
LIEDER VOM VERFLUCHTEN LÄCHELN
MAN SUCHT UNS
Man sucht uns. Ein Murmelgebet wär das Ende.
Die Spürhunde – Schritte des grausigen Gotts.
Doch schützen uns nicht seine Nebelwände,
die uns verstecken, den Schergen zum Trotz?
Du siehst den Palast nicht der Grauheit, wo Farben
wie Kinder, erstickte, versinken in Grau.
Wir liegen dort beide wie nackte Garben,
sonst keiner, nur: Nebel, ein Mann, eine Frau.
Doch kommt aus dem Nichts mir die Gier zu nippen
von roten Feuern, oh, ich bemerk:
Aus all der Grauheit erblühn deine Lippen.
Doch wer hat erschaffen das purpurne Werk?
Es hat sie erschaffen der Nebel! Er teilt sich,
und sieh, wie er uns von den Leibern rinnt.
Dein Mund, nach seiner Natur, beeilt sich,
den andern zu lieben, trunken und blind.
Abraham Sutzkever
Vertaling Hubert Witt
DIE ERSTE NACHT IM GETTO
»Die erste Nacht im Getto ist die erste Nacht im Grab,
danach gewöhnt man sich« – so tröstet mein Nachbar
die grünen erstarrten Leiber, aut die Erde gebreitet.
Können Schiffe auf festem Lande versinken?
Ich spür: es sinken Schiffe unter mir, nur die Segel,
geflickte und zertretne, wälzen sich oben:
die grünen erstarrten Leiber, auf die Erde gebreitet.
Es steht mir bis zum Hals – –
Mir überm Kopf hängt eine lange Rinne,
durch Sommerfäden mit der Ruine versponnen.
Keiner bewohnt ihre Kammern. Nur klagende Ziegel,
mit Stücken Fleisch ihrer Wände herausgerissen.
In die Rinne spült Regen zu anderer Zeit,
ein linder, weicher, segnender. Mütter stellen
Eimer hin für die süße Wolkenmilch,
der Töchter Haar zu waschen, daß ihre Zöpfe glücklich leuchten.
Jetzt sind da keine Mütter, keine Töchter, kein Regen,
nur Ziegel einer Ruine, nur die klagenden Ziegel,
mit Stücken Fleisch ihrer Wände herausgerissen.
Nacht. Es rinnt ein schwarzes Gift. Ich bin ein schwelendes
Holz,
verraten vom letzten Funken, abgrundtief erloschen.
Ruine, meine Schwester! Der feuchte Wind,
atemlos meinem Munde zugefallen mit milder Gnade,
begleitet meinen Geist, der sich vom zerlumpten Gebein erhebt
wie der Schmetterling vom Wurm. Und die Rinne
hängt mir immer über dem Kopf, erhoben im Raum –
durch sie rinnt schwarzes Gift Tropfen um Tropfen.
Und jäh wird jeder Tropfen zum Auge, ich bin
durchäugt mit Licht. Ein Lichtnetz beim Schöpfen des Lichts.
Und über mir die Rinne, mit der Ruine versponnen,
ein Fernrohr. Ich schwimm in seine Linsen und seh:
sie verschmelzen im Licht. Dort sind sie wie gestern,
die heimischen, lebendigen Sterne meiner Stadt,
darunter auch jener Stern am Ausgang des Schabbes,
von mütterlichen Lippen mit »Gute Woche« gesegnet.
Gut wird mir. Niemand soll ihn zerstören noch verdunkeln.
Leben muß ich – noch lebt der gute Stern meiner Mutter.
1941, 1971
Abraham Sutzkever
Vertaling Hubert Witt
GESICHTER IN SÜMPFEN
Nacht hat unsre Gedanken grau gemacht.
Morgensonne sät glühendes Salz in die Wunden.
Weisse Tauben, in Eulen verwandelt,
verlachten den Traum. Der ist wie Rauch verschwunden.
Was zitterst, Erde, du. Wird man dich auch zerbrechen?
Ob deine Nüstern schon die Opfer ahnen?
Unser Fluch war: uns in Sicherheit wiegen. Verschling uns!
Unsre Generation und ihre Fahnen.
Dich dürstet. Wir, wie aufgebrochene Quellen,
werden mit dem Gold unsrer Leiber deine Gruben füllen.
Und ein Alptraum Gesichter in Sümpf en wird
das Abendrot und unsere Häuser verhüllen …
Ende Juni 1941
Abraham Sutzkever
Vertaling Hubert Witt
aus: Gesichter im Morast
1
… und ergraut sind über Nacht uns die Gedanken,
das Licht hat Salz, hat Gift gesät in frische Wunden,
und weisse Tauben wandelten sich unversehens, wurden Eulen,
die unsres Traumes spotten, der im Rauch verschwunden.
Du zitterst, meine Erde? Wirst du auch, wie wir, gespalten,
oder sollte deine Nase den Geruch von Opfern ahnen?
Verschling uns! Denn in Sicherheit gewogen, waren wir verflucht,
verschling uns samt den Kindern, samt den Fahnen.
Bist du durstig, werden wir wie Pumpen unter Seufzen
mit unsrer Leiber Gold dir füllen deine Gruben,
und weiterspinnen wird sich das Gespinst: Gesichter im Morast,
Gesichter im Morast weithin bis über Sonnenuntergang und Stuben …
3
Ich wärme Tee mit deinen Briefen –
mit meinem einzigen Vermögen.
Es bleiben dünne Blättchen Asche
mit Glühwürmchen besprenkelt,
und ich alleine kann sie lesen,
und ich alleine schick sie ihrer Wege …
Es soll der Wind noch stummer als ein Grabstein sein,
mein Atemhauch soll still nur, still sich regen …
Ein Luftzug bloss und alle deine Schönheit, heilsam stark,
ruft Eifersucht hervor auf allen Wegen.
Wie lieb bist du mir doch
in diesen Blättchen Asche,
wie leuchtend du vergehst
in diesen Blättchen Asche,
und ich alleine kann sie lesen,
und ich alleine schick sie ihrer Wege …
5
Bald wird es geschehen!
Die schwarzen Ringe
ziehn sich eng und enger um den Halls!
Unpersönlich, wie ein tem im Pflaster,
werd ich liegenbleiben unter Hufen,
aus der Welt erlöst.
Doch in mir tief
werden wandern, ruhelos, drei Ameisen:
Eine,
unterm Lorbeer meiner Kindheit,
heimkehren wird sie zum Zauberwald.
Eine zweite,
unterm Panzer meines Traumes,
heimkehren wird sie zum Traumland.
Und die dritte,
die mein Wort trägt,
wird einen Weg nicht haben,
denn verpestet
ist das Land von blindgläubigen Wörtern.
Wachen wird im Tal der Schatten
sie, allein und einsam,
über mein Gebein.
