Stern, D.H., Kommentar zum Jüdischen Neuen Testament, Neuhausen Stuttgart 1996 Bd1, (Hänssler-Verlag), pag. 10
Einführung
I Was ist der Kommentar zum Jüdischen Neuen Testament?
Der Kommentar zum Jüdischen Neuen Testament (KJNI) behandelt die »jüdischen Fragen und Probleme«, vor die sich die Leser des Neuen Testaments gestellt sehen. — Fragen, die Juden zu Jeschua (Jesus ), zum Neuen Testament und zum Christentum haben; Fragen, die Christen zum Judentum und zum jüdischen Ursprung ihres Glaubens haben; und Fragen, mit denen messianische Juden konfrontiert sind, weil sie beides sind: Juden und Anhänger des Messias. Der KJNI ist als Begleitung für das Jüdische Neue Testament (JNT) gedacht, meine Übersetzung des Neuen Testaments aus dem griechischen Urttext, bei der es mir vor allem darum ging, das spezifisch Jüdische am Neuen Testament, seine jüdischen Wurzeln, herauszuarbeiten.
Ein »Bewusstsein weckender« Kommentar. Fast alle Menschen haben bestimmte vorgefasste Meinungen über die »jüdischen Fragen und Probleme« des Neuen Testaments. Diese Vorurteile beruhen zum Teil auf mangelndem Wissen, zum Teil auf Ansichten, die häufig schon in der Kindheit übernommen wurden. Mein Anliegen war es, mit dem KJNT ein grösseres Bewusstsein für das Jüdische, für die jüdischen Wurzeln des Neuen Testaments bei den Lesern zu wecken und ihnen auf diese Weise einen ganz neuen Einblick und vielleicht auch ein neues Verständnis zu vermitteln.
Der KJNT soll bei seinen Lesern ein neues »Bewusstsein wecken«. Er enthält Informationen, die neue.Wege aufzeigen. Der Leser lernt verstehen, dass das Neue Testament ein grundlegend »jüdisches« Buch ist— geschrieben von Juden, handelt es vornehmlich von Juden und ist für Juden wie Heiden bestimmt. Meine jüdischen Leser sollen begreifen, dass das Neue Testament in Jeschua von Nazeret (Nazareth) den Sohn Davids, den langerwarteten Messias Israels erkennt, der eine entscheidende Rolle bei der Rettung des einzelnen Juden sowie des jüdischen Volkes spielt. Und meine christlichen Leser sollen begreifen, dass sie für immer eins sind mit dem jüdischen Volk und dass das Neue Testament keinerlei Ansatzpunkte für irgendeine wie auch immer geartete Form des Antisemitismus bietet.
Stern, D.H., Kommentar zum Jüdischen Neuen Testament, Neuhausen Stuttgart 1996 Bd1, (Hänssler-Verlag), pag. 10
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Matteüs 1,16-25 (NBV)
16 Jakob verwekte Jozef, de man van Maria. Bij haar werd Jezus verwekt, die Christus genoemd wordt.
17 Van Abraham tot David telt de lijst dus veertien generaties, van David tot de Babylonische ballingschap veertien generaties, en van de Babylonische ballingschap tot Christus veertien generaties.
18 De afkomst van Jezus Christus was als volgt. Toen zijn moeder Maria al was uitgehuwelijkt aan Jozef maar nog niet bij hem woonde, bleek ze zwanger te zijn door de heilige Geest. 19 Haar man Jozef, die een rechtschapen mens was, wilde haar niet in opspraak brengen en dacht erover haar in het geheim te verstoten. 20 Toen hij dit overwoog, verscheen hem in een droom een engel van de Heer. De engel zei: ‘Jozef, zoon van David, wees niet bang je vrouw Maria bij je te nemen, want het kind dat ze draagt is verwekt door de heilige Geest. 21 Ze zal een zoon baren. Geef hem de naam Jezus, want hij zal zijn volk bevrijden van hun zonden.’ 22Dit alles is gebeurd opdat in vervulling zou gaan wat bij monde van de profeet door de Heer is gezegd: 23 ‘De maagd zal zwanger zijn en een zoon baren, en men zal hem de naam Immanuel geven,’ wat in onze taal betekent ‘God met ons’. 24Jozef werd wakker en deed wat de engel van de Heer hem had opgedragen: hij nam haar bij zich als zijn vrouw, 25 maar hij had geen gemeenschap met haar voordat ze haar zoon gebaard had. En hij gaf hem de naam Jezus.
Commentaar op verzen 16-25
Stern, D.H., Kommentar zum Jüdischen Neuen Testament, Neuhausen Stuttgart 1996 Bd1, (Hänssler-Verlag), pag. 32-41, Matheus 1,16-1,25
16 Josef, des Mannes der aus der geboren wurde der Jeschua.
Der auffallende Umschwung in der Formulierung bei diesem letzten Glied der Aufzählung (bisher hiess es immer: “X war der Vater von Y”) deutet an dass Jeschua nicht auf dem normalen Weg empfangen wurde; an anderen Stellen heisst es, dass der Heilige Geist über Mirjam kam und dass sie ohne geschlechtliche Vereinigung schwanger wurde (V. 18 20; Lk1,27.31.34-38; s.a. V. 18-25&nn; Lk 3,23-38&n)
Der Jeschua, der der Messias genannt wurde. Diese vielleicht etwas befremdlich anmutende Wendung soIl die Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, dass dieser Stammbaum auf den einen ganz besonderen Menschen Jeschua hinführt, den Jeschua, der als der Messias bekannt wurde. Sie darf keinesfalls dahingehend missverstanden werden, dass Jeschua womöglich gar nicht der Messias war; er wurde der Messias genannt, wei! er der Messias war und ist.
18-25 Zur Empfängnis und Geburt Jeschuas vgl. Lk 1,26-38; 2, 1-7; Joch 1,1-2.14.
18 Verlobt. Das hebräische/aramäische Wort für Verlobung ist kidduschin. Es bedeutet soviel wie »Heiligung, Absonderung« und meint die Absonderung oder die Bestimmung einer Frau für einen Mann. Nach den Worten der Mischna gilt Ehebruch während der Verlobungszeit als eine sehr viel schwerwiegendere und härter zu ahndende Sünde als nach der Hochzeit.
Die Mischna unterscheidet vier Formen der Todesstrafe in absteigendem Schweregrad: Steinigung, Verbrennung, Enthauptung und Erdrosselung (Sanhedrin 7.1). Ein Mann, der mit einem verlobten Mädchen Geschlechtsverkehr hat, verfällt der gleichen Strafe wie einer, der mit seiner Mutter verkehrt: der Steinigung (Sanhedrin 7.4). Wer dagegen mit der Ehefrau eines anderen Geschlechtsverkehr hat, wird erdrosselt (Sanhedrin 11.1 ).
Heute ist es, nicht zuletzt, um die Möglichkeit einer so schwerwiegenden Sünde auszuschliessen, üblich geworden, die formale jüdische Verlobung ( kidduschin oder erusin) zusammen mit der Hochzeit ( nisu-in) in einer einzigen Zeremonie zu feiern.
Ruach Ha Kodesch, hebräisch für »Heiliger Geist«. Der Terminus aus der Tenach (Jesaja 51, 13(11), 63, 10-11) entspricht jenem »Geist Gottes« (Ruach Elohim), von dem erstmals in Genesis 1, 2 die Rede ist, wo der Geist »auf dem Wasser schwebt«, bevor Gott spricht: » Es werde Licht!« Aus der genannten Stelle, aber auch aus Jesaja 48, 16 und aus anderen Passagen der Bibel können wir schliessen dass der Heilige Geist göttlichen Wesens, ja dass er ebenso sehr Gott ist wiie Gott selbst. Im Neuen Bund sendet Jeschua den Heiligen Geist, damit er Jedem Menschen innewohne, der durch den Messias an Gott glaubt. Der Heilige Geist schenkt einem solchen Menschen die Kraft, Gott und seinen Mitmenschen zu dienen und sie zur Wahrheit Gottes hinzuführen, die Kraft, ein heiliges Leben zu führen und Früchte der Gerechtigkeit hervorzubringen.
Mirjam. Im Deutschen wird dieser hebräische Name in der Tenach gewöhnlich in der Schreibweise »Mirjam« wiedergegeben, im Neuen Testament jedoch mit »Maria«. Diese unbegründete und künstliche Unterscheidung, die auf die Willkür der Übersetzer zurückgeht, treibt auf ganz subtile Weise einen Keil zwischen die Mutter Jeschuas und ihr Jüdischsein. Die Mirjam der Tenach war die Schwester von Mosche Rabbenu (unserem Lehrer Mose; Exodus 2, 4-8) und selbst eine Prophetin (Exodus 15,20); in mancher Hinsicht gilt sie als Vorbild für die modernen jüdischen Frauen in Führungspositionen. Der Name »Maria« hingegen weckt im Leser die Vorstellung von der »Madonna mit dem Kind«, komplett mit Heiligenschein, glückseligem Lächeln und einem Aufgebot an Engeln. Das neutestamentliche Bild einer bodenständigen jüdischen Frau in einem israelischen Dorf, die ihre ehelichen, mütterlichen und gesellschaftlichen Aufgaben liebevoll, treu und pflichtbewusst erfüllt, gerät daneben völlig aus dem Blick.
Jeschuas Mutter wurde . . . schwanger erfunden vom Ruach Ha Kodesch. Früher oder später konnte jeder sehen, dass sie schwanger war. Was nicht jeder wusste, war, dass ihre Schwangerschaft nicht die Folge von Geschlechtsverkehr war, sondern auf das übernatürliche Wirken des Heiligen Geistes zurückging. Die »Jungfrauengeburt« war ein übernatürliches Ereignis (s. Abschnitt (1) von V. 23n). Dem Gott, der Himmel und Erde schuf, ist es auch möglich, eine Frau auf eine Weise schwanger werden zu lassen, die in der Natur nicht vorgesehen ist.
Matitjahu unterrichtet seine Leser über Jeschuas übernatürliche Empfängnis, um dem naheliegenden Verdacht zuvorzukommen, Mirjam habe sich eines Fehltritts schuldig gemacht. Die frühen Rabbinen schufen eine Überlieferung, nach der Jeschua der illegitime Sohn der Mirjam und eines römischen Soldaten namens Pantera gewesen sei (in der Tossefta aus dem 2. Jahrhundert, einer ähnlichen Sammlung wie der Mischna, s. Chullin 2.23; im Babylonischen Talmud aus dem 5. Jahrhundert, s. Sanhedrin 43a; 67a). Diese Verleumdung, die natürlich völlig frei erfunden ist, um die Aussagen des Evangeliums zu widerlegen, wurde in einem Anti-Evangelium aus dem 6-Jahrhundert, dem Toledot Jeschu, weiter ausgeschmückt (s. V. 21n).
20 Adonai wörtlich “meine Herren«, Sprachwissenschaftler halten diesen Plural für einen “Pluralis majestatis”, deshalb lautet die Übersetzung in diesem Fall richtiger “mein Herr”. Lange vor der Zeit Jeschuas war das Wort Adonai im Reden un lauten Lesen an die Stelle des Eigennamens Gottes die vier hebräischen Buchstaben jod-he-waw-he, im Deutschen J-H-W-H, Jahwe oder Jehowa geschrieben, getreten, er aus Ehrfurcht nicht ausgesprochen wurde. Der Talmud (Pesachim 50a) verbot es, das Tetragramm (das bedeutet »Vier-Buchstaben-Name« Gottes ) auszusprechen und das gilt in den meisten Jüdischen Kreisen noch heute. Aus Rücksicht auf diese Überlieferung ( die meiner Ansicht nach unnötig, aber harmlos ist) gebraucht das JNT Adonai wo JHWH gemeint. (Der Name »Jehowa« ist übrigens eine Erfindung der Moderne, ein Zwitterwesen aus den besagten vier hebräischen Buchstaben, J-H-W-H, nut den Vokalen des Wortes Adonai, e-o-a.)
Das griechische Wort für »Herr« lautet kyrios. Dieses Wort hat mehrere Bedeutungen: (1) »Herr« wie in »Herr Müller«; (2) »Herr« in weltlichem Sinn, wie »Gutsherr«; (3) »Herr« in göttlichem Sinn und schliesslich (4) steht es für den Eigennamen Gottes, JHWH. Das JNT gebraucht Adonai ausschliesslich dort, wo ganz sicher »JHWH« gemeint ist. Auch wenn es noch andere Stellen gibt, an denen »Herr« durch Adonai ersetzt werden könnte, ist das JNT in diesem Punkt bewusst äusserst genau. Weitere Erläuterungen zu kyrios s. 7, 21 &n.
21 An diesem Vers wird sehr schön deutlich, wie »Semitismen« ( ein Semitismus ist ein Anspielung auf das Hebräische oder Aramäische) in den griechischen Text übernommen wurden. Der Vers liefert damit einen wichtigen Anhaltspunkt für die Theorie, dass hinter den erhaltenen griechischen Handschriften eine ursprüngliche hebräische oder aramäische mündliche oder schriftliche Überlieferung stand, denn nur im Hebräischen oder aramäischen ergibt die Erklärung des Namens Jeschuas an dieser Stelle einen Sinn; im Griechischen (oder Deutschen) dagegen besagt sie gar nichts.
Das hebräische Wort für “er wird erretten« ist joschia. Es hat die gleiche hebräische Wurzel (jod-schin-ajin) wie der Name Jeschua (jod-schin-waw ajin). Der Name des Messias wird also anhand dessen erklärt, was dieser Messias tun wird. Etymologisch ist der Name Jeschua eine Kurzform des hebräischen Namens Jehoschua (deutsch Joschua), der bedeutet »JHWH; rettet«, und zugleich die Maskulinum-Form des hebräischen Wortes jeschuah, »Heil, Rettung«.
In der Luther-Übersetzung lautet der Vers: » …dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden. « Im Deutschen könnten wir diesen Retter der Menschen von der Sünde genausogut auch Hans oder Otto nennen. Das gilt auch für das Griechische; einzig vom Hebräischen oder Aramäischen her wird die Worterklärung bedeutsam und entscheidend.
Im modernen Hebräisch wird Jeschua von Ungläubigen gewöhnlich »Jeschu« (jod-schin-waw, ohne ajin) ausgesprochen. Auch hier wird der vorliegende Vers wichtig, denn er belegt zweifelsfrei, dass der Name Jeschu eine Verstümmelung ist – er enthält nicht alle drei Buchstaben der hebräischen Wurzel von joschia. Doch an dieser Stelle ist es erforderlich, noch etwas mehr in die Tiefe zu gehen.
Die Neutestamentler an der Jerusalem School of New Testament, Prof. David Flusser und Prof. Shmuel Safrai, beide orthodoxe Juden, sowie Robert Lindsey und David Bivin, beide Heidenchristen, vertreten die These, dass der Name Jeschua von galiläischen Juden im 1. Jahrhundert Jeschu ausgesprochen wurde. Aus Mt 26, 73 wissen wir, dass der galiläische Dialekt sich von dem der Leute in Judäa unterschied. Nach Flusser (Jewish Sources in Early Christianity, POB 7103, Tel Aviv 61070: MOD Books, 1989, S. 15) sprachen die Galiläer den hebräischen Buchstaben ajin am Ende eines Wortes nicht aus, wie z. B. im Londoner Cockney-Dialekt jeweils das »H« am Anfang eines Wortes weggelassen wird. Statt » Je-schuah« sagten sie also »Je-schu«. Und anscheinend wurde diese Aussprache dann von anderen übernommen.
