Benyoëts, Elazar, Sandkronen. Eine Lesung, Wien 2012 (Braumüller)
Totgesagt und ins Leben gerufen
Im Wort endet der Anfang
und ist nicht mehr zu finden
DasSpätere geht voraus,
so kommt es vor
Das Ende geht mit mir
bis ich zum Schluss
gekommen bin
p. 12
Meine Jahre eilen mir voraus
meine Tage
lassen mich zuru2ck
“Wo,
wo leuchten sie denn,
die fernhintreffenden
Sprüche”
Friedrich Hölderlin
p. 13
Das Kommende ist ohne Zukunft
Keine Offenheit,
die nicht ihre Torwächter hätte
Ist man im Fluss,
kommt man nicht über den Berg
p. 19
Niemand spricht
auf eigene Gefahr –
alle zitieren;
man tappt nicht gern
allein im Dunkeln
Jenseits von recht und billig
entfaltet sich die Kunst
p. 23
Die Wege,
an die Sohlen geheftet
Frisch und unverbraucht
verlassen mich meine Jahre;
sie haben nie gewusst,
wohin mit mir
Zie Zeit brennt mit mir durch
und schüttelt mich ab
p. 26
Die Sprache, in der ich Gottes Nähe suche,
hält mein Suchen auf
und schürt in mir die Ferne
p. 35
Das Nichts treibt sein Unwesen
mit dem Dasein
p. 42
Eine gute Frage
bedient sich vieler Antworten
Eine gute Formulierung
ist eine ausweichende Antwort
Die Frage nach Gott –
was ist das Fragen ohne Gott?
Es sind die Fragen
de uns überragen
Die Antwort steht ausser Frage,
darum mit einem Bein auch in den Sternen
p. 70
Meine Worte erwarten,
dass ich Vertrauen zu ihnen wecke
p. 71
Mit jeder Zeile eilt der Dichter seinere Zeit entgegen oder voraus. Er muss über Dinge schreiben können, von denen er nichts versteht, denn nur ihn ist gegeben, von Dingen zu sprechen, die niet zu verstehen sind
“Die Dinge stehen, af sich selbst beschränkt, draussen vor der Tür; ohne Wissen von sich, ohne Urteil. Für den Stein, den man empor wirft, bedeutet sein Sturz zurTiefe ebenso wenig einen Nachteil wie sein Flug zur Höhe einen Vorteil.” Marc Aurel
Der Dichter beherrscht nicht die Sprache und bedient sich ihrer nicht. Er muss auch leere, vollendet leere Seiten schreiben können. Denn er sieht mit Ohren, was andere mit Zungen reden
p. 80
Es ist poetisch unzulänglich,
stimmt man mit seinen Begriffen überein
Das Trügerische der Trugbilder
ist ihre Deutlichkeit
Mit einem Satz
kommt man vom Fleck,
mit einem Vers geht man
über Land und Meer
p. 84
Aus dem Augenblick ein Wort,
aus dem Wort ein Werk,
aus dem Werk ein Buch
für immer und für sich
p. 85
Jeder legt seine eigene
Tränensammlung an
p. 87
Unser Leib –
das um uns Bestellte
Unser Geist ist sprachgeschützt
und wortverwundbar
Unser Einstritt in die Endlichkeit:
das Anheben der Dauer
Unser Ausdruck wetteifert
mit unserer Erscheinung
Unser Leben vergeht nicht,
es verlässt uns
p. 97
“Die Wahrheit liegt in der Mitte”
zwischen zwei Menschen
die aufeinander zugehen
Auch um einen
noch so grossen Abstand
von einander zu gewinnen,
lohnen sich alle
Annäherungsversuche
“Je mehr die Menschen
durch Schienen und Drähte
verbunden sein werden,
desto weniger werden sie
es durch Geist und Seele sein”
Ricarda Huch
Einander umarmend,
schliessen sich
gegenseitig aus;
einander tötend,
pflanzen sie sich fort
p. 98
Wenn du dein Leben gefunden hast,
kannst du auch Gottes Dasein beweisen
“Über Gott sprich nichts,
was du nicht von Gott erfahren hast”
Sprüche aus Sextus
p. 99
Gott ist in seiner Schöpfung
und kommt mit ihr
nicht zur Welt.
Wäre die Schöpfung
in der Welt,
wie das Paradies
in der Schöpfung,
dann wären Gottes Pläne
in unserer Hand
p. 105
Meine Erkenntnis reicht aus,
Gut und Böse zu unterscheiden,
nicht aber das Wahre,
das sie beide ausmacht
und zusammenhält,
zu begreifen.