Abraham Sutzkever
Übersetzung Peter Comans
Bemerkung, Die neun Gedichte »Gesichter im Morast« schrieb ich während der ersten zehn Tage, nachdem die Pest in Wilna einmarschiert war. Ungefähr vom 25. Juni bis zum 5. Juli. Ich schrieb sie im Liegen, versteckt in einem zerstörten Kamin in meiner alten Wohnung in der Wilkomirer Strasse 14. Auf diese Weise verbarg ich mich vor den Häschern, die alle Männer verschleppten, die sie fanden, Juden, versteht sich. Meine Frau trug die Gedichte bei sich durch alle Gräuel und Unglücke. Sie begleiteten sie bei der ersten Provokation und bluteten mit im Gefängnis unter der Knute von Schweinenberg. Durch ein Wunder entkam meine Frau mit ihnen zurück ins Ghetto, wo ich mich allerdings schon nicht mehr aufhielt – ich war geflohen während der Nacht der gelben Scheine. Als ich wieder zurückkam, fand ich meine Frau im Krankenhaus, wo sie ein Kind zur Welt brachte und, während sie in Wehen lag, diese Gedichte in ihrer Hand umklammert hielt.
A.S.16.5.1942

zum Kind
Ob vor Hunger,
ob aus lauter Liebe
-als Zeugin war nur deine Mutter da-,
verschlingen wollt ich dich, mein Kind,
fühlend, wie dein kleiner Leib erkaltete
in meinen Fingern,
als hielte ich in ihnen fest umschlossen
ein warmes Glas mit Tee
und fühlte dessen Übergang zu Kälte.
Denn du bist nicht bloss Fremdling, nicht bloss Gast,
in unsrer Welt gebiert man niemals jemand anderen-,
sich selbst gebiert man, gleichsam einen Ring,
und diese Ringe schliessen sich zu Ketten.
Kind meines,
der du heisst, in Worten, Liebe,
und ohne Worte bist du diese selbst,
du – die Mitte eines jeden meiner Träume,
verborgner Dritter,
der du von den Enden dieser Erde
im Wunder eines unsichtbaren Sturmes
zusammenführtest und zusammengossest zwei,
auf dass sie Schöpfung dir und Freude schenken:
Warum hast du verdunkelt diese Schöpfung,
indem du deine Augen zugemacht
und mich zurückgelassen, bettelarm, hier draussen,
mit einer Welt zusammen, einer eingeschneiten,
die du verworfen hast, zurückgeworfen?
Niemals hat eine Wiege Freude dir bereitet,
die immer, wenn sie sich bewegt,
in sich verborgen trägt den Rhythmus der Gestirne.
Die Sonne mag in Stücke brechen, so wie Glas,
denn niemals hast du ihren hellen Glanz erblickt.
Ein Tropfen Gift hat deinen Glauben ausgebrannt,
geglaubt hast du:
Es ist warm-süsse Milch.
—————
Verschlingen wollt ich dich, mein Kind.
Um so zu fühlen den Geschmack
von meiner Hoffnung Zukunft.
Vielleicht wirst blühen du dereinst
in meinem Blut.
Doch bin ich es nicht wert, dein Grab zu sein.
So will ich dich verschenken
an den Schnee, der ruft,
an den Schnee, der mir der erste Festtag war,
und du wirst sinken
wie ein Splitter Sonnenuntergang
in seine stillen Tiefen
und überbringen einen Gruss von mir
den erfrornen Gräsern ———
Wilnaer Ghetto
- Januar 1943
Abraham Sutzkever
Übersetzung Peter Comans
Wie nur?
Wie und womit wirst den Becher du füllen
an dem Tag, wo es heisst, du bist frei?
Bist in all deiner Freude du willens zu spüren
der Vergangenheit finsteren Schrei,
wo die Schädel von Tagen noch glühen
in der Schwärze des Abgrundes, bodenlos tief?
Einen Schlüssel, der passt, wirst du suchen
für deine verriegelten Schlösser.
So wie Brot wirst du kauen die Gassen,
dabei denken: Das Früher ist besser.
Und die Zeit wird ganz still in dir bohren
wie die Grille im Käfig der Faust.
Die Erinnerung deine wird gleichen
einer alten, verschütteten Stadt.
Und dein Blick wird dort irgendwo kriechen
wie ein Maulwurf, der gräbt und der gräbt …
Wilnaer Ghetto
- Februar 1943
Abraham Sutzkever
Übersetzung Peter Comans
Ein Augenblick
Ein Augenblick fiel nieder wie ein Stern.
Mit meinen Zähnen fing ich ihn sogleich,
und als sie aufgebissen seinen Kern,
da traf ein Spritzer mich: ein Tränenkönigreich.
Und jeder Tropfen hat herausgespiegelt
ein andres Traumbild, einen andren Sinn:
Da – ein Weg, mit tausend Händen wie beflügelt,
da – ein Steg, zu einem Traume führt er hin.
Und da – mein Grossvater, am Haupt die Schlange,
und da – mein Kind, zerschmettert auf dem Stein.
Da suchte ich nach einem freien Tropfen lange
und schloss mich schliesslich selber darin ein.
Wilnaer Ghetto
- April 1943
Abraham Sutzkever
Übersetzung Peter Comans
Verbrannte Perlen
Nicht deshalb, weil sich meine Wörter werfen
wie Hände, die man ringt, nach Rettung,
nicht deshalb, weil sie sich wie Zähne schärfen
an einem Leib in Finsternis, nach Sättigung,
bläst du die Kohlen meines Zornes an zum Glimmen,
geschriebnes Wort, du Stellvertreter meiner Welt,
nein, deshalb nur, weil deine Klänge schimmern,
wie verbrannte Perlen,
nachdem ein Scheiterhaufen ausgelodert ist und kalt,
und keiner mehr, auch ich nicht, den die Zeit zerrieben,
die Frau erkennt, in einem Flammenmeer gewaschen,
für die von allen ihren Freuden sind geblieben
nur grau-verbrannte Perlen in der Asche …
Wilnaer Ghetto
- Juli 1943
Abraham Sutzkever
Übersetzung Peter Comans
Execution
Digging a pit as one must, as they say.
I seek in the earth a solace today.
A thrust and a cut — and a worm gives a start:
It trembles below me, breaking my heart.
My spade cuts him through — and a miracle, see:
The worm divided — becomes two, becomes three.
I’m cutting again: they are four, they are five —
Was it I who created all of those lives?
Then the sun breaks through my darkest mood
And new hope makes me proud and firm:
If a worm will never succumb to the cut,
Can you say you are less than a worm?
May 22, 1942
Abraham Sutzkever

Die Lehrerin Mira
In Lumpen gekleidete, elende Massen –
an treibt uns ins Ghetto, durch drangvolle Gassen.
Die Häuser verlassen, ein Abschied auf immer,
Gesichter versteinert, was kommt, das ist schlimmer.
Gekrönt mit Gebetsriemen schreiten die Alten,
sein Kalb fest am Strick will ein Dorfjude halten.
Kaum kann diese Frau einen Sterbenden tragen,
ein andrer zieht Holzscheite auf einem Wagen.
Inmitten von all dem: die Lehrerin Mira,
ein Kind auf dem Arm – eine goldene Lyra.