Damit ist die Geschichte jedoch noch nicht zu Ende. In der jüdischen antichristlichen Polemik wurde es üblich, nicht den korrekten Namen Jeschuas zu gebrauchen, sondern absichtlich die entstellte Form Jeschu, weil irgendwann einmal jemandem aufgefallen war, dass Jeschu ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben des hebräischen Fluches jimach schema wesichro (»möge sein Name und sein Gedächtnis getilgt werden«; diese Worte sind eine Abwandlung von Psalm 109, 13) ist. So war also Jeschu gleichsam eine Art verschlüsselter Bannfluch. Und noch aus zwei weiteren Gründen wurde der Name mit Absicht verstümmelt ausgesprochen: weil Jeschua im nicht-messianischen Judentum als falscher Prophet, Gotteslästerer und Götzendiener galt, der zu Unrecht als Gott verehrt wurde, und weil die Torah ganz klar gebietet: » Du sollst die Namen ihrer Götter nicht einmal aussprechen« (Exodus 3, 13). Heute glauben die meisten Israelis, die Jeschu sagen, dass dies der korrekte Name sei, und wollen damit niemandem zu nahe treten. Das JNT dagegen vermeidet den Namen Jeschu bewusst, zum einen wegen seiner problematische Geschichte, zum anderen aber auch, weil darin im Hebräischen, genau wie in der Eindeutschung » Jesus«, immer eine Anspielung auf »den Gott, den die Heiden anbeten«, mitschwingt.
22 Um zu erfüllen, was Adonai gesagt hatte durch den Propheten. Das Neue Testament präsentiert sich konsequent als Erfüllung der Prophezeiungen und Verheissungen Gottes in der Tenach. Seine auffallende Kongruenz mit Aussagen und Weissagungen, die Jahrhunderte früher gemacht wurden, beseitigt ungeachtet aller Wahrscheinlichkeitserwägungen jeden Zweifel daran, dass Gott »Anfang, Ziel und Mitte weiss«, und bezogen auf die neutestamentlichen Aussagen, dass Jeschua der Messias ist. Die Erfüllung von Prophezeiungen ist der wichtigste rationale, das heillt, auf der empirischen Beobachtung historischer Ereignisse – also auf Tatsachen beruhende Beweggrund für Juden und Nichtjuden, Jeschua als Messias anzuerkennen.
In den letzten zweitausend Jahren der jüdischen Geschichte haben über fünfzig Personen vorgegeben, der Messias zu sein, angefangen mit Todah (Theudas) und Judah Ha Galili (TdG 5, 36-37&nn) über Schim-on Bar Kosiba (gest. 135 u. Z.), in dem Rabbi Akiva den Messias zu erkennen glaubte, woraufhin er seinen Namen in »Bar Kochva« (»Sohn eines Sterns«; s. 2 Ke 1,19n, » Morgenstem «) änderte, bis hin zu Sabbatai Zewi (1626-1676), der später Moslem wurde, und Jakob Frank (1725-1791), der zum Katholizismus übertrat. Doch keiner von ihnen wurde den Kriterien gerecht, die in der Tenach in bezug auf die Identität des Messias festgeschrieben sind. Jeschua dagegen hat alle Verheissungen erfüllt, die legitimerweise mit seinem ersten Kommen verknüpft werden durften ( eine genaue Auflistung dieser erfüllten Verheissungen findet sich in 26, 24n und in Kapitel VII der Einführung ins JNT). Von den vier Evangelisten verwendet insbesondere Matitjahu grosse Sorgfalt darauf, die wahrgewordenen Prophezeiungen herauszuarbeiten (s. 2,5.15.17; 3,3; 4,14; 8,17; 11,10; 12,17; 13,14.35; 21,4; 22,43; 26,31; 27,9). Er will daran zeigen, dass Jeschua als Messias anzuerkennen ist, weil er erfüllt hat,
Was Adonai gesagt hat durch die Propheten. Zu dieser Wendung s. 2.15n, letzter Punkt.
23 Die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn tragen. Dieser Vers war Anlass für eine grössere Kontroverse bezüglich der Zitate aus der Hebräischen Bibel im Neuen Testament. Im folgenden werden drei Einwände behandelt, die nicht-messianische Juden und andere Skeptiker im Zusammenhang mit der Frage, ob Matitjahu an dieser Stelle tatsächlich Jesaja 7, 14b zitiert, vorzubringen pflegen. Unmittelbar im Anschluss an den Einwand folgt jeweils die Entgegnung aus der Sicht der messianischen Juden.
(1) Einwand: Eine Jungfrauengeburt ist unmöglich.
Antwort: In der liberalen Forschung werden Wunder bezeichnenderweise als noch nicht bekannte Naturphänomene »wegerklärt«. Diese Methode könnte m_an hier aufgreifen und auf Beobachtungen von Parthenogenese im Tierreich oder auf Klon-Experimente in jüngster Zeit verweisen. Eine menschliche Parthenogenese wurde jedoch noch nicht beobachtet. Die Jungfrauengeburt muB daher als übernatürliches Ereignis geiten.
Der Einwand, dass eine Jungfrauengeburt unmöglich sei, entspringt gewöhnlich einer generell antisupranaturalistischen Haltung. Der Gott der Bibel ist aber im wahrsten Sinn des Wortes »übernatürlich«, er steht über der Natur, denn er hat die Natur und die Naturgesetze geschaffen, kann diese Naturgesetze, wenn es seinem Plan entspricht, also auch aufheben. Die Bibel lehrt sowohl in der Tenach als auch im Neuen Testament wiederholt, dass Gott manchmal aus Gründen, die nur er kennt, in die menschliche Geschichte und in den natürlichen Ablauf der Ereignisse eingreift.
Meistens verfolgt er damit, wie auch in diesem Fall, den Plan, der Menschheit ein Zeichen seiner Allmacht, seiner Gegenwart und seiner Fürsorge zu geben. Tatsächlich lautet Jesaja 7, 14a, der Teil, der dem Zitat unmittelbar vorausgeht: »Darum wird euch der Herr selbst ein Zeichen geben.« Das hebräische Wort für »Zeichen« (ot) steht für ein aussergewöhnliches Ereignis, das die Aufmerksamkeit auf Gottes unmittelbares Eingreifen in die Angelegenheiten der Menschen lenkt und zugleich den Beweis für dieses Eingreifen liefert. Der »Gott« des Deismus, der dargestellt wird, als habe er das Universum in Gang gebracht, wie ein Mensch eine Uhr aufzieht, so dass sie von allein weiterläuft, ist nicht der Gott der Bibel.
(2) Einwand: Jesaja meint mit dem hebräischen Wort almah eine »junge Frau«; wenn er eine »Jungfrau« gemeint hätte, hätte er betulah geschrieben.
Antwort: Almah wird in der hebräischen Bibel siebenmal gebraucht und bezeichnet entweder ausdrücklich eine Jungfrau, oder es impliziert ganz klar, dass eine Jungfrau gemeint ist, da sich almah in der Bibel immer auf eine unverheiratete Frau mit gutem Leumund bezieht. In Genesis 24, 43 z. B. ist von Rebekka, der künftigen Braut Isaaks, die Rede, die in Genesis 24, 16 auch als betulah bezeichnet wurde. In Exodus 2,8 bezieht das Wort sich auf die ältere Schwester des Säuglings Mosche, Mirjam, ein neunjähriges Mädchen, ganz sicher eine Jungfrau. (Der Name der Mutter Jeschuas erinnert denn auch an jene erste Mirjam, die vor so langer Zeit gelebt hatte.)
An den anderen Stellen, an denen der begriff almah vorkommt, ist von jungen Mädchen die Rede, die die Pauken schlagen (Psalm 68, 26 ), von Mädchen, denen der Hof gemacht wird (Sprüche 30,19) und von den Jungfrauen am Königshof (Hoheslied 1,3; 6,8). Bei Jedem dieser Beispiele wird aus dem Kontext deutlich, dass es hier um unverheiratete Frauen von tadellosem Ruf handeln muss, das heisst um Jungfrauen.
Hinzu kommt, dass Matitjahu hier aus der Septuaginta zitiert, der ersten Übersetzung der Tenach ins Griechische, die mehr als zweihundert Jahre vor Jeschuas Geburt entstand. Die jüdischen Übersetzer der Septuaginta wählten das griechische Wort parthenos für das hebräische almah, parthenos aber heisst nichts anderes als »Jungfrau«. Diese klare sprachliche Regelung wurde lange vor dem Begriffsstreit getroffen, den das Neue Testament auslöste.
Der wohl berühmteste mittelalterliche jüdische Bibelexeget, Rabbi Shlomo Jizchaki (» Raschi«, 1040-1105), der eine christliche Auslegung der Tenach ganz entschieden ablehnte, schrieb nichtsdestoweniger zu Jesaja 7,14: »Siehe, die almah soll empfangen und einen Sohn tragen und wird ihn lmmanu-el nennen. Das bedeutet, dass unser Schöpfer mit uns sein wird. Und dies ist das Zeichen: die, die empfangen wird, ist ein Mädchen (na-arah), die noch nie in ihrem Leben Verkehr mit einem Mann hatte. Über sie wird der Heilige Geist Macht haben. « (Mikraot Gedolot, a. a. O.) Und in seinem Kommentar zum Hohenlied 1,3 führt Raschi aus, dass alamot ( der Plural von almah) gleichbedeutend ist mit betulot (» Jungfrauen«). Michael Rydelnik, ein hebräischer Christ, schreibt dazu:
»Cyrus Gordon, ein hochgeachteter jüdischer Forscher, der nicht an die Jungfrauengeburt glaubt, ist der Ansicht, dass die verwandten Sprachen zeigen, dass almah in Jesaja 7,14 mit » Jungfrau « übersetzt werden sollte (s. Journal of Bible and Religion, XXI, 2 (April 1953, S. 106)).» ( The Chosen People, Juni 1987, S. 18).
Aus dem Gebrauch der Begriffe in der Bibel können wir erschliessen wann mit almah eine Jungfrau gemeint ist. So wird Rivkah in Genesis 24,43 als almah bezeichnet, aus Genesis 24,16 (»die noch von keinem Manne wusste«) wiederum geht hervor, dass sie Jungfrau war. Ebenso wissen wir aus Lk 1,34, dass die almah Mirjam eine Jungfrau war, denn dort fragt sie den Engel, wie es möglich sein kann, dass sie schwanger ist: » Da ich doch eine Jungfrau bin?
Es wäre denkbar, dass Jesaja an dieser Stelle das Wort almah statt betulah wählt, weil betula im biblischen (im Gegensatz zum späteren) Hebräisch nicht immer zweifelsfrei eine Jungfrau bezeichnet, wie wir aus Joel 1,8 erfahren: »Heule wie eine Jungfrau, die Trauer anlegt um des Bräutigams ihrer Jugend willen.« Und in Deuteronomium 22,19 wird für eine Frau nach ihrer Hochzeitnacht der Begriff betulah gebraucht.
(3) Einwand: Bei Jesaja geht aus dem Kontext (V. 10-17) hervor, dass Jesaja König Achas folgendes Zeichen weissagte: Bevor das bis jetzt noch nicht empfangene und noch ungeborene Kind der almah alt genug sein würde, das Gute zu wählen und das Böse zu verwerfen, würden Syrien und das Nordreich ihre Könige verlieren und Assyrien Juda angreifen. Diese Prophezeiung erfüllte sich einige Zeit darauf, im 8. Jahrhundert v. u. Z. Der Prophet sagte also keineswegs ein Ereignis voraus, das noch 700 Jahre in der Zukunft lag.
Antwort ( die ich dem christusgläubigen Juden Arnold Fruchtenbaum verdanke): Der Kontext des gesamten Kapitels 7 zeigt im Gegenteil, dass das »Zeichen«, von dem in V. 14 die Rede ist, nicht für König Achas gedacht war, der ja in V. 11 und 16-17 mit »du« (Singular) angeredet wird, sondern für das ganze »Haus David«, das in V. 13 angesprochen wird und im folgenden mit »euch« (Plural) angeredet wird.
Das Zeichen für Achas war, dass die Ereignisse von V. 16b-17 eintreten würden, noch bevor das na-ar (»Kind«, also mindestens ein Kind im Krabbelalter, und auf keinen Fall ein Neugeborenes) in der Lage sein würde, das Gute zu erwählen und das Böse zu verwerf en. Dieses Kind war Jesajas Sohn Schear-Jaschuv (V. 3), der bei ihm war, als er die Weissagung tat, und auf den er wahrscheinlich deutete, und nicht der Sohn (hebräisch ben) aus V. 14. Damit bezieht sich das Zeichen, von dem in V. 14 die Rede ist, auf das gesamte Haus David, einschliesslich aller Nachkommen Davids von dieser Zeit an bis zum Zeitpunkt der Erfüllung der Prophezeiung – die mit der Jungfrauengeburt Jeschuas eintrat.
Wer mit der christlichen, insbesondere mit der römisch-katholischen Tradition unvertraut ist, verwechselt manchmal den Terminus »Jungfrauengeburt« mit der »Unbefleckte Empfängnis«. Die Jungfrauengeburt Jeschuas – die Tatsache, dass Mirjam ihren Sohn durch die Macht des Heiligen Geistes empfing, ohne dass sie jemals zuvor Geschlechtsverkehr hatte wird von allen bibelgläubigen messianischen Juden und Heidenchristen akzeptiert. Die Lehre der römisch-katholischen Kirche von der Unbefleckten Empfängnis hingegen, die von den Kirchenvätern stammt und besagt, dass schon Mirjam selbst ohne Sünde empfangen wurde, wird von den Protestanten nicht akzeptiert, weil sie im Neuen Testament nirgendwo verankert ist.
Der Name den der Messias nach den Worten von Jesaja 7,14 und 8,8 erhalten wird ‘ist Immanu-el. Das bedeutet, wie Matitjahu selbst erklärt, »Gott ist mit uns« – so jedenfalls wirdimmanu ELin Jesaja 8,10 übersetzt. Jeschua war während seines irdischen Lebens allerdings nicht unter diesem Namen bekannt; er gibt vielmehr lediglich einen Hinweis (Remes; s. 2,15n) darauf, wer der Messias, Jeschua, ist: in ihm ist »Gott-mit-uns«. Die endgültige Erfüllung dieser Aussage erfährt das Gottesvolk laut Offb 21,3, wenn »Gott-mit-ihnen« im neuen Himmel und in der neuen Erde mitten unter ihnen wohnen wird.
In der Tenach geben die Eigennamen häufig einen Wesenszug der Person wieder, die diesen Namen trägt. Für den Messias werden mehrere Namen gebraucht, darunter » Schiloh« ( Genesis 4,10), » Reis« (Jesaja 11,1 ), »Spross« (Jeremia 23,5; 33,15) und der längste: »Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst« (Jesaja 9,5) Sie alle beschreiben den Messias, den wir unter dem Namen Jeschua kennen.
24-25 Josefs Verhalten zeigt, dass er Jeschua als seinen Sohn annahm. In der Mischna heillt es, »wenn jemand sagt: >dies ist mein Sohn<, so ist er beglaubt« (Bava Batra 8.6). Die Gemara führt aus, dass ihm geglaubt werden soll »hinsichtlich der Beerbung« (Bava Batra 134a). Damit ist Jeschua als gesetzlich anerkannter Sohn berechtigt, von Josef, einem Nachkommen Davids, den Thron König Davids zu erben (Y. 8). (S. Phillip Goble, How to Point to Yeschua in Your Rabbis’s Bible, New York: Artists for Israel, 1986).
