Gertruda de Grote

Gertrude die Große, Gesandter der Göttlichen Liebe. Nach der Ausgabe der Benediktiner von Solesmes übersetzt von Johannes Weißbrot, Freiburg im Breisgau 2001, (Herder), Pag. 72-115

Inhalt des zweiten Buches (Aus Lansperg)

Dies zweite Buch hat die heilige Jungfrau Gertrud selbst geschrieben auf Antrieb Gottes, der ihren Geist in seiner Hand hatte. Es stellt in ihr jeder gottliebenden Seele eine Lehrerin und zugleich ein lebendiges Beispiel vor, wie sie innerlich dem Geiste nach leben, ihre Fehler und Unvollkommenheit anerkennen und vor Gott betrauern, sich selbst geringschätzen und van Tag zu Tag zu einem vollkommeneren Leben fortschreiten soll. Anderseits lehrt es Gott und seine Wohltaten preisen, dafür danken und alles Gute auf den Ursprung, woher es geflossen, zurückführen. Auch lernt man hierin, was die Seele, van Gott angezogen, denken, was sie Gott und sich selbst zuschreiben und welche Unterscheidung sie zwischen dem göttlichen und ihrem Geiste machen soll, um zu der Liebeseinigung mit Gott zu gelangen.

Vorbemerkung: Im neunten Jahre nach dem Empfange der Gnade1 – es war an einem Gründonnerstage -, während sie mit den übrigen Schwestern im Chore wartete, bis der Leib des Herrn einer Kranken gebracht wurde, empfing sie einen sehr heftigen Antrieb des Heiligen Geistes. Sie ergriff das Täfelchen an ihrer Seite und fing an, was sie im Herzen bei dem verborgenen Verkehr mit dem Geliebten empfand, eigenhändig in überwallendem Dank Gefühle und zur Verherrlichung Gottes mit folgenden Worten niederzuschreiben.


ERSTES KAPITEL

Wie der Herr sie zuerst heimgesucht, der Aufgang aus der Höhe

Der Abgrund der unerschaffenen Weisheit rufe dem Abgrunde2 der staunenswürdigen Allmacht zum Lobpreise der so  bewunderungswürdigen Güte, die im überwallenden Strome deiner Barmherzigkeit so tiefherabgeflossen ist in das Tal meines Elendes. Es war im sechsundzwanzigsten Jahre meines Lebens, am Montage vor dem Feste der Reinigung deiner allerreinsten Mutter, am 27. Januar, nach der Komplet beim Anfange der Dämmerung, als du, o Wahrheit, o Gott, heller denn jegliches Licht, aber tiefsinniger als jedes Geheimnis, weil du meine Finsternis zu verscheuchen beschlossen hattest, sanft und zart begannest, indem du einen Sturm beschwichtigtest, den du einen Monat vorher3 in meinem Herzen erregt hattest. Durch diesen Sturm, glaube ich, suchtest da niederzusturzen den Turm meiner Eitelkeit und Neugier, in den mein Stolz ausgewachsen war, obgleich ich, ach, nutzlos Namen und Kleid des Ordensstandes trug, um vielleicht so den Weg zu finden, auf dem du mir dein Heil zeigen könntest4.

Während ich also zu besagter Stunde inmitten unseres Schlafsaales stand und das Haupt, das ich zur ordensüblichen Ehrfurchtsbezeigung vor einer älteren mir begegnenden Schwester verneigt hatte, wieder erhob: da sah ich einen Jüngling mir zur Seite stehen, liebenswürdig und zart, von ungefähr 16 Jahren. Mit holdseligem Antlitze und sanften Worten sprach er zu mir: »Schnell wird kommen dein Heil5. Warum verzehrst du dich in Trauer? ist dir nicht ein Ratgeber zur Seite, da der Schmerz dich verändert hat?«6 Während er dies sagte, glaubte ich, obgleich ich wusste, dass ich körperlich am genannten Orte stand, dennoch in unserem Chore zu sein in der Ecke, wo ich mein lautes Gebet zu verrichten pflegte, und hörte dort folgende Worte: »Ich werde dich retten und befreien, fürchte nicht!«7 Sodann sah ich eine sanfte rechte Hand meine Rechte halten, als wollte sie dieses Versprechen bekräftigen. Und er fügte hinzu: »Mit meinen Feinden hast da Erde geleckt8 und Honig unter Dornen gekostet, kehre endlich zurück zu mir, und ich will dich aufnehmen und mit dem Strome meiner göttlichen Wonne berauschen.«9 Bei diesen Worten sah ich umblickend zwischen mir und ihm, nämlich zu seiner Rechten und mir zur Linken, einen unabsehbar langen Zaun, und obenüber war derselbe mit so dichten Dornen überzogen, dass nirgendwo sich mir ein Zugang öffnete, um zu dem Jünglinge zurückzukehren. Während ich nun so zaudernd und wie verschmachtend dastand, da ergriff er mich; erhob mich und stellte mich neben sich.

Weil ich aber in jener seiner Rechten die erhabenen Denkmale der Wunden, wodurch die Handschriften10 aller zunichte werden, erkannt habe, so lobe, preise, bete ich an und danke deiner weisen Barmherzigkeit und barmherzigen Weisheit.  Also suchtest du, mein Schöpfer und Erlöser, meinen harten Nacken deinem sanften Joche zu unterwerfen und hast meiner Krankheit den entsprechendsten und mildesten Trank bereitet. Denn von da an begann ich, durch neue geistige Fröhlichkeit erheitert, in dem Wohlgeruche deiner Salben einherzuschreite11, so dass auch ich dein Joch süss und deine Bürde leicht12 fand, während sie mir noch kurz vorher fast unerträglich erschienen war!


ZWEITES KAPITEL

Von der Erleuchtung des Herzens

Sei gegrüßt, o mein Heil und Licht meiner Seele!13 Dank sage dir, was des Himmels Umkreis14 und der Erdenring und des Abgrundes Tiefe15 umschließt, für jene seltene Gnade, durch die du meine Seele in die Erkenntnis und Betrachtung des Innersten meines Herzens eingeführt hast, wofür ich vormals so wenig Sorge trug wie, wenn man so sagen kann, für das Innere meiner Füße. Da aber gewahrte ich vieles in meinem Herzen, was dein allerreinstes Auge beleidigen musste, ja mein ganzes inneres Wesen sah ich so ungeordnet und ungeregelt, dass es für dich, der du in ihm wohnen wolltest, keine Statte darbot. Dennoch, o mein liebreichster Jesus, würdigtest da in jenen Tagen, in denen ich zu der lebenspendenden Nahrung deines Leibes und Blutes hinzutrat, mich häufiger deiner sichtbaren Gegenwart, wenngleich ich dich nicht deutlicher schaute als die Gegenstande in der Morgendämmerung. Durch diese huldvolle Herablassung hast du meine Seele angelockt, danach zu streben, dass sie dir inniger vereinigt wurde, dich klarer erkenne und dich freier genösse. Während ich nun beschloss, ernstlich zu ringen, am dies am Feste der Verkündigung Maria, wo du die menschliche Natur im Schoße der Jungfrau dir vermahlt hast, zu erreichen, da kamst du, der du sprichst: »Sieh, hier bin ich«16, bevor du noch angerufen wirst – du kamst jenem Tage zuvor, indem du mich Unwürdigste mit den Segnungen deiner Süßigkeit überraschtest. Es war an der Vigilie des genannten Festes, als das Kapitel wegen des Sonntags nach den Metten stattfand. 

Weil ich aber durch keine Worte zu schildern vermag, in welcher Weise du, o Aufgang aus der Hohe1 7, mit der herzlichsten Liebe und Süßigkeit mich damals heimgesucht hast, so gib mir, o Spender der Gaben, dass ich dir dafür das Opfer des Jubels auf dem Altare meines Herzens darbringe! Lag es mich auch erlangen, dass ich und alle deine Auserwählten deine süße Vereinigung und deine einigende Süßigkeit häufig erfahren! Denn im Hinblicke auf die Beschaffenheit meines Lebens bekenne ich in Wahrheit, dass es eine reine Gnade war, welche mir, der ganz Verdienstlosen, aus bloßer Huld gegeben wurde. Van da an beschenktest du mich mit einem viel helleren Lichte deiner Erkenntnis, infolge deren ich fortan mehr durch deine Liebe angelockt wurde, als die mir gebührende Strafe deiner Gerechtigkeit mich hatte bessern können.


DRITTES KAPITEL

Von der Lieblichkeit der Einwohnung des Herrn

Während da also an mir tätest und meine Seele also anlocktest, trat ich eines Tages – es war zwischen Ostern und Himmelfahrt des Herrn – vor der Prim in den Hof, setzte an den Weiher mich nieder und betrachtete die Lieblichkeit dieses Ortes, der mir überaus wohlgefiel. Denn durchsichtig hell floss das Wasser dahin, ringsum standen grünende Baume, Vogel und besonders Tauben flogen in Freiheit hin und her, und überaus erfreute mich die traute Ruhe des verborgenen Sitzes. Da, o mein Herr und Gott, du Strom unschätzbarer Wonnen18, der da, wie ich hoffe, den Anfang dieser Betrachtung eingegeben und auch das Ende derselben auf dich hingezogen hast, da flößtest du mir in den Sinn: Wenn ich den Fluss deiner Gnaden mit beständiger Dankbarkeit in dich, seinen Urquell, zurück ergösse; wenn ich durch gute Werke grünend und blühend in Weise der Baume wüchse; wenn ich in freiem Fluge gleich der Taube19 dem Himmlischen zustrebte und hierdurch, mit den Sinnen des Körpers vom Lärm der Außenwelt hinweggezogen, die ganze Seele mit dir allein beschäftigte: dann würde mein Herz dir eine liebliche Wohnstätte darbieten.

Während ich nun an jenem Tage meinen Geist in solche Gedanken versenkt hielt und am Abend vor dem Schlafe zum Gebete auf den Knien lag, da kamen mir plötzlich die Worte in den Sinn: »Wenn jemand mich liebt, der wird mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen«20 – und mein erdhaft Herz fühlte, dass du offenbar angekommen warst. O konnte ich doch, o konnte ich tausendmal das ganze Meer, in Blut verwuelt, durch meinen Geist leiten, damit wenigstens so ausgewaschen würde die Grube meiner Niedrigkeit, die da, o Endziel van unerforschlicher Hoheit, zur Wohnung auserwählt hast! Oder mochte es mir vergönnt werden, auch nur auf eine Stunde mein Herz mit glühenden Kohlen also zu läutern, dass es, van seinen ausgebrannten Schlacken rein, dir wenigstens keine allzu unwürdige Statte darböte! Denn von jener Stunde an hast da, mein Gott, dich mir bald milder, bald strenger gezeigt, je nachdem mein Leben vollkommener oder lässiger wurde. Zwar konnte, um die Wahrheit zu gestehen, sogar die sorgfältigste Besserung, zu der ich auf einen Augenblick gelangte, wenn sie selbst meine ganze Lebenszeit angedauert hatte, auch nicht den am wenigsten milden Erweis deiner Gnade mir verdienen, wie ich ihn jemals nach so vielfaltigen Vergehen und Fehlern empfangen habe. Deine allzu große Huld zeigt dich oftmals mehr betrübt als erzürnt durch meine Sünden. Hierdurch aber offenbarst du, wie mir deucht, eine größere Kraft der Geduld, als da du zur Zeit deines sterblichen Lebens deinen Verräter Judas liebreich duldetest.