Ein Kind auf dem Arm, reicht die Hand sie dem zweiten,
begleiten will sie ihre Schüler, begleiten.
Das jüdische Viertel versperrt jetzt ein Tor,
ganz frisch erst gezimmert, noch warm kommt es vor.
Ein Strom sind die Kinder, ins Stauwehr gezwungen –
das Tor tut sich auf, und sie werden verschlungen.
Sie hasten durch Trümmer, in Kälte und Not,
doch Bleistift und Buch sind jetzt Wärme und Brot.
Die Kinder versammeln sich in den Ruinen,
die Lehrerin Mira lernt weiter mit ihnen.
Aus Sholem Alejchem liest sie ihrer Schar, sie strahlen,
die Kinder, und lachen sogar.
Sie flicht blaue Bänder mit ein in die Zöpfe
und zählt: hundertdreissig gesegnete Köpfe.
Die Lehrerin Mira ist früh auf den Beinen
und wartet, und wilt sie begrüssen, die Kleinen.
Sie kommen. Sie zählt. Ach, nicht zählen wär besser!
Die Nacht verriet zwanzig von ihnen ans Messer.
In Miras Gesicht stehen Abendrotflecken,
doch nichts davon dürfen die Kinder entdecken.
Sie beisst sich die Lippe, zeigt Stärke und Glut,
erzählt von Hirsch Leckert, und macht ihnen Mut.
Die Nacht hinterliess nur ein Grau in den Höfen,
und grau wird der Lehrerin Haar Anden Schläfen.
lm Keiler sucht sie nach der Mutter, der blinden –
sie, und siebzehn Kinder, wird niemand mehr finden.
Kaum trocknet das Blut in der Sonne, da stehn
bei Mira die Wände geschmückt voller Grün.
»Es kommt Lehrer Gerstejn zu Gast. Lasst uns singen,
der Chor soll bis über die Tore erklingen.«
‘Schon nahet der Frühling’ erklingt. Mittlerweile
verheeren den Grund Bajonette und Beile.
Man zerrt an den Haaren aus Grube und Keller.
‘Schon nahet der Frühling’, erklingt’s um so heller.
Für sechzig, verwaist wie sie sind und allein,
muss Mira die Schwester, die Mutter jetzt sein.
»Ein Festtag ist bald, meine Kinder, mein Leben,
wir wollen dazu eine Vorstellung geben!«
Noch vierzig erleben die festliche Stunde,
gekleidet in weiss, eine leuchtende Runde.
Die Bühne ist frisch: eine Sonne, ein Garten,
ein Floss scheint auf jemand, der badet, zu Warten.
Aus Perets, vom »dritten Geschenk« liest man vor,
da brechen die Häscher herein durch das Tor.
Sie treiben zusammen. Am Morgen geblieben
von einhundertdreissig sind Mira und sieben. .
Eh Äxte nicht spalten den Geist ihr, den kühnen,
Ist Mira die Blume, die Kinder sind Bienen.
Ergraut ist die Blume, verwelkt ihre Glieder,
im Morgenrau öffnet die Blüte sich Wieder.
Wilnaer Ghetto
- Mai 1943
Abraham Sutzkever
Übersetzung Peter Comans
Teacher Mira
With patches on our bodies, striped and parching,
They chase us in the ghetto, streets are marching,
Our buildings say farewell eternally,
Stone faces walk with us at each decree.
Old people wearing tfillin like black crowns,
A calf walks with a village Jew in tow,
A woman drags a person by the nails,
Another pulls a bunch of wood on rails.
Among them walks a woman, Teacher Mira.
A child is in her arms — a golden lyre.
She clasps another child by his frail hand,
The students walk around her — trusting band.
And as they get to Jew Street, there’s a gate,
The wood still warm and raw, they huddle, wait.
And like a sluice for torrents of a flood,
It opens up and swallows in its blood.
They chase us over ruins, no bread, no light,
Bread is a book, a pencil shines so bright.
She gathers all her children on the floor,
Teacher Mira goes on teaching as before.
She reads Sholem Aleichem’s tale aloud,
A sparkle in their eyes, they laugh so proud.
She ties blue ribbons in the girls’ braids
And counts her treasures: hundred thirty heads.
And Teacher Mira, like the sun, at dawn
Awakes, waits for her children to go on.
They come. She counts. Oh, better not to count!
For overnight, some twenty were cut down.
Her skin, a windowpane in stains of dusk,
Mira must not reveal the darkness thus.
She bites her lip, of courage she will tell:
About Hirsh Lekert, how he fought and fell.
And overnight, gray covered all the town,
And Teacher Mira’s hair, her silver crown.
She seeks in cellars for her mother blind,
And seventeen more children she can’t find.
When sun dried up the blood, with branches green
She trimmed the orphaned room, so neat and clean:
— Gershteyn the teacher came and we shall sing,
Over the walls, our children’s choir will ring.
They sing: ‘Not far is spring.’ But in the street,
Axes and bayonets smash, crush, and beat.
They drag from cellars, hidings, but the choir
Sings on ‘Not far is spring,’ sings higher, higher.
They are but sixty, with no sister, mother,
Now Teacher Mira is one and the other.
A holiday approaches, little doves,
We shall prepare a play, a play she loves.
The fête — and only forty children left.
But each in a white shirt, each child bereft.
The stage is fresh, a garden in the sun,
A river you can swim in, you can run.
When Peretz’s third gift took all the bows,
The peril has cut down the rickety house.
People were caught by snatchers! Save us, Heaven!
Of a hundred thirty, Mira remains with seven.
Till axes split her mind, she on her knees,
A flower, and her children — buzzing bees.
Gray is the flower, and the time is awesome.
Tomorrow in the dew, again she’ll blossom.
Vilna Ghetto, May 10, 1943
Abraham Sutzkever
Ähren
Zwei Jahre hab ich mich gesehnt nach Ähren,
Ähren, still auf einem heimatlichen Feld,
als ich mich widersetzte in den Zangen,
die mich gefangen
und verstellt
den Weg,
den grünen Weg zu jenen Ähren –
doch nicht die Ähren selber auf dem Feld.
Und als mein Atem aufgeschmolzen jene Zangen –
da hat ein Wind durch meine Adern
gepfiffen und gerufen:
»Steh auf, Sohn Adams, reif sind schon die Ahren.
Einer Ähre gleich ist schon dein Leib.«
Und ich bin, wie das Schicksal geht, gegangen
durch verbrannte Städte
hin zu jenem Rufen.
Als ich aber, ein vom Untergang der Sonne Müder,
angekommen bin bei meinem langersehnten Feld –
sieh, da liegen an dem Orte meine Brüder
hingemordet übers ganze Feld.
Und die Ähren, ihre glühendheissen Spitzen,
sind hindurchgewachsen Schicht um Schicht
durch Schädel, Rippen,
und sie steigen höher, höher, höher,
zu der Sonne, die zusammensucht ihr Licht,
als oh die eine Ähre so in Hast die zweite
in ihrem Wuchs zu übertreffen sucht.
