heim Klang der Tür.
Der Schlüssel klirrt, der Wächter ruft.
In dumpfem Schrecke schleicht die Zeit.
Und diese Welt, die graue Gruft,
entlässt mich nicht in Ewigkeit.
II
Und niemals scheint die Sonne hier
Auch der Mond sieht nicht gütig mich an.
Ich wandre am Tag, ein gefangenes Tier,
und zur Nacht da scheinen die Wände so schier
und starren mich grauenvoll an.
Kein Ende zu sehn, kein heimliches Licht,,
wo Liebe dem. Einsamen winkt.
Mein Tag, der im Fenstergitter zerbricht,
versickert stumm, und ich fühle ihn nicht,’
bis er endlich im Dunkel versinkt.
III
So schlägt den langen Takt der Tag,
in dem die Stunde fühllos schreit
ins wehe Ohr metallnen Schlag,
bis stumpf im Raum erstirbt die Zeit.
Von Tränen innen ganz durchtränkt,
die stumm und heiss ins Herz geweint,
bin ich, dem wohl kein Leid geschenkt,
im Warten still und wie versteint.
Nur selten und im Traum der Nacht,
der irren Augs durchbricht die Pein,
die tags schmallippig bei mir wacht,
kann ich als Mensen ich selber sein.
IV
Da blüht manchmal an den Gestaden
der Kindheit auf ein mildes Licht,
opalner Mond hat eingeladen
zum Fest mit lächelndem Gesicht.
Die Taube’ flattert um das Reh.
Kein Jäger, der auf Leben zielt.
Ein kleines Kind, ein kleines Weh,
ein Brunnen, der im Winde spielt.
Und leise Worte, weiche Hand —
bis ich, vom Wächterschritt geweckt,
zum Mondstreif starre an der Wand
und bleibe, tief im Herz, erschreckt,
noch, lange wach und sehr gebannt
vom Gitter, das dei Zähne bleckt.
V
Und wieder Schlaf. Ein Schatten tritt
an meine dunkle Lagerstatt
und zeigt, was er in Händen hat,
und spricht: Steh auf und komme mit!
Doch was ich höre, ist kein Wort,
es ruft und weist aus leerer Luft;
und was ich rieche, ist kein Duft;
wonach ich greife, ist schon fort!
Im Mund die Zunge bitter schmeckt.
Ich trinke Zähren, rot wie Wein,
bin kalt und steif, weiss eingedeckt,
und fühle mich schon nicht mehr sein,
und bin wie tot — dann aufgeweckt:
O Lagerstatt. Ich bin allein
VI
Durch solche Nacht im Hallengang
stöhnt Seufzer hier und Weinen da.
Durch Dunkles wandelt wieder lang
ein jeder Schmerz, der hier geschah.
Es springt dich an und passt und sieht
im Schwarzen dich von Tür und Wand;
es öffnet leis ein Augenlid
und starrt in rot ovalem Brand.
Und durch die hallenden Gänge hin
laut das Hans, der Stein zum Schrei;
es heult an Gittern und Kamin,
bis träg der Morgen schleicht herbei.
VII
Und draussen Wald im ewigen Licht!
Die Wolken ziehen drüber hin,
und Sonne, Mond bescheinen ihn.
Doch wir in den Mauern sind ohne Gesicht.
Wir träumen vom Wald und weinen im Schlaf.
Wir stehen am im Gericht,
wir fühlen den Stab, der über uns bricht,
in der Schuld dieser Welt, die uns traf.
Und das Wissen von Weite und Wald drängt hinein
nur tief er ins Herz die endlose Qual;
so werden wir still und möchten doch schrein,
aber es schauen fühllos und fahl
die kalten Augen der Wächter herein
durch Schlitze gefährlich und schmal.
VIII
Wie Sonne schien und Regen fiel,
sah ich nur fern mit stumpfem Blick;
ich haderte mit dem Geschick
für mich allein und ohne Ziel.
So blind war ich vom eignen Gram!
Da stieg ein Stern in einer Nacht
am Fensterspalt, wo ich gewacht;
ich sah und beugte mich in Scham.
Ich fühlte über Gitters Rand,
so weit der Erde Wind wehn,
ein grosses schmerzensreiches Land!
Und hoch am Himmel sah ich stehn
des Jägers Bild, und hell im Brand
den treuen Sirius mit ihm gehn.
IX
So bin ich hier mit meinem Ruf
verloren unterm Sternenzelt.
Mir schweigt entgegen eine Welt,
die mich zum Leben rief und schuf.
Die eigene Stimme hör ich kaum,
wie sich die Stille um mich legt,
wie sich mein Mund nur noch bewegt
und stammelt in den leeren Raum.
Und so in Tiefen aufgewühlt
spür ich im Herz, das weiterschlägt,
dass irgendeiner mit mir fühlt,
ein Freund, der seine Bürde trägt,
an fremde Küste angespült,
sein Leid mit meinem Leid erwägt.
X
Lass mich dir Mund und Sprecher sein,
mein Bruder, so wie ich bewegt
im engen Raum vom harten Stein,
der sich als Fessel um uns legt.
Und fühle: Du bist nicht allein!
Du bist ein Pol, zu dem sich schlägt
weit über Meer und Einsamsein
die Brücke, welche Freundschaft trägt.
Und halte Herz und Geist dir rein,
mein Bruder, so wie ich erregt.
Es weicht das Eisen und der Stein
und auch die Zeit, die sich bewegt.
XI
Am Anfang war das grosse Beben,
die bleiche Angst im hellen Licht.
Nun dunkelt langsam ein das Leben,
wie Lust und Last in eins zerbricht.
So will ich mich dem Ende neigen,
da sich von selber schliesst der Ring,
und eingehn in das grosse Schweigen,
das vor dem Anfang mich umfing.
XII
Wird einmal sein
eine Stunde,
die ruft:
Du bist frei?
O bebender Mund,
lerne das Lächeln.
Wankender Fuss,
schreite voran.
Ihr brennenden Augen,
trinkt wieder
das fliessende Licht
und lernet zu schauen ‘
gütiger noch
das Wesen der irrenden Welt.
Karl Gerold
HYMNE AN DIE FREIHEIT
Tief lieg ich im Dunkel
meiner Zelle, welche die Welt ist.
Weit um mich her dehnt sich die Nacht.
Aber ich weiss um die Helle,
das Licht, das von dir kommt,
da ich dich denke, o Freiheit!