25 Bis sie geboren hatte. Die Protestanten glauben, dass Mirjam Jungfrau war, als sie Jeschua gebar, »seine Schwestem« (Plural: es waren also mindestens zwei) und vier Brüder (13,55-56; Mk 6,3) jedoch die auf natürlichem Weg gezeugten Kinder von Mirjam und Josef waren. Nach der Lehre der römisch-katholischen Kirche dagegen blieb Mirjam ihr ganzes Leben lang Jungfrau, und der Terminus » Brüder« und »Schwestern« bezieht sich auf entferntere Verwandte Jeschuas (vgl. Genesis 14,12-16; 31, 32; Levitikus 10,4). Das griechische Wort achri (»bis«) trägt nichts zur Klärung des Sachverhalts bei, weil es nicht zwangsläufig eine Veränderung impliziert; man kann also aus dem griechischen Text schliessen, dass Mirjam und Josef bis zur Geburt Jeschuas keinen Verkehr hatten, danach dann aber als Eheleute zusammenlebten, oder aber dass sie auch nach Jeschuas Geburt weiterhin im Zölibat lebten. Das Zölibat im besonderen und die Askese im allgemeinen waren und sind allerdings, wie sowohl Jeshua als auch Scha-ul lehren (s. 19,10-12&n; 1 Kor 7,1-40&nn, Kol 2,18-23&nn; 1 Tim 4,3a&n), im Judentum und auch im Glauben des Neuen Bundes die Ausnahme, auch wenn ein solches Verhalten von manchen heidenchristlichen Richtungen als besonders verdienstvoll angesehen wird.
Bron: Stern, D.H., Kommentar zum Jüdischen Neuen Testament, Neuhausen Stuttgart 1996 Bd1, (Hänssler-Verlag), pag. 32-41

Matheus 2,1-23 (NBV)
1 Toen Jezus geboren was in Betlehem in Judea, tijdens de regering van Herodes, kwamen er magiërs uit het Oosten in Jeruzalem aan. 2 Ze vroegen: ‘Waar is de pasgeboren koning van de Joden? Wij hebben namelijk zijn ster zien opgaan en zijn gekomen om hem eer te bewijzen.’ 3 Koning Herodes schrok hevig toen hij dit hoorde, en heel Jeruzalem met hem. 4 Hij riep alle hogepriesters en schriftgeleerden van het volk samen om aan hen te vragen waar de messias geboren zou worden. 5 ‘In Betlehem in Judea,’ zeiden ze tegen hem, ‘want zo staat het geschreven bij de profeet: 6 “En jij, Betlehem in het land van Juda, bent zeker niet de minste onder de leiders van Juda, want uit jou komt een leider voort die mijn volk Israël zal hoeden.”’ 7 Daarop riep Herodes in het geheim de magiërs bij zich; hij wilde precies van hen weten wanneer de ster zichtbaar geworden was, 8 en stuurde hen vervolgens naar Betlehem met de woorden: ‘Stel een nauwkeurig onderzoek in naar het kind. Stuur mij bericht zodra u het gevonden hebt, zodat ook ik erheen kan gaan om het eer te bewijzen.’ 9 Nadat ze geluisterd hadden naar wat de koning hun opdroeg, gingen ze op weg, en nu ging de ster die ze hadden zien opgaan voor hen uit, totdat hij stil bleef staan boven de plaats waar het kind was. 10 Toen ze dat zagen, werden ze vervuld van diepe vreugde. 11 Ze gingen het huis binnen en vonden het kind met Maria, zijn moeder. Ze wierpen zich neer om het eer te bewijzen. Daarna openden ze hun kistjes met kostbaarheden en boden het kind geschenken aan: goud en wierook en mirre. 12 Nadat ze in een droom waren gewaarschuwd om niet naar Herodes terug te gaan, reisden ze via een andere route terug naar hun land.
13 Kort nadat zij op die manier de wijk genomen hadden, verscheen er aan Jozef in een droom een engel van de Heer. Hij zei: ‘Sta op en vlucht met het kind en zijn moeder naar Egypte. Blijf daar tot ik je weer roep, want Herodes is naar het kind op zoek en wil het ombrengen.’ 14 Jozef stond op en week nog diezelfde nacht met het kind en zijn moeder uit naar Egypte. 15 Daar bleef hij tot de dood van Herodes, en zo ging in vervulling wat bij monde van de profeet door de Heer is gezegd: ‘Uit Egypte heb ik mijn zoon geroepen.’
16 Toen Herodes begreep dat hij door de magiërs misleid was, werd hij verschrikkelijk kwaad, en afgaande op het tijdstip dat hij van de magiërs had gehoord, gaf hij opdracht om in Betlehem en de wijde omgeving alle jongetjes van twee jaar en jonger om te brengen. 17 Zo ging in vervulling wat gezegd is door de profeet Jeremia: 18 ’Er klonk een stem in Rama, luid wenend en klagend. Rachel beweende haar kinderen en wilde niet worden getroost, want ze zijn er niet meer.’
19 Nadat Herodes gestorven was, verscheen er in een droom aan Jozef in Egypte een engel van de Heer. 20 De engel zei: ‘Sta op, ga met het kind en zijn moeder naar Israël. Want zij die het kind om het leven wilden brengen, zijn gestorven.’ 21 Jozef stond op en vertrok met het kind en zijn moeder naar Israël. 22 Maar toen hij daar hoorde dat Archelaüs zijn vader Herodes was opgevolgd als koning over Judea, durfde hij niet verder te reizen. Na aanwijzingen in een droom week hij uit naar Galilea. 23 Hij ging wonen in de stad Nazaret, en zo ging in vervulling wat gezegd is door de profeten: ‘Hij zal Nazoreeër genoemd worden.’

Commentaar op Matheus 2,1-23
Stern, D.H., Kommentar zum Jüdischen Neuen Testament, Neuhausen Stuttgart 1996 Bd1, (Hänssler-Verlag), pag 41-51
1 Jeschua wurde zwischen 8 und 4 v. u. Z. geboren. Der Grund für die paradox. wirkende Angabe, dass er “v. Chr.” (»vor Christus«) geboren wurde, liegt dann, dass Dionysius Exiguus, ein Mönch aus dem 6. Jahrhundert, dem wir den modernen Kalender verdanken, einen Irrtum beging, der erst später korrigiert wurde. Statt der Bezeichnungen »v. Chr.« (»vor Christus«) bzw. »A.D.« (»Anno Domini«, »im Jahr des Herm« Jeschua) und »n. Chr.« (»nach Christus«) verwendet die jüdische Gemeinschaft die Kürzel »v. u. Z.« (»vor unserer Zeitrechnung«) und »u. Z.« (»unsere(r) Zeitrechnung«). Sie vermeidet es damit, den Kalender direkt auf den Messias zu beziehen.
In Beht-Lechem. S. V. 6&n.
Herodes der Grosse (ca. 73-4 v. u. Z.) begründete die Dynastie der Herodier (s. Lk 3,1n), die von 37 v. u. Z. bis zum jüdischen Krieg mit Rom von 66-70 u. Z. über Israel herrschten. Herodes selbst war eine ungemein energiegeladene, von unstillbarem Ehrgeiz getriebene Persönlichkeit. Sein Aufstieg begann im Jahr 47 v. u. Z. in Syrien und im Galil; durch eine Kombination aus militärischen Erfolgen, politischen Intrigen und Bestechung der Römer gelang es ihm, sich zum Nachfolger des letzten Hasmonäerkönigs, Antigonus, zu machen, als dieser im Jahr 37 v. u. Z. (möglicherweise durch die Hände von Mördern, die Herodes gedungen hatte) starb.
Herodes war zwar Jude von Geburt, seine Familie stammte jedoch von den Idumäern (Edomitern) ah, die im 2. Jahrhundert v. u. Z. (s. 23, 15n) unter den hasmonäischen Makkabäern gezwungen worden waren, zum Judentum überzutreten. Es wird denn auch immer wieder deutlich, wie fern Herodes dem Judentum von seiner religiösen Überzeugung her, aber auch im Blick auf seine ethische Einstellung stand. Dennoch liess er den Zweiten Jüdischen Tempel, der unter Serubavel (s. das Buch Haggaï) von 520-516 v. u. Z. erbaut und später zerstört worden war, neu und sehr viel prachtvoller wiederaufbauen. Die talmudischen Rabbinen bekannten, “Wer den Tempel des Herodes nicht gesehen hat, der hat nie ein schönes Bauwerk gesehen« (Bava Batra 4a), aber es heillt in Talmud auch, »Er wurde erbaut von einem sündigen König, der den Tempel erichten liess zur Versöhnung, weil er die Weisen Israels hatte ermorden lassen« (Numeri Rabba 4, 14).
Herodes litt ständig unter dem Wahn, sei Thron konnte ihm wieder entrissen werden. Er hatte deshalb sämtliche möglichen Rivalen beseitigen lassen darunter auch Verwandte seiner Frau, der Hasmonäerprinzessin , Mariamne, weil er die Wiederherstellung der hasmonäischen Dynastie fürchtete. Selbst vor der Ermordung seiner eigenen Söhne – er hatte fünfzehn Kinder – schreckte er in seinem blinden Verfolgungswahn nicht zurück. An abgelegenen Orten liess er die Festungen Herodion und Masada als Fluchtburgen für sich selbst errichten, falls er einmal abgesetzt werden sollte. Die Ereignisse, die in 2, 1-17 beschrieben sind, stehen also völlig im Einklang mit dem Charakter dieses Mannes, wie er auch von anderer Seite bezeugt ist.
Magier waren nicht einfach Zauberer, wenngleich unser Begriff »Magier« natürlich daher stammt, und sie waren auch nicht nur Astrologen und Astronomen, auch wenn sie die Sterne beobachteten. Die Magier waren Weise, die aufgrund ihrer Weisheit hohes Ansehen genossen und nicht selten allerhöchste politische Ämter bekleideten. Die Magier, von denen hier die Rede ist, kamen aus dem medisch-persischen Reich oder aus Babylon.
2 König der Juden. In Joch 1, 19n wird erläutert, warum das griechische Wort Ioudaioi wenn es im Zusammenhang mit dem Land Israel auftaucht, eigentlich mit »Judäer« und nicht mit »Juden« übersetzt werden müsste. Die Wendung »König der Ioudaioi« wird im Neuen Testament jedoch ausschliesslich von Nicht-Juden verwendet – hier von den Magiern, später von Pontius Pilatus und den römischen Soldaten (27,37; Mk 15,26; Lk 23, 3.38; Joch 19,19). Diesen Leuten aber ging es nicht darum, die Judäer von den Galiläern zu unterscheiden, sondern die Juden von den Heiden.
Doch selbst hier gibt es einleuchtende Gründe dafür, Ioudaioi mit »Judäer« wiederzugeben. Immerhin wird dreimal in V. 1-6 Beht-Lechem in Jehudah (Judäa) erwähnt. Der jüdische Gelehrte Solomon Zeitlin versteht den Zusammenhang folgendermassen`:
»Sowohl das Matthäus- (1, 1-16) als auch das Lukasevangelium (3,24-31) führen den Stammbaum Jesu auf David zurück, und Markus, dessen Evangelium kein Geschlechtsregister enthält, sagt aus, dass Jesus der Sohn Davids ist (12, 35). Selbst Johannes, der vor allem hervorheben will, dassm Jesus der Sohn Gottes ist, schreibt: » Wieder andere sprachen: Soli der Christus aus Galiläa kommen? Sagt nicht die Schrift: aus dem Geschlecht Davids und aus dem Ort Bethlehem, wo David war soll der Christus kommen?« (7, 41-42) Nach den Evangelien wurde Jesus mit den Worten empfangen, »Gelobt sei das Reich unseres Vaters David!« (Mk 11, 10) und »Hosianna dem Sohn Davids!« (Mt 21, 9). Das Kreuz, an das Jesus genagelt wurde, trug die Inschrift »Jesus von Nazareth, König der Juden« in hebräischer, griechischer und lateinischer Sprache (Jesus Nazarenus, Rex Judaeorum). Maschiach, Messias und Christus waren in ihren Augen Synonyme für »Sohn Davids« und »König der Judäer«.» (The Origin of the Idea of the Messiah, in Daniel Jeremy Silver, Hrsg., In the Time of Harvest; New York: The MacMillan Company, 1963, S. 458).
Seinen Stern. Das scheint eine Anspielung auf Numeri 24, 17 zu sein, wo Bileam prophezeit: » Es wird ein Stem aus Jakob aufgehen. « Das Judentum hat diesen »Stern« mit dem Messias assoziiert. Zum »Morgenstem« s. 2 Ke 1,19n.
4 Kohanim (Plural; Singular: Kohen), »Priester«, ein Wort, bei dem man heute zunächst an die Kleriker der christlichen Konfessionen oder an die Mönche in den östlichen Religionen, nicht aber an das Judentum denkt. Das liegt daran, dass das Judentum seit der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahr 70 u. Z. gleichsam schlummerte. Zur Zeit Jeschuas jedoch, als der Tempel noch stand, war eine jüdische Religion ohne Priesterschaft undenkbar.
Aufgabe des Priesters war es, »Sprachrohr« Gottes und Mittler zwischen Gott und den Menschen zu sein, wie der Prophet. Der Prophet spricht im Namen Gottes zu den Menschen, der Priester im Namen der Menschen zu Gott. Die Kohanim, die im Tempel dienten, waren Nachkommen von Mosches Bruder Aharon, dem Urenkel von Levi, dem dritten Sohn Ja-akovs. Ihnen oblag es, die Opfertiere auf dem Altar darzubringen. Der blutige Altar im Tempel Gottes war eine ständige Mahnung für Israel, dass die Strafe Gottes für die Sünde der Tod ist (s. MJ 10, 3). Im modernen nicht-messianischenJudentum spielen die Priesterschaft und das Opfer nur noch eine marginale Rolie (s. MJ 9, 22n), doch das biblische Judentum ist ohne sie nicht vorstellbar. Die messianischen Juden gehen davon aus, dass Jeschua der Messias unser ewiger Kohen (MJ 7, 23-25) und unser immerwährendes Opfer (MJ 7,27; Joch 1,29) ist.
Torah lehrer. Das griechische Wort grammateus ist die wörtliche Übersetzung des hebräischen Sofer, wörtlich »Schreiber«. Die Aufgaben der Sofrim in der Zeit Jeschuas gingen jedoch weit über das Kopieren von Schriftrollen oder die Pflichten eines Sekretärs hinaus; sie waren Vielmehr in erster Linie Schüler und Lehrer der jüdischen Kultur, d.i. der Torah, und werden in den Bibelübersetzungen deshalb ganz richtig als »Schriftgelehrte« bezeichnet.
Die Haupt–Kohanim, meist Sadduzäer, und die Torahlehrer, die meist mit den Pharisäem gleichgesetzt wurden ( s. dazu jedoch den nächsten Abschnitt!), repräsentierten die beiden wichtigsten Machtblöcke im jüdischen religiösen Establishment (s. 3, 7n). Die beiden Gruppen waren in vielen Punkten unterschiedlicher Ansicht, doch Herodes erhielt auf seine Frage eine einmütige Antwort; daher wissen wir, dass ganz Israel glaubte, dass der Messias in Beht-Lechem geboren würde (s. V. 6n).
Joseph Shulam, einer der Leiter der Gemeinde der messianischen Juden in Jerusalem, weist darauf hin, dass die Schriftgelehrten nach dem neuesten Stand der Forschung weder Rabbinen noch Pharisäer waren, sondem »Weise des Am Ha Arez« (s. Joch 7, 49n; TdG 4, 13n), Torahlehrer ohne Semichah (Ordination; s. 21, 23n)- aber s. Mk 2, 1S&n. Deshalb konnten sie keine chidduschim (neue Bibelauslegungen) einführen und auch keine halachischen Urteile fällen (posek halachah). Nach Shulam war das der Grund, warum die Menschen so verwundert darüber waren, dass Jeschua wie ein Rabbi und nicht wie ein Schriftgelehrter lehrte (7,28-29; Mk 1,22&n).