Und eine Ähre
hat zu wandern angefangen
durch einen Mund, der seine Zähne bleckt.
Und Ähren, zwei, die kriechend durch ein Schulterblatt gelangen.
Und diese Ähre sucht nach einem Weg, allein,
und einer Hand ist sie vergleichbar, die sich aus der Erde reckt.
Und eine Kornblume aus einem Auge – wie Gewein …
Und jetzt, was seh ich, ein im Abendschein erglühter?
Ich seh ein Feld mit Ähren, blutig rot.
Eilends näher zu mir kommt ein Schnitter
und schneidet für die Nachkriegszeit das Brot.
Narotscher Wälder September 1943
Abraham Sutzkever
Übersetzung Peter Comans
Stalks
Two years I longed for stalks,
Silent stalks in a familiar field.
When I struggled in the vise
That caught me
And blocked
The road,
The green road to those stalks —
But not the stalks in the familiar field.
And when my breath melted the vise —
A wind in my veins
Whistled and called:
— ‘Get up, son of man, the stalks are ripe.
Now your own body is like a stalk.’
And as fate walks, so walked I
Through burned cities
To that call.
But when I came, weary, through the sunset,
I reached my longed-for field —
They lay there, my brothers,
Killed over the field.
And the stalks with glowing spears,
Layer upon layer, grew through
The skulls, the ribs,
And climbed higher, higher, higher,
o the sun that gathers back its light,
As if each stalk rushed to overtake
The others.
One stalk
Went wandering
Through a mouth with clenched teeth!
Two stalks crept through shoulders.
And there, a stalk searching for a way —
A hand reaching out of the earth.
And a cornflower through an eye, weeping —
What do I see now in the evening light?
I see a field with stalks, blood red.
And rushing to me closer, comes a mower
And mows the afterwar fresh bread.
Narocz Forest, September 1943
Abraham Sutzkever
ז
כ׳געפֿין אַנשטאָט דיך אַ צעריסנס דײַן העמד,
נעם איך צום האַרצן און דריק עס פֿאַרשעמט.
עס ווערן די לעכער פֿון העמד מײַנע טעג
און דער זוים פֿונעם העמד ווערט אין האַרץ מיר אַ זעג.
צערײַס איך פֿון לײַב מײַנע קליידער ואן קריך
אין דײַן אָפֿענעם נאַקעטן העמד ווי אין זיך.
ס׳איז מער ניט קיין העמד, ס׳איז דײַן ליכטיקע הויט,
ס׳איז דײַן קאַלטער, דײַן איבערגעבליענער טויט.
ח
רעדסטו צו מיר
אַזוי וואָרהאַפֿטיק עכט:
– ניטע, מײַן קינד,
ס׳איז אַ זינד, ס׳איז אַ זינד,
און אונדזער צעטיילונג
נעם אָן פֿאַר גערעכט.
אַז דו ביסט פֿאַראַן,
בין איך דאָ סײַ־ווי־סײַ,
ווי דער יאָדער אין פֿלוים
פֿאַרמאָגט שוין דעם בוים
און די נעסט און דעם פֿויגל
און אַלץ וואָס דערבײַ.
ווילנער געטאָ, אָקטאָבער 1942
VII.
Instead of you, I find your torn coat
I press it to my heart, bashful and raw.
The holes of your shirt become my days
And the seam of your shirt in my heart like a saw.
I rip the clothes off my body and creep
Into your naked shirt as into myself.
No longer a shirt—your shining skin,
Your cold, your everlasting death.
VIII.
You are talking to me
So palpably bright:
—Don’t, my child,
It’s a sin, it’s a sin!
This is our parting—
Accept it as right.
If you are still here,
Then I exist too,
As the pit in a plum
Bears in it the tree
And the nest and the bird
And everything else too.
Vilna Ghetto, October 1942
Abraham Sutzkever
Vertaling Saul Noam Zaritt

Erfrorene Juden
Hast du gesehen auf Feldern verschneit
erfrorene Juden, gereiht Seit an Seit?
Kein Atemzug. Bläue von Marmorgestein.
Und doch will kein Tod in den Leibern dort sein.
Denn irgendwo funkelt erfroren der Geist,
wie ein goldener Fisch, in der Welle vereist.
Sie reden nicht, schweigen nicht. Denken wie eh.
Auch die Sonne liegt nächtens erfroren im Schnee.
Es liegt auf den rosigen Lippen im Frieren
ein Lächeln, und dennoch, es kann sich nicht rühren.
Ein hungriges Kind bei der Mutter ganz dicht.
Nur seltsam: Zu stillen vermag sie es nicht.
Entblösst liegt, erstarrt seine Fäuste, der Greis
und kann seine Kraft nicht befreien vom Eis.
Zu zahllos ist Tod mir begegnet bisher,
und keinerlei Arten verwundern mich mehr.
Doch mitten im Juli, der Hitze der Gassen,
packt Frost mich als würde mich Irrsinn erfassen.
Die bläulichen Leichen, wo immer ich geh,
erfrorene Juden auf Feldern voll Schnee.
Schon deckt meine Haut eine marmorne Schicht,
allmählich verlöschen das Wort und das Licht.
Und meine Bewegung erfriert wie heim Greis,
der all seine Kraft nicht befrein kann vom Eis.
Moskau
- Juli 1944
Abraham Sutzkever
Übersetzung Peter Comans
Frozen Jews
Did you ever see in fields of snow
Frozen Jews, in row upon row?
Breathless they lie, marbled and blue.
Of death in their bodies, no hint and no clue.
Somewhere their spirit is frozen and saved
Like a golden fish in a frozen wave.
Not speaking. Not silent. Just thinking bright.
The sun too lies frozen in snow at night.
On a rosy lip, in the freeze, still glows
A smile — will not move, not budge since it froze.
Near his mother, a baby starving, at rest.
How strange: she cannot give him her breast.
The fist of a naked old man in surprise:
He cannot release his force from the ice.
So far, I have tasted all kinds of death,
None will surprise me, will catch my breath.
But now, overcome in the mid-July heat
By a frost, like madness, right in the street:
They come toward me, blue bones in a row —
Frozen Jews over plains of snow.
My skin is covered with a marble veil.
My words slow down, my light that is frail.
My motions freeze, like the old man’s surprise,
Who cannot release his force from the ice.
Moscow, July 10, 1944
Abraham Sutzkever
Ein Wagen Schuhe
Die Räder jagen, jagen,
was tragen sie mir zu.
Es wimmelt auf dem Wagen
von einer Ladung Schuh.
Als käm ein Hochzeitsbaldachin
im abendlichen Glanz,
so rollt der Karren Schuh dahin
wie Menschen, froh heim Tanz.
Ist wirklich Hochzeit heute?
Was täuscht nur meinen Bliek?
Das Schuhwerk ruft vertraute
Gestalten mir zurück.
Ich hör die Absätz klappern:
Wohin, wohin, wohin?
Aus alten Wilner Gassen
treibt man uns nach Berlin.
