
(Wal)Noot-boom
SIGNE
Je suis soumis au Chef du Signe de l’Automne
Partant j’aime les fruits je déteste les fleurs
Je regrette chacun des baisers que je donne
Tel un noyer gaulé dit au vent ses douleurs
Mon Automne éternelle ô ma saison mentale
Les mains des amantes d’àntan jonchent ton sol
Une épouse me suit c’est mon ombre fatale
Les colombes ce soir prennent leur dernier vol
Guillaume Apollinaire
ZEICHE
Es ist der Herbst der Meister des Zeichens, das mich lenkt:
mein Herz weilt, wo die Früchte, nicht wo die Blumen sind.
So ist mir leid um jeden der Küsse, die ich schenkt:
Die Nuß ward abgeschlagen, der Nußbaum klagt’s dem Wind.
Du ewige, du Herbstzeit, du der Gedanken Jahr:
die Hände, die mich liebten, du häufst sie ohne Zahl.
Ein Schatten folgt: die Frau ist’s, die mein Verhängnis war.
Am Abend fliegt die Taube, sie fliegt zum letztenmal.
Vertaling: Paul Celan
De noot is een bijzondere plant, de walnotenboom een bijzondere boom.
Definition: Die Nuss (mhd. nuz, ahd. [h]nuz verwandt mit lat. nux = Nuss; urspr. = Haselnuss).
Interpretation: In der christlichen Literatur (nach Augustinus 354-430 n. Chr.) wird die Nuss als Sinnbild des Menschen erwähnt. Die grüne Hülle steht hier als Symbol für das Fleisch, die harte Schale für die Knochen und der Kern für die Seele.
Als Christus-Symbol stellt die Schale das Holz des Kreuzes, die Hülle das Fleisch Christi und der Kern die göttliche Natur Christi dar. Die Nuss lässt sich somit als Ganzheitssymbol auffassen. Auf Madonnenbildern hat die Nuss die Bedeutung eines Fruchtbarkeitssymbols. In Märchen und Sagen enthält die Nuss oft geheimnisvolle Inhalte, sie umschließt den wertvollen Inhalt mit einer harten Schale. Entgegen einer Trennung in ein erkennbares Äußeres und unerkennbares Inneres dichtet Goethe: “Natur hat weder Kern / Noch Schale, /Alles ist sie mit einem Male. / Dich prüfe du nur allermeist, / Ob du Kern oder Schale seist.” (Dem Physiker)
Redensartlich handelt es sich bei der Nuss um eine an sich recht wertvolle Sache, an deren Wesen und Essenz aber nur etwas schwer heranzukommen ist, siehe z. B. auch die Kokosnuss.
In der Jägersprache ist die Nuss ein Wort für das weibliche Geschlechtsteil von Hund, Fuchs und Wolf, während es umgangssprachlich auch den Hoden (“In die Nüsse treten”) meint.
https://symbolonline.eu/index.php?title=Nuss

Schon kehrt der Saft aus jener Allgemeinheit
Schon kehrt der Saft aus jener Allgemeinheit,
die dunkel in den Wurzeln sich erneut,
zurück ans Licht und speist die grüne Reinheit,
die unter Rinden noch die Winde scheut.
Die Innenseite der Natur belebt sich,
verheimlichend ein neues Freuet-Euch;
und eines ganzen Jahres Jugend hebt sich,
unkenntlich noch, ins starrende Gesträuch.
Des alten Nußbaums rühmliche Gestaltung
füllt sich mit Zukunft, außen grau und kühl;
doch junges Buschwerk zittert vor Verhaltung
unter der kleinen Vögel Vorgefühl.
Rainer Maria Rilke
IN GESTALT EINES EBERS
In Gestalt eines Ebers
stampft dein Traum durch die Wälder am Rande des Abends.
litzendweiß
wie das Eis,
aus dem er hervorbrach,
sind seine Hauer.
Eine bittere Nuß
wühlt er hervor unterm Laub,
das sein Schatten den Bäumen entriß,
eine Nuß,
schwarz wie das Herz, das dein Fuß vor sich herstieß,
als du selber hier schrittst.