Denn wie sehr ich auch mit meinem Geiste in den vergänglichen Dingen umherirrte und Freude suchend mich zerstreute, so habe ich dennoch, wenn ich zu meinem Herzen zurückkehrte, dich immer sogleich gefunden, von jener Stunde an bis jetzt, da seit dem Empfange dieser Gnade schon das neunte Jahr hinfließt. Ausgenommen hiervon waren einmal elf Tage vor dem Feste Johannes des Taufers, in denen ich deine Gegenwart nicht genoss, und zwar, wie ich glaube, infolge weltlicher Unterhaltung an einem Donnerstag; und dies wahrte bis zum Montag, der Vigilie Johannes’ des Taufers, unter der Messe Ne timeas, Zacharia – »Fürchte nicht, Zacharias« usw. Denn damals schaute deine Herablassung und Huld auf mich, die in schlimmer Torheit den Verlust eines solchen Schatzes nicht einmal merkte. Nicht erinnere ich mich, darüber geträllert oder auch nur ihn zurückgewünscht zu haben, weshalb ich jetzt staune über die Verblendung, die meinen Geist gefangen hielt. Vielleicht wolltest du mich an mir selbst erfahren lassen, was Bernardus sagt: »Wenn wir fliehen, so folgst du uns nach; wenden wir den Rücken, so kehrst da vor unser Angesicht zurück; ja da flehst und wirst verachtet; und dennoch kann keine Beschämung, keine  Geringschätzung dich davon gänzlich abbringen, übermüdet tätig zu sein, um uns zu dem hinzuziehen, was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat und was in keines Menschen Herz gekommen ist. « Und wie du zu Anfang ohne mein Verdienst, so hast du damals, da ich mehr als Mißverdienst hatte – denn Zurückfallen ist schlimmer als Fallen -, dich herabgelassen, die Freude deiner Gegenwart mir wieder zu schenken, und zwar andauernd bis zu dieser Stunde. Hierfür sei dir Lob und jene Danksagung dargebracht, welche, von der unerschaffenen Liebe hervorquellend, in einer jeder Kreatur unerfaßlichen Weise in dich selber zurückströmt!

Damit du aber dies Gut in mir bewahren mögest, opfere ich dir auf jenes erhabene, innige und wirksame Gebet, so du am Ölberge, von blutigem Angstschweiß übergossen, verrichtetest. Durch die Kraft dieses  vollkommensten Gebetes bitte ich dich, du wollest mich gänzlich in der Vereinigung mit dir vollenden und im Innersten an dich ziehen, damit ich jedesmal, so oft ich zum Heile des Nächsten äußeren Geschäften mich widmen mu6, nur zum Teil von ihnen in Anspruch genommen wurde und, nachdem ich sie auf die vollkommenste Weise zu deiner Ehre verrichtet habe, sogleich wieder ganz in mein Inneres zu dir zurückkehre, gleichwie der ungestüme Strom nach Entfernung des Hindernisses in die Tiefe stürzt. Mögest du auch meinen letzten Atemzug in deiner Umarmung mit so wirksamem Kusse empfahn, dass meine Seele ohne Verzug dort sich ßnde, wo du raumlos und unzerteilt, in Ewigkeit blühend, mit dem Vater und dem Heiligen Geiste lebst und regierst, wahrer Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.


VIERTES KAPITEL

Von den Wundmalen, die ihrem Herzen eingedruckt worden

Zur Zeit dieser Erstlingsgnade, im ersten, wie ich glaube, oder zweiten Jahre, in der Winterszeit, fand ich in einem Buche folgendes Gebet: »O Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, gib mir, mit ganzem Herzen, mit vollkommenem Verlangen und durstender Seele nach dir zu seufzen, nach dir, dem Süßesten und Lieblichsten, aufzuatmen und mit meinem ganzen inneren Wesen nach dir zu lechzen, der du die wahre Glückseligkeit bist. Schreibe, o barmherziger Herr, mit deinem kostbaren Blute deine Wunden in mein Herz, damit ich in ihnen deinen Schmerz wie deine Liebe lese, das Andenken an deine Wunden im Innersten meines Herzens beständig bleibe, das Mitleiden mit deinem Leiden in mir geweckt und deine Liebesglut in mir entzündet werde. Gib mir auch, dass alles Geschaffene mir gering und du allein in meinem Herzen mir süss werdest!« 

Dankend nahm ich dies Gebet auf und wiederholte es after. Und du, der du das Verlangen der Demütigen niemals verschmähest, warst bei diesem Gebete, am es wirksam zu machen. Denn kurze Zeit nachher saß ich nach der Vesper im Speisesaale an der Seite einer Person, der ich mein Geheimnis in diesen Dingen einigermaßen enthüllt hatte. Dies schalte ich hier zum Heile des Lesers ein, weil ich nämlich bei Gelegenheit einer derartigen Mitteilung sehr oft fühlte, dass die Andachtsglut sich mir vermehrte. Doch bin ich des nicht ganz gewiss, ob

dein Geist, o Herr und Gott, dies wirkte oder ein menschliches Gefühl, obgleich ich van jemand, der in diesen Dingen erfahren war, gehört habe, es sei immer nützlicher, solche Geheimnisse demjenigen zu offenbaren, der nicht bloss durch Liebe und Treue uns nahe, sondern auch im Range über uns steht. Entsprang aber jener Eifer aus menschlichem Gefühle, so ziemt es sich um so mehr, dass ich mich in den Abgrund der Dankbarkeit versenke, je herablassender du, mein Gott, das Gold deines unschätzbaren Wertes mit dem Staube meiner Niedrigkeit zu vereinigen geruhtest.

In der genannten Stunde also hatte ich die Empfindung, als seien jene Guter, um die ich in dem vorerwähnten Gebete lange gefleht hatte, mir Unwürdigsten von Gott erteilt worden. Denn ich erkannte durch den Geist, dass innerlich in meinem Herzen wie an körperlichen Stellen jene anbetungswürdigen Male deiner allerheiligsten Wunden waren eingedrückt worden, durch welche du die Wunden meiner Seele geheilt und mir den süßen Trank deiner Liebe dargereicht hast. 

Aber meine Unwürdigkeit fand den Abgrund deiner Liebe noch nicht erschöpft; vielmehr empfing ich aus ihr auch noch in anderes Geschenk. So oft ich nämlich an den einzelnen Tagen mir vornahm, mit den fünf Versen des Psalms »Preise, meine Seele, den Herrn … «21 die fünf eingedruckten Liebeszeichen zu begrüßen, blieb ich niemals ohne eine besondere Wohltat. Denn beim ersten Verse: »Preise, meine Seele … «, vermochte ich zu den Wunden deiner gebenedeiten Fuße allen Rost der Sunde und jede weltliche Freude niederzulegen; beim zweiten Verse:

»Preise und vergiss nicht … «, in dem Liebesbade, woraus Blut und Wasser für mich quoll, jeden Makel fleischlicher Ergötzung abzuwaschen beim dritten Verse:» Der sich erbarmt … «zu geistiger Ruhe bei der linken Wunde zur Rast zu eilen und in ihr wie eine Taube im Felsen zu nisten22; beim vierten Verse: »Der vom Untergange erlöst«, zur Rechten hinzutretend, alles, was mir an der Vollkommenheit der Tugenden fehlt, dort in Fülle für mich hinterlegt zu finden und vertrauensvoll mir anzueignen. Möge ich, hierdurch würdig geziert, den fünften Vers sprechen: »Der mit Gütern erfüllt… «, und so durch deine heißersehnte Gegenwart erfreut zu werden verdienen.

Ich gestehe, dass mir hiermit zugleich jenes Gut erteilt wurde, welches in dem Gebete erfleht wird, in den Wunden nämlich deinen Schmerz wie deine Liebe zu lesen. Aber ach! nur kurze Zeit währte dies; jedoch nicht du hast es mir entzogen, sondern ich habe es durch Undankbarkeit und Nachlässigkeit verloren. Trotzdem hat deine Barmherzigkeit und Liebe das erstere und größere Gnadengeschenk, nämlich die Eindrückung der Wundmale, mir ohne mein Verdienst bis auf die Gegenwart bewahrt. Hierfür sei dir Lob und Preis in Ewigkeit!


FUNFTES KAPITEL

Von der Liebeswunde

Sieben Jahre später, vor dem Advente, hatte ich auf deinen Antrieb, du Urheber alles Guten, jemand verpflichtet, täglich vor einem Kruzifixe für mich im Gebete folgende Worte einzuschalten: »Durch dein verwundet Herz, o liebreichster Herr, durchbohre ihr Herz so sehr mit den Geschossen deiner Liebe, dass es nichts Irdisches umfassen kann, sondern allein von der Kraft deiner Gottheit umfasst werde. « Durch dieses Gebet, wie ich vertraue, aufgefordert, hast du an dem Sonntage23, wo in der Messe gesungen wird: Gaudete in Domino24 – »Freuet euch im Herrn«, mir gerade beim Hintritte zum Sakramente das Verlangen eingegossen, welches mich zwang, folgende Worte vorzubringen: »Obwohl nicht würdig, auch nur das geringste deiner  Geschenke zu empfangen, flehe ich dennoch durch die Verdienste und das Verlangen aller Gegenwärtigen deine Erbarmung an, da mögest mein Herz mit dem Pfeile deiner Liebe durchbohren. « Sogleich empfand ich, dass die Kraft dieses Wortes deinem göttlichen Herzen nahe ging, sowohl durch die Eingießung der inneren Gnade als durch den Erweis eines offenbaren Zeichens an dem Bilde deiner Kreuzigung. 

Als ich nämlich nach dem Empfange des lebenspendenden Sakramentes zur Gebetsstätte zurückgekehrt war, kam es mir vor, als wenn aus der Wunde der rechten Seite des am Thronsessel gemalten Kruzifixes gleichsam ein Sonnenstrahl scharf wie ein Pfeil hervorginge, der, anfangs dem Scheine nach ausgedehnt, sich zusammenzog, dann wieder ausdehnte und so eine Weile lang meine Seele freundlich anlockte. Aber auch so war mein Verlangen noch nicht befriedigt, bis zu dem Mittwoch, wo nach der Messe van den Gläubigen das Andenken an deine anbetungswürdige Menschwerdung und Verkündigung begangen wird, worauf auch ich meine Aufmerksamkeit richtete. Und sieh! Da warst plötzlich zugegen, indem da meinem Herzen eine Wunde eindrucktest mit diesen Worten: »Hier fließe zusammen die Aufwallung aller deiner Gefühle. All deine  Ergötzung, Hoffnung, Freude, Schmerz, Frucht und die übrigen Affekte sollen gefestigt werden in meiner Liebe.«

Sogleich kam mir in den Sinn, was ich einmal gehört hatte, dass es für Wunden angewendet werden müsse, nämlich Bad, Salbe und Binde. Aber wie ich dies ausführen konnte, darüber hast du damals mich nicht vollkommen belehrt; vielmehr hast du später durch eine andere Person es mir deutlicher eröffnet, die, wie ich hoffe, ihre geistigen Ohren viel beharrlicher und zarter an die Einsprechungen deiner Liebe gewohnt hatte als leider ich. Diese nämlich gab den Rat, ich sollte in beständiger Andacht die Liebe deines am Kreuze hangenden Herzens verehren. Dann wurde ich aus der Flut der glühenden Liebe das Wasser der Andacht schöpfen zur Abwaschung jeglicher Beleidigung, aus der Flut der süßen Liebe die Salbe der Dankbarkeit gewinnen gegen jegliche Widerwärtigkeit, und die Kraft der starken Liebe wurde mir zur Binde der Rechtfertigung, um alle meine Gedanken, Worte und Werke auf dich hinzukehren und so dir unzertrennlich anzuhangen.

Was ich hierin schlecht gemacht habe, das ersetze die Kraft der Liebe, deren Fülle in dem wohnt, der zu deiner Rechten sitzend Bein von meinem Bein und Fleisch van meinem Fleisch2 5 geworden ist! Denn durch ihn opfere ich dir die Klage über alle meine Armseligkeiten auf, die mich drucken gegenüber dem Edelmute deiner göttlichen Gute, deren Gabe ich so nachlässig benutzt habe. Hattest da mir Unwürdigen einen Faden van Werg zum Andenken an dich gegeben, ich wurde ihn mit größerer Sorgfalt und Ehrfurcht behandelt haben. O mein Gott, dem mein Verborgenes bekannt ist26, du weißt, dass dies die Ursache ist, die mich gegen meinen Willen zwingt, dies niederzuschreiben, weil die Gewißheit, hierin keinen Fortschritt gemacht zu haben, mich nicht glauben lässt, diese Geschenke seien nur mir gegeben. Verleihe darum, o Spender der

Gaben, der da mir so unverdiente Geschenke erteilt hast, dem, der dies liest, dass wenigstens das Herz deines Freundes deshalb mit dir Mitleid habe, weil dein Eifer für die Seelen einen königlichen Edelstein so viele Stunden in der schlammigen Grube meines Herzens gehalten hat. Preisend und anbetend erhebe er deine Barmherzigkeit, mit Herz und Mund sprechend: »Dich, Gott, den ungezeugten Vater, aus dem alles ist, lobe ich; dir sei Ehre, Preis und Herrlichkeit!« Hier setzte sie aus mit Schreiben bis zum Oktober.