Wund bin ich von vieler Bedrängnis.
Ich höre die heimlichen Seufzer
und fühle die Schmerzen
derer, die geschlagen wurden um dich.
Wie die Regen fallen
auf die Stadt und die Fluren,
so schauern die Tränen
deiner Beleidigten
mir in das Herz.
Doch lebendig steigt auch,
wie der jährliche Saft in den Stämmen,
die oft so vergeblich gehegte
und trotzdem währende Hoffnung
derer, die leiden um dich.
Tief lieg ich im Dunkel.
Ich spreche beglückt deinen Namen.
Er umhüllt als ein Glanz von dir mich.
Und geblendet vom Fluss deines Leuchtens
ahne ich zitternd dein Antlitz,
das ich lobpreise und singe,
und beuge mich allein nur vor dir,
wie vor der Mutter ein Sohn.
Für E.v.S.
Karl Gerold
bron: Karl Gerold, Aus dunklen Jahren. 1939-1945, Stuttgart und Calw 1946, (Verlag Gerd Hatje)

Stephan Hermlin, Gedichte und Nachdichtungen, Berlin und Weimar 199O, (Aufbau Verlag)
Die Ebene
Auf einer Ebene mit einem Reif-Fluss geronnen,
Wo in die kalten Himmel Rauchfahnen ziehn,
Zwischen verharschten Äckern, starrenden Zonen,
Unablässig vom Krähenschwarm überschrien –
Dort erbauten wir heute im Traume die Städte,
Wälder aus Steinen und Fackeln im gelblichen Licht
Ewigen Nebels, wo in der Verrückten Gebete
Sich die Orgel oder Sirene mischt.
Unsere Stirnen schlugen an Pfeilern sich blutig,
Wo Gespenster mit Nietenhämmern gelacht,
Und ein schielendes Auge beglotzte uns. Glutig
Faulten Blendlichter in einem vergasten Schacht.
Tote Gesichter gaben unter Laternen
Fahl ihre Süchte und ihre Ängste preis.
Aus einem Loch im Nebel fiel von Sternen
Auf uns die Süsse des Irrsinns wie kosmisches Eis.
Tieren gleich brüllten aus Kneipen verflucht Grammophone.
In den Kasernenhöfen schlugen den Takt
Schüsse. Es warfen von Brückenbögen Spione
Sich ihrem Wild nach in der Stadt Katarakt.
Liessen wir uns nicht auch in die Wälder versetzen,
Wo unter Schlingpflanzen und dem zaubrischen Plug
Giftfarbner Kolibris Wahnsinn und Entsetzen
Uns aus verdrehten Pupillen entgegenschlug?
Oder dem Acker entblühten glückselige Inseln,
Und wir grüssten Tahitis tönenden Strand –
Doch wir flohen vor Seuchen, brüllendem Winseln,
Als sich Gauguins Madonna am Boden wand.
Darum liessen die nördlichen Meere wir strömen,
Brüllte die Brandung auf dem erschrockenen Feld.
Aber die Wasser wollten die Deiche hinunternehmen
Und die Leute und Masten von Minen gefällt.
Lang schon wollten wir die Legenden befragen,
Wo dem Märtyrer sich die Erlösung zeigt.
Volker trieben vorbei, wie vorm Pfluge sie lagen,
Flankenzitternd, die Stirn zum Boden geneigt.
Da beschlossen wir endlich, alles zu ändern,
Unseren Traum und unsre Wirklichkeit.
Für die Dörfer und Städte in allen Ländern
Hielten wir die leere Ebene bereit.
Aus unsern Händen begannen sich jählings zu leeren
Auf sich duckende Plätze und Straßen erstarrt
Bündel von Flinten und Maschinengewehren,
Und im Wind der Zukunft verstob eine Gegenwart.
Und nun fuhren wir, ein Sturm, in die Straßen,
Und unser Atem hat pfeifend die Nebel geteilt.
Mit den Augen deckten wir Dächer ab. Gassen
Rissen wir weg, über Hochhäusern angeseilt.
An jeder Ecke erschossen wir Hunger und Sterben,
Wahnsinn, Pest und Verrat. Wir reichten der zögernden Hand
Waffen und Bücher. Und gegen das Grosse Verderben
Schmiedeten wir wie beflügelt den Großen Verband.
Und so bauten aufs neue im Traum wir. Die Städte
Schritten wie Wälder aus Marmor und Licht um uns her.
Ungeheurer Gesang übertönte Gebete.
Glückliche Flotten befuhren gewaltig das Meer.
Auch bei den fernen Brüdern warn wir zu Gaste,
Weilten in leuchtenden Städten, wo Dschungel geraucht
Glühend noch gestern. Und selbst am weitesten Maste
Schlug das Banner des Lebens in Stürme getaucht.
Auf den dröhnenden Feldern der Sang der Traktoren.
Ebenen warteten riesig auf uns überall.
Und der mächtige Tag, im Osten geboren,
Flog aus unserer Hand wie ein feuriger Ball.
1940
Stephan Hermlin
Ballade von unserer Zeit
mit einem Aufruf an die Städte der Welt
Hört: unter uns hat sich eine seltsame Stimme erhoben.
Aus den verzweifelten Wäldern des Zwielichts, der
Einsamkeit,
Aus den verpesteten Wüsten, die freudlose Stürme
durchtoben,
Sagt eine ruhige Stimme beständig: Es ist an der Zeit!
Hört: unter uns hat sich eine seltsame Stimme erhoben!
Denn wir sind von jenem verfluchten Geschlecht, das
durchquerte
Unerschrocken auf Brücken von Leichen im Dschungel
den Fluss,
Das mit Blicken voller Gleichgültigkeit die durchspeerte
Brust einer jungen Mutter betrachtet und dessen Fuß
Niemals wankte, als auf Kadavern er Flüsse durchquerte.
Und unser Herz schlug weiter in den vergasten Städten.
Als von gespenstischen Dachgärten die Saxophone
geweint,
lächelten wir mit weißen Zähnen. Aus Lazaretten
Hörten wir die zermalmten Tiere: Freund oder Feind.
Und unser Herz schlug weiter in den vergasten Städten.
Hört den beleidigten Schwachen, ihr irdischen Richter,
Städte!
Wäre euere Stimme gleich einer Säule erwacht,
Als es Zeit war, in unserer Mitte, jählings – sie hätte
Uns den Vernichtern entrissen und ihrer tierischen Nacht.