Er spießt sie auf
und erfüllt das Gehölz mit grunzendem Schicksal,
dann treibts ihn
hinunter zur Küste,
dorthin, wo das Meer
seiner Feste finsterstes gibt
auf
den Klippen:
vielleicht
daß eine Frucht wie die seine
das feiernde Auge entzückt,
das solche Steine geweint hat.
Paul Celan

De Joodse schrijfster Haviva Pedaya vermeldt een bijzonder verhaal over de noot:
Wisse, mein Sohn, in allem steckt das Geheimnis der Nuss. Betrachtest du ihre frische Frucht, umgeben von ihren Schalen, dann erkennst du das Geheimnis der Seele das Geheimnis des Universums , und das Geheimnis der Gottheit. Vier Schalen besitzt die frische, feuchte Nuss. Die erste, die äussere, ist grün und bitter, dann noch zwei Schalen, die zusammen kleben, und dann die innere Hülle, in der die Nuss liegt. Da liegt sie wie ein weisser, strahlender Kern, geteilt durch eine Linie, um zu zeigen, dass sie zweigesichtig ist. Männlich und weiblich. Und unten, zwischen Kern und Schale, gibt es einen Hohlraum, der ist die absolute Leere. Die Leere voll von sich selbst. Eine Hülle, die die Welt umhüllt, kreuz und quer gewebt aus Vergessen und Erinnern. Dies ist die erste Hülle des Universums. Nach ihr kommen noch drei Hüllen von vollständigem Vergessen und absolut Bösem. Immer dicht am Kern befindet sich die vermittelnde Schale, gewebt aus Vergessen und Erinnern. Gut und Böse. Was für ein Vergessen aber bringt Gutes hervor, und was für ein Vergessen bringt Böses hervor? Und was für ein Erinnern bringt Gutes hervor, und was für ein Erinnern bringt Böses hervor?
Dort, in dieser vermittelnden Schale leben wir. Es ist unsere Essenz, eingewebt zu sein in das alles durchdringende Netz, das wie klebrige Spinnweben ist. Wir streben nun danach, uns neu zu zentrieren, nicht gegenüber der Spinne als Mittelpunkt, sondern uns klug selbst zum brennenden Mittelpunkt der Dinge zu machen. Kern der Seele oder Kern der Welt.
Das Verstehen der Zeit ist ein Prozess des Schälens. Dies ist das Geheimnis der Nuss: Nicht in der Linie ist der Ewige, nicht im Beben ist der Ewige, nicht im Sturm von kreuz und quer ist der Ewige, sondern im Geheimnis des Kreises. Im Geheimnis des leise verklingenden Halls. Das Geheimnis der Nuss ist das Geheimnis des Seins. Ein still ruhender Kreis. Ausgeschälter, nackter Moment. In der Sprache und in der Zeit.
Nein, die Dinge liegen nicht zusammen an der Oberfläche, vielmehr gibt es einen goldenen Schnitt und der blutet. Innen zu innen, Tiefe zu Tiefe. Und der Kern der Dinge ist zweigesichtig. Adam und Eva, bevor sie auseinander geschnitten wurden. Das umfassende Sein. Eben jener Moment, da die Herzkammern sich öffnen und der Mensch aufhört, wie ein Haus zu sein, mit lauter voreinander verschlossenen Zimmern.
Manchmal weine ich über den schmerzenden Schnitt in den Schalen meiner selbst, darüber, dass ich mich auf dem Weg zu meinem Kern verletze. Manchmal bin ich voreilig und treibe meine Verletzung selbst voran. Manchmal bin ich feist und verschlossen, erinnere mich nicht, worum es geht. Manchmal bete ich, mein Gott, mach, dass es mir nicht so wehtut, mach, dass es ohne Qual und schlimme Krankheiten geht. Sofort denke ich, was für ein dummes Gebet, aber ich hoffe weiter – mach, dass ich nicht ganz und gar dummes Geschwätz bin, dass ich unter dem Druck der Linie nicht wahnsinnig vorausrenne, mach, dass ich mich ans Geheimnis des Kreises erinnere, an das schwierige Leben in der Vermischung.