SECHSTES KAPITEL

Von einer erhabeneren Heimsuchung am Feste der Geburt

O unerreichbare Höhe27 der bewundernswürdigen Allmacht! O abgründliche Tiefe der unerforschlichen Weisheit! O unermessliche Weite der begehrenswerten Liebe! Wie mächtig schwollen die Strome deiner honigsüßen Gottheit, die über mich, das Würmchen von äußerster Niedrigkeit, das im Sande der Nachlässigkeiten und Gebrechen hinkriecht, so reichlich sich ergossen, dass ich selbst in der Fremde meiner Pilgerschaft nach meiner geringen Fassungskraft das Vorspiel jener beseligendsten Wonnen wiederzugeben vermag, durch die ein jeder, der Gott anhängt, mit ihm ein Geist wird!28

Es war in jener hochheiligen Nacht, in der vom süßschmelzenden Taue der Gottheit die Himmel durch das ganze Weltall hin honigträufend geworden, als ich, indem meine Seele, dem Felle (Gedeons)29 auf der Tenne gleich, vom Taue der Liebe befeuchtet war, durch Betrachtung und andächtige Übungen es wagte, hinzuzutreten und Dienst zu erweisen bei jener himmlisch erhabenen Geburt, durch welche die Jungfrau den wahren Gott und wahren Menschen als Kind gebar, wie das Gestirn den Strahl hervorbringt. Und sieh da! meine Seele erkannte, dass ein zartes, gleichsam zur Stunde geborenes Kindlein wie einen Augenblick lang ihr gezeigt und dargereicht und wie in einem Teile des Herzens aufgenommen wurde. Traun! In diesem Kindlein barg sich das Geschenk der höchsten Vollkommenheit und die wahrhaft beste aller Gaben. Kaum fühlte meine Seele es in sich, da schien sie plötzlich ganz umgewandelt zu sein in dieselbe Farbe mit ihm, wenn man Farbe nennen kann, was durch kein sichtbares Bild sich bezeichnen lässt. Hierdurch empfing sie ein unaussprechliches Verständnis jener süssstromenden Worte: »Gott wird alles in allem sein«30, da sie nämlich fühlte, wie sie den Geliebten, der ihr eingesenkt worden, umschließe, und der huldvollsten Gegenwart des holdseligsten Bräutigams sich erfreute. Darum trank sie mit unersättlicher Begierde aus dem van Gott ihr dargereichten Honigbecher folgende Worte: »Wie ich das Gleichbild des Wesens31 Gottes des Vaters in der Gottheit bin, so wirst du ein Bild meines Wesens seitens der Menschheit sein, indem du in deine Seele die Ergusse meiner Gottheit aufnimmst wie die Luft die Strahlen des Sonnenlichtes, damit du, van diesem einigenden Strahle innerlich durchdrungen, zur vertrauteren Vereinigung mit mir befähigt werdest.« 

O hochedler Balsam der Gottheit, allseits Bäche der Liebe ausströmend, grünend und blühend in Ewigkeit, aber am Ende der Zeiten überallhin ausgegossen! O wahrhaft unüberwindliche Starke der Rechten des Allerhöchsten32, dass ein so irdenes und durch eigene Schuld zur Unehre weggeworfenes Gefäß eine so kostbare Flüssigkeit bleibend in sich enthielt! O wahrhaft zuverlässigstes Zeugnis für die Fülle der göttlichen Liebe, dass sie von mir, die ich auf Abwegen der Sünden so weit verirrt war, nicht zurückwich, sondern die Süßigkeit jener beseligenden Vereinigung nach dem Masse meiner geringen Fassungskraft mir einflößte!


SIEBTES KAPITEL

Von einer vortrefflicheren Vereinigung ihrer Seele mit Gott

Es kam das Fest der hochheiligen Reinigung, an dem ich nach einer schweren Krankheit noch zu Bette lag und früh bei Tagesanbruch trällernd in mir klagte, dass ich deshalb der göttlichen Heimsuchung, durch die ich after an solchen Tagen war getröstet worden, entbehren mußte. Da empfing ich von der Vermittlerin des Mittlers zwischen Gott und den Menschen33 folgenden Trost: »Gleichwie du dich nicht erinnerst, einen heftigeren Schmerz in körperlicher Krankheit erduldet zu haben, ebenso wisse, dass du auch niemals ein edleres Geschenk von meinem Sohne empfangen hast, als dasjenige, das dir jetzt wird zuteil werden. Zu seinem würdigen Empfange hat die vorausgehende Krankheit des Körpers deinen Geist gekräftigt.« Als ich hierdurch erleichtert – es war gerade die Stunde zur Prozession gekommen – nach dem Genüsse der lebenspendenden Nahrung auf Gott und mich achtete, erkannte ich, dass, gleichwie das am Feuer erweichte Wachs dem Siegel zum Eindrücken nahe gebracht wird, also meine Seele der Brust des Herrn nahe war; und plötzlich schien es, als würde sie um ihn gelegt und zum Teil van jenem Schatzmeister eingezogen, in welchem leibhaftig wohnt die Fülle der Gottheit34 mit dem Gepräge der strahlenden und allzeit ruhenden Dreifaltigkeit. O mein Gott, du verzehrende Kohle35, bergend und entlokkend und eindrückend lebendige Glut! Während du so unauslöschlich bliebst, und auf dem feuchten und schlüpfrigen Grunde meiner Seele deine Feuerkraft wuchs, da trocknetest da in ihr zuerst die Feuchtigkeit weltlicher Ergötzung auf und hast nachher auch die Starrheit ihres Eigensinnes erweicht, worin sie eine Zeitlang so sehr verhärtet gewesen. O wahrhaft verzehrendes Feuer36, das seine Kraft also an den Fehlern ausübt, dass es die Stelle einer sanften Salbung in der Seele vertritt!

In dir und durchaus in keinem andern empfangen wir die Kraft, wodurch wir nach dem Bilde und der Ähnlichkeit37 unseres Ursprunges erneuert werden. O brennender Ofen, der das Erz38 in geläutertes, auserwähltes Gold umwandelt, wenn endlich die van den Täuschungen ermüdete Seele mit voller Sehnsucht nur nach den Gütern deiner Wahrheit begehrt!


ACHTES KAPITEL

Wie ihre Seele noch inniglicher in Gott hineingezogen wurde 

Hiernach am Sonntage Esto mihi39 hast du in der Messe mein Gemüt aufgeweckt und mein Verlangen zu jenen edleren Gütern, die du mir erteilen wolltest, besonders durch zwei Worte erweitert, beim Verse des ersten Responsoriums: »Loben und preisen will ich dich . .. «, und beim Verse des neunten Responsoriums: »Denn dir und deinem Samen will ich dieses Land geben.«40 Hiermit hast du, mit deiner ehrwürdigen Hand deine beseligendste Brust berührend, mir gezeigt, welches Land deine allumfassendste Freigebigkeit versprach. O seliges und mit Überfluss an Seligkeit beseligendes Land, O Flur der Wonnen, wovon das kleinste Kornlein dem Verlangen aller Auserwählten vollauf zu genügen vermag!

Während ich aber hieran dachte, wenn auch nicht, wie es sich geziemte, so doch wie ich konnte: sieh, da erschien die Gute und Menschenfreundlichkeit Gottes41, unseres Erlösers, nicht wegen der Werke der Gerechtigkeit, wodurch ich Unwürdige dies hatte verdienen können, sondern nach ihrer unaussprechlichen Erbarmung, indem sie durch Wiedergeburt und Annahme an Kindes statt mich befähigte, zu jener verehrungs- und anbetungswürdigen, himmlisch hehren und unschätzbaren Vereinigung mit dir zu gelangen. 

Aber durch welches Verdienst meinerseits oder nach welchem Urteile deinerseits hat die Liebe, die der Würde vergisst, aber reich ist an Erbarmen, dich, o mein süßester Gott, bewogen, dass du so Ungleichartiges vereinigtest? Oder vielmehr die dir eingeborne und gleichwesentliche Güte, innerlich durchdrungen von der Süßigkeit der Liebe, womit da nicht bloß 

liebst, sondern auch ganz Liebe bist, und deren naturgemäße Wirkung du auf das Heil des ganzen Menschengeschlechtes hingekehrt hast, sie hat dich überredet, das am tiefsten stehende Menschenkind zur Gemeinschaft der königlichen, ja göttlichen Hoheit zu berufen, damit hierdurch jeder in der Kirche stehende Mensch ein um so größeres Vertrauen gewinne. Dies hoffe und wünsche ich von jedem Christen wegen der Ehrfurcht, die meinem Herrn gebührt, dass niemand gefunden werde, der die Geschenke Gottes schlechter verwendet und dem Nächsten mehr Ärgernis gegeben hat als ich.

Weil aber das Unsichtbare an Gott durch die erschaffenen Dinge42 zum Verständnis nach außen ausgedrückt werden kann, wie ich oben erwähnte, so erschien der Herr in jenem Teile seiner gebenedeiten Brust, in welchem er am Feste der Reinigung meine Seele wie am Feuer erweichtes Wachs aufgenommen hatte, gleichsam rinnend von mächtig hervorbrechenden Schweißtropfen, als wäre jenes Wachs in solcher Zerschmelzung flüssig geworden. Diese Tropfen jedoch nahm jene göttliche Schatzkammer mit wunderbarer Kraft in sich auf. 

O ewiger Sonnenstillstand, o sichere Wohnung, O Statte, die alle Wonnen umschließt, o Paradies beständiger Freuden, wo ein Strom unschätzbarer Genüsse dahinrinnt, ein blutenduftiger Frühling durch jegliche Lieblichkeit anlockt, eine süßtönende Melodie geistiger Musik sanft und schmelzend ergreift, eine wohlduftatmende Luft durch lebenspendenden Würzgeruch erquickt! O selig, dreimal selig, und wenn es erlaubt ist zu sagen, o hundertmal heilig derjenige, der unter Führung der Gnade mit unschuldigen Händen und reinem Herzen43 und geläuterten Lippen44 dorthin nahe zu treten verdient! O was sieht, hört, riecht, kostet, empfindet er! Doch was versucht meine Zunge hiervon zu stammeln? Denn wurde ich auch durch die Gunst der göttlichen Güte zugelassen, so vermochte ich, weil ich van den eigenen Fehlern oder Nachlässigkeiten wie mit einem dichten Felle überzogen bin, dennoch nichts der Wahrheit Ähnliches zu erfassen. Wurde selbst alle Kraft der Engel und der Menschen zu einer Wissenschaft vereinigt, auch sie vermochte nicht einmal ein einziges Wort zu bilden, das an jene  alles überragende Hoheit und Erhabenheit hinanreichte.


NEUNTES KAPITEL

Van der unauflöslichen Vereinigung ihrer Seele mit Gott

Nicht lange hiernach – es war in der Fastenzeit -, als ich abermals wegen schwerer Krankheit das Bett hüten mußte und allein dalag, da war der Herr mir zugegen, das prophetische Wort bewährend: »Ich bin bei ihm in der Trübsal.«45 Denn er ließ aus der linken Seite wie aus dem Innersten seines gebenedeiten Herzens einen Strom von kristallheller Reinheit und zugleich van großer Starke hervorfließen, welcher fortströmend seine verehrungswürdige Brust in Weise einer Halskette bedeckte und durchsichtig erschien in goldener und roter Farbe, die abwechselnd unter sich gemischt waren. Hierbei sprach der Herr: »Die Krankheit heiligt deine Seele darin: So oft da um meinetwillen in Gedanken, Worten oder Handlungen andern Hilfe bringst, wirst du niemals weiter von mir hinwegschreiten, als dir in diesem Strom gezeigt wurde. Und so wie jene goldene und rosenrote Farbe durch die kristallhelle Reinheit erglänzt, so werden die Tätigkeit meiner goldenen Gottheit und die vollkommene Geduld meiner rosenfarbenen Menschheit durch jede deiner Absichten wohlgefällig hervorleuchten.«

O Wurde jenes geringsten Stäubchens, das der vorzüglichste Juwel des himmlischen Adels aus dem Straßenstaube aufliest, um es sich anzusetzen! O Erhabenheit jenes winzigen Blümchens, das der  Sonnenstrahl selbst aus sumpfigem Orte an sich zieht, damit es gleichsam mitleuchte! O Seligkeit jener glücklichen und gebenedeiten Seele, die der Herr der Majestät so hoch schätzt, dass er sie, obgleich er allmächtig im Schaffen ist, dennoch als Seele erschuf, als Seele sage ich, die, wenn sie auch mit seinem Bilde und Gleichnis geschmückt ist, dennoch so weit von ihm absteht wie das Geschöpf von dem Schöpfer! Und darum tausendmal selig jene Seele, der es gegeben wird, in solchem Stande zu verharren, zu dem ich leider, wie ich fürchte, niemals auch nur einen Augenblick gelangt bin; aber ich wünsche sehnlichst, die göttliche Güte möge mir irgendein Gnadengeschenk, welches es auch immer sein mag, durch die Verdienste derjenigen gewahren, welche sie so lange Zeit, wie ich hoffe, in diesem Stande erhalten hat.