Hört den beleidigten Schwachen, ihr irdischen Richter,
Städte!
Denn alle Türen stehn offen und hinter jeder der Mord
Mit spinnwebenen Händen und schwarzen Lippen, bereit,
Unsere Säuglinge zu zerschmettern am Pfosten, das Wort
Uns, den Schrei in die Gurgel zurückstoßen – und weit
Stehn alle Türen offen und hinter jeder der Mord.
Seht, unserer Frauen silberne Leiber sind überliefert
Wehrlos der Schände, die sie mit gelben Nageln
zerstückt,
Und unser holdestes Erbe von Geieraugen beziffert
Wird uns aus unseren furchtgeschlagenen Händen gerückt.
Schände ist unserer Frauen silberner Leib überliefert.
Und man lacht unserer Herzen hinter geöffneten Rippen
Mittags auf offenem Markt, wenn die schwarze Sonne
versteint
Unser finsteres Blut auf zuckenden staubigen Lippen,
Auf denen nicht das leiseste Schluchzen mehr weint,
Und man lacht unsrer Herzen hinter geöffneten Rippen.
Wie der Staub verweht würden wir sein und unsere
Taten…
Ganz vergeblich und um vergessen zu werden getan,
Wenn ihr nicht werdet, um was schon so lang wir euch
nahten,
Ungeheure! zu Städten, die Sturz und Auferstehn sahn.
Wie der Staub verweht würden wir sein und unsere
Taten …
Hier aus den rattenerfüllten Kellern, grässlichen Stollen
Brüll ich euch sterbend zu: Errettet uns aus der Haft!
Rettet uns aus dem sanften spitzflngrigen Griffe der
tollen
Folterer und vor des Wahnsinns süssem mohnfarbnen
Saft,
Hier in den rattenerfüllten Kellern und grässichen
Stollen!
Macht eure Plätze leer und erwartend und stellt das
Entsetzen
Riesig am Horizont auf und lasst einen lautlosen Sturm
Auf euern Schultern liegen – von rauschenden Bannern
verletzen,
Imaginären, schreienden, lasst euern mächtigsten Turm!
Macht eure Plätze leer und umstellt euch mit stummem
Entsetzen!
Denn seht dort eure Schwestern: der Feind peitscht ihre
Fassaden,
Doch die geöffneten Flanken spein Hass. So stehen sie
nackt.
Aus einem Wald von Fahnen wehen der Abschüsse
Schwaden,
Halten die fleischlosen Kiefer den Feind an der Kehle
gepackt –
So sind euere Schwestern: und peitscht auch der Feind die
Fassaden!
Darum erwarten wir euch: die Schatten vom
Städtegeschlechte.
So sind verschworen wir euerer Zukunft oder dem Fall
In die staubigen Gräber der Nacht. Doch unsere Rechte
Krönt euch mit Zuversicht. Und unsrer Stimme
ersterbender Hall
Sagt euch von der Erwartung der Schatten
vom Städtegeschlechte.
1942
Stephan Hermlin
Der Schmerz der Städte
Gross ist der großen Städte Schmerz! Ich rufs, gestehe –
Der schrecklich-weltverändernde! So ich ihn sehe,
Ruf gellend dreimal ich auf unsre Mörder Wehe!
Denn mit den Spitzen ihrer geilen Finger hatten
Sie unsern Baum entlaubt und abgetan den Schatten
Von ihm. Wie unsre Herzen in der Glut ermatten!
Seit damals qualmen blutig unsere Fontänen.
Der Hain liegt vergewaltigt. Am Gestade stöhnen
Die wilden Chöre blindgestochener Sirenen.
Sie lehrten unsre sanften Kinder mördrisch lachen,
Dass ferne bald schon ihre Augen brachen.
Im Lethe stahlbeschattet treibt ihr schwerer Nachen.
Sie zwangen geifernd unsre Frauen zu gebären,
Den Riesen Krieg, den augenlosen, zu ernähren.
Schon leckt die Fackel sinnlos an den vollen Ähren.
Sie hielten hundertfachen Tod in ihrer Hand,
Als sie uns in der Zwinger Fiebernacht verbannt.
Das war, weil wir die Stirn der Freiheit zugewandt.
Der Schlachtmaschine schwarze Achsen sind gefettet
Mit unsrer Söhne Knochenmark. Vom Wein gerötet
Die Hirnschal als Pokal (von einem, jüngst getötet …)
An einer Bucht, die nie, so scheints, den Wind gekannt,
Liegt eine tote Stadt, von Mauern rings umspannt.
Sie wird die Schädel-Stadt nur überall genannt.
O Tiberschatten, wo ich sommerlich erstaune,
Wann dröhnt dir rächend die befreiende Posaune,
Straft des Cäsarenaffen blutbespritzte Laune?
Du Königin des Aufstands! Unendlichem Leide
Anheimgegeben, Sklavin in des Siegs Geschmeide,
Madrid, der Armen Trost, du im Ruinenkleide …
Wo unbezähmbar Nacht nach Barrikaden ruft,
Starrt riesig aus Gewitterwolkenkluft
Des Delacroix Vision in tote Sommerluft.
Und was seit langem unveränderlich man nennt,
Erblassend mancher Herr den Proteus nun erkennt:
Der Themsenebel brennt! Es loht das Parlament!
Kadaver, vom Phantom der Rache nur belebt,
Von fahlem Säbelblitz der Horizont durchwebt:
Warschau, auf dessen Sarg der Überwinder bebt.
Auf armem Sand inmitten Seen und kühlem Tann
Liegt meine ferne Stadt, wo all das Leid begann.
Die Seen sind vertrocknet. Nur der Blutquell rann.
Dich, Stolze, nenn zuletzt ich, Liebste, unbekannt,
Doch nicht mit Namen, weil ich dich im Traum benannt
Mit schönstem Namen, dessen alle wir entbrannt.
Oft stand im Traum ich dort an Seiner Pyramide.
Es donnerte der Platz. Du, unter ehernem Lide
Sahst tränenlos das Kampfgefild. Warst niemals müde.
Reisse Gewitter rings um dich aus Horizonten!
Asphalt und braunes Land wirft in die unbesonnten
Monate sich. Schon brechen knirschend Herren-Fronten!