Haviva Pedaya, uit: The Eye of the cat. Tel Aviv, 2009; Vertaling Anne Birkenhauer
in: Ein jüdischer Garten angelegt von Itamar Gov, Hila Peleg, Eran Schaerf, München 2022, (Hanser), pag. 198-199
In een Nederlandse veertaling luidt de tekst:
Weet, mijn zoon, dat het geheim van de noot in alles zit. Als je naar zijn verse vrucht kijkt, omringd door zijn schalen, zul je het geheim van de ziel herkennen, het geheim van het universum en het geheim van de Godheid. De verse, vochtige noot heeft vier schillen. De eerste, de buitenste, is groen en bitter, dan nog twee schillen die aan elkaar kleven, en dan de binnenste schil waarin de noot ligt. Hij ligt daar als een witte, stralende pit, verdeeld door een lijn om te laten zien dat hij twee gezichten heeft. Mannelijk en vrouwelijk. En onderaan, tussen de pit en het omhulsel, is er een holle ruimte die de absolute leegte is. De leegte vol van zichzelf. Een omhulsel dat de wereld omhult, kriskras geweven van vergeten en herinneren. Dit is het eerste omhulsel van het universum. Daarna komen nog drie schillen van volledige vergetelheid en absoluut kwaad. Altijd dicht bij de kern is het bemiddelende omhulsel, geweven van vergeten en herinneren. Goed en kwaad. Maar wat voor soort vergeten brengt goed voort, en wat voor soort vergeten brengt kwaad voort? En welk soort herinneren brengt goed voort en welk soort herinneren brengt kwaad voort?
We leven daar, in dit bemiddelende omhulsel. Het is onze essentie om verweven te zijn in het allesdoordringende web dat is als kleverige spinnenwebben. We streven er nu naar om onszelf opnieuw te centreren, niet in de richting van de spin als middelpunt, maar om onszelf op een slimme manier het brandende middelpunt van de dingen te maken. Kern van de ziel of kern van de wereld.
Tijd begrijpen is een proces van pellen. Dit is het geheim van de noot: het eeuwige ligt niet in de linie, het eeuwige ligt niet in de beving, het eeuwige ligt niet in de storm van het kris en kras heen en weer, maar in het geheim van de cirkel. In het mysterie van de zacht vervagende echo. Het geheim van de noot is het geheim van het zijn. Een stil rustende cirkel. Een gestript, naakt moment. In taal en in tijd.
Nee, de dingen liggen niet samen aan de oppervlakte, er is eerder een gulden snede en die bloedt. Van binnen naar binnen, van diepte naar diepte. En de kern van de dingen is tweeledig. Adam en Eva voordat ze uit elkaar werden gehaald. Het allesomvattende wezen. Dat moment waarop de kamers van het hart zich openen en de mens ophoudt een huis te zijn, met alle kamers van elkaar afgesloten.
Soms huil ik om de pijnlijke snee in mijn omhulsel, om mezelf pijn te doen op weg naar mijn kern. Soms ben ik overhaast en duw ik mijn eigen pijn weg. Soms ben ik laf en gesloten, me niet herinnerend waar het om gaat. Soms bid ik: mijn God, zorg dat het me niet zo’n pijn doet, zorg dat het zonder kwellingen en nare ziektes gaat. Meteen denk ik, wat een stom gebed, maar ik blijf hopen – zorg dat ik niet een en al dom geklets ben, zorg dat ik niet als een gek vooruit ren onder de druk van de lijn, zorg dat ik me het geheim van de cirkel herinner, van het moeilijke leven in de vermenging.