O Geschenk über alle Geschenke, mit den Gewürzen der Gottheit so reichlich gesättigt und mit dem lautem Weine der Liebe getränkt zu werden! Dass du, o Herr und Gott, dies Geschenk deinen Auserwählten in deiner Allmacht geben konntest, darauf vertraue ich mit höchster Zuversicht. Dass da es auch mir in deiner liebreichen Gate geben wollest, daran zweifle ich nicht. Wie du es mir aber bei meiner Unwürdigkeit zu geben weißt, hierin vermag ich deine unerforschliche Weisheit keineswegs zu ergründen. Darum lobe und preise ich jetzt deine weise und gütige Allmacht; ich verehre und bete an deine allmächtige und gütige Weisheit; ich huldige und danke deiner allmächtigen und weisen Gate, o Gott! Denn alles, was mir von deiner Freigebigkeit jemals konnte gespendet werden, immer hab’ ich es unendlich weit über Verdienst empfangen. 


ZEHNTES KAPITEL

Van der göttlichen Einströmung

Weil ich aus Scheu die Abfassung dieser Schrift schon bis zum Feste Kreuzerhöhung verschoben hatte, so führte der Herr, während ich unter der Messe mich mit andern Übungen zu beschäftigen willens war, meinen Geist durch folgende Worte zurück: »Sei versichert, du wirst niemals aus dem Kerker des Fleisches herausgehen, bis du den Heller, den du noch zurückhältst, bezahlt hast.«4fi Als ich nun bei mir dachte, ich hatte die genannten Geschenke Gottes, wenn auch nicht schriftlich, so doch durch Worte zum Heile des Nächsten aufbewahrt, hielt der Herr mir jenes Wort entgegen, das ich in derselben Nacht bei den Metten hatte vorlesen hören: »Hatte der Herr seine Lehre nur für Anwesende verkündet, so gab’ es nur Predigt. Nun gibt es aber zum Heile vieler auch eine Schrift. « Der Herr fügte noch hinzu: »Ich will ohne Widerspruch ein zuverlässiges Zeugnis meiner göttlichen Liebe in deinen Schriften haben für diese letzten Zeiten, in denen ich vielen wohlzutun beschlossen habe.« 

Hierdurch belastet, begann ich mir vorzustellen, wie schwer, ja unmöglich es für mich wäre, Sinn und Worte zu finden, um das oft Erwähnte ohne Anstoß zum Verständnis der Menschen vorzubringen. Der Herr aber, der für solche Zaghaftigkeit guten Rat weiß, schien einen gewaltigen Platzregen über meine Seele zu ergießen, unter dessen ungestümem Stürze ich geringes Menschenkind, eine so junge und schwache Pflanze, niedergebeugt lag und nichts zu meinem Nutzen einsaugen konnte, mit Ausnahme einiger schwerwiegender Worte, zu denen die Erkenntnis meiner Sinne ganz und gar nicht hinanreichte. Hierüber fühlte ich mich noch mehr beschwert; da aber hat deine gütige Liebe, o mein Gott, durch folgende Worte meine Seele erquickt: »Weil dir jene Überströmung nutzlos erscheint, sieh, deshalb werde ich dir jetzt die Worte sanft und mild und nach und nach, dem Maße deiner Fassungskraft entsprechend, eingiessen.« Dies Versprechen, o Herr und Gott, hast da also erfüllt: Du hast einmal vier Tage lang in der Frühe zur geeignet- mir eingeflösst, dass, ich ihn ohne Anstrengung wie aus dem Gedächtnisse niederschreiben konnte. Hierbei beobachtetest du die Maßhaltung, dass, wenn ich einen entsprechenden Teil niedergeschrieben hatte, ich trotz aller Muhe kein Wort von dem zu finden vermochte, was mir am folgenden Tage reichlich und ohne Schwierigkeiten zu Gebote stand. Dadurch hast du meine ungestüme Natur gezügelt und mich belehrt: Niemand dürfe der Tätigkeit so sehr anhangen, dass er nicht auch Eifer für die Betrachtung anwende. Deine weise Liebe gebe, dass ich beides dir wohlgefällig vollbringe.


ELFTES KAPITEL

Von einer Versuchung

In welch mannigfaltiger Weise du mich deine heilbringende Gegenwart hast empfinden lassen, ganz besonders in den drei ersten Jahren, namentlich aber, so oft ich zur Anteilnahme an deinem gebenedeiten Fleische und Blute zugelassen wurde: hierin vermag ich auf tausend auch nicht eines zu antworten47. Deshalb überlasse ich es jener ewigen, unermeßlichen und unveränderlichen Danksagung, durch welche dir, O strahlende and allzeit ruhende Dreifaltigkeit, aus dir selbst und durch dich selbst und in dir selbst jede Schuld ganz ersetzt wird, und vereinige mich mit ihr wie ein kleines Stäubchen durch denjenigen, der in meiner Natur vor dir steht, und opfere dir die Danksagungen auf, wie du sie möglich gemacht hast durch denselben im Heiligen Geiste für alle deine Wohltaten und besonders dafür, dass du durch ein so anschauliches Gleichnis meine Torheit darüber unterrichtet hast, wie die Reinheit deiner Geschenke durch mich verunstaltet wurde.

Während ich einmal in der Messe kommunizieren wollte und dich in wunderbarer Herablassung gegenwärtig fühlte, begehrtest du wie ein Durstender von mir die Erquickung eines Trankes. Da ich mich über seinen Mangel beklagte und schließlich erkannte, dass ich auch nicht ein Tröpfchen meinen Augen zu entlocken vermochte, schien es mir, als würde mir van deinen Händen ein goldener Kelch dargereicht. Sobald ich ihn angenommen hatte, brach plötzlich aus meinem in süßer Flut gleichsam flüssig gewordenen Herzen ein ungestümer Strom glühender Tranen. unterdessen stand zu meiner Linken ein verächtliches Wesen, welches heimlich etwas Vergiftetes und Bitteres in meine Hand legte. Zugleich trieb es mich heimlich, aber mächtig an, dasselbe in den reinen Kelch zu mischen, und es folgte eine so heftige Begierde nach eitlem Ruhme, dass es leicht einzusehen war, mit welchem Truge der alte48 Feind aus Neid gegen deine Geschenke uns nachstellt. 

Aber Dank sei deiner Treue, o Gott, Dank deinem Schutze, o wahrhaft eine Gottheit, eine und dreifaltige Wahrheit, dreifaltige und eine Gottheit, die uns nicht über unsere Kräfte versucht werden laßt49. Denn du gestattest zwar zuweilen zu unserer Übung in der Vollkommenheit dem Feinde die Macht, zu versuchen.  Doch siehst du uns auf deinen Schutz vertrauensvoll uns stutzen, so machst du den wider uns entbrannten Kampf zu dem deinigen, und zwar so sehr, dass du in überschwenglicher Freigebigkeit dir den Kampf vorbehältst, uns aber den Sieg verleihest, wenn anders wir mit aufrichtigem Willen dir anhangen. Und dies ist eines deiner vorzüglichen Geschenke, das deine Gnade uns zur Vermehrung des Verdienstes bewahrt, dass du den freien Willen, wie du ihn dem Feinde keineswegs überlassen, so auch uns in keiner Weise entziehen willst.


ZWOLFTES KAPITEL

Von der Ertragung der menschlichen Gebrechlichkeit 

In gleicher Weise danke ich dir auch für ein anderes Bild, wodurch da mir kundgetan, mit welch liebreicher Geduld da unsere Fehler erträgst, damit du uns also besserst und selig machen könnest.

Denn als ich eines Abends zum Zorne fortgerissen wurde und am folgenden Tage in der Frühe die Zeit zum Gebete gekommen war, da hast du dich mir in einer so fremden Gestalt vorgestellt, dass ich dich dem Aussehen nach für einen aller Mittel und aller Kräfte gänzlich Beraubten hielt. Da begann ich unter den Vorwürfen meines Gewissens nachzudenken, wie unschicklich es wäre, dich, den Urheber der vollkommensten Reinheit und Ruhe, durch die Stacheln einer sündhaften Aufregung zu beunruhigen, und ich überlegte, ob ich nicht für die Stunde, in welcher ich im Widerstande gegen den Feind nachlässig sein wurde, lieber deine Abwesenheit als deine Gegenwart wünschen sollte. Hierauf empfing ich deine Antwort: »Wie kann ein Kranker getröstet werden, den fremde Hand nur mit Muhe zu dem ihm lieben Sonnenlichte fuhren konnte, wenn plötzlich ein Sturm hervorbricht, wie anders als durch die Hoffnung auf Wiederkehr des heitern Himmels? So harre auch ich> nachdem ich einmal, van der Liebe zu dir besiegt, unter allen Stürmen hereinwogender Fehler bei dir zu wohnen erwählt habe, auf den heitern Himmel deiner Besserung und den Hafen der Demut.« 

Weil die Zunge nicht zu schildern vermag, was du in jener dreitägigen Gegenwart mir am reichlichsten gewahrt hast, so möge, ich bitte, das Gefühl des Herzens genügen und mich aus der Tiefe der Demut, zu welcher deine herablassende Liebe mich damals am meisten angelockt hat, die Dankbarkeit auf deine zarte Liebe richten lehren.


DREIZEHNTES KAPITEL

Van der Bewachung der Neigungen

Auch noch auf eine andere Weise, o gütigster Gott, hast du meine Trägheit aufgeweckt. Und obgleich da durch eine Mittelsperson begannst, so hast du dies dennoch durch dich selbst weniger barmherzig als herablassend vollendet. Als diese mir gemäß dem Evangelium vorstellte, wie du, auf Erden geboren, zuerst von den Hirten gefunden  worden, fügte sie hinzu, dieses Wort sei mir von dir übersandt, damit ich, wenn ich dich wahrhaft finden wollte, gleich wie die Hirten über die Herden, so über meine Sinne sorgfältig wachen müßte51. Dies nahm ich jedoch weniger dankbar an, weil ich wusste, dass du meine Seele anders ergriffen habest, als dass ich dir wie ein gedungener Hirt seinem Herrn dienen sollte. Nachdem ich hieran vom Morgen bis zum Abend nach der Komplet mit niedergeschlagenem Sinne gedacht hatte, da hast da meine Traurigkeit durch folgendes Gleichnis gelindert: Wenn die Braut den Falken des Bräutigams zuweilen Speise besorgt, so wird sie hierdurch seiner Umarmung durchaus nicht beraubt; also würde auch ich, wenn ich um deine die Bewachung meiner Neigungen und Sinne eifrig übte, der Süßigkeit deiner Gnade nicht entbehren. Und hierbei gabst du mir unter dem Bilde einer grünen Rute den Geist der Furcht, damit ich, ohne deine traute Gegenwart zu verlieren, auf all die unwegsamen Gebiete, in welchen die menschlichen Leidenschaften umherzuirren pflegen, eingehen konnte. Du fügtest noch hinzu: So oft etwas in meine Seele einschleiche, was irgendeine meiner Neigungen anzuziehen suche, sei es nach der Rechten, wie Freude und Hoffnung, oder nach der Linken, wie Furcht, Schmerz oder Zorn, sollte ich es sogleich mit der Rute deiner Furcht abwehren.