Dein Kampf ist herrlich wie der Mensch! Ich rufs,
gestehe –
Der mächtig-weltverändernde! So ich ihn sehe,
Ruf triumphierend ich auf unsre Mörder Wehe!
Bereit bin ich, dass ich für euch von hinnen fahre!
Ich bin nichts mehr vor euch im Blutmarsch dieser
Jahre!
Ich bin nichts mehr vor euch: nur Schrei noch und
Fanfare!
1942
Stephan Hermlin
Ballade vom Land
der ungesprochenen Worte
Entsinnst du dich, als die Flucht begann
Durch Geröll und Sand,
Wie wir die Sonne vergassen? – »Wann
Betraten wir jenes Land ?« –
Frage nicht, denn ich weiß nicht mehr,
Wann uns der Fluch befiel.
Nur: wir vergassen uns und das Heer
Der Sterne, der Herden Spiel.
Da traten wir ein ins seltsame Reich
Von dunklen Vögeln. Und dort
ist ewiger Nebel, ob Straße und Teich,
ist ewigen Weinens Ort.
Die Langweilewasser falln Tag und Nacht
Über feuchte Felsenwand,
Und bleicher Statuen weißer Blick
ist uns fremd und von je bekannt.
O wie ist die Wanderung weit
Auf spurenlosem Pfad!
Verlorenes Ziel, vergessene Zeit
Ohne Schnee und gelbe Mahd.
Nur die Stimme der dunklen Vögel manchmal
Der wir träumend gelauscht.
Unter der Wolken endlosem Zug
Sind wir verdammt und berauscht.
Ja berauscht sind wir von vergangenem Tag
Und verdammt zur Einsamkeit
Miteinander. Das Auge rückwärts gewandt
Sieht Lippen vergangener Zeit
(Wie aus Marmor) in unerhörtem Kuss
Vereint – jenes Meer jenen Baum,
Und auf der Zunge verdorrt uns das Wort,
Und die Gegenwart welkt vor dem Traum
Und wie wir uns im Entzücken gesehn,
Umarmten des Anderen Einst,
Verlorn wir uns lächelnd im Nebel. Doch ich
Wusste dass du weinst.
Und du wusstest ich weine. Doch gingen wir
Wie im Traum den gleichen Pfad,
Wir Hörten des Anderen Schritt. Doch taub
War die Frucht der Gebärden. Die Saat
Von Lippen und Augen verharscht verweht,
Ungeboren das drängende Wort.
So zogen weiter ins seltsame Land
Wir auf leerer Straße fort.
Und dies ist das Land, wo kein Wind mehr weht.
Du weißt: dort jenseits das Meer
ist voll von gescheiterten Schiffen. Der Lärm
Der Stille ist um dich her.
Die grausige Stille von Horizont
Zu Horizont. Und jeder Strauch
Fasst dich mit Dornen, und unbesonnt
Sind die Moore im Mittag auch.
An jedem Kreuzweg Frau Wahnsinn grüsst,
Die bleiche Bettlerin, dich,
Und wir wandern lächelnd im Traum – so vergess
Ich dich und du vergisst mich
1941
Stephan Hermlin

Die toten Städte
1
Hebt sich des Morgens Kühle
Über die träumende Welt,
ist auf der Hügel Gestühle
Wieder eine Sonne gestellt,
Geistert der Ruf der Hähne
Durchs Fenster um Bett und Spind,
Erwacht die Sirene
Mit dem Dämmerungswind.
Immer ist jetzt hinter Wänden
Stille von Flüstern zerstückt,
Werden uns von feindlichen Händen
Fremde Schatten vor die Füsse gerückt.
Ratten pfeifen in Höfen,
Vom Morgengraun überrascht.
Kranke schrein, die in den Öfen
Des Fiebers vom Irrsinn genascht.
Wie aus Tollhäusern Orgeln
Kämen, aus des Tods Bienenstock,
Auf das Geheiss der Erhabnen:
Tausende Vögel Rock.
In den Nachen der Betten
Flüstert Sindbad sich Tröstung zu.
In Kellern in hundert Städten
Spieln die Kindlein Blindekuh.
Und der Geschütze Bellen
Sagt von Ohnmacht und Tod.
In den Trommelfellen
Klopft des Nachbarn Herzensnot.
Plötzlich taumeln die Wände
Betrunken, des Todesweins Rest
Fallt auf kraftlose Hände,
Und die Luft ist aus Mündern gepresst.
Fledermausgleich sind die ersten
Flüche in die Keller gehängt,
In dieser Stunde. da bersten
Der Armen Zisternen. Bedrängt
Sind die Schwachen von Frage und Drohung
Von Entschlossenheit gestreift,
In der Unschuldigen Früchten
ist Bitternis schon gereift.
Senkt sich des Abends Kühle
Auf die traumsüchtige Welt,
ist auf der Hügel Gestühle
Wolkenschatten gestellt,
Geistert die Klage der Hähne
In der Fiebernden Ruh,
Fliegen die Ungebornen
Dem Asphodelenhain zu.
2
Reiche verfluchten Seelen
Deine zagende Hand,
Lass von ihnen erwählen
Dir ein künftiges Land.
Über Gebirge und Meere
Stürzen wir mit dem Wind,
Wo in versteinerter Leere
Brütend die Städte sind.
Zickzack gleich Fledermäusen
Falln wir in Straßen hinein:
Todes murmelnde Schleusen,
Träume von Blut und Wein.
Alles ist uns überlassen,
Krieg hat die Straßen geleert.
Wie vergessene Urwüsten Gassen
Verdorren, von Stille verzehrt.
Hinter geschwärzten Fassaden
Knirscht unser Schritt im Stein.
Und in den Trümmern baden
Tote im Abendschein.
Verlassen von Blumen und Tieren
Schlägt um uns das Meer
Des Schweigens. Und wir frieren
Und ängstigen uns sehr.
Sonnen, wohin vergangen
ist euer tönendes Rad?
Von der Schönheit umfangen
Apollinische Saat,
Flöten und marmorne Bilder,
Sterne im Abendbaum,
Lächelnde Mädchen, du milder,
Wohin starbst du, Traum?
Wieviel war uns verheissen!
Tage, Stunden zahllos –
Wildes Glück vor weißen
Segeln im Abendschoss,
Oder drunten die Dörfer
Unter dem sanften Rauch
Liebten wir zur Genüge?
Sah uns das Wartende auch
Immer im gleichen Empfangen? –
Ach, wir haben versäumt!