Vertaald met o.a. DeepL.com

Zie ook de info op: https://hexengarten.miraheze.org/wiki/Walnuss#Mythologie
Ook in gedichten komt de noot terug:
Meiner Freundin Rochl Krinski-Melezin, die mir in Erinnerung rief, dass ich einen Chirurgen um Erlaubnis bat, im Ghetto-Spital von Wilna bei einer Gehirnoperation dabei zu sein.
Erzähl, was dachtest du zu sehen bei der Schädelöffnung,
als schon die Judenstadt zerschnitten und zerstückelt war? -Doch wohl das Ewige, das ausserhalb des Sterbens bleibt,
mein Name dafür ist: das funkelnd Wesentliche.
Der Schädel — offen. Gar nicht dick ist er umpanzert.
Mir ist beschert zu schauen auf das funkelnd Wesentliche.
So ausgesehen haben muss die Welt am Schöpfungsmorgen.
So hat das Licht getragen Licht. Getragen und geboren.
Der Schädel — offen. Und ich schau hinein, in seine Tiefen,
als schon die Judenstadt zerschnitten und zerstückelt ist:
dünne Geäder-Schrift. lch seh den Namen-ohne-Namen,
ich schliesse meine Augen: Dies hier ist das funkelnd Wesentliche.
Erloschen das Spital. Es gehen seine Säulen in die Knie.
Der Schädel dieser Stadt ist offen. Ich kann nirgendwo hin fliehen.
Und trunken hin ich vonder Vision, bin bis zum Wahnsinn trunken:
Beschirmen wird mich jetzt das funkelnd Wesentliche.
1983
Abraham Sutzkever
Uit: Sutzkever, Abraham, Geh über Wörter wie über ein Mienenfeld. Lyrik und Prosa, Einleitung von Heather Valencia. Auswahl, Übersetzung und Anmerkungen von Peter Comans, Frankfurt/New York 2009 (Campus Verlag)
Das Nährende
Herr, deine Lust, dass eins zum anderen passe,
Lust, eine Form der anderen zuzuneigen:
Eichkaters Pfoten zu der Nuss, Schweins Zahn
zur Eichel, Spechts Hämmerklang zum Stamm
und alle Worte zu dem Schweigen.
Uwe Kolbe
Het voedzame
Heer, jouw wellust, dat het ene bij anderen past,
Wellust, een vorm bij anderen aan te leunen:
Eekhoorns poten bij de noot, varkens’ tand
bij eikel, spechts’ hamerklank bij stam
en alle woorden bij het zwijgen.
Der Nußbaum
Es grünet ein Nußbaum vor dem Haus,
Duftig, luftig breitet er blättrig die Blätter aus.
Viel liebliche Blüten stehen dran;
Linde Winde kommen, sie herzlich zu umfahn.
Es flüstern je zwei zu zwei gepaart,
Neigend, beugend zierlich zum Kusse die Häuptchen zart.
Sie flüstern von einem Mägdlein,
Das dächte die Nächte und Tage lang,
Wußte, ach! selber nicht was.
Sie flüstern – wer mag verstehn so gar leise Weis?
Flüstern von Bräut´gam und nächstem Jahr.
Das Mägdlein horchet, es rauscht im Baum;
Sehnend, wähnend sinkt es lächelnd in Schlaf und Traum.
Julius Mosen

Der Nußbaum
unter dem Fenster spricht:
Wo ist das holde Kind geblieben,
Das sonst, wenn kaum die Nacht entschwand,
Gleichwie von Zaubermacht getrieben,
Früh unter meinem Schatten stand?
O sie war schön -! Wie junge Schlangen
Spielt’ um die Stirn ihr Lockenhaar,
Vom Schlummer brannten ihre Wangen,
Ihr Auge doch, wie sonnenklar!
Ein Wörtchen flog von ihrem Munde,
Ein Wörtchen nicht, ein Hauch, ein Klang,
Wie wohl in erster Morgenstunde
Der muntern Lerche Frühgesang.
Und schnell das Fenster hört’ ich gehen:
“Ei guten Morgen, süßes Kind!” –
Wie lang’ nicht hab’ ich dich gesehen!