VIERZEHNTES KAPITEL

Vom Mitleiden der Seele

Am Sonntage vor der Fastenzeit, Esto mihi52, gabst da mir zu verstehen, dass du, von verschiedenen Menschen gemartert und verfolgt, durch die Worte des Eingangs der Messe von mir die Wohnung meines Herzens begehrtest, um in ihr auszuruhen. Hierauf schienst du mir während jener drei Tage, so oft ich zu meinem Herzen zurückkehrte, gleich einem Sterbenden darin zu liegen. Auch habe ich während jener drei ganzen Tage nichts gefunden, wodurch ich dir eine angenehmere Erquickung hatte bereiten können, als durch Gebete, Stillschweigen und sonstige Abtötungen für die Bekehrung der weltlich gesinnten Menschen53


FUNFZEHNTES KAPITEL

Von der Vergeltung der Gnade

Ebenso hast du mir wiederholt geoffenbart, wie die im Körper der menschlichen Gebrechlichkeit weilende Seele verdunkelt wird gleich einem Menschen, der, mitten in einer engen Wohnung stehend, von allen Seiten sowohl am sich als über und unter sich den Dunst in sich aufnimmt, den jene Wohnung aushaucht, vergleichbar einem kochenden, dampfenden Topfe. Hingegen empfangt die Seele, wenn der Körper von einem Leiden bedrängt wird, von seiten des leidenden Gliedes gleichsam einen von sonnenhellem Lichte umflossenen Hauch. Und je schwerer das Leiden ist, eine am so hellere Verklärung verleiht es der Seele. Ganz besonders aber erhöht den Glanz derselben die Abtötung oder Übung des Herzens in der Demut, der Geduld und ähnlichem, am allermeisten die Werke der Liebe. 

Dank dir, o Liebhaber der Menschen, der du mich öfter in dieser Weise zur Geduld angelockt hast! Aber ach! und tausendmal ach! dass ich zu wenig und nur selten dir zugestimmt habe. Du kennst, o Herr, meinen Schmerz, meine Beschämung und Niedergeschlagenheit und mein Verlangen, es mochte mein Fehler anderswoher dir vollständig ersetzt werden.

Ein andermal, als du mir, während ich in der Messe kommunizieren wollte, deine Gegenwart reichlicher gewahrt hattest und ich mich zu erforschen bemühte, welchen Gegendienst ich dir für das Heil einer so großen Herablassung erweisen konnte, da stelltest da, weisester Lehrer, mir jenes apostolische Wort vor: »Ich wünschte selbst im Banne zu sein für meine Brüder.«54 Und du sagtest, das sei etwas Großes, wenn die Seele, die Süßigkeit des Genusses im Herzen um deinetwillen verlassend, über die Regelung der körperlichen Sinne wache und den Werken der Liebe zum Heile des Nächsten obliege.


SECHZEHNTES KAPITEL

Von huldvollen Erweisen am Feste der Geburt des Herrn und an Maria Lichtmess

Am Tage deiner hochheiligen Geburt empfing ich dich als zartes Kindlein aus der Krippe in Windeln eingewickelt in mein Herz eingedruckt, um aus allen Bitterkeiten deiner kindlichen Note mir ein Myrrhenbüschlein zu sammeln und an meine Brust zu legen55. Ein größeres Geschenk glaubte ich niemals empfangen zu können, aber du hast dieser Gabe eine noch edlere folgen lassen.

Denn im nächsten Jahre am selben Tage unter der Messe Dominus dbdt – »Der Herr sprach … «56 empfing ich dich unter der Gestalt des zartesten und lieb-höchsten Kindleins vom Schoße der jungfraulichen Mutter und trug dich ein Weilchen an der Brust. Hierbei schien mir jenes Mitleid mitzuwirken, das ich vor dem genannten Feste einem Bedrängten durch besondere Gebete erwiesen hatte. Leider habe ich, während ich jenes Geschenk besaß, die Andacht zu wenig geübt. Ich hoffe jedoch, deine Gerechtigkeit habe unter Mitwirkung der Barmherzigkeit dies also geordnet, damit meine Unwürdigkeit deutlicher kund wurde und ich meine Nachlässigkeit fürchtete. Als ich aber meine Kräfte ein wenig sammelte, um mit liebevoller Freundlichkeit dich zu pflegen, fühlte ich, dass ich wenig Fortschritte machte, bis ich für die Sünder, die Seelen im Fegfeuer oder andere Bedrängte zu beten begann, wovon ich die Wirkung sogleich empfand Als ich eines Abends mir vornahm, in jedem Gebete für die Verstorbenen statt wie bisher die Kollekte für die Eltern: »O Gott, der du uns Vater und Mutter … «, künftig das Gebet für deine besondern Freunde: »Allmächtiger, ewiger Gott, der niemals ohne Hoffnung .. .«57, zu setzen – da schienst du mir hieran noch größeres Wohlgefallen zu haben.

Auch kam es mir vor, als werdest du lieblich ergötzt, wenn ich mit angestrengter Kraft beim Absingen der einzelnen Noten meine Aufmerksamkeit ebenso auf dich richtete, wie jener sorgfältig ins Buch schaut, der etwas singt, was er noch nicht durch Gewohnheit genau kennt. Wieviel ich jedoch bei diesen und andern deine Verherrlichung betreffenden Übungen vernachlässigt habe, ich bekenne es dir, gütigster Vater, in der Bitterkeit des Leidens deines unschuldigsten Sohnes Jesus Christus, an dem da dein größtes Wohlgefallen zu haben bezeugt hast in den Worten: »Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe.«58 Und durch denselben leiste ich dir Genugtuung, damit durch ihn alle meine Nachlässigkeiten ersetzt werden. 

Am Tage der heiligsten Reinigung, als jene Prozession gehalten wurde, in welcher du, unser Heil und unsere Erlösung, mit den Opfergaben dich wolltest in den Tempel tragen lassen, bei der Antiphon: »Als sie das Kind … «, da begehrte deine jungfrauliche Mutter dich, das geliebte Kindlein ihres Schoßes, mit ernstem Antlitz van mir zurück, als wenn ich dich, der du die Ehre und Freude ihrer unbefleckten Jungfrauschaft bist, weniger zu ihrem Wohlgefallen gepflegt hatte. Ich aber, eingedenk, dass sie den Sündern zur Versöhnung und den Verzweifelnden zur Hoffnung gegeben sei, brach in die Worte aus: »O Mutter der Liebe, ist dir nicht dazu die >Quelle der Barmherzigkeit< als Sohn gegeben worden, damit du allen, die Gnade bedürfen, dieselbe erlangest und deine reiche Liebe die Menge unserer Sunden und  Fehler bedecke?«59 Hierauf zeigte mir jene Gütige mit heiterem und huldvollem Angesichte, dass sie, wenn sie mir auch wegen meiner Fehler streng erscheine, dennoch von herzlichstem Erbarmen erfüllt und van der Süßigkeit der göttlichen Liebe in tiefster Seele durchdrungen sei. Dies offenbarte sich auch sogleich, da auf meine so geringen Worte hin die angenommene Strenge verschwand und die ihr eigene süße Heiterkeit erglänzte.  Deshalb sei die große Liebe dieser deiner Mutter bei dir für alle meine Vergehen eine gnädige Vermittlerin. 

Mit einem noch huldvolleren Geschenke hast du im folgenden Jahre an demselben hochheiligen Feste deiner Geburt mich geschmückt, als hatte der Eifer meiner Andacht im vorhergehenden Jahre dies van dir verdient, während ich doch nicht eines nachfolgenden neuen Geschenkes, sondern gerechter Strafe für das verlorene frühere würdig war. Als nämlich im Evangelium gelesen wurde: »Sie gebar ihren erstgebornen Sohn60 …«, reichte deine unbefleckte Mutter mir mit den makellosen Händen dich, das jungfrauliche, liebenswürdige, zarte Kindlein, indem sie dich gleichsam mit aller Kraft in meine Arme druckte. Und ich nahm dich holdselig Kindlein auf, während du mit zarten Armen meinen Hals umschlangst. Aus dem Anhauche deines honigfließenden Geistes, der aus deinem gebenedeiten Munde atmete, empfing ich eine so lebenspendende Erquickung, dass fürder mit Recht meine Seele dich preise, mein Herr und Gott, und alles, was in mir ist, deinen heiligen Namen61.

Als hierauf deine allerseligste Mutter in die Windeln der Kindheit dich einwickeln wollte, da begehrte auch ich mit dir eingewickelt zu werden, damit auch nicht einmal das dünne Band der Windeln mir den entzöge, dessen »Umarmungen und Küsse süßer denn Honigbecher sind«62. Darauf schienst du mir mit der weißesten Leinwand der Unschuld umwickelt und mit dem goldenen Bande der Liebe umschlungen zu werden. Wenn ich begehrte, mit dir eingeschlossen zu werden, so mußte ich mich dafür auch einer allseitigen Reinheit des Herzens und der Werke der Liebe befleißigen. 

Dank dir, o Schöpfer der Gestirne, der du die Himmelslichter und die mannigfaltigen Frühlingsblumen bekleidest, dass du, obgleich du unserer Güter nicht bedarfst, dennoch zu meiner Unterweisung hierauf am Tage der heiligen Reinigung van mir verlangt hast, ich möchte dich Kindlein bekleiden, bevor du in den Tempel eingeführt wurdest. Und zwar sollte ich dies aus dem verborgenen Gnadenschatze in folgender Weise ausfuhren: Ich sollte mich bestreben, die makellose Unschuld deiner allerreinsten Menschheit zu preisen mit so vollkommener und treuer Hingebung, dass ich, wenn ich all den Schmuck, der deiner holdseligsten Unschuld gebührt, in einer Person besitzen konnte, ihn bereitwilligst dir abträte. Durch eine solche Absicht meinerseits schienst du mit einem weißen Gewande in Gestalt eines Kindleins bekleidet zu werden. Als ich mit ähnlicher Andachtsübung mir den Abgrund deiner Demut vorstellte, schienst du mir mit einem grünen Unterkleide angetan zu werden, zum Zeichen, dass deine blühende Gnade allzeit grünt und im Tale der Demut niemals verwelken wird. Während ich mir daraufhin der angegebenen Weise die Glut deiner Liebe vergegenwärtigte, wurdest da mit einem purpurnen Oberkleide geschmückt, zum Beweise, dass das wahrhaft königliche Gewand die Liebe ist, ohne die niemand ins Himmelreich eingeht. 

Als ich sodann an deiner glorreichen Mutter die nämlichen Tugenden pries, schien auch sie in ähnlicher Weise bekleidet zu werden. Weil nun diese gebenedeite Jungfrau, die blühende Rose ohne Dorn und die hellschimmernde Lilie ohne Makel, reich, ja überreich ist an Tugendblumen jeglicher Art, so dass unsere Armut durch sie bereichert wird, so möge sie, wir bitten dich, eine beständige Vermittlerin für uns sein!


SIEBZEHNTES KAPITEL

Van der göttlichen Mäßigung

Als ich eines Tages nach der vor Tisch üblichen Händewaschung inmitten des Konventes stand und in meinen Gedanken bei dem hellen Glanze der Sonne verweilte, die gerade in ihrer ganzen Kraft strahlte63, sagte ich in meinem Geiste: Wenn der Herr, der diese Sonne erschuf und »dessen Schönheit Sonne und Mond bewundern«64, der sogar ein verzehrendes Feuer ist65, so wahrhaftig bei mir wäre, wie er sich mir oft gegenwärtig zeigt: wie wäre es dann möglich, dass ich so kalten Herzens, so gefühllos, ja so verkehrt mit den Menschen umginge? Und sieh da! Plötzlich fugtest du, dessen Wort mir damals am so süsser war, je mehr mein schwankendes Herz es bedurfte, meinen Worten den Ausspruch hinzu: »Worin wurde denn meine Allmacht erhoben, wenn ich in ihr mich nicht, wo ich auch immer bin, in mir selber halten konnte, so dass ich nicht mehr empfunden werde oder erscheine, als es sich nach Ort und Zeit und Person geziemt? Denn vom Beginne der Erschaffung des Himmels und der Erde an und im ganzen Werke der Erlösung habe ich mehr die Weisheit der Gate als die Macht der Majestät angewandt. Die Güte dieser Weisheit erstrahlt darin am hellsten, dass ich die Unvollkommenen ertrage, bis ich sie durch freien Willen auf den Weg der Vollkommenheit führe.«


ACHTZEHNTES KAPITEL

Von der väterlichen Unterweisung

An einem Festtage sah ich mehrere zur heiligen Kommunion gehen, die sich meinem Gebete empfohlen hatten, während ich durch körperliche Krankheit gehindert oder vielmehr, wie ich fürchte, wegen meiner Unwürdigkeit van Gott zurückgehalten wurde. Indem ich nun an verschiedene mir erwiesene Wohltaten Gottes dachte, begann ich mich vor dem Winde des eiteln Ruhmes zu fürchten, der die Strome der göttlichen Gnade austrocknen konnte, und begehrte eine Erkenntnis zu empfangen, wodurch ich durch die Zukunft sichergestellt wurde. Darauf wurde ich von deiner väterlichen Güte also unterrichtet: Ich sollte deine Liebe zu mir auffassen als die eines Familienvaters, der sich über die Schönheit der meisten Kinder freut, denen auch die Dienerschar und die Nachbarn Beifall spenden, der aber unter ihnen auch ein kleines Kind hat, das die Schönheit der übrigen noch nicht erreicht hat, weshalb er in väterlichem Mitleide es häufiger auf seinen Schoß nimmt und durch Worte und kleine Geschenke vor den übrigen auszeichnet. Und du fügtest hinzu: Wenn ich also in richtiger Schätzung mich für unvollkommener als die übrigen hielte, so würde der Strom deiner honigsüßen Gottheit niemals aufhören, sich in meine Seele zu ergießen.


