NACH ERSTER KORINTHER DREIZEHN

 

 

Gedicht von Eva Zeller

 

NACH ERSTER KORINTHER DREIZEHN

 

I

 

Wenn ich

das Schweigen brechen könnte

und mit Menschen-

und Engelzungen reden

und hätte der Liebe nicht

so würde ich

leeres Stroh dreschen

und viel Lärm machen

um nichts

 

II

 

Und wenn ich wüsste

was auf uns zukommt

und könnte alle Situationen

im Simulator durchspielen

und den Winkel errechnen

unter dem ich umkehren könnte

 

und liesse mich nicht einfangen

vom Schwerefeld der Liebe

so schösse ich

ubers Ziel hinaus

und alle Reserven

nützten mir nichts

 

III

 

Und wenn ich

bei dem Versuch zu überleben

mein Damaskus hätte

und fande mich selbst

über alle Zweifel erhaben

auf dem Pulverfass sitzend

wie in Abrahams Schoss

und hätte die Liebe nicht

als eiserne Ration

hinübergerettet

so fiele ich

auf meinen bergeversetzenden

Glauben herein

 

IV

 

Und wenn ich

alle meine Habe den Armen gäbe

dass meine linke Hand nicht wüsste

was die rechte tut

und ich ginge nicht

zur Tagesordnung uber

sondern wäre der Spielverderber

und die lebende Fackel

 

und erklärte mich nicht

solidarisch mit der Liebe

so hätte ich

im Ernstfall

Steine statt Brot

und Essigschwämme

für den Durst des Menschen

 

V

 

Die Liebe ist lächerlich

Sie reitet auf einem Esel

uber ausgebreitete Kleider

Man soll sie hochleben lassen

mit Dornen krönen

und kurzen Prozess mit ihr machen

Sie sucht um Asyl nach

in den Mündungen unsrer Gewehre

Eine Klagesache von Weltruf

Immer noch

schwebt das Verfahren

 

VI

 

Sie stellt sich nicht ungebärdig

sondern quer zur Routine der Machthaber

Die Behauptung

sie liesse sich nicht erbittern

hat sie im Selbstversuch

eindrücklich bestätigt

Sie ballt nicht die Faust

Sie steigt nicht herab

Sie hilft sich nicht selbst

 

Sie dient als Kugelfang

 

VII

 

Sie freut sich nicht

über die Ungerechtigkeit

Sie ergreift Partei

fur die Ausgebeuteten

Daher ist es lebensgefährlich

sich mit ihr einzulassen

Sie könnte namlich

Bewusstsein bilden

und den Lauf der Dinge

durchkreuzen

Also üben wir ihre Vermeidung

Tuchfühlung nur

mit ihrem ungenähten Rock

dem durch und durch gewirkten

um den wir würfeln

bis zum dreimal krähenden Morgen

 

VIII

 

Was ich auch zuwege bringe

Sie ist nicht produzierbar

die Liebe

In keiner Retorte zu züchten

und schon gar nicht

auszumendeln und

aus der Welt zu schaffen

Sie ist ein Skandal

Geboren

Bezeugt

In Beweisnot geraten

Verurteilt

Gestorben

Begraben

In Strahlung zerfallen

 

IX

 

Die Liebe hört nicht auf

mich zu verunsichern

Sie findet Fugen zum Eingreifen

wo ich keine vermute

Sie überredet mich

in der Muttersprache des Menschen

Sie öffnet mir die Augen

und tritt als Sehnerin ein

An dieser Stelle

ist der blinde Fleck

Und ich sollte nicht

mit der Wimper zucken?

 

X

 

Wir sehen jetzt den Text

nicht fettgedruckt

sondern unleserlich

im Kontext beweglicher Leuchtschrift

der an- und ausgeht

Wir sind in unsrem Element

im Zustand der fressenden Larve

und können nur hoffen

bis in die Verpuppung zu kommen

in den durchsichtigen Kokon

in dem wir zu erkennen sind

 

XI

 

Nun aber bleibt

Glaube Liebe Hoffnung

Diese drei

Aber die Liebe

ist das schwächste

Glied in der Kette

Die Stelle

an welcher

der Teufelskreis

bricht