O komm herab, herab geschwind! –
Und kam der Liebste nun gegangen,
O welch ein sel’ger Morgengruß!
Welch zärtlich Neigen, hold Umfangen,
Und Herz am Herzen, Kuß um Kuß!
Dann wandelte in meinem Schatten
Das muntre Pärchen froh einher:
Was sie sich da zu sagen hatten?
Sie sprachen wenig, küßten mehr:
Bis daß zu Nacht die Sterne kamen
Und, von den Zweigen dicht bedeckt,
Sie schmerzlich süßen Abschied nahmen,
Von keinem fremden Aug’ erschreckt:
Da lachten, weinten sie und hielten
Umklammert sich in trunkner Lust,
Und meine dunkeln Schatten spielten
Wollüstig auf des Mädchens Brust.
Ei wohl, das mochte mir behagen,
Das freute wohl mich alten Herrn,
Und wie ein Hauch von Frühlingstagen
Durchbebt’ es meinen morschen Kern.
Kein Lüftchen ging! kein Blätterrauschen!
Still breitet’ ich mein Schattendach,
Und stand versenkt in frommes Lauschen:
Entschwundnen Lenzen dacht’ ich nach.
Nun ist es Herbst, die Winde wehen,
Mein grünes Haupt wird dürr und kahl,
Ich muß nun balde schlafen gehen:
Gern säh’ ich sie noch, sie einmal!
Möcht’ mich an ihrem Auge wärmen,
An ihrer Blicke Sonnenschein:
Dann ohne Grämen, ohne Härmen,
Schlief’ ich getrost und fröhlich ein.
O wenn die Vöglein wieder bauen,
Wenn sich mein Wipfel neu belaubt,
Werd’ ich das Kind wohl wieder schauen,
Das mir der Herbst so früh geraubt?
Ach oder wo, auf welchen Wegen,
Wohin dann irret ihre Flucht?
Dann wo sie sei, mit ihr sei Segen,
Und holde Blüthe, reiche Frucht!
Robert Eduard Prutz . 1816 – 1872
Die Schlafende unterm Nußbaum
Der grüne Nußbaum, mit den grünen Nüssen,
Steht ausgebreitet in dem Sommerraum,
Mit seinen Blätterschirmen rund geweitet,
Die lautlos Deinen Schlaf behüten müssen.
Und nur der Wolke dunstiger Schaum
Begleitet in die Ferne Deinen Traum.
Still, wie gestorben, liegst Du in dem Blätterhaus,
Und draußen trocknet Heu im Sonnenschein,
Es schläft das stille Heu sich mit Dir aus;
Es dörren drinnen Blumen falb und klein,
Sie wurden all’ von Hitze ganz von Sinnen
Und starben alle unterm Sichelblitze.
Sie ließen sich vom Tode minnen
Und fielen um auf ihrem grünen Sitze,
Schlossen, wie Du, die helle Augenritze
Und liegen da mit stillen Rumpfen,
Wie Du im Schlaf, im dumpfen,
Unter den Nußbaum Deinen Leib gelegt,
Indes Dein Traum allein Dein Herz bewegt
Und mit der Wolke hinzieht an der Erde Saum. –
Tote und Schlafende, sie sind unendlich,
Sind kaum noch Schaum im Weltenraum,
Doch ist der Schlaf nur wie vom Tod der Flaum.
Max Dauthendey . 1867 – 1918

Nüsse
Das blonde Haar der Toten
wächst aus der harten Erde,
vergilbt zu unseren Füßen.
Der Nußbaum wirft uns
welke Blätter zu.
Doch in den Nüssen
bilden sich Gehirne aus.