6 Im Judentum wird bei einem Schriftzitat stets der gesamte Kontext mitgedacht, nicht nur die zitierten Worte. Micha 5,1 lautet in voller Länge: »Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.«
Manche Interpretatoren lesen aus diesem Vers lediglich heraus, dass der Messias ein Nachkomme König Davids sein wird, der aus Beht-Lechem auch Efrata genannt (Genesis 48,7), stammte (1. Samuel 17,12). Wer eine; so deutlichen Weissagung der geographischen Herkunft des Messias eine übertragene Bedeutung gibt, ist jedoch ein schlechter Exeget. Das ist nur ein Versuch, den offensichtlichen Hinweis auf Jeschua, den ewigen Sohn Gottes, »dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist«, wie es auch in Joch 1, 1-2&n.14; 8, 56-58&n heisst, zu verschleiem.
Erstaunlich ist, dass im Laufe der Geschichte immer wieder Juden die Lügen falscher Messiasse für bare Münze genommen haben (s. 1,22n), obwohl doch nicht einer von ihnen Michas Prophezeiung erfüllte und in Bethlehem geboren war. Es gibt sogar rabbinische Quellen, in denen Beht-Lechem als Geburtsort des Messias genannt wird, z. B. der Midrasch Rabba zu den Klageliedern, Abschnitt 51 ( zu Klagelieder 1, 16):
»Vor einem Manne, welcher mit einer Kuh pflügte und die zu brüllen anfing, ging ein Araber vorüber. Was bist du? fragte ihn dieser. Jener antwortete: Ich bin ein Jude. Binde deinen Ochsen los, löse dein Gespann (d. h. stelle die Arbeit ein). Warum? Weil das Heiligtum der Juden zerstört ist. Woher weisst du das? Ich schliesse es aus dem Brüllen deines Ochsens. Während dieses Gesprächs brüllte der Oches nochmals. Binde deinen Ochsen wieder an, hinde dein Gespann an, denn der Erlöser der Juden ist geboren. Wie heisst er? Menachem. Wie heisst sein Vater? Chiskia. Wo wohnen sie? In der Burg Arba in Bethlehem Jehuda.«
Die gleiche Aggadah (Geschichte) findet sich im Jerusalemer Talmud unter Berachot 5a; dort lautet die letzte Zeile: »In der königlichen Stadt von Beht-Lechem.« Jeschua wird in diesem Zusammenhang zwar nicht erwähnt, immerhin wird aber davon ausgegangen, dass der Messias bereits gekommen ist, und zwar urn die Zeit der Zerstörung des Tempels.
13 Ein Engel Adonais. S. Joch 1, 14n.
15 Aus Ägypten habe ich meinen Sohn berufen. Hosea 11,1 bezieht sich eindeutig nicht auf den Messias, sondern auf das Volk lsrael, das schon vor dem Auszug aus Ägypten als Gottes »Sohn « bezeichnet wird (Exodus 4,22). Die beiden vorausgegangenen Tenach-Zitate (1, 23; 2, 6) setzten eine Erfüllung im wörtlichen Sinn voraus. Das ist hier nicht der Fall. Inwiefern also hat die Flucht der Eltern Jeschuas nach Agypten erfüllt … , was Adonai gesagt hatte durch den Propheten?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns mit den vier Formen rabbinischer Schriftauslegung vertraut machen. Es sind dies:
(1) Peschat (“einfach, schlicht”) – der wörtliche Sinn des Textes, mehr oder weniger das, was die heutigen Forscher unter »grammatisch-historischer Exegese« verstehen. Dabei dienen die grammatische Struktur des Textes und der historische Kontext, in dem er entstand, als entscheidender Hintergrund, als Kriterium für die Erschliessung des Textsinnes. Viele moderne Wissenschaftler halten die grammatisch-historische Exegese für die einzig gültige Weise, mit einem Text umzugehen; Prediger, die in ihren Ansprachen eine andere Methode benutzen, haben deshalb oft das Gefühl, sich vor den Akademikern dafür rechtfertigen zu müssen. Die Rabbinen kannten Jedoch noch drei weitere legitime Formen der Schriftauslegung, die auf keinen Fall vorschnell abgetan werden sollten, sondern zunächst an der Gültigkeit ihrer Vorannahmen zu messen sind.
(2) Remes (» Hinweis«) – wenn ein Wort, eine Wendung oder ein anderer Bestandteil des Textes auf eine Wahrheit verweist, die durch den schlichten Wortsinn (Peschat) nicht offenbart wird. Die implizite Vorannahme dieser Auslegungsmethode ist, dass Gott auf Dinge verweisen kann, derer sich der biblische Autor selbst nicht bewusst ist.
(3) Derasch oder Mulrasch (»Suche«) – die allegorische oder homiletische Anwendung des Textes. Es handelt sich dabei um eine Sonderform der Eisegese – des Hineinlesens von Gedanken in den Text -, im Gegensatz zur Exegese, die aus dem Text herausholt, was er tatsächlich sagt. Dahinter steht die implizite Vorannahme, dass die Worte der Schrift zu einer Art Mahlgut für die Mühle des menschlichen Geistes werden können und sollen, den Gott im Zuge der Beschäftigung mit dem Text auf Wahrheiten hinlenkt, die nicht in direktem Zusammenhang mit dem Text selbst stehen.
(4) Sod (»Geheimnis«) – eine geheime oder verborgene Bedeutung, die zutage tritt, wenn man die numerischen Werte der hebräischen Buchstaben miteinbezieht, über die ungewöhnliche Orthographie eines Wortes oder einer Wendung nachdenkt, Buchstaben umstellt usw. Zum Beispiel können zwei Wörter, deren numerische Äquivalente ihrer Buchstaben dieselbe Summe ergeben, Schlüsselworte für die Lösung eines Geheimnisses werden, und zwar durch jenes Phänomen, das Arthur Koestler in seinem Buch über den schöpferischen Geist als » Bisoziation der Idee« bezeichnet hat. Die implizite Vorannahme dahinter ist, dass Gott auch den geringsten Details der Schrift, ja selbst den einzelnen Buchstaben, tiefere Bedeutung verleiht.
Die Vorannahmen, die Remes, Derasch und Sod zugrundeliegen, stützen sich auf die Allmacht Gottes, zugleich aber auch auf seine Liebe zu den Menschen, denn aus Liebe wählt er aussergewöhnliche Mittel, um die Herzen und den Geist der Menschen zu erreichen. Natürlich können Remes, Derasch und Sod auch missbraucht werden, da sie sämtlich subjektive Interpretationen auf seiten des Auslegers zulassen, ja sogar fordern; das erklärt denn auch, warum Forscher, die die Objektivität über alles stellen, zögern, sich ihrer zu bedienen.
Die vier Arbeitsmethoden sind in dem hebräischen Wort PaRDeS zusammengefasst, einem Akronym aus den Anfangsbuchstaben der vier Auslegungsweisen; es bedeutet »Obstgarten« oder »Paradies«.
Was also tut Matitjahu hier? Manche Ausleger sind der Ansicht, er missbrauche die Schrift, indem er den Sinn der Worte Hoseas aus dem Zusammenhang reisst und auf Jeschua anwendet. Dieser Vorwurf wäre stichhaltig, wenn Matitjahu sich eindeutig auf die erste Auslegungsweise, peschat, beschränkt hätte. Denn es besteht in der Tat kein Zweifel daran, dass sich Hosea 11, 1 in der wörtlichen Auslegung auf das Volk Israel und nicht auf Jeschua bezieht.
Nach der Auffassung anderer Forscher bedient Matitjahu sich hier der Derasch-Methode und formuliert einen Midrasch, indem er eine Aussage über den Messias in einen Vers hineinliest, der von Israel handelt. Ein solches Verfahren war bei den Rabbinen durchaus gebräuchlich, und Matitjahus Leser hätten sicherlich nichts dabei gefunden.
Meiner Überzeugung nach betreibt Matitjahu hier jedoch keine Eisegese, sondern gibt uns einen Hinweis (Remes) auf eine Wahrheit. Israel wird schon im Buch Exodus als »Sohn« Gottes bezeichnet (4, 22). Wenige Verse zuvor bei Matitjahu erhält der Messias diesen Titel (1,18-25), und zwar unter Berufung auf Tenach-Passagen wie Jesaja 9,5, Psalm 2,7 und Sprüche 30,4. Damit wird der »Sohn« der Tenach mit dem »Sohn« des Neuen Testaments gleichgesetzt: der Messias wird mit dem Volk Israel identifiziert. Das ist die tiefe Wahrheit, auf die Matitjahu verweist, indem er in Jeschuas Flucht nach Ägypten die »Erfüllung« von Hosea 11,1 sieht.
Die Tatsache, dass der Messias Jeschua für sein Volk Israel steht, ja mit ihm identifiziert wird, ist eine äusserst bedeutsame Grundaussage der Evangelien, die in der individualistisch orientierten westlichen Welt im allgemeinen vernachlässigt wird. Der einzelne, der an Jeschua glaubt, wird mit ihm vereint und »eingetaucht« (getauft; s. 3,1&n) in alles, was Jeschua ist (s. TdG 2, 38&n), auch in Jeschuas Tod und Auferstehung- so dass die sündige Natur des Gläubigen als tot erachtet wird und seine neue Natur durch die Kraft des Heiligen Geistes lebt (Röm 6,3-6&n). Diese Identifikation des Messias mit dem einzelnen gilt aber auch für das Volk Israel als ganzes. Ja, eigentlich ist es sogar so, dass sich der Messias nur deshalb mit der messianischen Gemeinschaft, der Kirche, identifizieren und zum »Haupt des Leibes« (1 Kor 11,3; Eph 1, 10.22;4, 15;5, 23; Kol 1,18; 2,19) und »Eckstein« des Bauwerks (s: unten 21,42; Mk 12,10; TdG 4, 11; Eph2,20; 1 Ke 2,6-7) werden kann, weil er sich mit dem jüdischen Volk, dem Volk Israel; dem Ölbaum, identifiziert, dem die Heidenchristen »aufgepfropft« wurden (Röm 11, 17-24).
Die heutigen Leser der Bibel halten sich in erster Linie an die »grammatisch-historische Exegese« und ignorieren die anderen Formen der Schriftauslegung, weil sie sie als Eisegese abwerten. Diese Abgrenzung ist noch immer die Folge der im 2. bis ins 8. Jahrhundert unter den Kirchenvätern verbreiteten in der Tat verderblichen Tendenz, die allegorische Auslegung auf die Spitze zu treiben. Diese exegetischen Auswüchse waren vielleicht darauf zurückzuführen dass die betreffenden Autoren nicht genügend bewandert in der rabbinischen Textauslegung waren und deshalb die Grenzen der einzelnen Methoden nicht kannten. Das Neue Testament ist jedoch ein jüdisches Buch, geschrieben von Juden in einem jüdischen Kontext, und dein Judentum des 1. Jahrhunderts waren alle vier Arten der Schriftauslegung durchaus geläufig. Matitjahu wussste sehr wohl, dass Hosea sich in seiner Aussage nicht auf Jeschua, auf einen Messias, bezog, noch auf irgendeine andere Einzelperson. Weil Jeschua andererseits auf geheimnisvolle Weise Israel verkörpert, spürte Matitjahu aber auch, wie bedeutsam die Tatsache war, dass er ausgerechnet aus Ägypten kam und damit den Exodus des jüdischen Volkes symbolisch noch einmal vollzog. Da Remes und Peschat von ganz unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehen, wird die Erfüllung einer Prophezeiung, die nach der Remes-Methode postuliert wird, zwangsläufig anders aussehen als die Erfüllung einer Prophezeiung im wörtlichen Sinn. Während in 1,23 und 2,6 schon der schlichte, wörtliche Sinn des Textes, ausgelegt nach der Peschat-Methode, den Beleg dafür liefert, dass die Prophezeiungen erfüllt wurden, ist im vorliegenden Fall die Heranziehung der Remes-Methode angezeigt.
Die Wendung »was Adonai gesagt batte durch den Propheten« lenkt unsere Aufmerksamkeit vom Propheten selbst ab und auf Gott hin, der durch ihn sprach. Dadurch begreift der Leser, dass Adonai möglicherweise mehr gesagt hat, als der Prophet damals, als er seine Worte niederschrieb verstehen konnte. Vor diesem Hintergrund ist es für den Leser denn auch keine Überraschung, dass hinter Hoseas Peschat zu seiner Zeit Gottes Remes offenbart werden musste. Das Vertrauen in die PaRDeS-Auslegung sollte dadurch eigentlich gestärkt werden.
Mit dem Wissen, dass es vier jüdische Auslegungsweisen gibt, müsste sich auch der Streit über die Auslegung bestimmter Passagen der Tenach weitgehend beilegen lassen. Die meisten Christen behaupten z. B., dass in Jesaja 53 vom Messias die Rede ist, während manche (wenn auch nicht alle) traditionellen Juden darauf beharren, dass die Textstelle sich auf Israel bezieht. Wenn es jedoch eine mystische Identifikation zwischen dem Messias und dem Volk, dessen König er ist, gibt ( ein Gedanke, der von dem bekanntesten christlichen Theologen des 20. Jahrhunderts, Karl Barth, in seiner Kirchlichen Dogmatik genauestens abgehandelt wird), dann löst sich der Konflikt; beide Parteien sprechen ganz einfach einen Teil der Gesamtwahrheit aus.
Im übrigen ist die Vorstellung, dass der Messias Israel versinnbildlicht der mit dem Volk Israel identifiziert wird, ein genuin jüdischer Gedanke. Zu allererst begegnen wir ihr in der Tenach selbst. Vergleichen Sie Jesaja 49,3 (»Du bist mein Knecht, israel, durch den ich mich verherrlichen will«) mit Jesaja 49,6 (»Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist.: . die Zerstreuten Israels wiederzubringen«). Der Knecht ist Israel und zugleich ist er der, der Israel wiederherstellt, d. i. der Messias. In Raphael Patais Buch The Messiah Texts zitiert der Autor in Kap. 12 Pesikta Rabbati 161-162, wo der Messias »Efrajim« ·genannt wird (ein Name, der Israel symbolisiert) und gleichzeitig als derjenige präsentiert wird, der das Leid Israels trägt. Auf die gleiche Weise verknüpft der im 13. Jahrhundert entstandene Sohar, das Herzstück der Jüdischen Mystik, der Kabbalah, in 2,212a die Leiden des Messias mit den Leiden Israels. Auch Patai erzählt die Geschichte vom Vizekönig und der Tochter des Königs, die schon Rabbi Nachman von Breslau im 18. Jahrhundert erzählte, und fügt hinzu, dass die meisten Interpreten davon ausgehen, dass der Vizekönig sowohl Israel als auch den leidenden Messias verkörpert.
18 Der schlichte Wortsinn (Peschat) dieses Verses aus dem Buch Jeremia bezieht sich nicht auf den Messias, sondern auf das Gemetzel, das die Assyrer unter den nördlichen Stämmen Israels anrichteten. Doch auch hier ist wieder ein Hinweis (Remes) enthalten, den Matitjahu aufgreift: Nach der Tradition ist Ja-akovs Frau Rachel in Ramah, direkt bei Beht-Lechem, begraben – noch heute kann man dort das » Rachelgrab« besichtigen. So wie Rachel in ihrem Grab urn die Nachkommen ihres Sohnes Josef klagt, so trauern die Frauen des nahegelegenen Bethlehem urn ihre getöteten .