NEUNZEHNTES KAPITEL

Vom Lobpreise der göttlichen Huld

O liebreicher Gott! ich danke deiner gütigen Barmherzigkeit und deiner barmherzigen Gute für das offenbare Zeugnis deiner herablassendsten Huld, wodurch du meine schwankende und zagende Seele gestärkt hast, als ich in einer mir nur allzu sehr angewöhnten Weise mit ungestümem Verlangen aus dem Kerker des elenden Fleisches befreit zu werden begehrte. Denn da, o Zier und Krone der himmlischen Glorie, schienst van aaa dem königlichen Throne deiner Majestät in süßer und sanfter Weise dich herabzuneigen. Durch diese Herablassung aber ergossen sich Strome van beseligender Flut durch die ganze Weite des Himmels, zu denen die einzelnen Heiligen sich dankend hinkehrten, und durch deren Genuss erlabt sie in das wohltonende Lied des Lobes Gottes ausbrachen. Hierbei empfing ich auch folgende Worte: »Erwäge, wie angenehm dieser Lobpreis in das Ohr meiner Majestät dringt und hindurchdringt in das flüssiggewordene innerste Wesen meines liebevollsten Herzens, damit du fürderhin nicht mehr so ungestüm verlangst, aufgelöst zu werden in solcher Absicht, um nämlich nicht mehr als diejenige im Fleische zu sein, der ich jetzt das Geschenk der unverdienten Huld spende; denn je unwürdiger die ist, zu der ich mich herabneige, mit desto größerer Ehrfurcht werde ich mit Recht von allen Geschöpfen erhoben.«

Nachdem mir dieser Trost in jener Stunde gewahrt worden, als ich mich deinem lebenspendenden Sakramente nahte und darauf, wie es recht war, meine Aufmerksamkeit gerichtet hatte, da fügtest du der genannten Offenbarung noch den Aufschluss hinzu: Jeder solle in der Weise und in der Arbeit zu der allerheiligsten Vereinigung mit deinem Leibe und Blute hinzutreten, dass er um deiner Liebe und Verherrlichung willen es sogar für gering halte, einen großen Schaden (wenn dies möglich wäre) im Empfange des Sakramentes zu erleiden, damit deine göttliche Liebe allein um so mehr daraus hervorleuchte, die es nicht verschmäht, sich einem so Unwürdigen mitzuteilen. Als ich hierauf die Entschuldigung vorbrachte, dass jeder, der sich mit Rücksicht auf seine Unwürdigkeit der Kommunion enthalt, es deshalb tue, am dem erhabenen Sakramente nicht vermessentlich eine Unbill zuzufügen, da empfing ich deine gebenedeite Antwort, die also lautete: »Wer mit solcher Absicht naht, der kann niemals unehrerbietig hinzutreten.«


ZWANZIGSTES KAPITEL

Von besondern Gnadengaben

Allen mir verliehenen Gaben hast du, o gütiger Gott, in deiner unbezwinglichen Freigebigkeit noch das hinzugefügt: Wenn jemand

nach meinem Tode erkannte, dass du während meines Lebens mit meiner Niedrigkeit so herablassend und vertraulich umgegangen bist, und deshalb meinem, wenn auch unwürdigen Gebete sich demütig empfehlen wollte, so werdest da ihn so huldvoll erhören, wie du überhaupt jemand durch das Gebet eines andern erhören wollest, wenn er nämlich zum Ersatze für das Vernachlässigte in demütiger Ergebenheit dir Dank sage besonders für fünf Wohltaten: 

Zunächst für die Liebe, mit der deine unverdiente Erbarmung van Ewigkeit her mich auserwählt hat. Dies ist in Wahrheit von allen unverdienten Geschenken das am meisten unverdiente, da du ja sehr wohl meinen ganzen verkehrten Lebenswandel, meine Bosheit und Leichtfertigkeit und das Laster meiner Undankbarkeit vorausgesehen hast, so dass es gerecht gewesen wäre, wenn du mir die Wurde der menschlichen Natur überhaupt auch als einer Heidin versagt hattest, während trotzdem deine Liebe, die unsere Übel weit überragt, mich sogar vor andern Christen zum heiligen Ordensstande berufen hat.

Zweitens dafür, dass da mich so gnadenreich an dich gezogen hast. Und dies, bekenne ich, ist das Werk jener Sanftmut und Liebe, welche dir van Natur aus innewohnt, da du mein ungezähmtes Herz, dem mit vollem Rechte eiserne Fesseln Gebühren, mit so süßen Liebeserweisungen in dich hineingezogen hast, als hattest da in mir eine Genossin deiner Sanftmut gefunden und als wäre dir deshalb die Vereinigung mit mir über alles erfreulich. 

Drittens dafür, dass da mich dir so innig vereinigt hast. Auch dies schreibe ich, wie ich es mit Recht muß, dem Übermaße deiner rückhaltlosen Freigebigkeit zu. Gleichsam als wäre die Zahl der Gerechten nicht ausreichend, um die Fülle deiner Liebe aufzunehmen, hast da mich, die Letzte an Verdienst, herbeirufen wollen, nicht am mich als die Tauglichere leichter zu rechtfertigen, sondern damit in der weniger Geeigneten das Wunder deiner Erbarmung um so klarer hervorleuchte. 

Viertens dafür, dass du mich gewürdigt hast, an mir deine Freude zu finden. Dies rührt von deiner übergroßen Liebe her, in der du es nicht verschmäht hast, sogar durch Worte zu bezeugen, es sei deine Wonne, dass deine allmächtige Weisheit in so unglaublicher Weise sich mit dem zu verbinden vermöge, was ihr ganz unähnlich und auch ganz ungeeignet ist. 

Fünftens dafür, dass du mich zur seligen Vollendung führen willst. Diese Wohltat hoffe ich, obgleich gänzlich unwürdig, von der süßesten Huld deiner freigebigsten Liebe demütig und fest gemäß der treuen Verheißung deiner Wahrheit, und in der sichersten Liebe umfasse ich sie mit Dankbarkeit, ohne jegliches Verdienst von meiner Seite, sondern nur durch deine unverdiente Güte, o mein höchstes, o mein einziges, ganzes und wahrhaft ewiges Gut!

Weil diese einzelnen Geschenke eine so bewunderungswürdige Herablassung beweisen und meiner Niedrigkeit so durchaus ungeziemend sind, dass die dir van mir dargebrachte Danksagung ganz und gar nicht genügen kann, so bist du auch hierin meinem Unvermögen zu Hilfe gekommen, indem du durch gütige Verheißungen andere zum Danksagen bewogen hast, damit durch deren Verdienste mein Mangel kann ersetzt werden. Hierfür sei deiner Huld würdig Lob und Dank gebracht von allen die im Himmel, auf Erden und unter der Erde sind!66 

Über all dies hat deine unschätzbare Liebe, o mein Gott, sich auch noch herabgelassen, die erwähnten Geschenke durch folgenden Vertrag gnädiglich zu bestätigen. Als ich nämlich eines Tages dieselben bei mir überdachte, ließ ich durch eine Vergleichung deiner Liebe mit meiner Sündhaftigkeit mich zu der Kühnheit verleiten, den Einwand zu erheben, du habest mir dieselben nicht nach Weise der Vertragschließenden Hand in Hand bestätigt. Da hat deine nachgiebigste Huld dieser Einrede genügen wollen, indem du sprachst: »Wende dies nicht ein, tritt heran und empfange die Bestätigung meines Vertrages.« Und sogleich erblickte meine Niedrigkeit dich, wie da mir gleichsam mit beiden Händen jene Schatzkammer der göttlichen Treue und unfehlbaren Wahrheit, nämlich dein göttliches Herz, weit auftätest und mich, die nach verkehrter Art der Juden Zeichen begehrte67, meine rechte Hand ausstrecken hießest. Indem da sodann dein geöffnetes Herz mit meiner darin eingeschlossenen Hand zurückzogst, sprachst da: »Sieh, ich verspreche dir, die Geschenke, die ich dir erteilt habe, unversehrt zu bewahren Wenn ich dir jedoch in zeitweiliger Unterbrechung die Wirkung derselben entziehe, so will ich dies nachher mit dreifachem Gewinne bezahlen, von Seiten der Allmacht, der Weisheit und der Güte der wunderbaren Dreieinigkeit, in deren Mitte ich lebe und regiere, wahrer Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit.« 

Hierbei fugte deine überschwengliche Liebe noch die Worte hinzu: »So oft du deine Unwürdigkeit überdenkend anerkennst, dass du meine Geschenke nicht verdienst und dabei auf meine Gate dein Vertrauen setzest: ebenso oft entrichtest du mir den schuldigen Zins von meinen Gütern.«

O wie weise versteht dein Vaterherz für die entarteten Kinder zu sorgen, da du nach Verschwendung des Vermögens der Unschuld und infolgedessen auch der dir wohlgefälligen Andacht die Erkenntnis meiner großen Unwürdigkeit anzunehmen geruhest. Diese zu deiner Ehre und zu meinem Heile in allen mir innerlich wie äußerlich verliehenen Gnadengeschenken zu erkennen und überdies wegen deiner Erbarmung vollkommen auf dich zu vertrauen, dies gib, o Spender der Gaben, aus dem jedes Gute hervorgeht und ohne den nichts für tüchtig oder gut kann erachtet werden!


EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Von der Wirkung der Anschauung Gottes

Indem ich an die unverdienten Wohltaten deiner Gute denke, halte ich es für unrecht, jenes Geschenk zu übergehen, das ich m einer Fastenzeit durch die wunderbare Herablassung deiner Liebe empfangen habe. Am zweiten Fastensonntage, da man vor der Messe zur Prozession das Responsorium sang: »Ich habe den Herrn van Angesicht zu Angesicht gesehen«, wurde meine Seele van einem wunderbaren, unbeschreiblichen Glanze durch das Licht göttlicher Offenbarung erhellt, und es erschien mir wie an mein Angesicht ein anderes Angesicht angeschmiegt gemäß dem Worte des hi. Bernardus: »Nicht gestaltet, sondern gestaltend, nicht die Augen des Körpers streifend, sondern das Angesicht der Seele erfreuend, lieb durch die Liebe, nicht durch das Aussehen. «68 Dir allein ist es bekannt, wie infolge dieser Honigströmenden Vision deine sonnenhellen Augen meinen Augen gerade entgegenzustehen schienen und wie du, meine holdselige Süßigkeit, nicht bloß meine Seele, sondern auch mein Herz samt allen Gliedern ergriffen hattest! Dafür will ich dir, so lange ich lebe, ergebenen Dienst erweisen.

Aber obgleich die Rose zur Frühlingszeit, wenn sie grünend und blühend Wohlgeruch ausströmt, ganz anders gefallt als im Winter, wo sie längst verwelkt ist und man nur sagt, dass sie lieblich geduftet habe, so erweckt doch auch die Erinnerung an den früheren Genuss noch auf ein Weilchen Freude. Deshalb wünsche auch ich, durch welches Gleichnis ich es vermag, zum Preise deiner Liebe mitzuteilen, was meine Niedrigkeit in jener deiner beseligenden Anschauung empfand, damit, wenn einer der Leser vielleicht Ähnliches oder Größeres empfangen hat, er durch die Erinnerung zur Danksagung angeregt werde. Und auch ich selbst will after die Finsternis meiner Nachlässigkeiten mittels Danksagung durch diesen sonnenhell schimmernden Spiegel einigermaßen verscheuchen.

Als du nämlich, wie gesagt, dein heißersehntes Antlitz, das die Fülle der ganzen Seligkeit gewahrt, an mich Unwürdige angeschmiegt hattest, da fühlte ich, wie ein unaussprechlich beseligendes Licht aus deinen vergöttlichenden Augen durch meine Augen einging. Mein ganzes inneres Wesen durchdringend, schien es eine wunderbare Wirkung in allen Gliedern hervorzubringen, indem es mein Fleisch und Gebein bis ins Mark auflöste, so dass ich die Empfindung hatte, mein ganzes Wesen sei nichts anderes als jener göttliche Lichtstrahl, der, in unbeschreiblich wonniger Weise in sich selber spielend, meiner Seele eine unvergleichliche Heiterkeit und Fröhlichkeit bereitete. 