Bald werden wir die Schädel knacken,
die Gehirne aus den Schalen lösen
und zerbeißen, Geschmack
der Weisheit dieser Erde auf der Zunge
WOLFGANG BÄCHLER
Met commentaar van Hilde Domin:
Unter Kannibalen
Fern ist dieses Gedicht den von Benn so gerügten „deutschen Bewisperern von Gräsern und Nüssen und Fliegen“. Das ist ein Totengedicht, ein Mord- und ein Mördergedicht, so vegetabilisch es auch daherzukommen scheint. Vielleicht nicht zufällig erinnert mich das „blonde Haar der Toten“, das „aus der harten Erde“ wächst, an Jewtuschenkos Zeilen:
indes die Henker heiter Butter schmieren
aufs weiße Brot das aus den Toten wächst
Obwohl es bei Jewtuschenko noch vergleichsweise klare Verhältnisse sind, deutlich benannt, und die sich unter Dritten abspielen: den Hingerichteten und ihren Henkern. Wir selbst sind raus aus der Sache, sind Zuschauer, für diesmal.
Nicht so bei Bächler, obwohl das Gedicht zwar trübe, aber relativ normal beginnt. Die Toten sind endgültig tot, Herbst, welke Blätter, vergilbte Gräser, verbleichendes Totenhaar. Nur die Gehirne der Toten wachsen in den Walnüssen als kleines Faksimile nach:
bilden sich aus.
Ein surrealistisches Bild, wie von Dali oder, besser noch, von Max Ernst gemalt. Sofort einleuchtend. Diese weißen Mini-Gehirne, die Nußkerne, enthalten, sozusagen metaphorisch, das von den Toten Gedachte, das somit den Lebenden wieder zur Verfügung steht. Das Erfahrungspotential der Toten wirkt weiter: die Vergangenen speisen die Lebenden. Kontinuität. Alles bestens.
Wirklich? Mitnichten. Da ist ein einziges Wort, das bringt diesen an sich innerhalb des Oberrealen geradezu natürlichen Ablauf in Unordnung, gibt die Angst, ja das Entsetzen wieder, das den Schreiber zu diesen Zeilen getrieben hat. Das Wort „Schädel“. „Bald werden wir die Schalen knacken“, das würde dasselbe sagen und wäre harmlos. Stattdessen:
Bald werden wir die Schädel knacken.
Der Toten? Oder der zu Tötenden? Bei dem Worte „Schädel“ werden diese Toten wieder warm, werden – zumindest – zu frisch Erschlagenen.
Dabei ist „Schädel knacken“ noch nah beim brain-picking der Angelsachsen: Ein gutes Gehirn wird „bepickt“. Es wird ihm durch dieses Bepicken Information abgefragt. Wenn auch für pick die erste Bedeutung im Lexikon „aufhacken“, „ein Loch machen“ ist, so hat sich das Verb in dieser Redensart doch bedeutend abgeschwächt. Während „knacken“ („Schädel knacken“) etwas hörbar Zerstörerisches hat. Der Schädel des Feindes, dessen Gehirn man trinkt, um sich dessen Kraft anzueignen, ein magischer Akt unter Kannibalen. Noch bei Homer kommt das vor. Nestor trinkt das Gehirn des Feindes aus. – Auf jeden Fall ist hier das rein optisch vorgestellte Gehirn eine harte Substanz, die sich sauber herauspräparieren und mit Genuß zerbeißen läßt. Wir Kannibalen, Oberkannibalen, brauchen uns dabei nicht einmal zu beschmutzen.
Daß der Autor ganz wesentlich ein Mann der Ängste ist, geht aus seinen „Traumprotokollen“ hervor. Bächler hat „nicht von der blauen Blume geträumt, sondern von Stalin und von uns“, sagt Martin Walser im Nachwort zu diesen „Traumprotokollen“ (Hanser, 1974).
Die in diesem Gedicht spürbare Angst ist eine doppelte: die des Mitschuldigen und des potentiellen Opfers. Denn Bächler identifiziert sich auch mit diesem Baum:
Doch dann wuchs mir
ein Baum aus der Brust…
Die Wurzeln umklammerten mein Herz…
er atmete mit mir aus und ein
(„Mein Baum“, ein Gedicht, von dem der Autor mir bestätigte, daß es gleichzeitig mit dem ersten, sozusagen im selben Atemzug entstanden ist). Ein Todesgedicht, wie so oft bei Bächler. Durch die Verbindung der beiden Gedichte wird klar, wie berechtigt es ist, den Schrecken mitzulesen nicht nur dessen, der mitmacht beim kannibalischen Miteinander, beim Knacken der Schädel der andern, sondern der in jedem Augenblick sich der Gefahr bewußt ist, selber „geknackt“ zu werden. Ein, leider, ungemein heutiges Lebensgefühl: von der Gefährdung und der Unmenschlichkeit unserer Existenz.