Oder die Hände, die bangen,
Hätten zu Fausten gebäumt
Unseren Feind geschlagen,
Der unser Erbe verzehrt,
Uns die Zukunft versagen
Will und mit Schmach beschwert.
Aber gemach ihr Herzen!
Schaut eure Hölle ganz,
Eurer kreissenden Schmerzen
Schreienden tobenden Tanz!
Denn ich geleit euch zu Stufen
Tief unter die Städte hin,
Unter der Mitternacht Rufen
Schaut Schläfer und Schläferin!
Dort in den lautlosen Hallen,
Von weißem Licht bespien,
In des Alpdrucks Krallen
Liegen Schläfer und Schläferin.
O kalter Schweiß in den Dünsten
Der Tunnel ölig erstarrt!
Ihr Schlafschreie wie in Brünsten
Aus schiefen Mäulern geknarrt!
Und sie pfeifen wie Ratten
In des Grauens Gespinst,
Zähne knirschen auf glatten
Granit, wenn du dich entsinnst,
Schlaf, vergangner Gestalten –
Weben von Lurch und Reptil,
Formloser Ängste Walten
Im Moor, bei des Irrlichts Spiel.
In die verhexten Gesänge
Schleicht manchmal kichernd und weiß
Das Phantom Sirene,
Hoho! Sie tanzt auf dem Gleis.
Und hundertfach antwortet Brüllen
Aus der Verdammten Hauf,
Und aus den dampfenden Hüllen
Fahrn die Verstörten auf.
Doch dann in den kalten Sälen
Haucht Todesschweigen hin,
Und einmal wieder zerquälen
Sich Schläfer und Schläferin,
Die Kindlein im Traume riechen
Der Morgendämmerung Mohn,
Sie zucken mit den siechen
Gliedern und sind entflohn …
Reich den verfluchten Seelen
Deine zagende Hand,
Lass von ihnen erwählen
Dir ein künftiges Land,
Über Gebirge und Meere
Stürze dich mit dem Wind,
Wo in versteinerter Leere
Die toten Städte sind.
1940-41
Stephan Hermlin
Ballade von den Geliebten
in den großen Städten
Schwört mit mir: nicht verlassen
Wollen wir uns und so gehn.
Nicht mehr können wir uns fassen,
Darum müssen wir verwehn.
In Großen Städten verhangen,
In der Erinnerung Schacht
Geborgen: so seid ihr gegangen
Wie der Rauch der Mitternacht.
Blonde Feuer, Augen ertrunken
In des Todes grüner See,
Eine Liebkosung versunken
Der ich kaum noch widersteh …
In den Wüsten gefangen
Und im Regen der Schlacht
Bin ich gewesen. Doch ihr seid gegangen
Wie der Rauch der Mitternacht.
Keiner kennt mehr das lautlose Zimmer.
Im Fenster stand der Jugend Turm.
Doch ich weiß mich immer
Versengt von deiner Küsse Sturm,
Verworfen von deiner Wangen
Ewiger Linie. Wer hat gemacht,
Dass wir uns verloren. Aber ich bin gegangen
Wie der Rauch der Mitternacht.
In unsern Strassen verbrannten
Fahnen imaginär.
Wie wir uns zum Meere fanden!
Wehte Musik? Ich weiß nicht mehr…
Die Worte, die uns misslangen,
Haben uns reich gemacht.
Und wir sind beide gegangen
Wie der Rauch der Mitternacht.
In gespenstischen Sälen
Weit im einsamsten Wind
Mussten wir uns lieben und quälen.
Und nun weint dein Kind
Allein – Immer werde ich bangen
Um dich. Als ich dann erwacht
Damals – warst du schon gegangen
Wie der Rauch der Mitternacht.
Fremde Stadt, fremde Worte, fremde
Voll von Gefahr, o Leidenschaft.
Fremde Himmel, weit überschwemmte,
Von der Drohung der Sterne gerafft,
Über unsern toten Lidern gefangen
Vernichtet. In eurer Macht …
Aber dann bin ich gegangen
Wie der Rauch der Mitternacht.
Schloss im mondenen Haine!
Die mich nicht anhielt,
Friert an einem Steine . ..
Wie wir uns erfühlt!
Keiner von uns hat empfangen,
Keiner hat gewacht .. .
Und du bist gegangen
Wie der Rauch der Mitternacht.
Wind in der Asche Spuren …
Wie unser Jubel stäubt!
Halten alle Uhren?
Wer hat uns betäubt?
Du, von mir umfangen,
Blonde Freude entfacht .
Doch du bist gegangen
Wie der Rauch der Mitternacht.
Gewässernacht unvergessen,
Dein Lied erinnert mich.
Unser Kuss ungemessen,
Unmessbar weitet sich:
Saat der Küsse, Verlangen,
Für immer uns gebracht.
Weh! dass ich so schnell gegangen
Wie der Rauch der Mitternacht.
Alle ihr, nun in meinen
Tiefsten Traum gesenkt.
In den Großen Städten euer Weinen
Hat meinen Schlaf bedrängt.
Ewig unser Bangen,
Ewig unsere Acht,
Auch dann noch, wenn .wir alle gegangen
Wie der Rauch der Mitternacht.
1941
Stephan Hermlin
Ballade vom Brüten der Städte
im Winter
Vor der bedeutenden Geste des Winters verhalten
Rühren sich Träume im schmerzlichen Acker der Zeit,
Und in den äschernen Furchen der Straßen entfalten
Vor jedem Morgen sich Ruhm und Trostlosigkeit.
O die Städte bedenken sich! Sind wir winterlich müde
Oder verdienen wir uns einen März in gemäßigter Glut?
Wir begruben die blicklosen Toten. Im strömenden Liede
Unsres erschütterten Horizonts haben Taten geruht.
Wie versinken wir unaussprechlich im murmelnden
Regen
Und in Betrachtung unsrer gelöschten Laternen im Wind
Und der letzten Grüsse banger Gebärden auf Wegen,
Die uns verworren und unbegreiflich nun sind!
Wenn aber aus der harten Stille der Knie
Und dem versiegelten Schoss uns Künftiges raunt –
Welche Möglichkeiten der Deutung! Lockende Mühe,
Wo aus dem dampfenden Felde Aprilblässe staunt.
Tragisch umwitterte Städte! Aus diesem Winter errettet
Keine Zukunft mehr völlig sie! Wieviel Unschuld
verging!