Wer wohl die Schuh getragen …
Mir läuft durchs Herz ein Riss.
Ihr Schuh, ihr müsst mir sagen:
Wo sind sie, eure Füss?
Die Füss zu den Pantoffeln
mit Knöpfen hell wie Tau.
Mein Blick sucht ohne Hoffen
den Säugling, sucht die Frau.
Und Schühchen, winzig kleine,
warum seh ich kein Kind?
Zieht keine Braut sich, keine,
die Brautschuh an geschwind?
Ich find bei all dem Leder
der Mutter Schuh, die besten,
die trug sie hin und wieder
an Sabbat nur und Festen.
Und wie die Absätz klappern:
Wohin, wohin, wohin?
Aus alten
Wilner Gassen
treibt man uns nach Berlin.
Wilnaer Ghett
1 Januar 1943
Abraham Sutzkever
Übersetzung Peter Comans
A wagon of shoes
The wheels they drag and drag on,
What do they bring, and whose?
They bring along a wagon
Filled with throbbing shoes.
The wagon like a khupa
In evening glow, enchants:
The shoes piled up and heaped up,
Like people in a dance.
A holiday, a wedding?
As dazzling as a ball!
The shoes — familiar, spreading,
I recognize them all.
The heels tap with no malice:
Where do they pull us in?
From ancient Vilna alleys,
They drive us to Berlin.
I must not ask you whose,
My heart, it skips a beat:
Tell me the truth, oh, shoes,
Where disappeared the feet?
The feet of pumps so shoddy,
With buttondrops like dew —
Where is the little body?
Where is the woman too?
All children’s shoes — but where
Are all the children’s feet?
Why does the bride not wear
Her shoes so bright and neat?
‘Mid clogs and children’s sandals,
My Mama’s shoes I see!
On Sabbath, like the candles,
She’d put them on in glee.
The heels tap with no malice:
Where do they pull us in?
From ancient Vilna alleys,
They drive us to Berlin.
Abraham Sutzkever
My every breath is a curse.
Every moment I am more an orphan.
I myself create my orphanhood
With fingers, I shudder to see them
Even in dark of night.
Once, through a cobblestone ghetto street
Clattered a wagon of shoes, still warm from recent feet,
A terrifying
Gift from the exterminators…
And among them, I recognized
My Mama’s twisted shoe
With blood-stained lips on its gaping mouth.
— Mama, I run after them, Mama,
Let me be a hostage to your love,
Let me fall on my knees and kiss
The dust on your holy throbbing shoe
And put it on, a tfillin on my head,
When I call out your name!
But then all shoes, woven in my tears,
Looked the same as Mama’s.
My stretched-out arm dropped back
As when you want to catch a dream.
Ever since that hour, my mind is a twisted shoe.
And as once upon a time to God, I wail to it
My sick prayer and wait
For new torments.
This poem too is but a howl,
A fever ripped out of its alien body.
No one to listen.
I am alone.
Alone with my thirty years.
In their pit they rot —
Those who once were called
Papa.
Mama.
Child.
Vilna Ghetto, July 30, 1943
Abraham Sutzkever
Grains Of Wheat
Caves, gape open,
Split open under my ax!
Before the bullet hits me —
I bring you gifts in sacks.
Old, blue pages,
Purple traces on silver hair,
Words on parchment, created
Through thousands of years in despair.
As if protecting a baby
I run, bearing Jewish words,
I grope in every courtyard:
The spirit won’t be murdered by the hordes.
I reach my arm into the bonfire
And am happy: I got it, bravo!
Mine are Amsterdam, Worms,
Livorno, Madrid, and YIVO.
How tormented am I by a page
Carried off by the smoke and winds!
Hidden poems come and choke me:
— Hide us in your labyrinth!
And I dig and plant manuscripts,
And if by despair I am beat,
My mind recalls: Egypt,
A tale about grains of wheat.
And I tell the tale to the stars:
Once, a king at the Nile
Built a pyramid — to rule
After his death, in style.
Let them pour into my golden coffin,
Thus an order he hurled,
Grains of wheat — a memory
For this, the earthly world.
For nine thousand years have suns
Changed in the desert their gait,
Until the grains in the pyramid
Were found after endless wait.
Nine thousand years have passed!
But when the grains were sown —
They blossomed in sunny stalks
Row after row, full grown.
— — — — — — — — — —
Perhaps these words will endure,
And live to see the light loom —
And in the destined hour
Will unexpectedly bloom?
And like the primeval grain
That turned into a stalk —
The words will nourish,
The words will belong
To the people, in its eternal walk.
Vilna Ghetto, March 1943
Abraham Sutzkever

Unter dayne vayse shtern
Shtrek tsu mir dayn vayse hant
Mayne verter zaynen trern
viln ruen in dayn hant
Ze, es tunklt zeyer finkl
In mayn kelerdikn blik
Un ikh hob gornit kayn vinkl
Zey tsu shenken dir tsurik
Un ikh vil dokh, got getrayer
Dir fartroyen mayn farmg
Vayl es mogt in mir a fayer
Un in fayer mayne teg
Nor in kelern un lekher
Veynt di merderishe ru
Loyf ikh hekher, iber dekher
Un ikh zukh, vu bistu, vu?
Nemen yogn mikh meshune
Trep un hoyfn mit gevoy
Heng ikh a geplatste strune
Un ikh zing tsu dir azoy
Unter dayne vayse shtern
Shtrek tsu mir dayn vayse hant
Mayne verter zaynen trern
viln ruen in dayn hant
Ze, es tunklt zeyer finkl
In mayn kelerdikn blik
Un ikh hob gornit kayn vinkl
Zey tsu shenken dir tsurik
Abraham Sutzkever
Unter deinen weissen Sternen
Unter deinen weissen Sternen
reich mir deine weisse Hand.
Meine Wörter sind wie Tränen,
wollen ruhn in deiner Hand.
Sieh, schon matter wird ihr Funkeln
mir in meinem Kellerblick.
Bliebe mir auch nur ein Winkel,
schenkte ich sie dir zurück.
Dir was mein ist, Gott getreuer,
will ich anvertraun im Leid,
denn es mahnt in mir ein Feuer
und im Feuer – meine Zeit.
Doch in Kellern und in Löchern
weint die mörderische Ruh.
Und ich lauf hoch über Dächern,
ruf »Wo bist du?«, immerzu.
Hetzen mich, verwirrt im Heute,
Treppen, Höfe, voll mit Klagen,
häng ich als zerrissne Saite
und sing dennoch ohne Zagen:
Unter deinen weissen Sternen
reich mir deine weisse Hand.
Meine Wörter sind wie Tränen,
wollen ruhn in deiner Hand.
Wilnaer Ghetto
1943
Abraham Sutzkever
Übersetzung Peter Comans
Under your white stars
give me your white hand
my words turn into tears,
receive them in your hand.
When it becomes night
let the stars light up the dept of my glance
so I find quiet in the darkness,
allow you to weep again.
Only you hear what I ask,
only you know my pain.
Look at this fire, this I carry
and it burns in my heart.