Der gehobene Abgesang der letzten Zeile: als habe der Autor sich in eine stabilisierende Formel flüchten wollen. Diesen tönenden Worten einen kleinen befreienden Fußtritt zu geben und sie auf Kante zu stellen, war vermutlich beabsichtigt. Diese Distanzierung gelingt ihm im Titel: „Nüsse“. Der Titel ist, wie so oft, die Selbstbefreiung des Autors.
Hilde Domin, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Zweiter Band, Insel Verlag, 1977
Uit:
https://www.planetlyrik.de/hilde-domin-zu-wolfgang-baechlers-gedicht-nuesse/2023/12/

Gegengewicht
Wie kann ich
in meinem blauesten Kleid
und riefe ich alle die blühenden Zweige
und alle Nachtigallen zu Hilfe
wie kann ich mit Lachen oder mit Tränen
das Gleichgewicht halten
der anderen Schale
in der die Welt liegt
eine Nuß aus Blei?
Hilde Domin
Schwarze Nüsse
Eine Schale voller
schwarzer Nüsse
in doppelter Schale,
ungewohnt, die weiche grüne
Schale nicht abgeplatzt
und freigegeben das
erdenfarbene Holz
der
zweiten Schale, vertrocknet
das Grün, im Eis
des Winters verbrannt.
Sie lagen ein Jahr im Schosse
der Erde.
Jetzt werden sie geöffnet
durch eine Frau am
Freitag morgen.
Die WAAL – Nuss, genannt
die WALL – Nuss, im inneren
viergeteilt, von zwei
Schalen versiegen,
ein gevierteilter Zwitter,
gleich einem Hermaphroditen
wird sie gespalten,
gleich einem Schädel mit
zweifachem Gehirn und
wird gegessen zu Mittag
am Tage des Herrn.
Bruno Griesel, Villa Rossa, August 98

Tot slot de boom in de Kabbalah:
BÄUME
Kabbalistischer Baum
Den Kabbalisten ist der Lebensbaum eine Art Ordnungssystem für alle Archetypen. Es gibt viele Versionen des Baums. Das hier abgebildete Beispiel aus einem Werk des Okkultisten Athanasius Kircher von 1652 ist der bekannteste Typus. Die sefirot, als zehn Kreise dargestellt, sind mit göttlichen Namen und Prinzipien verbunden.
Die Bahnen zwischen den sefirot symbolisieren die Beziehungen zwischen den diversen Ebenen des Kosmos. Ganz oben ist das Unendliche, der “Horizont der Ewigkeit”. Dann folgt der mundus archetypus, die “archetypische Welt”, die den Hierarchien der Engel angegliedert ist.
Die unteren Ebenen bezeichnen die Gefilde der Planeten und der Elemente, ganz unten ist Malkuth, das “Königreich”, oder die irdische Realität.
Wie ist die Welt aus dem Nichts entstanden? Wie hält sie in den unermesslichen Tiefen der Leere ihre Existenz aufrecht? Wie können wir auf Erden unseren Weg zurück zum Göttlichen finden? Auf solche Fragen bietet die Kabbalah beeindruckende Antworten. lm Hebräischen bedeutet Kabbalah “Tradition” und bezeichnet die esoterische Lehre des Judaismus. Der kabbalistische Lebensbaum stellt die Essenz dieser Lehre dar. Diese “Leiter des Lichts”, wie er manchmal genannt wird, kann auf den mystischen Judaismus im Spanien des 13. Jahrhunderts zurückverfolgt werden und zeichnet ein prägnantes, doch zugleich tiefgründiges Bild des Universums. Der Lebensbaum hat zahllose mystische Lehren angeregt und inspiriert, jüdische, christliche und andere. Obgleich es zunächst unklar erscheint, handelt es sich hier doch um kein besonders schwieriges oder kompliziertes System. Doch man kann es ein Leben lang studieren und immer wieder neue Dinge daraus lernen.