Doch sie fühlen sich mehr. In die Erinnerung bettet
Sich ein Gigant, der im Netze der Dämmerung sich fing.
Seine Schläfe ist ohne Erbarmen. Um seine Nüstern
Flackert vergeblich des Bienenflugs goldene Glut.
An seinem Lager wacht unser Traum und es flüstern
Lange gequälte Lippen von Rachen und Blut.
1942
Stephan Hermlin

Ballade
von der Königin Bitterkeit
Sprecht, ihr Stimmen, ich höre euch noch.
Stimmen der Bienen im Wald,
Stimme der Heide im Sonnenglast,
In der Ebenen Gewalt,
Glocken in Städten von Rot und Gold,
Ängste vorm Abendmeer,
Auf der Schwinge der Einsamkeit
Flogt ihr vor mir her.
Spracht ihr mir nicht von Seen bleich
Von dämonischen Nebeln umhaucht?
WiBt ihr noch von dem Park im Mond
Ins Imaginäre getaucht?
Ihr kennt noch die schutzlosen Brücken im Wind,
Von denen ich bebend floh.
O die Meere, die hinter den Wegen sind,
Warum blieb es nicht so …
Süsse Angst unterm Rätsel des Schwalbenschreis,
Der Terrassen trunkene Flucht.
Tausend Gesichter seit je gekannt,
Die meinen Blick gesucht.
Ihr toten Dichter, die ihr für mich spracht,
Ihr verliesst mich, doch ich euch nie.
Ich versank in der Bitterkeiten Meer,
Und ihr hörtet nicht, als ich schrie.
Denn noch immer geht die Sonne auf
Über den Buchten weit,
Und ihr Stimmen alle habt mich versucht
Und lieBt mich in Bitterkeit.
Und ich fühle immer fremder den Wind
Und die Ebenen fremd und kalt,
Und eh meine Jugend die Größe bezwang,
Fiel ich in des Alters Gewalt.
Die Kinder entlaufen der schwachen Hand,
Und die Schwalben verachten den Schnee,
Und das Gedicht ist nicht zu Gast
In Babel und Ninive.
Denn alle suchen die lodernde Glut
Von Schmerz und lebendiger Lust,
Doch dir sind die Wege des Sommers verharscht,
ist im Brand nur die Asche bewußt.
Sieh um dich: du bist nicht allein:
Der Poeten Brüderschaft
Liegt in stinkenden Gossen hingefegt,
Von toten Augen begafft.
Jenes Lächeln unterm Schatten des Blatts
Ins Unsterbliche hingespannt,
Hier findst dus geschminkt in der Rammer eng
Vor der spanischen Wand.
Dein Atem ward kurz, doch künd er den Ruhm
Der Königin Bitterkeit,
Die gewaltig die Lande des Jammers regiert
Auf dem blutroten Throne der Zeit.
Wenn nichts mehr blieb als die Bitterkeit,
Kann die abschiedsmüde Hand
Jäh sich ballen zur Faust. Und den Blick
Setzt der Hass in Brand.
Und mitleidlos in die Laden gelegt
Siehst Sonaten du und das Wort
Toter Dichter. Und aus des Abends Meer
Und Erinnerung gehst du fort
Ohne Tränen und ohne Gedächtnis hin
In die Horizonte der Zeit,
Durch die Lande des Jammers, die mächtig regiert
Die Königin Bitterkeit.
1942
Stephan Hermlin
Ballade
von einer sterbenden Stadt
Wer gleich uns auf den Plätzen des Hungers verkehrte
Und betört im Regen der Nacht süssen Ängsten sich gab,
Wem eine Dämmerung die Stirn unheilbar versehrte,
Wen der Zauber Merlins schlug am tönenden Grab,
Er verschweige sich und versuche mit uns zu erkennen
Den so schmerzlich vertrauten Gefährten im Schatten der Welt.
Können wir noch das erschütterte Antlitz benennen,
Das unsern Anfang und das Geheimste hält?
Kaum seh ich noch dein Gesicht
Durch diesen Vorhang von Stahl,
Aus den Ebenen fahl
Schwindet verdunkelt das Licht.
Unvergängliches Echo im Schatten der Brücken!
Unter den Lidern rollte die purpurne Flut,
Und jede neue Nacht wusste uns zu berücken,
In den Kanälen schmolz das gebändigte Blut.
Unsere Sinne haben für immer verschworen
Sich der Musik und fatalem Glanz des Asphalts,
Und in imaginären Kellern verloren
Kosteten wir verruchter Umarmungen Salz.
Kaum seh ich noch dein Gesicht
Durch diesen Vorhang von Stahl,
Aus den Ebenen fahl
Schwindet verdunkelt das Licht.
Als wenn unser Marsch noch die Straßen zerbräche,
Stossen Fassaden schreiende Fahnen hinaus.
Auf der Chöre und Losungen drohender Fläche
Sind wir jählings wie im Tode zu Haus.
Noch zersprengt Betrieb an Betrieb die Alleen,
Gellen Motorenpfeifen Zusammenstoss,
Wieder müssen im Rausch der Gefahr wir verwehen,
Lieben wir unser Leben und lassen es los.
Kaum seh ich noch dein Gesicht
Durch diesen Vorhang von Stahl,
Aus den Ebenen fahl
Schwindet verdunkelt das Licht.
Welkt denn wirklich dein Auge im Schutt der Tränen,
Bröckelt der sehnsuchtslose gehärtete Mund?
Ich errette dich! Auf meinen Stunden lehnen
Unvergängliche Erinnerungen: Und und
Und dieses Licht auf den Dächern! Und dieses Hallen:
Tausend Glocken über der dämmernden Stadt!
Und diese kühlen Himmel, grün und metallen,
Wolben sich über Mensch, Wasser, Stein, Blume und Blatt.
Kaum seh ich noch dein Gesicht
Durch diesen Vorhang von Stahl,
Aus den Ebenen fahl
Schwindet verdunkelt das Licht.
1943
Stephan Hermlin
Ballade von den Begegnungen
in den großen Städten
O verleugne dich nicht: ich habe dein Antlitz gesehen
Von dem schwarzen Vorhang der Städte umwallt:
Auf dem verwehten Gefilde stiessen sich schreiende Krähen
Todverführt an der Stirne getürmtem Basalt
O verleugne dich nicht: ich habe dein Antlitz gesehen!