20-21 Was bezeichnet das Neue Testament als Heiliges Land? Nicht Palästina, sondern Erez Jisrael »das Land Israel«. So sind auch die Gebiete nördlich und südlich von Jerusalem nicht die »West Bank«, sondern »Jehudah«· und »Schomron« (Judäa und Samaria; s. TdG 1, 8). Das Neue Testament gebraucht, wie die Israelis heute, die Bezeichnungen der Hebräischen Bibel, nicht die Namen, die Römer oder andere Eroberer benutzten. S. 5, S&n. ~~i
23 Dieser Vers gibt uns Fragen auf. Jedesmal, wenn Matitjahu sonst die Erfülllung einer Schriftprophezeiung nachweist (s. die Liste in 1,23n), wird ein bestimmter Gewährsmann – Jesaja, Jeremia, David – angeführt, oder es die Rede von »dem Propheten« oder »der Tenach«, gefolgt von einem Zitat. An dieser Stelle mm werden lediglich » Propheten « (Plural) ganz allgemein genannt, und es schliesst sich auch kein Zitat an. Das wird schon daran deutlich, dass Matitjahu hier das Wort legontos (»sagend«) fortlässt, das griechische Schlüsselwort, das er stets einer Schriftpassage voranstellt. Statt dessen scheint er auf einen Gedanken anzuspielen, der sich offenbar bei mehreren Propheten findet, die Weissagung, dass der Messias ein Nazōraios sei, wie es im griechischen Text heisst (an anderer Stelle steht manchmal auch der Begriff Nazarēnos). Die Frage ist: Bei welchen Propheten findet sich diese Weissagung? Was haben sie konkret gesagt? Und was ist ein Nazōraios/Nazarēnos?
Einer Hypothese zufolge bezieht sich der Vers auf die Nasoräer-Gelübde (Numeri 6,1-23), die Jeschua ablegte. Das ist jedoch unwahrscheinlich, denn wir haben keinen Beleg dafür, dass Jeschua, der nie als Asket auftrat (11,16-19), jemals ein solches Gelübde ablegte.
Einer zweiten Deutung nach spielt Matitjahu hier auf die vielen Tenach-Prophezeiungen an, die besagen, dass der Messias verachtet sein würde (z. B. Psalm 22, Jesaja 52,13-53, 12), und weist nach, wie diese Prophezeiungen sich z. T. schon darin erfüllen, dass Jeschua den Nachteil hat, ein Nazrati., ein Einwohner Nazerets, zu sein, eines Ortes, über den die Leute sich lustig machten, wie z. B. Nathan-els Bemerkung zeigt: »Nazeret? Kann von dort irgend etwas Gutes kommen?« (Joch 1,46).
Die dritte Möglichkeit ist, dass Matitjahu hier von der Weissagung spricht, dass der Messias ein Reis (nezer) vom Stamm Jischais, dem Vater König Davids, sein wird (Jesaja 11,1); dazu steht allerdings der Wortlaut von Jeremia 23,5; 33,15 und Sacharja 3,8; 6,12 im Widerspruch, wo jeweils das Wort zemach (»Spross«) gebraucht ist. So findet sich zwar der Gedanke vom Spross Jischais bei mehreren Propheten, nicht aber der Terminus nezer. (Weitere Erläuterungen zu »Propheten« (Plural) s. 5, 17n).
Mir erscheint es am plausibelsten, dass Matitjahu hier die zweite und die dritte Möglichkeit durch ein Wortspiel kombiniert, eine Technik, die im jüdischen Schrifttum, auch in der Bibel, durchaus üblich ist. Jeschua ist beides, Nezer und Nazrati.
Die früheste Bezeichnung für die christusgläubigen Juden war Nozrim (»Nazareth-er«; d. h. »Nachfolger des Mannes aus Nazareth«, TdG 2 4, 5&). Tatsächlich ist Nozri im modernen Hebräisch noch heute das Wort für »Christ«. Der Talmud spricht von Jeschua als von Jeschua Ha Nozri (Berachot 17b, So~ 47a), denn es wäre falsch und irreführend, von »Jeschua dem Christen«, d. h. dem Nachfolger Christi, zu sprechen schliesslich konnte er sich nicht selbst folgen! Der Ausdruck des Talmud meint daher »Jeschua der Nazrati, Jeschua aus Nazeret«. Ich gebrauche den Terminus »Nazrati« anstelle von Nozri, (beide sind annehmbares modemes Hebräisch), um mich von den modernen Konnotationen von »Nozri« im Hebräischen zu lösen.
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Matheus 2, 1-12 (NBV)
1 In die tijd trad Johannes de Doper op in de woestijn van Judea. Hij verkondigde: 2 ‘Kom tot inkeer, want het koninkrijk van de hemel is nabij!’ 3 Dit was de man over wie de profeet Jesaja sprak toen hij zei: ‘Luid klinkt een stem in de woestijn: “Maak de weg van de Heer gereed, maak recht zijn paden.”’ 4 Johannes droeg een ruwe mantel van kameelhaar met een leren gordel; hij voedde zich met sprinkhanen en wilde honing. 5 Uit Jeruzalem, uit heel Judea en uit de omgeving van de Jordaan stroomden de mensen toe, 6en ze lieten zich door hem dopen in de rivier de Jordaan, terwijl ze hun zonden beleden.
7 Toen hij zag dat veel farizeeën en sadduceeën op zijn doop afkwamen, zei hij tegen hen: ‘Addergebroed, wie heeft jullie wijsgemaakt dat je veilig bent voor het komende oordeel? 8 Breng liever vruchten voort die een nieuw leven waardig zijn, 9en denk niet dat je bij jezelf kunt zeggen: Wij hebben Abraham als vader. Want ik zeg jullie: God kan uit deze stenen kinderen van Abraham verwekken! 10 De bijl ligt al aan de wortel van de boom: iedere boom die geen goede vrucht draagt, wordt omgehakt en in het vuur geworpen. 11 Ik doop jullie met water ten teken van jullie nieuwe leven, maar na mij komt iemand die meer vermag dan ik; ik ben zelfs niet goed genoeg om zijn sandalen voor hem te dragen. Hij zal jullie dopen met de heilige Geest en met vuur; 12 hij houdt de wan in zijn hand, hij zal zijn dorsvloer reinigen en zijn graan in de schuur bijeenbrengen, maar het kaf zal hij verbranden in onblusbaar vuur.’

Commentaar op Matheus 3,1-12
Stern, D.H., Kommentar zum Jüdischen Neuen Testament, Neuhausen Stuttgart 1996 Bd1, (Hänssler-Verlag), pag. 51-58
1 Jochanan der Eintaucher, gewöhnlich mit »Johannes der Täufer« übersetzt. Der Name »Johannes« kommt, wie seine zahllosen Variationen in anderen Sprachen – Jan, Juan, Jean, Ivan, Giovanni – von dem hebräischen Jo-chanan. Das bedeutet »JHWH war gnädig, erwies Gunst«.
Das griechische Verb baptizein heisst soviel wie in eine Flüssigkeit »eintauchen, einweichen, untertauchen«, so dass das Eingetauchte die Eigenschaften des Tauchbades annimmt-wenn z. B. Stoff in Farbe oder Leder in Gerbstoff gelegt wird.
Um zu verstehen, was baptizein an dieser Stelle meint, müssen wir jedoch die jüdischen Reinheitsvorschriften genauer betrachten. Nach der Torah musste eine Person rituell rein sein, bevor sie den Tabernakel oder den Tempel betreten durfte. Die rituelle Reinheit konnte im täglichen Leben auf vielerlei Weise verlorengehen. Das gebräuchlichste Mittel, sie wiederherzustellen, war die Waschung. Schon bei einem kurzen Überblick über das Buch Levitikus fällt auf, wie häufig solche Waschungen erwähnt werden nicht umsonst ist der rituellen Waschung eine der sechs grösseren Ordnungen des Talmud ( Toharot, » Reinheiten «) gewidmet. Auch heute, da der Tempel nicht mehr steht, tauchen sich strenggläubige Jüdinnen nach jeder Menstruation in einer Mikveh ( einem rituellen Bad) ein, gemäss Levitikus 15; s. auch MJ 13, 4n).
Wer sich eintaucht, hat teil an einer sichtbar gemachten, lebendigen Metapher der Reinigung, bei der das Wasser gleichsam die Unreinheit wegwäscht. Vor diesem Hintergrund verkündigt Jochanan der Eintaucher nun eine neue Bedeutung der alten Praxis: die Reinigung von einem Leben der Sünde (s. auch V. 2&n.6.11).
In einigen christlichen Konfessionen gehört das vollständige Untertauchen des Körpers im Wasser nicht mehr zum Taufritus, der Täufling wird lediglich mit Wasser besprengt. Auch unter Wissenschaftlern wird z. T. die These vertreten, dass die Taufe schon damals nur in einem solchen Besprengen oder Benetzen und nicht im vollständigen Eintauchen bestande habe, zumindest in manchen Fällen, möglicherweise sogar im Neuen Testament; als Beleg dafür werden Verse wie Ez 36,25 (Mk 10,22) und L 3,15 mit TdG 2,17-18; 10,45 angeführt. Die verschiedenen christlichen »Baptisten«Gemeinschaften gehen dagegen auf eine Bewegung im 16.und 17. Jahundert zurück die das vollständige Eintauchen der Gläubigen forderte, in bewusster Abgrenzung zur Besprengung oder dem vorsichtigen Benetzen der Stirn des Säuglings, der noch nicht alt genug ist, sich für ein christliches Leben zu entscheiden.
Das traditionelle Judentum hat eine ganz bestimmte theologische_ Auffassung von der christlichen Taufe entwickelt. Vielleicht, weil heim Übertritt eines Nicht-Juden zum Judentum eine Art der Tauf vorgeschrieben ist (das vollständige Eintauchen in einer Mikveh), versteht das traditionelle Judentum die christliche Taufe als den Augenblick, in dem ein Jude sich bewusst von der jüdischen Gemeinschaft abkehrt und eine andere, dem Judentum und dem jüdischen Volk eventuell sogar feindlich gesinnte Religion annimmt. Aufgrund dieser in der jüdischen Gemeinschaft verbreiteten, falschen Assoziation mit dem Wort Taufe gebraucht der Text des JNT durchgehend die präzisere, deskriptive Bezeichnung »Eintauchung«.
2 Wendet euch von euren Sünden zu Gott. Für diesen Sachverhalt gibt es ein äusserst treffendes deutsches Wort: »Bereut, tut Busse«, wie es denn auch in den meisten Bibelübersetzungen heisst. Wer sich dabei jedoch Jochanan als einen fanatisch eifernden, ungebildeten Scharlatan denkt der einer verschreckten und ebenso ungebildeten Menschenmenge diesen Satz ins Gesicht schleudert, der kennt die eigentliche Bedeutung des Begriffs nicht mehr. Ich habe bewusst auf den Urtext zurückgegriffen, um den ursprünglichen Sinn herauszuarbeiten. Das griechische Wort metanoiete, verwandt mit nous (»Geist«), bedeutet soviel wie »ändert euren Geist, kehrt um in eurem Herzen«. Die hebräische Vorstellung, die dahintersteht, kommt in dem Wort teschuvah (»Umkehr«, »Rückkehr«) zum Ausdruck, das im religiösen Kontext die »Abkehr« von der Sünde und »Rückkehr« zu Gott aussagt. Beachten Sie, dass da nicht nur ein »weg von«, sondern auch ein »hin zu« mitgedacht ist, denn die Abkehr von der Sünde ist unmöglich, wenn man sich nicht gleichzeitig zu Gott hinwendet — sonst wendete man sich nur von einer Sünde zu einer anderen! Das jüdische Busse-Verständnis setzt hier völlig richtig voraus, dass jeder Mensch bereuen, Busse tun muss, dass jedoch immer die Gnade Gottes nötig ist, um Busse tun zu können — “Kehre uns zu dir, O Adonai, und wir werden uns bekehren” (Klagelieder 5,21)
Es liegt eine tiefe Weisheit darin, dass ein Jude, der in Unkenntnis des Judentums aufgewachsen ist und später die orthodoxe Lebensweise annimmt, ein ba-al teschuvah, wörtlich ein »Herr der Busse« genannt wird, das heisst, einer, der sich von seinen ungehorsamen Wegen »abgekehrt« hat und von nun an versucht, Gott auf die Weise zu dienen, die das orthodoxe Judentum vorschreibt. Mein Herzenswunsch ist es, dass alle Juden wahre ba-ale teschuvah werden durch Jeschua den Messias, und dass alle Christen wahrhaft Busse tun (1 Joch 1, 9). Jochanans Botschaft deckt sich hier ganz und gar mit der Botschaft Jeschuas in 4, 17.
Reich des Himmels. Das Wort » Himmel « wurde im frommen Judentum anstelle des Wortes »Gott« gebraucht (s. 1, 20n), und bis auf den heutigen Tag steht das hebräische Malchut Ha Schammajim (»Reich des Himmels«) in der jüdischen religiösen Literatur für »Reich Gottes«, ein Ausdruck, der im Neuen Testament häufig vorkommt, erstmals in Mt 6,33. Zu unterscheiden ist hier »Himmel« als Umschreibung Gottes, der Begriff ist dann also gleichsam in Kapitälchen zu schreiben, und »Himmel« als Paradies oder Firmament. (Im Schriftbild der ersten deutschen Ausgabe des JNT noch nicht berücksichtigt.)
Sowohl in der Predigt Jochanans als auch Jeschuas (4,17) wird die Dringlichkeit der Busse der Menschen damit begründet, dass das Reich des Himmels nahe ist. Der Gedanke vom Gottesreich ist ganz entscheidend für das Verständnis der Bibel. Es steht weder für einen Ort noch für eine Zeit, sondern für einen Zustand, in dem die Herrschaft Gottes von allen Menschen anerkannt ist, einen Zustand, in dem Gottes Verheissung eines wiederhergestellten Universums, frei von Sünde und Tod, erfüllt ist oder erfüllt wird.
Im Blick auf das Gottesreich lässt sich die menschliche Geschichte in vier Perioden aufteilen: die Zeit vor Jeschua, die Zeit seines Lebens auf Erden, das jetzige Zeitalter ( der Olam Haseh) und das kommende Zeitalter (der Olam Habah). In gewissem Sinn war das Reich bereits vor Jeschuas Geburt gegenwärtig, insofern, als Gott König über das jüdische Volk war (s. 1 Sam 12,12). Das Kommen Jeschuas jedoch bedeutete gleichsam einen Quantensprung in der irdischen Existenz des Reiches, »denn in ihm wohnt e ganze Fülle der Gottheit leibhaftig« (Kol 2,9).
Das Neue Testament enthält zwei einander scheinbar widersprechende Lehren über das Gottesreich: dass es nahe oder gegenwärtig sei ( dieser Vers; 4,17; 12,34; Lk 17,21) und dass es in der Zukunft liege (25, l; Joch 18, 36; TdG 1,6-7). Der Theologe George Ladd hat diesen Konflikt deutlich gemacht und zugleich gelöst, als er seinem Buch über das Gottesreich den Titel The Presence of Future [ Die Gegenwart der Zukunft, d. Ü.].gab.
Heute kommt das Gottesreich unmittelbar und in Wahrheit – aber nicht auf einmal, sondern nach und nach – zu denen, die ihr Vertrauen in Jeschua und seine Botschaft setzen und sich von ganzem Herzen bemühen, ein heiliges Leben zu führen, wie die Herrschaft Gottes es voraussetzt: Ein Beispiel für dieses schrittweise, leise Nahen des Gottesreiches ist der Friede, den die Gläubigen in ihren Herzen haben, obgleich es auf der Welt noch keinen Frieden gibt. In der Zukunft jedoch, am Ende des gegenwärtigen Zeitalters, wenn Jeschua wiederkommt, wird er das Reich wahrhaft und vollständig einsetzen ( Offb 19, 6); dann wird Gott auch die letzten seiner Verheissungen über das Gottesreich erfüllen. Es ist ungemein lohnend, sich beim Bibelstudium intensiv mit den Aussagen über das Gottesreich in der Tenach und im Neuen Testament auseinanderzusetzen.