Die bekannteste Version des Lebensbaums stellt zehn Kreise dar (sie symbolisieren die sefirot oder ,,Prinzipien”), die drei Säulen – oder “Pfeilern” – entsprechend arrangiert sind. Dieses System bietet eine flexible, doch dynamische Sicht auf die Aktivitäten der Existenz, die auf alles, von der Erschaffung des Kosmos bis zum Kuchenbacken angewendet werden kann. Ganz oben ist Kether oder die “Krone”, der dimensionslose Punkt, an dem aus dem Nichts etwas zu erscheinen beginnt. Ganz unten ist Malkuth, oder das ,,Königreich”, die uns bekannte Realität. Zwischen diesen beiden symbolisieren die anderen acht sefirot, Wie Tiphereth (,,Schönheit”) und Yesod (,,Grundlage”), die Kräfte von Expansion, Kontraktion und Aquilibration, die alles hervorbringen und aufrechterhalten.
Der kabbalistische Lebensbaum ist weit mehr als ein intellektuelles System. Er ist ein fundiertes Werkzeug, um die Horizonte unseres Bewusstseins zu erweitern. Manche Kabbalisten erreichen höhere Ebenen der Wahrnehmung, indem sie sich vorstellen, wie sie durch die sefirot aufsteigen. Andere meditieren vielleicht über eine der unterschiedlichen hebräischen Bezeichnungen für Gott ( von denen jede mit einem bestimmten sefirah verknüpft ist). Ein Kabbalist, der Härte oder Strenge evozieren will, wird sich auf die linke Seite des Baums konzentrieren, die “Pfeiler der Strenge”; einer der Freundlichkeit begünstigen will, arbeitet mit der rechten Seite, dem “Pfeiler der Barmherzigkeit”.
Keiner der Pfeiler oder sefirot ist besser oder schlechter als der andere. Das Wichtigste ist, diese Prinzipien unmittelbar zu erfahren und sie in ein Gleichgewicht zu bringen. Dazu ist der zentrale Pfeiler da, der “Pfeiler der Milde”, manchmal “Pfeiler des Bewusstseins” genannt. Es ist das Bewusstsein, dass uns auf allen Ebenen dazu befähigt, in jedem Augenblick unseres Lebens zwischen Barmherzigkeit und Härte, zwischen Expansion und Kontraktion zu wählen.
Die vielleicht zentrale Botschaft dieses tiefgründigen Symbols ist, dass eine einzige Struktur alles stützt. Es ist der immanente Aspekt der Präsenz Gottes: die Seite des Absoluten, von der wir wissen und die wir erleben können. Und dieser Aspekt ist genauso ein Teil von uns selbst wie von der Aussenwelt. Die Kabbalah lehrt, dass dieses göttliche System eine eigene Ordnung und Schönheit besitzt. Wenn wir dies begreifen und uns danach richten, können wir eine grössere Harmonie in uns und in dem, was uns umgibt, fördern.
Halevi, Z’ev ben Shimon. Kabbalah: Tradition of Hidden Knowledge. London, 1979.
Scholem, Gershom Gerhard. Major Trends in Jewish Mysticism. New York, 1961.
Scholem, Gershom Gerhard. Kabbalah. Jerusalem, 1974.
Smoley, Richard und Jay Kinney. Hidden Wisdom: A Guide to the Western Inner Traditions, New York 1999.
Bron:Ronnberg, Ami, Martin, Kathleen (Ed), Das Buch der Symbole, Köln 2011 (Taschen)
Der aus zehn Kreisen geformte kabbalistische Lebensbaum, von Athanasius Kircher, Zeichnung, 1652, Deutschland.