In the cellars, in the dungeons
the freedom is in the death.
On the houses, on the roofs
I shout: “Where are You, God?”
Restless I look for You,
chased by death.
Only for this song I allow me a pause,
and I sing for You, oh God.
Under your white stars
give me your white hand
my words turn into tears,
receive them in your hand.
When it becomes night
let the stars light up the dept of my glance
so I find quiet in the darkness,
allow you to weep again.
Abraham Sutzkever

Am I the last poet left singing in Europe?
Am I making song now for corpses and crows?
I’m drowning in fire, in gunk, in the swamps,
Imprisoned by yellow patched hours as they close.
I bite at my hours with the teeth of a beast
By a mother’s tear strengthened. Through teardrops I see
The heart of a million rise forth from the bones
Of long-buried brothers in gallop toward me.
And I am that heart of a million, one chosen
To guard the songs they left behind as they fell,
And God, whose estates Man has put to the torch,
Goes hidden in me as the sun in a well.
Be open, my heart! Know that your hallowed hours
Shall bloom in posterity’s mind. Check their fear,
And lend all your strength unto their mighty will.
Become in your sorrow their herald, their seer.
Make song from down under, make song from the swamps
As long as a mother’s tear lives, let the breeze
Bear your voice to the ear of your bone-buried brethren
To the ghetto in flames, to your folk overseas.
Written in the Vilnius Ghetto, June 1943
Abraham Sutzkever
Translated by A.Z. Foreman
געזאַנג פֿון אַ יידישן דיכטער אין 1943
אבֿרהם סוצקעווער
צי בין איך דער לעצטער פּאָעט אין אייראָפּע?
צי זינג איך פֿאַר מתֿים, צי זינג איך פֿאַר קראָען?
איך טרינק זיך אין פֿײַער, אין זומפּן, אין ראָפּע,
געפֿאַנגען פֿון געלע, געלאַטעטע שעהען.
כ׳צעבײַס מײַנע שעהען מיט חײשע ציינער
געשטאַרקט פֿון מײַן מאַמעס אַ טרער. דורכן טראָפּן
דערזע איך ס׳מיליאָניקע האַרץ, פֿון די ביינער,
וואָס יאָגן צו מיר פֿון דער ערד אין גאַלאָפּן.
איך בין דאָס מיליאָניקע האַרץ! בין דער היטער
פֿון זייערע איבערגעלאָזטע ניגונים.
און גאָט וואָס דער מענטש האָט פֿאַרברענט זײַנע גיטער,
באַהאַלט זיך אין מיר, ווי די זון אין אַ ברונעם.
זײַ אָפֿן, מײַן האַרץ! און פֿאַרנעם ווי עס שפּראָצן
געהייליקטע שעהען אין צוקונפֿטס מחשבֿה.
פֿאַרגיכער, פֿאַראײַל זייער מאַכטיקן רצון,
און זײַ אין דײַן צער זייער אָנזאָגער, נבֿיא.
און זינג פֿון די זומפּן, און זינג פֿון דער נידער,
ביז וואַנען עס לעבט נאָך אַ טרער פֿון דער מאַמען!
דערהערן דײַן קול זאָלן ביינערנע ברידער,
די בראַנדיקע געטאָ, און ס׳פֿאָלק הינטער ימען
ווילנער געטאָ, יוני 1943
Abraham Sutzkever
A Remarkable Friendship Exists
A remarkable friendship exists, when both friends
inhabit different centuries, different countries.
People meet like wandering roots beneath
tree trunks split in two: Are you that friend? –Yes, I am she.
There is a friendship akin to biblical scrolls, which you find
in caves and which joy and tenderness can unwind.
Unfurl it—Then it will narrate our saga too. Otherwise,
it will flake away and fall to pieces in your fingers.
There is a friendship stronger than love, than hate,
twinned by fate, they must accompany each other:
When trained hounds sniff out a hiding place
and one friend could escape, yet he remains with the other.
Creator, you have gifted me friends of all sorts,
and among them a special one, who remains most devoted:
At dawn, he will rise early to water my garden
so I may distribute his grapes to the spirits.
Abraham Sutzkever
Vertaling Maia Evrona
Mit dreissig Jahren
Meinem Vater sprang das Herz entzwei, mit dreissig Jahren,
während er die Melodie
des Rabbi Levi Jitschok auf der Fiedel spielte gegen Abend.
Die Fiedel zitterte auf seiner Schulter wie ein Kind,
und ihre Sprache,
ein Magnet aus hellem Licht,
zog die weite Welt
hinein in eine Hütte voller Schatten,
wo ich, ein Träumer, sieben Jahre alt,
die väterlichen Knie
umschloss.
Es war im hellen Licht Sibiriens.
Es war.
Es war.
Ein Flecken Sonne
oder die heisse Zunge
eines Wolfs im Winterfrost
leckte Schnee ab von der Fensterscheibe
und konnte ihn nicht ganz zum Schmelzen bringen.
Sein Licht jedoch
beleuchtete die Klänge,
die sich von der Fiedel lösten,
und seine Funken zogen Streifen durch mein feuchtes Auge.
Plötzlich fasste sich ans Herz
der bleiche Vater,
zuckte,
schwankte
mit einem ausgestreckten Arm,
und auf meine kleinen Hände
fiel sein Leib
zusammen mit der Fiedel
wie ein schwerer Ast hinunterfällt
auf eine leichte Welle
und die Welle trägt ihn.
Oben schwebte eine Melodie.
Unten auf dem Boden
atmete der Vater schon nicht mehr.
Und entweder suche ich mir einzureden,
oder was ich sage, ist die Wahrheit:
Liegend und auf ewig schon in einem kalten Schweigen
vertrauten seine Lippen dies mir an:
»So, mein Kind,
erprobe auf den Händen du die Last des Lebens,
damit du dich daran gewöhnst,
sie später zu ertragen.«
In jenem Augenblick
ward in mir geboren der Poet.
Ich spürte:
Es träumt in meinem Körper irgendwo ein Kern,
der trägt in seinen Eingeweiden
eine ganz bestimmte Sendung.
Mir kam es vor: lch werde Herr
über Wälder,
Menschen,
Dinge,
und alles, was ich irgend seh,
ist mein verkörpertes Verlangen.
Seit damals geht mir nach
des Vaters lauteres Vermächtnis:
»So, mein Kind,
erprobe auf den Händen du die Last des Lebens,
damit du dich daran gewöhnst, sie später zu ertragen.”
Und jetzt
hab ich selber eingeholt des Vaters Alter.
Eingeholt –
und keinen Weg gibt es zurück
und nicht nach vorn.
Und wenn ich mein Gesicht betrachte
in einem Spiegel,
strömt aus seinen Wellen mir entgegen
der ferne Vater.
Und bin ich vielleicht er, und meine Jahre
sind nichts als Glieder einer Kette
her von seinem abgetrennten Leben?