Schutt der Gedanken Schreitender du im Strom der Gefühle
Sonnenbestürmt sich verzehrender Weiher o Herz!
Immer versucht von Musik: gefährlich wartende Kühle
Unaussprechliches Spiel von Quinte und Terz
Schutt der Gedanken Schreitender du im Strom der Gefühle
Was vermag ich gegen dich? Wenn die Steinherzige spulte
Ohne Erbarmen am Wechselgewässer der Zeit
Du steigst gewitternd und golden in meinen Traum in
Tumulte
Und hast mich wieder in Angst und Verpflichtung befreit
Wenn auch der unaufhaltsame Tag ins Vergessene lullte
O Aufgerissenheit! Nacht! Betäubender Schrei der
Trompeten!
Steigen und Fallen der Geister im erzenen Bau
Lasst uns noch einmal vergehen im Rausch der frühesten
Röten!
Lehnt an der Schulter der Sonne im starren Verhau!
O Aufgerissenheit! Nacht! Betäubender Schrei der
Trompeten!
Du auch bist nahe Verhängteste? Tropft von den Fingern dir
Schatten?
Weisest mich zu dir? Sagst mir: Ziehe die Bahn?
Zwischen unendlicher Kraft und ungeheurem Ermatten
Ruht nun im Zwielicht mein totenumsungener Kahn
Nahe bist du mir Verhängteste nahe dein liebender
Schatten
O Gegenwärtige Säumende du in gespenstischen Gärten!
Weh! Deine Augen flohn in ein fremdes Gesicht
Und dein sanftes Gebein das die trauernden Städte
verzehrten
Spült meiner tragischen Träume wolkige Gischt
O Gegenwärtige Säumende du in gespenstischen Gärten! …
Stephan Hermlin
Ballade vom Gefährten Ikarus
In memoriam A. L.
Rosen versteinerten grün im Schreien der Pfauen.
Durch die schwierigen Türen taute Musik.
Aus dem Zwielicht grüsste beginnendes Grauen
Vogelflüge, darin ich fahl mich verstieg.
Mass schon da deiner Wimper Unschuld Maschine,
Hebel, Gestänge im äschernen Hause der Nacht?
Zärtliches schmales Gespenst auf verdunkelter Bühne
Unsrer Verzweiflung das süss die Ängste bewacht.
Süss unsre Ängste, süss unsre letzte Verwaisung.
Hold war die See dir. Hold noch entblätterter Baum.
In deinen Brauen schmolz eine Sonne Vereisung,
Ruhte die Rache und schlief der bezauberte Raum.
Dämmer vor Nacht. O geruhsam tonende Flöte.
In der Gewitter farbig entflammtem Gesträuch
Wie schlief ich sanft in die unaussagbare Röte
Heidnischen Morgens, in der Stille Geräusch.
Ikarus! Wohin ist deine Stimme gegangen?
Wandert sie klagend in meines Bluts Labyrinth?
Als wir, von falschem Träume lügend umfangen
Endlich erwachten, weinte ferne ein Kind.
Strauchelnder Fuß stand bestürzt auf sterbenden Blüten,
Die gleich Niobes Tränen versehrte das Wachs.
Wird der Archipelagus dein Sterben behüten?
Küsst dich im klirrenden Fjord der weißzahnige Lachs?
Weißt du noch Ikarus . .. Aus dem verbrannten Getriebe
Ging unsre Scham, unser Schweigen in donnernde Flut.
Warum sagtest du mir nicht, dass ich dich liebe?
Wo verlangt nach mir nun dein beruhigtes Blut?
Ikarus! Warte auf uns! In entflammender Schwinge
Trugst du den Wind des Erinnerns in unser Gebiet!
Grüsse uns, Stürzender, aus dem entferntesten Ringe,
Hold unserm Auge, das aus den Ebenen flieht!
Ikarus! Warte auf uns! Im Gestirne zu heilen
Hebt uns die steuernde Hand, wo die Höhe befreit.
Feuriger Regen, in dem wir lächelnd verweilen
Auf dem erfüllten Gelände Unendlichkeit …
1944
Stephan Hermlin

Ballade von der Größeren Einsamkeit
Reichtum attischer Küsten
Blaue Türme der Nacht
Traumkathedralen und Büsten
Feld da kein Feuer mehr wacht: –
Euch hab ich hier berufen
Quellen der Einsamkeit
Euren magischen Stufen
Hält sich mein Schritt bereit
Dich will ich trunken ergründen
Dir war ich zugesellt
Sag mir von den Winden
In die kein Wald mehr fallt
Lass dich von mir begleiten
Weiße Gewährerin
In die verwunschenen Weiten
Wo ich verloren bin
In die besonnten Tage
Und die Ängste der Nacht
Fiel ich wie die Sage
Von dem der ewig wacht
Ahasver Auf den Halden
Knisterndes Eis und dann
In des Sommers Gewalten
Sprachen Dämonen mich an
Im Schlafatem der Weiler
Starr in Ginster getaucht
Von den Gesichten steiler
Kreidiger Hohen umhaucht
Unerreichbar auf Flüssen
Flog das bewimpelte Schiff
Und ich lag auf dem Kissen
Des Albes Im bösen Griff
Jener inneren Kälte
Die in den Mauern weint
Oder aus dem Gezelte
Brausende Heiden versteint
Die Spiegel in Zimmern hatten
Jeder ein andres Gesicht
Und im Häuserschatten
Verwarf mich das Grosse Gericht
O ihr besonderen Stunden
Regen vom Strauch gestreift
Dörfer in Senken verschwunden
Wie euch mein Blick begreift!
Und ihr Mädchen am Bache
Deren Lied ich besass
Einer verstummten Sprache
Dämmernder Niederlass: –
Euch alle hab ich gerufen
Quellen der Einsamkeit
Euern magischen Stufen
Hält sich mein Schritt bereit:
Und dort find ich die Halle
Den niegeklungnen Akkord
Seid ihr versammelt alle
Am unsagbaren Ort –
Weh ihr verborgenen Qualen
Du Grösster Einsamkeit
Im Schatten der Kathedralen
Liegt das Unglück bereit
Geliebte! Vor letztem Gewähren
Schliesst sich der bange Mund
Dein Boot fliegt in den Schären
Auf des Tods violettem Sund
Dort seid ihr gross vollendet:
Quellen stürzt in die See!