3 Dieses Zitat ist die Einleitung zum zweiten Teil des Buches Jesaja (Kapitel 40-66), der dem Volk Israel Trost zuspricht. Er enthält besonders viele Anspielungen auf den Messias. Der, der ruft, ist Jochanan; er wird hier im Geist mit dem Propheten Elia gleichgesetzt; s. Mk 1, 2-3n.
Die Stimme eines, der ruft: ‘In der Wüste bereitet den Weg Adonais!’ In den ersten beiden Auflagen des JNT habe ich noch übersetzt: »Die Stimme eines, der ruft in der Wüste: Bereitet den Weg Adonais!« Das ist jedoch falsch, wie sich an der Zeichensetzung des masoretischen hebräischen Textes von Jesaja zeigt. Hier wird deutlich, dass der Satzteil »in der Wüste« zu »bereitet den Weg« gehört und nicht zu »eines der ruft«. Wenngleich diese Zeichen nicht als verbalinspiriert zu betrachten sind, verweisen sie doch darauf, wie der Text zu der Zeit, als die Punktierung und Zeichensetzung vorgenommen wurde (nicht später als im 8. Jahrhundert u. z.), gelesen und verstanden wurde. Ohne einen triftigen Grund, den Text anders zu deuten, geht man daher am besten davon aus, dass die Zeichen korrekt sind und den eigentlichen Sinn des Textes herausarbeiten.
4 Kamelhaar, das zu einem rauhen Tuch verwoben wurde, war der Bekleidungsstoff der Armen, die sich keine Kleidung aus Wolle !eisten konnten. Während die Wohlhabenden reich verzierte Gürtel (die man sich am ehesten wie eine Art ‘Kummerbund’ vorzustellen hat) trugen, benutzten die Armen Ledergürtel. Jochanan identifizierte sich auf diese Weise also mit den Armen, wie viele Propheten vor ihm. In dem Verweis auf seinen Ledergürtel steckt jedoch gleichzeitig auch eine Anspielung auf den Propheten Elia (V.3n; 2 Könige 1,8)
Heuschrecken. Levitikus 11,21-22 erwähnt vier Arten von Heuschrecken die essbar sind. Mischna Cullin 3 .7 definiert die Beschaffenheit koscherer Heuschrecken, und in der Gemara, Chullin 651-66a, werden die dort aufgestellten Regeln des längeren erörtert. Zu Jeschuas Zeit waren dort Heuschrecken ein Armeleuteessen; bei den Beduinen werden sie noch heute gekocht und gegessen, ebenso wie bei den Juden im Jemen, bevor diese Gemeinschaft durch die Operation »Fliegender Teppich« im Jahr 1950 nach Israel zurückgeholt wurde. Wilder Honig ist der Honig wilder Bienen. Aus dem Vers erfahren wir, dass Jochanan ausserhalb des üblichen ökonomischen ‘Schemas seiner Zeitgenossen lebte, um sich ganz siner Aufgabe als Prophet widmen zu können.
6 Sie bekannten ihre Sünden. Griechisch homologeō, »zustimmen, zugeben, anerkennen, öffentlich erklären, bekennen«, wörtlich »dasselbe sagen«. Wer seine Sünden bekennt, sagt dasselbe über sie, was Gott sagt, er gibt zu, dass er Unrecht begangen hat, und ist einverstanden, seiner Schuld, seinem Kummer darüber und seiner Bereitschaft, sich zu ändern, öffentlich Ausdruck zu geben. An Jom Kippur ( dem Versöhnungstag) und an anderen Festtagen werden Selichot (Bussgebete) rezitiert, die den Menschen, die sie mit Kavvanah (im festen Vorsatz) sprechen, dabei helfen sollen, den ernstgemeinten Willen zu finden, ihre Sünden zuzugeben und dem Urteil Gottes über sie zuzustimmen. S. Joch 1, 9&n; Jk 5, 16&n.
Sünden. Wir leben heute in einer Zeit, in der viele Menschen gar nicht meht wissen, was Sünde ist. Sünde ist die Verletzung der Torah (1 Joch 3, 4), ~e Übertretung des Gesetzes, das Gott seinem Volk gab, um ihm zu helfen, ein Leben zu führen, das zum Besten der Menschen und zugleich heilig und Gott wohlgefällig ist. Im sogenannten Zeitalter der Aufklärung vor zwei oder drei Jahrhunderten hielt der Gedanke des moralischen Relativismus in er westlichen Gesellschaft Einzug. Unter seinem Einfluss fingen die Menschen an, die Vorstellung der Sünde für irrelevant zu halten. Die Aufklärung lehrt, dass es keine Sünde gibt, nur Krankheiten, Unglück, Fehler oder die Auswirkungen von biologischen, Erb- und Umweltfaktoren (nach westlicher Denkweise) bzw. das Walten des Schicksals oder Karmas eines en (nach östlicher Denkweise). Im anderen Fall wird die Sünde zwar anerkannt, aber nur, wie sie in der jeweiligen Kultur definiert wird. Auf diese Weise negiert der kulturelle Negativismus das biblische Konzept der Sünde als absolutes Böses.
Nicht umsonst befasst sich ein Grossteil der Bibel damit zu erklären, was die Sünde ist, worin die Strafe für die Sünde besteht, wie wir diese Strafe vermeiden und Vergebung für unsere Sünde erlangen können und wie wir ein heiliges Leben frei von der Macht der Sünde, führen können, das Gott und uns selbst wohlgefällig ist. S. den Römerbreif, insbesondere Röm 5,12-21n).
7 Peruschim und Zeddukim(Plural; Singular: Parusch, Zaddok), »Pharisäer und Sadduzäer«). Die beiden wichtigsten Parteien des religiösen Establishments zur Zeit Jeschuas. 586 v. u. Z eroberten die Babylonier Jucläa und Jerusalem, zerstörten den Ersten Tempel, den König Salomo erbaut hatte, und deportierten die Führungsschicht des Landes nach Babylon. Da es keinen Tempel, keine Opfer und keine Kohanim mehr gab, suchten die Juden im Exil und nach ihrer Rückkehr siebzig Jahre später ein anderes, neues Ordnungsprinzip, an dem sie ihr gemeinschaftliches Leben ausrichten konnten. Sie fanden es in der Torah (dem »Gesetz«; s. 5,17n), wie bereits in der Passage über das Verlesen der Torah durch Esra (Nehemia 8) deutlich wird. Die ersten, die die Torah entwickelten und bewahrten, scheinen die Erben der priesterlichen Kaste gewesen zu sein – Esra selbst war Kohen und zugleich Sofer (»Schriftgelehrter«). Später, in der Zeit des Zweiten Tempels, als die Kohanim wieder dem Opfersystem vorstanden, entwickelte sich eine Laienbewegung, die für die Torah und ein auf die Bedürfnisse und das Leben der Menschen bezogenes Torahverständnis eintrat. Diese neue Partei steilte eine Herausforderung für die Autorität der Kohanim dar. Die Kohanim und ihre Anhänger im 1. Jahrhundert u. Z. wurden als Zeddukim bezeichnet, nach dem Kohen Gadol, der von König Salomo ernannt worden war, Zadduk (der Name bedeutet »Gerechter«; vgl. 6, 1-4&n; 13, 17&n).
In der Zwischenzeit, unter den Makkabäern im 2. Jahrhundert v. u. z. waren es die Chassidim, die die Torah anstelle des Opferkults zu ihrem. Hauptanliegen machten. (Abgesehen vom Namen Chassidim, »Fromme« gibt es keinen Zusammenhang zwischen den Chassidim der Makkabäerzeit und den verschiedenen orthodoxen jüdischen Gemeinschaften, die den Lehren folgen, die die Talmidim des als Ba-al Schem Tov bekannten osteuropäischen Lehrers und Mystikers aus dem 17. Jahrhundert verbreiteten.) In die Fussstapfen der Chassidim traten die Peruschim, das bedeutet » Abgesonderte«, weil sie sich vom weltlichen Leben fernhielten. Die Peruschim verstanden die Tenach, aber auch die Überlieferungen, die über die Jahrhunderte hinweg von den Weisen und Lehrern weitergegeben wurden – die sogenannte mündliche Torah-, als Wort Gottes an die Menschen und entwickelten daraus ein Regelsystem, das alle Aspekte des täglichen Lebens abdeckte.
Zur Zeit Jeschuas waren die Zeddukim die reichere, skeptischere, weltlicher gesinnte Partei, eher bereit, mit den römischen Herrschern zu kooperieren als die Peruschim. Die Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahr 70 u. z. batte jedoch den Niedergang der Zeddukim zufolge, denn sie beraubte sie des Schauplatzes ihrer Haupttätigkeit, und die Traditionen, die sie entwickelt hatten, sind grösstenteils verlorengegangen. S. TdG 23, 6&n.
Für die Peruschim und ihre Anhänger war nun der Weg frei, die eigenen Traditionen auszubauen und sie zum Zentrum des jüdischen Lebens zu machen. Nach der Zerstreuung des jüdischen Volkes, durch die viele Juden vom Strom der lebendigen Tradition abgeschnitten wurden, wurde das mündliche Material gesammelt und unter der Leitung von Jehuda Ha Nassi (Juda der Fürst) in der Mischna zusammengetragen (220 u. Z.). Die rabbinischen Lehrgespräche über die Mischna, die in den nächsten zwei- oder dreihundert Jahren in Israel und in Babylon geführt worden waren, wurden ebenfalls gesammelt; sie bilden die Jerusalemer und die Babylonische Gemara, und zusammen mit der Mischna den Jerusalemer und den Babylonischen Talmud.
Jahrhunderte christlicher Predigt haben das deutsche Wort »Pharisäer« praktisch zum Synonym für »Heuchler« und »sturer Legalist« gemacht. Als Beispiel sei hier der Eintrag unter »pharisäisch« in Websters Third New lnternational Dictionary zitiert:
»Den Pharisäern ähnlich, vor allem im Hinblick auf die Strenge der Lehre und die enge Beobachtung von Formen und vorgeschriebenen Zeremonien. Das Zur-Schau-Stellen der eigenen Frömmigkeit und Moral ohne echte innere Anteilnahme. Zu Tadel und Kritik über Moral und Lebenswandel anderer geneigt. Streng auf äussere Formen bedacht, selbstgerecht, heuchlerisch, scheinheilig. «
Es stimmt zwar, dass Jeschua selbst die »heuchlerischen Torahlehrer und Peruschim« scharf tadelte, weil sie viele dieser Eigenschaften aufwiesen (s. Kap. 23 und 23,13n), doch die Christen vergessen meist, dass diese harten Worte gleichsam en familie geäussert wurden – von einem Juden, der seine Volksgenossen kritisierte. Schon ein flüchtiger Blick in eine beliebige moderne jüdische Zeitung zeigt, dass es noch heute eine der Lieblingsbeschäftigungen der Juden ist, einander zu kritisieren, und dass sie immer bereit sind, solche Kritik voneinander anzunehmen – Tadel und Rüge sind un Jüdischen Umfeld etwas durchaus Akzeptiertes. Im übrigen hat Jeschua die Peruschim nicht dafür zur Rechenschaft gezogen, dass sie Pharisäer waren, sondern weil sie Heuchler waren – wobei das erste keineswegs das letztere impliziert. Darüber hinaus galt seine Kritik keineswegs allen Peruschim, sondern nur denen, die wirklich Heuchler waren. Es gab zwar Pharisäer, die unaufrichtig und viel zu sehr auf Ausserlichkeiten bedacht waren, doch es gab auch solche, die »nicht fern vom Reich Gottes« waren (Mk 12,34), und manche von ihnen betraten dieses Reich denn auch und wurden Anhänger Jeschuas, ohne deshalb aufzuhören, Peruschim zu sein (fdG 15, 5). Scha-ul sagte sogar vor dem Sanhedrin: »Liebe Brüder, ich bin ein Parusch« – und nicht »ich war einer« (f dG 23, 6 ).
Wegen der unbewussten negativen Assoziationen, die der Begriff »Pharisäer« bei den meisten Menschen auslöst, gebrauche ich im JNF den ursprünglichen hebräischen Begriff Parusch (Singular) und Peruschim (Plural), und habe urn der Ausgewogenheit willen auch die Bezeichnung »Sadduzäer« durch Zaddok/Zeddukim ersetzt.
Ihr Schlangen! Jochanan merkte, dass die hier gemeinten Pharisäer und Sadduzäer (s. auch die vorangehenden Abschnitte) nicht aufrichtig waren. Ob sie nun Halbgebildete waren, die jeweils die neuesten religiösen Marotten sammelten, oder Bevollmächtigte aus Jerusalem, die Jochanans Aktivitäten genauer unter die Lupe nehmen sollten, ist unklar. Lk 7,28-32 deutete auf ersteres hin, Mt 21,23 -27 auf das letztere. In jedem Fall stiess Jochanans Wirken heim religiösen Establishment auf Ablehnung.
Der kommenden Strafe, wörtlich »dem kommenden Zorn«. Im Neuen Testament wird häufig von Gottes Zorn als von »dem Zorn« schlechthin gesprochen, wobei hervorgehoben wird, wie unausweichlich man könnte fast sagen automatisch – der Zorn Gottes auf die Sünde folgt. So wie das göttliche Gesetz der Schwerkraft festlegt, dass der Sprung von einem hohen Gebäude automatisch den physischen Tod zur Folge hat, stellt Gottes moralisches Gesetz sicher, dass auf ein sündiges Leben automatisch die ewige geistige und seelische Vernichtung durch Gottes Zorn folgt.
Bron: Stern, D.H., Kommentar zum Jüdischen Neuen Testament, Neuhausen Stuttgart 1996 Bd1, (Hänssler-Verlag), pag 51-58
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Lucas 1,46-55 Lofzang van Maria
Vers 53 (Rijken stuurt hij heen met lege handen – vet)
Grieks
Μεγαλύνει ἡ ψυχή μου τὸν Κύριον καὶ ἠγαλλίασε τὸ πνεῦμά μου ἐπὶ τῷ Θεῷ τῷ σωτῆρί μου,
ὅτι ἐπέβλεψεν ἐπὶ τὴν ταπείνωσιν τῆς δούλης αὐτοῦ. ἰδοὺ γὰρ ἀπὸ τοῦ νῦν μακαριοῦσί με πᾶσαι αἱ γενεαί.
ὅτι ἐποίησέ μοι μεγάλα ὁ δυνατός καὶ ἅγιον τὸ ὄνομα αὐτοῦ, καὶ τὸ ἔλεος αὐτοῦ εἰς γενεὰς γενεῶν τοῖς φοβουμένοις αὐτόν.
Ἐποίησε κράτος ἐν βραχίονι αὐτοῦ, διεσκόρπισεν ὑπερηφάνους διανοίᾳ καρδίας αὐτῶν·
καθεῖλε δυνάστας ἀπὸ θρόνων καὶ ὕψωσε ταπεινούς, πεινῶντας ἐνέπλησεν ἀγαθῶν καὶ πλουτοῦντας ἐξαπέστειλε κενούς.