Ein Gesicht wie seines,
das an Schnee auf Fensterscheiben denken lässt;
und ein Herz wie seines,
das im nächsten Augenblick zerspringen will,
und auch eine rote Fiedel
nenne ich mein eigen wie der Vater:
Seht, ich reiss die Adern an
und spiel auf ihnen meine Melodie!
Nur – da ist niemand,
um die Knie mir zu umschliessen
und mein Leben abzuwägen,
um davonzutragen
wie ein Wind
meine Sehnsucht-Wolken auf ein klares Ziel –
dorthin,
wo alle Wörter einst zur Ruhe kommen;
wo Tage zueinanderfinden,
von denen keiner je begegnete
dem anderen.
Wie einen Stein umschliess ich mit der Faust
die dreissig Jahre
und ich schleudre sie hinunter in die Tiefe
des kalten Spiegels.
Wilnaer Ghetto August
1943
Abraham Sutzkever
Übersetzung Peter Comans
Die bleiernen Platten aus Romms Druckerei
Als reckten wir Finger aus Gitter und Schatten,
um lichthelle Luft uns zu fangen, so frei,
so zog es bei Nacht uns, zu nehmen die Platten,
die bleiernen Platten aus Romms Druckerei.
Wir Träumer, wir müssen jetzt werden Soldaten
und giessen in Kugeln den Geist aus dem Blei.
Wir haben aufs Neue geöffnet den Stempel,
entsiegelt die heimische ewige Höhle.
Mit Schatten bepanzert, im Schein einer Lampe,
so gossen wir Buchstaben, Zeile um Zeile,
genau wie die Väter vor Zeiten im Tempel
in goldene Feiertagsleuchter das Öl.
Das Blei hat geleuchtet heim Giessen der Kugeln,
Gedachtes, das Letter um Letter zerfloss.
Zur Zeile aus Babel die Zeile aus Polen,
erhitzt und verflüssigt, ein einziger Guss.
Der jüdische Kampfgeist, in Wörtern, verstohlen,
die Welt muss er aufschrecken mit einem Schuss.
Wer immer im Ghetto die Waffen gesehen,
umklammert von heldischer jüdischer Hand,
Jerusalem hat er im Kampfe gesehen
und was mit granitenen Mauern verschwand,
die Wörter gehört, die in Bleisud zergehen,
und hat ihre Stimmen im Herzen erkannt.
Wilnaer Ghetto
- September 1943
Abraham Sutzkever
Übersetzung Peter Comans
Man sucht uns. Ein argloses Wort ist ein Messer.
Die Spürhunde – grausig der Gott, der so schreitet.
Doch wer schickt den Nebel? Was wär für uns besser
als Nebel, der – siehst du? – sich über uns breitet …
Du siehst diesen grauen Palast nicht, wo Farben
versinken in Grau, so wie Kinder ersticken.
Dort liegen wir zwei – nackte, wehrlose Garben,
der Nebel und wir nur, fernab allen Blicken.
Da tastet mein Mund, wo ihn rötliches Glühen
im Nicht-da-Sein hinlockt. Und ich, ich bemerke
erst jetzt, wie im Grau deine Lippen erblühen.
Doch wer hat erschaffen die purpurnen Werke?
Es hat sie erschaffen der Nebel. Und schau,
wie losgelöst, frei von den Körpern sie sind.
Hier zeigt sich das Wesen von Lippen genau:
Sie lieben stets andere, trunken und blind.
Wilnaer Ghetto / Moskau
1941-1944
Abraham Sutzkever
Übersetzung Peter Comans

Auferstehung der Toten
Ich suchte den Schofar zum Kommen des Messias
in Büscheln Gras, in ausgebrannten Städten,
um Freunde aufzuwecken. Doch es sprach
gebeinumschlossen meine Seele:
Sieh, hier glüh ich
in dir selbst,
was suchst du mich dort draussen?
Ich riss in grossem,
eingeschmiedet heissem Zorn
aus dem Leib heraus mir meinen Geist
als wär’s ein spitzes Horn
von einem lebenden Getier,
und ich begann zu blasen:
Tekija,
Scheworim.
Erwacht zum Leben, frei ist jetzt die Welt.
Lasst euer Nichtsein in den Gräbern liegen
und springt heraus, gesegnet.
Seht, wie rein
sich die Sterne euretwegen wiegen!
Fort schwamm wie ein Fluss
die Erde, Gras und Stein mit ihr,
und Menschenrede drang zu mir:
»Wir wollen nicht, geh fort, denn deine Erde, die ist unrein!«
»Von der Strafe des Geborenseins hat man uns ein für allemal befreit!«
»Uns fehlt nicht deine Zeit,
die blinde, lahme,
fehlen nicht die Sterne,
unser Unlicht schimmert mehr als sie!«
»Die Wirklichkeit sind wir,
du fluchbeladner Traum, vergeh!
Verspielt und ausgespielt ist er, dein Krieg.«
Einer nur, mit einer Stimme, einer nie gehörten,
wie das Blühen eines Waldes, hat
voll Sehnsucht mich gerufen: Rette mich, Bescherter .. .
»Wer bist du, dass ich hören soll auf dein Gebot?«
Und Gräsersprache gab mir Antwort: Gott.
Ich lebte einst in deinen Wörtern.
Moskau
1945
Abraham Sutzkever
Übersetzung Peter Comans
Ich liege in einem Sarg
Ich liege im Sarg,
wie in hölzernen Kleidern,
und liege.
Er werde zum Schiff
auf der stürmischen See,
er werde zur Wiege.
Und hier,
wo die Wege sich trennen
von Körper und Zeit,
hier ruf ich dich, Schwester, –
und du hörst mich rufen,
so weit.
Was regt sich im Sarg
auf einmal ein Leib?
Du kommst näher, ganz dicht.
Ich erkenn deine Augen,
deinen Atem,
dein Licht.
Alles folgt so wohl Ordnung und Sinn:
Heute da,
morgen dort,
und jetzt in dem Sarg,
wie in hölzernen Kleidern
singt stets noch mein Wort.
Wilna
- August 1941
Abraham Sutzkever
Übersetzung Peter Comans
IK LIG IN EEN KIST
Ik lig in een kist –
als in een mantel van hout,
ik lig.
Laat het een schip zijn
op woelige baren,
laat het een wieg zijn.
En hier,
waar het lichaam van tijd
afscheid neemt,
roep ik je, zusje,
stem uit de verte.
Hoe kan in een doodskist
een lijf plotseling rillen?
Jij komt.
Ik herken je pupillen,
je adem,
je licht.
Zo is dus de richtlijn:
Heden hier,
Morgens ginds,
En nu – in een kist
Als een mantel van hout,
Mijn woord blijft zingen.
Abraham Sutzkever

aus: Epitaphe
Meinem Bruder Mojshe zugeeignet
1
Ihr eingeritzten Lettern auf den Wanden
von Totenhäusern, Ghettos und Verliesen,
in allen Sprachen und von tausend Händen,
in allen Farben, die in Menschentränen fliessen,
ich habe meinen Namen zwischen euch erkannt
und werd wie eine Melodie euch ewig hören.