Wenn sich die Sonne wendet
ist Unglück in der Näh –
In der Kathedralen Schatten
Seid ihr gewaltig befreit
Und ich taumle auf den Matten
der Grösseren Einsamkeit
Stephan Hermlin
Ballade von dem Unbekannten von Gien
Im Jahre 194O, nach dem französischen Zusammenbruch, fand ein Flüchtling in einem verlassenen Bauernhof bei Gien auf dem Kehrichthaufen die Büste eines unbekannten Jünglings die nach dem Verfahren der Kopfjäger des Stromgebiets des Amazonas präpariert war. Das nach oben gewendete Antlitz tragt die unentstellten Züge schmerzlichster Schönheit.
Straßen der Furcht betrat ich Die feindlichen Schiffe
Hatten den Morgen mit eisernen Schwingen bedroht
Aus der charybdischen Brandung korallener Riffe
Ging ich hervor Wie erhob da der grössere Tod
Auf zu der Mutter der heiterspielenden Fische
Mich dem zur Nahrung sich gab nur der bläuliche Staub
Als mit den Armen ich sass dort am berstenden Tische
In den Hütten der Rache auf rostigem Laub
über mein Auge das einst die Nymphen bewohnten
Rinnt die gestaltlose Flut von den Uhren der Zeit
Lippen verdorren die gleich Aquädukten belohnten
Tauben mit der Parabel Erhabenheit
Rauchender Kehricht zwiespältig verteidigter Landes
O mein erloschenes Haupt vor des Feinds Katapult
Zeit ohne Horizonte O Gift ohne Spender
Traumlose Nacht und sandiger Hass ohne Schuld
Ich in der See der Verzweiflung gelassener Schwimmer
Lang überlieferter Lampen verratener Docht –
Ich entsinne mich! Runen der Wildgänse immer
Überflogen mich dort wo die Panzerschlacht kocht
Festlich treiben Ertrunkene unter den Brücken
Gruss den Geschwadern der Nacht! Unzerstörbarer Blick!
Blutiger Phönix aus den zerschmetterten Stücken
Unserer Städte und Standbilder kehr ich zurück
Nichts mehr erreicht meine Schläfen Wie sie mich umwerben
Mondbedrängten Endymion Ewig Narziss
Über den Spiegel der Nacht gebeugt Ohne Scherben
Dunkelt die Fläche die mich ins Schauen verstiess
Hand die mich meisselte Hand die mein Blut angehalten
Hand der kein Staff mehr genügt in der Werkstatt der
Welt
Hand die mich anfiel die meines Schmerzes Gestalten
Sinnreich und grauenvoll bannt aufs verlassene Feld –
Ich will dich grüssen aus dem Exil meiner Lider
Mal in den Wüsten Ruhender Anachoret
Von des Gefechtes Mühlen kehr ich allein wieder
Wenn deine Spur im grünen Saturnlicht vergeht
Letztes Wrack der gescheiterten Anabasen
Lauschend vor Dünen dem Triton mit gläsernem Horn
Harre Sebastian in der Durchbohrung Ekstasen
Furchtloser Herden und tönender Zeit ohne Zorn
1945
Stephan Hermlin
Manifest an die Besturmer
der Stadt Stalingrad
Weil diese Nacht so euer Haupt umlohte
Und der Vernichtung eure Stirn sich neigt,
Steig ich mit euch in eure tausend Tode
Und spreche aus, was eure Qual verschweigt:
Ich bin die Müdigkeit, das stumpfe Grauen,
Die Arabeske an der Häuserwand,
Aus meinen Augenhöhlen überschauen
Dämonen schrecklich das beherrschte Land.
Ich bin das Echo auf den weißen Treppen
Im Turme eures Haupts. Wie lang die Nacht …
Die Schatten eures müden Wahnsinns schleppen
Und wirren sich im Atem dieser Schlacht.
Wie alt seid ihr? Ich mache euch vergessen
Die Kindheit und das Haus, das ferne Lied.
Ihr ahnt verwirrt: mit neuem Mass gemessen
Wird in der Staub-Stadt, die euch an sich zieht.
Die falschen Führer hatten euch berufen,
Dass ihr die Neue Stadt in Asche werft.
Euch liess nicht zögern dieser holden Stufen
Erhabner Aufschwung. Euer Blick geschärft
Nur tötender Verwandlung trieb Maschinen
Durch Luft und Steppe auf die Bruderstadt.
Ihr atmetet im Kiemenschlag der Minen,
Und stürmend donnerte das Panzerrad.
Und eure Hand riss schrecklich die Gewänder
Von diesem Leib, der sich zum Kampf erhob.
Die Pest des Hasses atmeten die Länder,
In der das Leben euch wie Rauch verstob.
Erbarmungslos wächst ein Geschlecht aus Eisen
Aus Drachensaaten im verbrannten Feld:
Es wird mit Stahl und Dynamit beweisen,
Dass es die Zukunft in den Händen hält.
Nun ihr verfallen seid den Rächer-Städten,
Verröchelnd dort in Schutt, Beton und Draht,
Gemartert auf des Alpdrucks roten Betten –
Im Staub der Dämmrung bin ich euch genaht:
Ich habe euch geschreckt. Nun will ich sprechen.
Ihr schaut mich nackt. Seht rinnen diese Flut
Von Tränen unversiegbar! In den Bachen
Der Sonne läutert herrlich unser Blut
In unsagbarer Landschaft sich! Genossen,
Noch seid ihr Brüder mir! Noch ist ein Weg
Aus Tod und Schande strahlend uns erschlossen!
Zur Brücke weite sich der arme Steg
Dem Schritt der Überwindenden! Die Waffe
Richte sich, wie von selbst, gegen das Haupt
Der Quäler, Mörder, dass sich furchtbar räche
Das Unerhörte, eh der Wald belaubt!
Noch seid ihr Brüder mir. Aus einer Erde
Wuchs unsre Schuld und unser fernster Traum.
In toter Dichter Hut trag ich Beschwerde
Über des Volkes Schuld vor euch. Im Raum
Der alten Richter ruf ich euch beschwörend.
Wir warten! O ihr meine Bruder weit!
Aus Liebe, aus Verzweiflung wächst verzehrend
Die rote Sehnsucht: die Entschlossenheit.
Dezember 1942
Stephan Hermlin
bron: Stephan Hermlin, Gedichte und Nachdichtungen, Berlin und Weimar 199O, (Aufbau Verlag)