O was soll ich fürder sagen van jener süßesten Vision? Wie mir scheint, würde die Beredsamkeit aller Zungen alle Tage meines Lebens diese erhabene Weise, dich zu schallen, selbst in der  himmlischen Glorie, mir niemals beigebracht haben, wenn nicht deine Huld, o mein Gott, einziges Heil meiner Seele, durch Erfahrung mich dazu geführt hatte. Noch das mochte ich sagen: Wenn es in den göttlichen Dingen ist wie bei den menschlichen, dann überschreitet die Kraft deines Auges, wie ich dafür halte, jene Vision insoweit, dass sie, wenn deine göttliche Macht den Menschen nicht zusammenhielte, die Seele dessen nicht langer im Körper verweilen ließe, dem dies auch nur auf einen Augenblick zu verkosten gestattet wird.


ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Danksagung für empfangene Gnaden,

die sie zu bestimmten Zeiten andächtig zu verrichten pflegte Dich preise meine Seele, Herr Gott, mein Schöpfer! Dich preise meine Seele69, Herr Gott, und aus dem Innersten meines Wesens sollen dich bekennen deine Erbarmungen, mit denen deine überströmende Liebe mich so unverdientermaßen umschlungen hat. Ich danke, soviel ich kann, deiner unermeßlichen Barmherzigkeit und preise deine Langmut und Geduld, in der du mich geschont hast, da ich die ganze Jugendzeit von der ersten Kindheit an bis beinahe zu meinem fünfundzwanzigsten Jahre so verblendet in Torheit verbrachte und in Gedanken, Worten und Werken ohne Gewissensbisse alles getan haben würde, wozu ich Gelegenheit hatte, wenn du es nicht entweder durch den van Natur aus mir innewohnenden Abscheu vor dem Bösen und die Liebe zum Guten oder durch äußeren Verweis von selten des Nächsten verhütet hattest, gleich als hatte ich wie eine Heidin unter Heiden gelebt und niemals erkannt, dass du, mein Gott, das Gute belohnst und das Base bestrafst, während du doch van meinem fünften Jahre an mich auserwählt hast, unter deinen vertrautesten Freunden in der heiligen Klosterzelle dir zubereitet zu werden. 

Obgleich deine Seligkeit, o mein Gott, weder zu- noch abnehmen kann, da du unserer Guter nicht bedarfst, so hat dennoch mein schuldbares und nachlässiges Leben deiner Verherrlichung Eintrag getan, die ich und jegliche Kreatur in jedem Augenblicke erstreben sollte. Was hierüber mein Herz empfindet oder, durch deine huldvollste Herablassung von Grund aus bewegt, empfinden konnte, das weißt du allein.

In demselben Gefühle opfere ich dir, o liebreichster Vater, zur Sühnung das ganze Leiden deines geliebtesten Sohnes auf, das er von der Stunde an, wo er in der Krippe auf Heu gebettet wimmerte, und nachher erduldete durch die Bedürfnisse der Kindheit, durch die Gebrechen im Knaben-, durch die Widerwärtigkeiten im Jünglings- und durch die Schmerzen im Mannesalter bis zu jenem Augenblick, da er, sein Haupt am Kreuze neigend, mit lautem Schrei den Geist aufgab70. Ebenso opfere ich dir, o liebreichster Vater, zum Ersatze für alle meine Nachlässigkeiten den ganzen hochheiligen Lebenswandel auf, der in Gedanken, Worten und Werken der vollkommenste war von der Stunde an, da er vom höchsten Throne zu uns herniederstieg, bis zu dem Augenblicke, wo er deinem »väterlichen Anblicke die Herrlichkeit des siegreichen Fleisches vorgestellt hat«71.

Ebenso preise ich und bete an mit deiner alles überragenden Barmherzigkeit zugleich jene süßeste Gute, in der da, Vater der Erbarmungen72, über mich Sünderin Gedanken des Friedens gedacht und nicht der Züchtigung73 und in der du mich durch die Menge und Große deiner Wohltaten also erhöht hast, als wenn ich vor den übrigen Sterblichen ein engelgleiches Leben auf Erden geführt hatte. Und dies hast du in der Adventszeit vor jenem Epiphaniefeste begonnen, an welchem ich das fünfundzwanzigste Jahr vollendete, und zwar mit einer gewissen Verwirrung, wodurch mein Herz dergestalt bewegt ward, dass alle jugendliche Ausgelassenheit mir zuwider wurde74. Solcherweise ward mein Herz dir einigermaßen zubereitet. Nach begonnenem sechsundzwanzigsten Jahre sodann, am Montage vor dem Feste der Reinigung, in der Dämmerung jenes Tages nach der Komplet, hast da, wahres Licht75, das in die Finsternis leuchtet76, mit der Nacht der erwähnten Verwirrung auch den Tag der jugendlichen Torheit beschlossen, der durch die Finsternis geistiger Unwissenheit verdunkelt war. Zugleich begannst du von da an in wunderbarer und geheimnisvoller Weise an mir zu handeln, damit du fürderhin wie im eigenen Hause der Freund mit dem Freunde, ja vielmehr der Bräutigam mit der Braut, so in meinem Herzen mit meiner Seele beständig deine Freude haben könntest.

Zu diesem beseligenden Zwecke hast du zu verschiedenen Stunden und in mannigfacher Weise mich heimgesucht, so dass ich seither niemals auch nur einen Augenblick dich meinem Herzen entfremdet gefühlt habe, dich vielmehr immer bei mir gegenwärtig wusste, so oft ich mich zu meinem Innern hinkehrte, ausgenommen einmal elf Tage. Da ich nun mit Worten nicht auszudrücken vermag, durch wie große, zahlreiche und aller Annahme würdige Guter du deine heilbringende Gegenwart mir noch teurer gemacht hast, so gib du, o Spender der Gaben, dass ich fürder ein würdiges Opfer des Lobes im Geiste der Demut dir darbringe, besonders dafür, dass du eine so liebliche Wohnung in meinem Herzen dir bereitet hast, was ich weder vom Tempel Salomons noch vom Gastmahle des Ahasverus gelesen oder gehört habe. Denn dies schien mir viel geringer zu sein als jene Wonne, welche du selbst durch deine Gnade in meinem Innern dir bereitet hast und wodurch du es gestattest, dass ich Unwürdigste ebenso mit dir verkehre wie eine Königin mit dem Könige. Unter diesen Gaben schätze ich jene beiden besonders hoch, dass du meinem Herzen die erhabenen Denkzeichen deiner heilsamsten Wunden eingedruckt und dazu die Wunde der Liebe so augenscheinlich und wirksam ebenfalls meinem Herzen eingeprägt hast. Denn wenn du mir auch niemals einen größeren inneren noch äußeren Trost gegeben hattest, so hast du mir doch in diesen beiden eine solche Seligkeit mitgeteilt, dass ich, wenn ich auch tausend Jahre leben sollte, hieraus zu jeder Stunde Trost, Unterweisung und Stoff zur Danksagung mehr als genug schöpfen könnte. 

Auch hast du mir unter diesen Geschenken deine unschätzbare vertraute Freundschaft gewahrt, indem du in verschiedener Weise jene hocherhabene Arche der Gottheit, nämlich dein göttliches Herz, als Gegenstand aller meiner Freuden mir mitgeteilt hast, bald es umsonst gebend, bald zum stärkeren Beweise der gegenseitigen Vertraulichkeit es für das meinige umtauschend. Hiermit hast du mir auch das Geheimnis deiner verborgenen Gerichte und zugleich deiner Wonnen geoffenbart. 

Zuweilen hast du mich auf so sanfte, freundliche Weise zur heilsamen Erkenntnis meiner Fehler geführt und jede Beschämung so freundschaftlich mir erspart, als würdest da – es ist unrecht, es zu sagen – die Hälfte deines Reiches dann verloren haben, wenn du auch nur im geringsten meine mädchenhafte Schüchternheit erschüttert hattest. So hast du mir auch in kluger, versteckter Weise einige genannt, deren Fehler dir missfielen. Und doch habe ich, indem ich bei diesen Fehlern auf mich sah, mich schuldiger gefunden als irgendeinen van jenen, die du mir vorstelltest.

Überdies hast da meine Seele durch so teure Verheißungen angelockt, wie du mir nämlich in und nach dem Tode wohltun wollest, dass, wenn ich auch kein anderes Geschenk von dir besäße, mein Herz doch mit Recht für dies allein in lebendiger Hoffnung beständig nach dir lechzen würde. Aber auch nicht einmal so ist das Meer deiner unbegrenzten Liebe erschöpft worden. Vielmehr hast du mir häufig, wenn ich für die Sünder oder die Seelen im Fegfeuer oder in andern Angelegenheiten betete, durch so unglaubliche Wohltaten Erhörung gewahrt, dass ich niemals einen Freund gefunden habe, dem ich ohne Bedenken die Große derselben so hatte auseinandersetzen dürfen, wie ich sie erkannt habe.

Zu dieser Fülle von Wohltaten hast du noch die hinzugefügt, dass du mir deine süßeste Mutter, die allerseligste Jungfrau Maria, zur Sachwalterin gegeben und ihrer Liebe mich öfter so freundschaftlich empfohlen hast, wie nur jemals ein treuer Bräutigam die geliebte Braut seiner eigenen Mutter anempfehlen konnte.

Nicht minder hast du mir zum besondern Dienst oftmals die erhabensten Fürsten deines Hofes bestellt, um mich zu dir entsprechenden Diensten in den geistlichen Übungen zu erheben. Weil ich Unwürdigste aber in meiner Undankbarkeit, wenn da mir zuweilen zu meiner größeren Vervollkommnung den Wonnegeschmack zum Teil entzogst, deine Geschenke gleichsam als wertlos sogleich vergaß, so hast du, wenn ich durch deine Gnade nach einiger Zeit wieder zur Einsicht kam und das verlorene Geschenk von dir zurückverlangte, im selben Augenblicke es mir so unversehrt zurückgestellt, als hatte ich es mit der größten Sorgfalt in deinen Schoß zur Aufbewahrung hinterlegt gehabt.

Zu alledem hast du sehr oft, aber ganz besonders am Feste deiner hochheiligen Geburt, am Sonntage Esto mihi und noch an einem andern Sonntage nach Pfingsten mich zu einer solchen Vereinigung mit dir geführt, ja fortgerissen, dass ich über das Wunder staune, wie ich nach jenen Stunden noch länger als Mensch unter Menschen leben konnte und, was an mir noch mehr Verwunderung, ja Grauen erregend ist, wie ich meine Fehler hiernach leider nicht gebessert habe. 

Dennoch ist bei alledem die Quelle deiner Barmherzigkeit nicht vertrocknet, o Jesus, du Liebevollster aller Liebenden, der du allein, selbst Unwürdige, wahrhaft und uneigennützig liebst. Denn als mir Niedrigsten, Unwürdigsten und Undankbarsten so erhabene Gaben, die Himmel und Erde mit Recht ohne Unterlass in höchster Freude preisen worden, im Verlaufe der Zeit unschmackhaft zu werden begannen, da hast du, o Spender, Wiederhersteller und Bewahrer alles Guten, mich Erkaltete wieder zur Dankbarkeit aufgeweckt. Und zwar dadurch, dass du einigen Personen, die ich als dir besonders ergeben und vertraut kenne, in Betreff deiner mir verliehenen Geschenke solches mitgeteilt hast, was sie, wie ich ganz sicher weiß, nicht von Menschen haben konnten. Denn obgleich ich es niemand geoffenbart hatte, hörte ich aus ihrem Munde dennoch Worte, die ich nur in der Heimlichkeit meines Herzens vernommen habe Mit diesen Worten und dem übrigen, was hierbei meinem Gedächtnisse sich aufdrängt, erstatte ich dir zurück, was dein ist, und als Echo es wiedergebend singe ich auf jenem süßtonenden Instrumente, deinem göttlichen Herzen, durch die Kraft des Geistes des Trösters dir, anbetungswürdiger Herr Gott Vater, Lob und Dank von Seiten aller, die im Himmel, auf Erden und unter der Erde sind77, und von Seiten alles dessen, was ist, war und sein wird.