ἀντελάβετο Ἰσραὴλ παιδὸς αὐτοῦ, μνησθῆναι ἐλέους, καθὼς ἐλάλησε πρὸς τοὺς πατέρας ἡμῶν, τῷ Ἀβραὰμ καὶ τῷ σπέρματι αὐτοῦ εἰς τὸν αἰῶνα.
Latijn
Magnificat anima mea Dominum
Et exsultavit spiritus meus in Deo salutari [Salvatore] meo.
Quia respexit humilitatem ancillæ suæ: ecce enim ex hoc beatam me dicent omnes generationes.
Quia fecit mihi magna qui potens est, et sanctum nomen eius.
Et misericordia eius a progenie in progenies [in progenies et progenies] timentibus eum.
Fecit potentiam in bracchio suo, dispersit superbos mente cordis sui.
Deposuit potentes de sede et exaltavit humiles.
Esurientes implevit bonis et divites dimisit inanes,
Suscepit Israel puerum suum recordatus misericordiæ suæ,[recordatus misericordiae,]
Sicut locutus est ad patres nostros, Abraham et semini eius in sæcula.
Groot maakt mijn ziel de Heer,
en mijn geest heeft zich verheugd om God mijn Redder.
Want Hij aanschouwde de nederigheid van zijn dienares:
ja zie, van nu af aan spreken alle geslachten mij zalig.
Want grote dingen heeft Hij mij gedaan
die machtig is, en heilig is Zijn naam.
En Zijn barmhartigheid is van nageslacht tot nageslacht,
voor hen die Hem vrezen.
Hij heeft kracht getoond in Zijn arm,
en hoogmoedigen in de gedachte van hun hart verstrooid.
Hij stootte machtigen van hun zetel,
en nederigen heeft Hij verheven.
Hongerigen heeft Hij met gaven vervuld,
en rijken heeft Hij leeg weggezonden.
Hij is Israel zijn dienaar te hulp geschoten,
zijn barmhartigheid gedenkend,
Zoals Hij gesproken heeft tot onze vaderen,
Abraham en zijn zaad in eeuwigheid
Nieuwe bijbelvertaling (NBV)
1, 46 Maria zei: ‘Mijn ziel prijst en looft de Heer,
47 mijn hart juicht om God, mijn redder:
48 hij heeft oog gehad voor mij, zijn minste dienares.
Alle geslachten zullen mij voortaan gelukkig prijzen,
49 ja, grote dingen heeft de Machtige voor mij gedaan, heilig is zijn naam.
50 Barmhartig is hij, van geslacht op geslacht, voor al wie hem vereert.
51 Hij toont zijn macht en de kracht van zijn arm en drijft uiteen wie zich verheven wanen,
52 heersers stoot hij van hun troon en wie gering is geeft hij aanzien.
53 Wie honger heeft overlaadt hij met gaven, maar rijken stuurt hij weg met lege handen.
54-55 Hij trekt zich het lot aan van Israël, zijn dienaar, zoals hij aan onze voorouders heeft beloofd: hij herinnert zich zijn barmhartigheid jegens Abraham en zijn nageslacht, tot in eeuwigheid.’
Een katholieke versie
Hoog verheft nu mijn ziel de Heer, verrukt is mijn geest om God, mijn Verlosser,
Zijn keus viel op zijn eenvoudige dienstmaagd, van nu af prijst ieder geslacht mij zalig.
Wonderbaar is het wat Hij mij deed, de Machtige, groot is Zijn Naam!
Barmhartig is Hij tot in lengte van dagen voor ieder die Hem erkent.
Hij doet zich gelden met krachtige arm, vermetelen drijft hij uiteen,
machtigen haalt Hij omlaag van hun troon, eenvoudigen brengt Hij tot aanzien;
Behoeftigen schenkt Hij overvloed, maar rijken gaan heen met lege handen.
Hij trekt zich Zijn dienaar Israël aan,
Zijn milde erbarming indachtig; zoals Hij de vaderen heeft beloofd, voor Abraham en zijn geslacht voor altijd.
Statenvertaling, herziene online versie
Mijn ziel maakt groot den Heere;
En mijn geest verheugt zich in God, mijn Zaligmaker;
Omdat Hij de nederheid Zijner dienstmaagd heeft aangezien; want zie, van nu aan zullen mij zalig spreken al de geslachten.
Want grote dingen heeft aan mij gedaan Hij, Die machtig is, en heilig is Zijn Naam.
En Zijn barmhartigheid is van geslacht tot geslacht over degenen, die Hem vrezen.
Hij heeft een krachtig werk gedaan door Zijn arm; Hij heeft verstrooid de hoogmoedigen in de gedachten hunner harten.
Hij heeft machtigen van de tronen afgetrokken, en nederigen heeft Hij verhoogd.
Hongerigen heeft Hij met goederen vervuld; en rijken heeft Hij ledig weggezonden.
Hij heeft Israël, Zijn knecht, opgenomen, opdat Hij gedachtig ware der barmhartigheid.
(Gelijk Hij gesproken heeft tot onze vaderen, namelijk tot Abraham, en zijn zaad) in eeuwigheid.
Naardense Bijbel
Groot maakt mijn ziel de Heer, verrukt is mijn Geest over God, mijn bevrijder,-
want hij heeft aangezien de vernedering van zijn dienares;
zie, van nu af prijzen mij zalig alle generaties!-
want grote dingen heeft hij aan mij gedaan, machtig is hij, heilig is zijn naam!-
zijn ontferming is van generatie tot generatie over wie hem vrezen;
kracht heeft hij betoond met zijn arm;
hoogmoedigen met de plannen van hun hart,- hij sloeg ze uiteen;
hij heeft machtigen van hun troon gestoten en vernederden verhoogd;
hongerlijders heeft hij vervuld met alle goeds, en rijken heeft hij ledig heengezonden;
hij heeft zijn kind Israel vastgehouden, hij blijft zijn ontferming indachtig -zoals hij tot onze vaderen heeft gesproken- voor Abraham en voor zijn zaad tot in de toekomende eeuw!
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Commentaar op deze lofzang
Viele Zeilen sind wörtlich oder auch fast wörtlich aus der Tenach zitiert; vgl V. 46 (Psalm 34 3) 47 (Psalm 35, 9), 48 (1Samuel. 1,11) 49 (Psalm 111,9), 50 (Psalm 103,17), 51 (Psalm 89, 11), 52 (ljob 12, 19; 5, 11), 53 (1. Samuel 2, 5; Psalm 107, 9), 54 (Psalm 98, 3), 55 (Genesis 17, 7.19; Micha 7,20)
(Stern, D.H., Kommentar zum Jüdischen Neuen Testament, Neuhausen Stuttgart 1996 Bd1, (Hänssler-Verlag), pag. 184
Vs 46 – Ps 34,4: Roem met mij de grootheid van de HEER, sluit u aan om zijn naam te verheffen.
Vs 47 – Ps 35,9: Dan zal ik juichen om de HEER, mij verheugen over de redding die hij brengt.
Vs 48 – 1 Sam 1,11: ‘HEER van de hemelse machten, ik smeek u, heb toch oog voor mijn ellende. Denk aan mij, uw dienares, vergeet mij niet. Schenk mij een zoon, dan schenk ik hem voor zijn hele leven aan u: nooit zal zijn haar worden afgeschoren.’
Vs 49 – Ps 111,9: Hij heeft zijn volk verlossing gebracht, voor eeuwig zijn verbond ingesteld. Heilig en ontzagwekkend is zijn naam.
Vs 50 – Ps 103,17: Maar de HEER is trouw aan wie hem vrezen, van eeuwigheid tot eeuwigheid. Hij doet recht aan de kinderen en kleinkinderen
Vs 51 – Ps 89,11: U hebt Rahab verpletterd en doorboord, met krachtige arm uw vijanden verstrooid.
Vs 52- Job 12,19: Priesters stuurt hij barrevoets weg en heersers brengt hij ten val.
Vs 53 – 1 Sam 2,5: Die genoeg hadden, verkopen zich voor brood, en wie hongerden zijn verzadigd. De onvruchtbare baart zeven zonen, en wie veel kinderen heeft, verwelkt.
Vs 53 – Ps 107,9: wie dorst had, gaf hij te drinken, wie honger had, volop te eten.
Vs 54 – Ps 98,3: Hij heeft gedacht aan zijn liefde en trouw voor het volk van Israël.
De einden der aarde hebben het gezien: de overwinning van onze God.
Vs 55 – Gen 17,7: Ik sluit een verbond met jou en met je nakomelingen, met alle komende generaties, een eeuwigdurend verbond: ik zal jouw God zijn en die van je nakomelingen.
Vs 55 – Gen 17,19: Maar God zei: ‘Nee, je vrouw Sara zal je een zoon baren, die je Isaak moet noemen, en met hem zal ik mijn verbond voortzetten. Het zal een eeuwigdurend verbond zijn, dat ook voor zijn nakomelingen zal gelden.
Vs 55 – Micha 7,20: U bewijst Jakob uw trouw en Abraham uw goedheid,
zoals u gezworen hebt aan onze voorouders, in de dagen van weleer.
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Vergelijk de lofzang van Hannah
1 Toen bad Hanna en zei: Mijn hart springt op van vreugde in de HEERE, mijn hoorn is opgeheven in de HEERE; mijn mond is wijd open tegen mijn vijanden, want ik verheug mij in Uw heil.
2 Er is niemand zo heilig als de HEERE, want er is niemand buiten U, en er is geen rotssteen als onze God.
3 Spreek toch niet steeds zo bijzonder hoogmoedig, en laat niets hooghartigs uit uw mond gaan; want de HEERE is een alwetend God, en Zijn daden zijn recht.
4 De boog van de sterken is gebroken, maar zij die struikelden, zijn met kracht omgord.
5 Zij die verzadigd waren, hebben zich om brood verhuurd, maar zij die hongerig waren, zijn het niet meer. Zelfs de onvruchtbare heeft er zeven gebaard, maar zij die veel kinderen had, is verkommerd.
6 De HEERE doodt en maakt levend, Hij doet in het graf neerdalen en Hij doet daaruit opkomen.
7 De HEERE maakt arm en maakt rijk, Hij vernedert, ook verhoogt Hij.
8 Hij verheft de geringe uit het stof; uit het vuil verhoogt Hij de arme om hen bij edelen te doen zitten, om hen een erezetel te laten verkrijgen. Want de grondvesten van de aarde zijn van de HEERE en Hij heeft de wereld daarop geplaatst.
9 Hij zal de voeten van Zijn gunstelingen bewaren, maar de goddelozen zullen zwijgen in de duisternis, want een man is niet sterk door eigen kracht.
1 Samuël 2:1-10 HSV
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Lukas 1,69-79 Zacharias lofzang (NBV)
67 Zijn vader Zacharias werd vervuld van de heilige Geest en sprak deze profetie:
68 ‘Geprezen zij de Heer, de God van Israël,
hij heeft zich om zijn volk bekommerd en het verlost.
69 Een reddende kracht heeft hij voor ons opgewekt uit het huis van David, zijn dienaar,
70 zoals hij van oudsher heeft beloofd bij monde van zijn heilige profeten:
71 bevrijd zouden we worden van onze vijanden, gered uit de greep van allen die ons haten.
72 Zo toont hij zich barmhartig jegens onze voorouders en herinnert hij zich zijn heilig verbond:
73 de eed die hij gezworen had aan Abraham, onze vader,
dat wij, 74 ontkomen aan onze vijanden,
hem zonder angst zouden dienen, 75toegewijd en oprecht, altijd levend in zijn nabijheid.
76 En jij, kind, jij zult genoemd worden: profeet van de Allerhoogste,
want voor de Heer zul je uit gaan om de weg voor hem gereed te maken,
77 en om zijn volk bekend te maken met hun redding door de vergeving van hun zonden.
78 Dankzij de liefdevolle barmhartigheid van onze God zal het stralende licht uit de hemel over ons opgaan
79 en verschijnen aan allen die leven in duisternis en verkeren in de schaduw van de dood,
zodat we onze voeten kunnen zetten op de weg van de vrede.’

Commentaar op vers 79:
Uit: Stern, D.H., Kommentar zum Jüdischen Neuen Testament, Neuhausen Stuttgart 1996 Bd1, (Hänssler-Verlag), pag. 185-187 Lukas 1,79
79 Jene in der Finsternis, die leben im Schatten des Todes.
Da in der rabbinischen Literatur heim Zitat eines Schriftverses meist die gesamte Passage, aus der der Vers stammt, mitgedacht ist (s. Mt 2, 6n), sei hier darauf hingewiesen, daSS Jesaja 8,23-9,1 (in Mt 4, 15-16 ausführlicher zitiert) in einen der wichtigsten messianischen Texte der Tenach mündet, Jesaja 9,5-6:
5 » Denn uns ist ein Kind geboren,
Ein Sohn ist uns gegeben,
Und die Herrschaft soli auf seiner Schulter ruhen,
Und sein Name soli gerufen werden
Pele Jo-ez El Gibbor Avi Ad Sar Schalom;
6 Damit die Herrschaft wachsen möge
Und der Friede grenzenlos sei
Über dem Thron Davids
Und über seinem Reich,
Es einzusetzen
Und zu bewahren
In Recht
Und Gerechtigkeit
Von nun an
Bis in Ewigkeit.
Der Eifer Adonais der Heerscharen wird das tun.«
In Vers 5 wird erklärt, dass das »grosse Licht« aus Jesaja 9, 1 (s. auch Jesaja 58, 8; 60, 1-2) eine Person ist, das Kind, das uns geboren, der Sohn, der uns gegeben wird ( s. Mt 1, 23&n), auf dessen Schultern die Herrschaft ruhen wird und dessen Wesen und Eigenschaften durch seien hebräischen Namen – » Wunder-Rat, mächtiger Gott, Vater der Ewigkeit, Fürst des Friedens« – definiert sind. In V. 6 wird V. 5 weiter ausgeführt; es wird erklärt, warum Israel einen Sohn mit solchen Namen, der über es herrschen soll, braucht. Der Grund ist, dass es eines Gott-Menschen bedarf, um vom Thron Davids aus die Weltherrschaft zu begründen, eine Herrschaft, die sich durch Frieden, Recht und Gerechtigkeit auszeichnet.