Um das zu erkennen,
hätte ich vom Baum des Lebens
kosten müssen
Nach der Vertreibung Adams,
hatte auch Gott
im Paradies nichts mehr zu suchen
p. 106
Utopien erzeugen kein Gedächtnis
und hinterlassen keine Erinnerungen
Das Paradies war die Idee
der Verbannung
die Welt als erste Exil
Das Paradies verliert man
mit der Kindheit,
die Unschuld in der Liebe
p. 107
Den Glaube braucht man für sich,
die Liebe für Gott,
die Hoffnung für das Ausbleibende
Des Glaubens Zweifel
ist noch Andacht,
nicht mehr Gottesdienst
Gott erweist auch dem Ungläubigen
seine Gnade:
Er entzieht sich ihm
“Es gibt sogar eine Dichtung,
die ihren Glanz
der Abwesenheit Gottes verdankt”
Charles Péguy
Auch Zweifel,
wenn sie schmecken soll
müssen zu Brot gemahlen werden
p. 116
Den Unsichtbaren gibt esnur
im Land der Augen
Gott fällt aus dem Rahmen
und spielt keine Rolle im Bilde.
Du sollst dir kein Bild machen müssen.
Die Worte kommen ins Rollen,
der Gedanke steht fest
Die Erscheinung Gottes ist vor-bildlich;
er ist nicht zu sehen,
wenn er erscheint
p. 117
Die Bibel handelt nicht von Gott,
sondern vom Handeln Gottes
und ist darum auch seine Heilige Schrift
Wenn die Augen schweigen
und das Wort ganz Ohr ist,
findet Offenbarung statt
Das Gebot verankert die Schrift
in Gottes Offenbarung
Die Gebote Gottes,
in Psalmen gefasst,
sind unverrückbar
p. 119
Die vielen Namen liess er gelten,
seinen eigenen
wollte er verschwiegen haben:
“Ich werde sein, den ich bin”
sagt er,
“und solange ich bin,
werdet ihr sein”
p. 121
Der name wird bezeugt,
die Quelle nachgewiesen
“Dein Name ist das
Sabbatschiff
alle sechs Tage
der Welt
laufen hingerissen
zum Kai
du fährst sie nach
Haus”
Silja Walter
An Gott glaubt
wer seinen Namen kennt
p. 122
Das werden verträgt
keine Druckreife
Ziele setzt sich,
wer keine Richtung hat
Wer alles berücksichtigt,
wird kein Meister
Es kommt die Zeit
zurück zum Buch:
zu dem einen,
das genügte
p. 133
Die gewählte Freiheit –
die auserwählte Einsamkeit
Der Moslem pilgert nach Mekka,
der Katholik nach Rom,
der Jude nach Auschwitz
Verhängnis – Zusammenhang
p. 140
In Sicherheit –
in Zweifelhaft
Legt man sich fest,
zwingt man sich auf
Unsere Vergangenheit
geht uns nach,
und kommt uns
an jeder Ecke entgegen
Utopien wirken höchstens für ihre Zeit,
das Paradies lebt aber in allen
Vorstellungen fort
p. 168
Der Glaube kommt von Gott,
die Überzeugung
von seinem Widersacher
Des Glaubens Grund
sind seine Begründer
“…Wenn wir um unser tägliches Brot bitten
und es uns gegeben wird,
wie das manna des Israeliten in der Wüste,
so ist das bloss wie eine umgekehrte Einladung
zu einem Diner”
OscarWilde
p. 170
Die Thora ist die Bindung,
die Vernunft aber nicht
das Verbindliche.
“Ich gebe euch die Thora,
damit ihr mich erfüllt”
Den unteilbaren Gott
können wir miteinander teilen,
die Väter nicht
Die Thora ist die Ausschliesslichkeit Gottes.
Wer sie empfängt,
lebt in die Ausschliesslichkeit
p. 171
Auch die Hoffnung weiss nicht,
was sie erwartet
Keine Antwort,
die fraglos wäre
p. 204
Nicht nur durch mich
auch mit mir
kommt etwas zur Sprache
Wo hört
meine Vergangenheit auf
Zukunft zu sein
Nicht ich,
meine Vergänglichkeit
bedarf der Zukunft
p. 205
Erst durch die Erzählung
lassen wir unsere Geschichte
geschehen sein;
erst durch das Wort findet der Tod
seinen Weg ins Leben
und zu uns;
erst in der Umkehr können wir
unsere eigene Führung
übernehmen;
erst wenn es anhebt zu dämmern,
erkennen wir,
wie viel Gnade auf uns
verschwendet wurde
p. 209
Der freie Wille –
der unerwünschte
Dass wir aus dem Paradies
vertrieben wurden,
scheinen wir noch nicht
begriffen zu haben.
Oder glauben wir,
gleich nach dem Tod
an den uns verwehrten
Baum des Lebens zu gelangen
Jeder hat die Zukunft,
die er sich wünscht,
und die Hoffnung,
die sie im verstellt
p. 217
Der Messias lebt aus der Erwartung;
unsere Erwartung
ist seine Seele
Alles Erwarten
fällt auf das Warten zurück
Wird aus dem Warten Erwartung,
ist der Messias aufgebrochen
p. 222
Fanatismus –
das Köpfen als Selbstbehauptung
Gibt sich Hochmut geschlagen,
ist Ironie der Effekt
In einer bewaffneten Welt
erscheint auch der Frieden
in voller Rüstung
Mahnmal –
das entblösste
Erinnerungsvermögen
p. 322
Gott ist die Aussicht,
nicht die Auskunft
p. 346
Elazar Benyoëts