Aber gegenüber solcher im lautersten Goldglanze strahlenden Fülle göttlicher Wohltaten entsetzt mich der schwarze Undank meines Lebens. Denn da hast mir nur deiner würdige Geschenke verliehen gemäß der dir eingebornen königlichen, ja göttlichen Freigebigkeit; ich aber habe gemäß meiner angebornen Ungeschicktheit dieselben nicht anders aufgenommen, als die niedrigste Veranstalterin erwarten lässt. Und dies hat deine natürliche königliche Sanftmut so vor dir verborgen, dass du mir deshalb niemals weniger wohlzutun schienst. Während du also, dessen süße Ruhe im himmlisch hehren Paläste der väterlichen Liebe ist, eine Ruhestätte zur Herberge in der Hütte meiner Armut erwähltest, war ich entartetste und unhöflichste Wirtin mit gar geringer Sorge auf dein Wohlgefallen bedacht; schon aus natürlichem, menschlichem Gefühle mußte ich bessere Pflege einem Aussätzigen angedeihen lassen, der nach vielen mir zugefügten Beleidigungen und mir verursachtem Kummer aus Not in meine Herberge eingekehrt wäre.

Für jene Wohltat sodann, die da, Bekleidet der Gestirne, mir erwiesen durch die lieblichste Ausschmückung meines Innersten, durch die Eindrückung deiner allerheiligsten Wunden, durch die Offenbarung deiner Geheimnisse, worin du mich süßere Wonnen des Geistes verkosten ließest, als ich jemals in körperlichen Genüssen hatte finden können, wenn ich auch vom Aufgang bis zum Untergang um die Welt gereist ware, hierfür habe ich Undankbarste durch Geringschätzung derselben dir Schmach zugefügt und äußere Ergötzung deinem himmlischen Manna vorgezogen.

Auch hiergegen, dass du zu meinen unwürdigen Gebeten dich huldvoll herabgeneigt hast, habe ich leider zu oft mein Herz gegen deinen Willen verhärtet, so dass ich zuweilen – was ich mit Tranen sagen sollte – mich stellte, als verstände ich denselben nicht, bloss um nicht durch den Stachel des Gewissens gezwungen zu werden, ihn zu erfüllen. Und dafür, dass du mir die Fürsprache deiner glorreichen Mutter und deiner seligsten Geister zu gewahren geruhtest, habe ich ihnen oft ein Hindernis gelegt, indem ich den Trost äusserer Freunde suchte, während ich auf dich allein hatte schallen sollen. Und statt daraus, dass deine Güte ihre Geschenke inmitten meiner Nachlässigkeiten mir unversehrt bewahrt hat, Antrieb zu grösserer Dankbarkeit und Verhütung der Nachlässigkeiten zu schöpfen, nehme ich im Gegenteil, in gewalttätiger, ja teuflischer Weise Gutes mit Bösem vergeltend, hieraus nur um so mehr Anlaß, ohne Vorsicht zu leben.

Meine größte Schuld ist aber, dass ich nach einer so erhabenen und dir allein bekannten Vereinigung mit dir nicht gefürchtet habe, meine Seele wiederum durch jene Fehler zu beflecken, die du mir nur deshalb hattest anhaften lassen, damit ich durch deine Hilfe sie bekämpfte und besiegte und hierdurch eine größere Herrlichkeit bei dir im Himmel ewiglich besitzen konnte. Ja, als du meinen Freundinnen, um die Dankbarkeit in mir zu wecken, meine Geheimnisse entdecktest, habe ich mit Umgehung deiner Absicht hierüber zuweilen mehr in menschlicher Weise mich gefreut uden schuldigen Dank vernachlässigt. Deshalb, o gütigster Schöpfer meines Herzens, möge hierüber und über anderes, was mir bei dieser Gelegenheit in den Sinn kommen kann, das Seufzen meines Herzens78 zu dir aufsteigen! Nimm an die Klage, die ich dir aufopfere, über meine allzu zahlreichen Versündigungen gegen deine so göttlich erhabene Gate, zugleich mit jenem edlen Mitleid und jener Ehrfurcht, deren Aufopferung du uns möglich gemacht hast durch deinen liebreichsten Sohn im Heiligen Geiste, von seiten aller, die im Himmel, auf Erden und unter der Erde sind79. Denn da ich durchaus unvermögend bin, würdige Fruchte der Sühnung darzubringen, so flehe ich zu deiner Huld, du mögest denjenigen, deren Herzen du dir in ergebener Treue verbunden weißt, es eingeben, meine über das Maß große und ungewöhnliche Mangelhaftigkeit durch Seufzer, Gebete und gute Werke ersetzen zu wollen, damit dir, o Herr und Gott, gebührende Ehre zuteil werde. 

O Erforscher meines Herzens80, du weißt genau, dass mich zu dieser Schrift nichts anderes gezwungen hat, als die lautere Liebe zu deiner Verherrlichung, damit nach meinem Tode viele dieselbe lesen und Mitleid haben mit deiner huldreichsten Güte, die um des Heiles eines Menschen willen so tief sich herablassen und die Geringschätzung und Entwertung so erhabener, so großer und zahlreicher Geschenke in mir zulassen mußte! Doch ich danke, soviel ich nur vermag, deiner milden Barmherzigkeit, o Herr und Gott, mein Schöpfer und Erneuerer, für die Versicherung aus dem überströmenden Abgrunde deiner Liebe, dass sogar jeder Sünder, der sich entschließt, zu deiner Verherrlichung an mich denken zu wollen, sei es durch Gebet für die Sünder oder durch Danksagung für die Auserwählten oder auch durch ein anderes, möglichst vollkommen verrichtetes gutes Werk, in keinem Falle das gegenwärtige Leben beschließen wird, ohne dass du ihn durch die besondere Gnade belohnst, dass sein Lebenswandel dir gefallt und da auch in seinem Herzen eine innige Freude genießest. Hierfür sei dir dargebracht jener ewige Lobpreis, der, van der Ungeschaffenen Liebe hervorquellend, allzeit auf dich selber zurückströmt.


DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Anempfehlung dieser Schrift

Sieh, o liebevollster Herr, das Talent deines herablassendsten Umganges, das du mir, einem unwürdigen Geschöpfe von äußerster Niedrigkeit, anvertraut hast81: um deiner Liebe willen mache ich es in der bisherigen wie in der nachfolgenden Schrift kund, damit deine Ehre davon Gewinn habe. O mochtest du wahrhaft gelobt und dir gedankt werden, dass deine unbegrenzte Liebe sich meiner Unwürdigkeit nicht entzogen hat. Und auch dafür wünsche ich dich gepriesen zu sehen, dass einige, die dies lesen, an der Süßigkeit deiner Liebe sich ergötzen und, hierdurch angezogen, in ihrem Innern noch Größeres erfahren. Wie Schuler durch das Alphabet allmählich zur Lehre van den Gesetzen des Denkens gelangen, so mögen jene hierdurch wie durch gemalte Bilder zum innerlichen Verkosten jenes verborgenen Mannas geführt werden, das durch keinerlei Beimischung von körperlichen Bildern mitgeteilt werden kann, sondern nur wer hiervon genießt, der hungert noch. Mit diesem Manna mögest du, o Gott, allmächtiger Spender aller Guter, aufs reichlichste uns weiden auf der ganzen Reise in diesem Elende, bis wir, im enthüllten Antlitze die Herrlichkeit des Herrn schallend, in dasselbe Bild umgestaltet werden von Klarheit zu Klarheit82 durch die Kraft deines allersüßesten Geistes.

Inzwischen gewahre gemäß deiner treuen Verheißung und nach meinem demütigen Verlangen allen, welche diese Schrift aus Demut lesen, Mitfreude an deiner Herablassung, Mitleid mit meiner Unwürdigkeit und Zerknirschung zu ihrem eigenen Fortschritte, damit aus den goldenen Rauchfässern83 ihrer Liebe glühenden Herzen ein so lieblicher Wohlgeruch zu dir aufsteige, dass dadurch alle Mangel meiner Undankbarkeit und Nachlässigkeit reichlich ersetzt werden. Amen.

Gertrude die Große, Gesandter der Göttlichen Liebe. Nach der Ausgabe der Benediktiner von Solesmes übersetzt von Johannes Weissbrot, Freiburg im Breisgau 2001, (Herder), Pag. 72-115


noten

1 Gemeint ist die Gnade der Offenbarung, die sie zuerst im Jahre 1281 empfing; vgl. in diesem zweiten Buche Kap. 1 und 23. Diese ihre eigenhändige Aufzeichnung fällt also in das Jahr1289.

2 Vgl. Ps 41, 8.

3 Nämlich im Advente, vgl. Kap. 23.

4 Vgl. Ps 49, 23.

5 Vgl. Is 56, 1. « Responsorium des 2. Adventssonntags; vgl. Mich 4, 9.

7 Vgl. Ps 7, 2.

8 Ps 71, 9.

9 Ps 35, 9.

10 Kol 2, 14.

11 HI 1, 3.

12 Mt 11, 30.

13 Vgl. Ps 26, 1.

14 Est 13, 10.

15 Sir 1, 2; 23, 28.

16 Vgl. Regel des hl. Benedikt Prol. 4; Is 58,9

17 Lk 1, 78.

18 Vgl. Ps 35, 9.

19 Vgl. Ps 54, 7.

20 Jo 14, 23.

21 Ps 102.

22 HI 2, 14.

23 Am dritten Adventssonntag.

24 Phil 4, 4.

25 Vgl. Gn 2, 23.

26 Vgl. Dan 13, 42.

27 Vgl. Rom 11, 33.

28 I Kor 6, 17.

29 Richt 6, 37.

30 I Kor 15, 28.

31 Hebr 1,3.

32 Ps 76, 11.

33 I Tim 2, 5.

34 Kol 2, 9.

35 Vgl. Ps 119, 4.

36 Hebr 12, 29.

37 Gnl, 26. Kol3, 10.

38 Vgl. Offb 1, 15u. Is 1, 25.

39 Sonntag Quinquagesima.

40 Gn 26, 3; 12, 7.

41 Vgl. Tit 3, 4-5.

42 Vgl. Rom 1, 20.

43 Ps 23, 4.

44 Vgl. Is 6, 57.

45 Ps 90, 15.

46 Mt 5, 26.

47 Job 9, 3.

48 Offb 12, 9; 20, 2.

49 1 Kor 10, 13.

50 Lk 2, 16.

51 Lk 2, 8.

52 »Sei mir … ein Zufluchtsort« (Ps 30). Introitus der Messe am Sonntag

Quinquagesima.

53 Vgl. Buch 4, Kap. 15.

54 Rom 9, 3.

55 HI 1, 12.

56 Die erste der drei Messen an Weihnachten.

57 Das Gebet für die verstorbenen Eltern ist auch jetzt noch im Messbuch, das andere aber, schon längst ausgefallen, lautet in alten Gebetssammlungen also: Allmächtiger, ewiger Gott, der niemals ohne Hoffnung auf Erbarmen angerufen wird, sei gnädig den Seelen deiner Gläubigen und lag diejenigen, welche im Bekenntnisse deines Namens  aus diesem Leben abgeschieden sind, der Zahl deiner Heiligen zugesellt werden.

58 Mt 3,17

59 Petr 4, 8.

60 Lk 2,7

61 Ps 102, 1. .

62 Diese Worte wie die S. 105 »die QueUe …« sind dem Hymnus auf den Namen Jesu, u. a. bei Migne, Patr. lat. t. 184, S. 1517, entnommen.

63 Vgl. Offb. 1, 16.

64 Offizium der hl. Agnes.

65 Dt 4, 24; Hebr 12, 29.

66 Phil 2, 10.  

67 Mt 12, 38.

68 Der hl. Bernardus, Zum Hohenliede Rede 31, n. 6.

69 Ps 102, 1-2. 

70 Mt 27, 50; Mk 15, 37; Lk23, 46; Hebr 5, 7.

71 So ein dem hl. Ambrosius zugeschriebener Hymnus.

72 2 Kor 1, 3.

73 Jer 29, 11.

74 Siehe oben S. 32.

75 1 Jo 2, 8.

76 Jo 1, 5. 

77 Vgl. Phil. 2, 10.

78 Ps 37, 9.

79 Vgl. Phil 2, 10; Offb 5, 13. 

80 Spr 24, 12.

81 Vgl. Mt 25, 27

82 2Kor 3,18

83 Vgl. Offb 8,3-4