Löscht aus die Sterne! Selber flammt und brennt
hoch oben über dieser Welt, statt Sternen!
3
Ein andres Leben hab ich nie versucht,
ob mir sein Grauen lieber wäre.
Und andre Weisheit hab ich nie gesucht,
als selber Pflugschar sein und selber Erde
und aufzupflügen jene Kraft, die einst gewollt,
dass ich nicht ungeboren sei für alle Zeit.
Dank dir, dass du geschenkt mir eine Welt,
dass du mich kennst, ein Gras in deiner Ewigkeit.
7
Ihr Menschen!
Der diese Zeilen eingekratzt,
heisst Ariel Blank,
ein Musikant.
Dort, vergraben
nah der Wand,
liegt versteckt im Futteral der Violine
ein Geschöpf der Welt –
mein Kind.
Ihr Menschen!
Greift zum Spaten,
findet.
Übergebt den Schatz als ein Geschenk
an einen neuen Paganini –
ihm werden die Gebeine meines Kindes
eine Violine sein, eine Zaubervioline.
8
So steht geschrieben auf einem Waggonbrett:
Wer sie später einmal findet, Perlen,
aufgefädelt auf ein blutigrotes Schnürchen Seide,
und auf den Hals zulaufend immer dünner,
wie der Weg des Lebens,
bis sie übergehn in einen Nebel,
nicht mehr wahrzunehmen -,
wer diese Perlen einmal findet,
wissen soll er: Kühl beleuchtet haben sie
das Herz, kaum achtzehnjährig, ungeduldig,
der Pariser Tänzerin Marie.
Jetzt bringt man mich, ich weiss nicht wo, durch Polen,
da werf ich meine Perlen durch das Gitter.
Findet später sie ein junger Mann –
zieren sollen diese Perlen seine Liebste.
Findet später sie ein Mädchen –
tragen soll es sie, denn sie gehören ihm.
Findet später sie ein Greis –
sprechen soll er für die Perlen ein Gebet.
13
Heut oder morgen, –
schon bald kommt der Friede,
vor Sternen und Wein
werden tanzen die Schänken.
Wer denkt dann wohl noch
an den letzten Zigeuner,
an mich, den gefesselten Adler
Alecko?
Denn tot ist mein Mädchen,
mein Pferd ist gefangen,
sein goldenes Eisen,
das hat man gestohlen.
Und niemand kann wissen,
dass du auch, mein Messer,
zerbrochen noch steckst
in den Rippen des Feindes.
Wilnaer Ghetto – Moskau – Lodz
1943-1946
Abraham Sutzkever
Übersetzung Peter Comans
from Epitaphs
Written on a slat of a railway car:
If some time someone should find pearls
threaded on a blood-red string of silk
which, near the throat, runs all the thinner
like life’s own path until it’s gone
somewhere in a fog and can’t be seen—
If someone should find these pearls
let him know how—cool, aloof—they lit up
the eighteen-year-old, impatient heart
of the Paris dancing girl, Marie.
Now, dragged through unknown Poland—
I’m throwing my pearls through the grate.
If they’re found by a young man—
let these pearls adorn his girlfriend.
If they’re found by a girl—
let her wear them; they belong to her.
And if they’re found by an old man—
let him, for these pearls, recite a prayer.
ABRAHAM SUTZKEVER
vertaling Jacqueline Osherow
The poet asks:
Tell me the truth, oh, shoes,
Where disappeared the feet?
The feet of pumps so shoddy,
With buttondrops like dew —
Where is the little body?
Where is the woman, too?
All children’s shoes — but where
Are all the children’s feet?
(A Vogn Shikh – A Wagon of shoes uit 1942)
Abraham Sutzkever
Bronnen:
Sutzkever, Abraham, Geh über Wörter wie über ein Mienenfeld. Lyrik und Prosa, Einleitung von Heather Valencia. Auswahl, Übersetzung und Anmerkungen von Peter Comans, Frankfurt/New York 2009 (Campus Verlag)
Sutzkever, Abraham, Gesänge vom Meer des Todes, Zürich 2009, (Ammann Verlag)
Spiegel van de moderne Jiddische poëzie, samengesteld en vertaald uit het Jiddisch door Willy Brill, Amsterdam 2007 (Meulenhoff)
https://www.poetryfoundation.org/poets/abraham-sutzkever#tab-poems
https://jewishreviewofbooks.com/articles/8590/with-a-wolf-in-one-eye-sutzkever-in-israel/#
http://www.ilanotreview.com/conflict/poems-by-abraham-sutzkever/
https://blog.despinoza.nl/log/abraham-sutzkever-1913-2010-a-nakht-mit-shpinozn-shpinoze.html
https://www.dbnl.org/tekst/_gid001196801_01/_gid001196801_01_0037.php
http://www.yiddishpoetry.org/postwar/Lid fun togbukh 1974.pdf
http://www.ilanotreview.com/letters/poems-by-abraham-sutzkever/
https://jewishreviewofbooks.com/articles/8590/with-a-wolf-in-one-eye-sutzkever-in-israel/#
https://ingeveb.org/articles/letters-without-addresses
https://blog.despinoza.nl/log/abraham-sutzkever-1913-2010-a-nakht-mit-shpinozn-shpinoze.html

Woordenlijst
cheder: godsdienstschool voor kinderen
choepe: letterlijk: huwelijksbaldakijn, ook gebruikt voor de huwelijksceremonie
chossid (mv. chassidim): aanhanger van het chassidisme, een stroming binnen de joodse godsdienst
chrein: mierikswortel
goj (mv. gojim): niet-jood
havdole: ceremonie om het eind van de sjabbes te vieren met een zegening over wijn, geurige kruiden en gevlochten kaarsen
hazkore: rouwceremonie ter herdenking van een gestorvene
kiddesj: zegening over de wijnbeker bij het begin van de sjabbes of van een feestdag
lerngelt: geld benodigd om te lernen
lernen: het bestuderen van vooral de tora en de talmoed
Litwak: Litouwer
mikwe: ritueel badhuis
mitswe: Goddelijk gebod of verbod; de term kan slaan op verplichtingen waar vrouwen van waren vrijgesteld, bijv. het verblijven onder een tent tijdens het Loofhuttenfeest
nebbech: nebbisj, waardeloos
omejn: amen
poroiches: voorhang voor de heilige Ark, waarin de tora-rollen worden bewaard
rebbe: chassidische rabbijn
s’brent: er is brand
sjabbes: sabbat
sjammes: hulp van de rabbijn, koster
sjlemazzel: pechvogel
talles: gebedsmantel
tefilien: gebedsriemen die door belijdende joden om hoofd en linkerarm worden gewikkeld
Tenach: Oude Testament
trejfe: onrein (volgens joods ritueel gebruik)
Tsenerene: titel van een gebedenboek voor vrouwen met tora-commentaar
https://www.dbnl.org/tekst/_twe007200001_01/_twe007200001_01_0200.php
You Tube:
https://youtu.be/kofcyfycOFE?si=27VD1FMZWroMFj1C