Diese Passage ist schon früh messianisch gedeutet worden. So wurde sie z. B. in der aramäischen Übersetzung der Tenach, im Targum Jonatan, folgendermassen wiedergegeben: »Seit alters her wurde sein Name genannt als Wunder-Rat, mächtiger Gott, Er, der für immer lebt, der Messias, in dessen Tagen der Friede wachsen wird.«
Später jedoch versuchten die Kommentatoren mit allen Mitteln zu verhindern, dass diese Passage auf Jeschua bezogen wurde, und legten sie deshalb anders aus. Um beurteilen zu können, wie sie dabei vergingen, müssen wir zunächst wissen, dass der oben genannte, aussergewöhnlich lange hebräische Name nicht wörtlich als der Name zu verstehen ist, unter dem der Messias bekannt werden sollte, sondern (wie » Immanu-el« in Jesaja 7, 14 und Mt 1, 23&n; s. auch Mt 28, 19n) als Hinweis auf das Wesen des Messias und Beleg dafür, dass der Betreffende wirklich der Messias ist. Jesaja wusste, dass ein Name Zeichenfunktion haben kann: »Und es soli Adonai zum Namen sein, zum ewigen Zeichen, das nicht ausgelöscht werden soli.« (Jesaja 55, 13)
Sehen wir uns also diesen besonderen Namen einmal näher an. In den jüdischen Bibelausgaben wird er oft als Aussage über Gott verstanden: » Ein wunderbarer Ratgeber ist der mächtige Gott, der Ewige Vater, der Fürst des Friedens. « Mit dieser Übersetzung lenkte man von der Funktion des Namens als Charakterisierung seines Trägers ab und machte ihn statt dessen stärker (oder sogar ausschliesslich) zur Beschreibung der Attribute Gottes. Damit wird er im vorliegenden Kontext jedoch völlig irrelevant, denn der Vers selbst teilt uns ja mit, dass jenes Kind, jener Sohn, wenn auf seinen Schultern die Herrschaft liegen soll, die Eigenschaften ständig wachsender, ewiger und absoluter Friedfertigkeit, Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit besitzen muss, die er jedoch nur dann hat, wenn er ein Wunder-Rat ist einer, dessen Rat alles übertrifft, was die weltlichen Regierungen leisten können, und zwar so weit übertrifft, dass er des Anrufs pele würdig ist, ein Terminus, der in der Tenach Gott allein vorbehalten ist und sich auf Gottes Wunder bezieht. Zugleich muss er ein Fürst des Schalom sein, also nicht nur des Friedens, sondern der Harmonie, des Wohlergehens, der Integrität, des umfassenden Ganz- und Heilseins (s. Mt 10, 12n). Jeschua ist ein Vater der Ewigkeit, seine Perspektive umfasst die gesamte Geschichte und reicht darüber hinaus in die Ewigkeit (Joch 1, 1-18; MJ 1, 1-3). Und schliesslich ist Jeschua zwar vom Vater unterschieden und hat andere Aufgaben als dieser, doch seinem Wesen nach ist er – ohne dass damit seinem Menschsein Abbruch getan wird – allmächtiger Gott (Jeremia 23, 5-6; Joch 1, l&n; 1, 14&n; 10, 30&n; Kol 2, 9&n).
Bron: Stern, D.H., Kommentar zum Jüdischen Neuen Testament, Neuhausen Stuttgart 1996 Bd1, (Hänssler-Verlag), pag. 185-187
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Lukas 2,1-40 (NBV)
1 In die tijd kondigde keizer Augustus een decreet af dat alle inwoners van het rijk zich moesten laten inschrijven. 2 Deze eerste volkstelling vond plaats tijdens het bewind van Quirinius over Syrië. 3 Iedereen ging op weg om zich te laten inschrijven, ieder naar de plaats waar hij vandaan kwam. 4 Jozef ging van de stad Nazaret in Galilea naar Judea, naar de stad van David die Betlehem heet, aangezien hij van David afstamde, 5 om zich te laten inschrijven samen met Maria, zijn aanstaande vrouw, die zwanger was. 6 Terwijl ze daar waren, brak de dag van haar bevalling aan, 7 en ze bracht een zoon ter wereld, haar eerstgeborene. Ze wikkelde hem in een doek en legde hem in een voederbak, omdat er voor hen geen plaats was in het nachtverblijf van de stad.
8 Niet ver daarvandaan brachten herders de nacht door in het veld, ze hielden de wacht bij hun kudde. 9Opeens stond er een engel van de Heer bij hen en werden ze omgeven door het stralende licht van de Heer, zodat ze hevig schrokken. 10 De engel zei tegen hen: ‘Wees niet bang, want ik kom jullie goed nieuws brengen, dat het hele volk met grote vreugde zal vervullen: 11 vandaag is in de stad van David jullie redder geboren. Hij is de messias, de Heer. 12 Dit zal voor jullie het teken zijn: jullie zullen een pasgeboren kind vinden dat in een doek gewikkeld in een voederbak ligt.’ 13 En plotseling voegde zich bij de engel een groot hemels leger dat God prees met de woorden:
14 ‘Eer aan God in de hoogste hemel en vrede op aarde voor alle mensen die hij liefheeft.’
15 Toen de engelen waren teruggegaan naar de hemel, zeiden de herders tegen elkaar: ‘Laten we naar Betlehem gaan om met eigen ogen te zien wat er gebeurd is en wat de Heer ons bekend heeft gemaakt.’ 16 Ze gingen meteen op weg, en troffen Maria aan en Jozef en het kind dat in de voederbak lag. 17 Toen ze het kind zagen, vertelden ze wat hun over dat kind was gezegd. 18 Allen die het hoorden stonden verbaasd over wat de herders tegen hen zeiden, 19 maar Maria bewaarde al deze woorden in haar hart en bleef erover nadenken. 20 De herders gingen terug, terwijl ze God loofden en prezen om alles wat ze gehoord en gezien hadden, precies zoals het hun was gezegd.
21 Toen er acht dagen verstreken waren en hij besneden zou worden, kreeg hij de naam Jezus, die de engel had genoemd nog voordat hij in de schoot van zijn moeder was ontvangen.
22 Toen de tijd was aangebroken dat ze zich overeenkomstig de wet van Mozes rein moesten laten verklaren, brachten ze hem naar Jeruzalem om hem aan de Heer aan te bieden, 23 zoals is voorgeschreven in de wet van de Heer: ‘Elke eerstgeboren zoon moet aan de Heer worden toegewijd.’ 24 Ook wilden ze het offer brengen dat de wet van de Heer voorschrijft: een koppel tortelduiven of twee jonge gewone duiven.
25 Er woonde toen in Jeruzalem een zekere Simeon. Hij was een rechtvaardig en vroom man, die uitzag naar de tijd dat God Israël vertroosting zou schenken, en de heilige Geest rustte op hem. 26Het was hem door de heilige Geest geopenbaard dat hij niet zou sterven voordat hij de messias van de Heer zou hebben gezien. 27Gedreven door de Geest kwam hij naar de tempel, en toen Jezus’ ouders hun kind daar binnenbrachten om met hem te doen wat volgens de wet gebruikelijk is, 28nam hij het in zijn armen en loofde hij God met de woorden:
29 ‘Nu laat u, Heer, uw dienaar in vrede heengaan, zoals u hebt beloofd.
30 Want met eigen ogen heb ik de redding gezien
31 die u bewerkt hebt ten overstaan van alle volken:
32 een licht dat geopenbaard wordt aan de heidenen en dat tot eer strekt van Israël, uw volk.’
33 Zijn vader en moeder waren verbaasd over wat er over hem werd gezegd. 34 Simeon zegende hen en zei tegen Maria, zijn moeder: ‘Weet wel dat velen in Israël door hem ten val zullen komen of juist zullen opstaan. Hij zal een teken zijn dat betwist wordt, 35 en zelf zult u als door een zwaard doorstoken worden. Zo zal de gezindheid van velen aan het licht komen.’
36 Er was daar ook een profetes, Hanna, de dochter van Fanuel, uit de stam Aser. Ze was hoogbejaard; vanaf haar huwbare leeftijd had ze zeven jaar met haar man geleefd, 37 en ze was nu al vierentachtig jaar weduwe. Ze was altijd in de tempel, waar ze God dag en nacht diende met vasten en bidden. 38 Op dat moment kwam ze naar hen toe, bracht hulde aan God en sprak over het kind met allen die uitzagen naar de bevrijding van Jeruzalem.
39 Toen ze alles overeenkomstig de wet van de Heer hadden gedaan, keerden ze terug naar Galilea, naar hun woonplaats Nazaret. 40 Het kind groeide op, werd sterk en was begiftigd met wijsheid; Gods genade rustte op hem.
Commentaar op Lukas 2, 1-40
Uit: Stern, D.H., Kommentar zum Jüdischen Neuen Testament, Neuhausen Stuttgart 1996 Bd1, (Hänssler-Verlag), pag. 187-191
1 Augustus. Der Titel, in· dem die Göttlichkeit des römischen Kaisers angesprochen wurde. Der römische Senat verlieh ihn im Jahr 27 v. u. Z. dem Gaius Julius Cäsar Octavianus, dem Gründer des römischen Reiches. Oktavian herrschte bis 14 u. Z. über die gesamte Welt des Mittehneers.
2 Hier stehen wir in der Tat vor einem historischen Problem, da Quirinius laut Tacitus und anderen Schriftstellern der Antike nicht vor 6 u. Z. Statthalter in Syrien wurde. Um 7 v. u. Z. und später leitete er jedoch unter Varus die Verteidigungs- und Aussenpolitik Syriens. Von daher ist es durchaus möglich, dass Quirinius die (aus Steuergründen durchgeführte) Erfassung in Herodes’ Königreich beaufsichtigt hat.
Diese Erfassung, die erste ihrer Art, oder: »diese erste Erfassung«, die Erfassung vor der bekannteren Erfassung im Jahr 6 u. Z., auf die in TdG 5,37 Bezug genommen wird.
8 Hirten. Das Viehhüten war und ist im Nahen Osten eine äusserst geringgeachtete Beschäftigung; am anderen Ende der Skala stehen die Magier von Mt 2, lff. Beide, die Hirten und die Magier, kamen, um dem Messias aller Menschen, seien sie hoch oder niedrig, die Ehre zu geben.
10 Das Kommen Jeschuas des Messias ist die Gute Nachricht, die dem ganzen Volk grosse Freude bringt; mit »Volk« sind hier (wie auch in V. 32 unten) die Israeliten gemeint.
11 Ein Erlöser oder » Retter«, griechisch sōtēr, entsprechgend dem hebräischen moschia, eine andere Form des Wortes hoschia (s. Mt 21,9&n) und verwandt nut dem Namen “Jeschua” ( s. Mt 1, 21 &n). Das Won sōtēr, wird im Neuen Testament erstmals in Lk 1 4 7 gebraucht, wo es sich auf Gott ( d. h. den Vater) bezieht; im vorliegenden Vers steht es für Jeschua, dem damit Funktionen zugesprochen werden, die ausschliesslich Gott haben kann.
Eine genauere Betrachtung des Verbs jascha in der Tenach gibt Aufschluss über seine Sonderbedeutung, wenn es un Zusammenhang mit Gott gebraucht wird. Gott rettet Israel (Exodus 14,30), sein Volk (2. Samuel 3,18) aus der Hand seiner Feinde (1. Samuel 4,3), und er verspricht, es auch aus seiner Unreinheit zu retten (Ezechiel 36,29). Gott rettet Menschen die in Bedrängnis (Psalm 18,28), und Sünder, die bussfertig sind (Psalm 34,19); er rettet die Kinder der Armen (Psalm 72,4), er.rettet die Armen vor dem Schwert (ljob 5,15), und er rettet die Demütigen (IJob 22,29). Aber er rettet nicht mit Schwert und Spiess (1. Samuel 17,47), sondern mit seiner rechten Hand (Psalm 138,7), durch seine Güte (Psalm 31,17) und um seines Namens willen (Psalm 106,8). Er kann durch persönliches, direktes Eingreifen retten (1. Samuel 10,18), durch ein menschliches Werkzeug wie z. B. König Jerobeam (2. Könige 14,27) oder, wie im einem Fall, durch den »Engel seiner Gegenwart« (Jesaja 63,9). Kurz, Gott rettet vor äusseren Feinden und aus innerer Unreinheit, er rettet ein ganzes Volk oder einen einzelnen Menschen.
Das Neue Testament, in dem das Wort sōtēr, und das mit ihm verwandte Verb sōzō, (»retten«) insgesamt vierundzwanzigmal wiederkehrt, ruht auf einer Grundlage, die bereits in der Tenach gelegt ist. Die Frage, ob jemand »gerettet« ist, wurzelt also nicht allein im Neuen Testament, sondern ebenso in der Tenach.
14 Mit diesem Vers wird die Bibelpassage eingeleitet, die in der westlichen Welt als Gloria bekannt ist. Menschen, die guten Willens sind, sind Menschen, denen Gott wohlgesonnen ist und deren eigener Wille mit dem Willen Gottes übereinstimmt, wobei letzteres eine Folge des göttlichen Wohlwollens ist (Eph 2,8-10; vgl. Röm 11,31&n)
21 Am achten Tag, als es Zeit war für seine Berit Milah, erhielt er den Namen Jeschua. S. 1,59n; Mt 1,21n.
22-24 In diesen beiden Versen geht es um zwei Gebote aus dem jüdischen Gesetz, um die Auslösung eines erstgeborenen Sohnes (pidjon ha ben) und die Reinigung einer Mutter nach der Geburt.
Die Zeremonie der Auslösung des erstgeborene(n) männliche(n) Kind(es) soll das Jüdische Volk an seine Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten (Exodus 13,2-16)) und an die Rettung vor der letzten der Zehn Plagen die über die Ägypter verhängt wurden, die Tötung der erstgeborenen Sohne (Exodus 11, 45; 12,29-30), erinnern. Damals schlachteten die Israeliten, wie Gott ihnen geboten hatte, ein Lamm und strichen ihre Türpfosten mit seinem Blut ein; wenn der Engel des Todes das Blut sah, ging er an diesem Haus vorüber (Exodus 12, 3-14.21-28).
Später weihte jede Familie im Gedenken an jenes Ereignis ihren erstgeborenen Sohn dem Dienst für Gott, löste ihn dann jedoch durch die Zahlung von fünf Heiligtum-Schekeln (Numeri 18, 16) wieder aus. Anstelle der Erstgeborenen akzeptierte Gott die Leviten, die Nachkommen von Levis Sohn Ja-akov, für den Dienst im Tabernakel oder im Tempel (Numeri 3, 12-13.45; 8, 14-19).
Die Auslösungszeremonie findet statt, wenn der neugeborene Sohn mindestens dreissig Tage alt ist; heute wird sie meist am einunddreissigsten Tag gefeiert; das Datum ist in der Bibel jedoch nicht festgelegt. V. 22 deutet darauf hin, dass entweder Mirjam oder Josef zum Zeitpunkt der Auslösung nach Jerusalem hinaufgingen und sich dort zehn Tage aufhielten, bis es Zeit war für Mirjams Reinigung. Möglich ist aber auch, dass sie mit der Auslösung warteten, bis die Zeit der Reinigung gekommen war.
Die Reinigung einer Mutter ist in Levitikus 12, 1-8 beschrieben. Die Mutter eines Sohnes bleibt vierzig Tage nach der Geburt unrein. Am einundvierzigsten Tag wird ein Opfer dargebracht, »ein einjähriges Schaf … zum Brandopfer und eine Taube oder Turteltaube zum Sündopfer … Vermag sie aber nicht ein Schaf aufzubringen, so nehme sie zwei Turteltauben oder zwei andere Tauben … so soll sie der Kohen entsühnen, dass sie rein werde.« (Levitikus 12, 6.8)
Aus Lukas’ Zitat dieser Tenachstelle in V. 24 wissen wir, dass Mirjam und Josef relativ arme Leute waren. Heute können die orthodoxen jüdischen Frauen kein Opfer darbringen, weil es keinen Tempel mehr gibt; statt dessen tauchen sie sich in einer Mikveh unter und erfüllen so zumindest einen Teil des vorgeschriebenen Reinigungsritus.
Ihre Reinigung. Nur Mirjam war rituell unrein, das pluralisch gemeinte »ihre« an dieser Stelle mutet deshalb recht seltsam an. Vielleicht dachte Lukas dabei an Mirjams Reinigung und zugleich an Jeschuas Auslösung, oder aber Josef unterzog sich gemeinsam mit Mirjam der Reinigung- das war erlaubt, wenn auch nicht geboten (vgl. Scha-uls Reinigung in TdG 21, 22-27&nn). Noch heute tauchen sich, obwohl es weder in der schriftlichen noch in der mündlichen Torah verlangt wird, manche orthodoxen Juden am Freitagnachmittag in einer Mikveh unter, um sich vor dem Beginn des Schabbat rituell zu reinigen.
Torah, s. Mt 5, 17n. Hinauf nach Jeruschalajim, s. Mt 20, 18n.
25 Er wartete sehnsüchtig, da6 Gott Israel trösten würde. Dieses » Trösten« ist das Hauptthema des zweiten Teils des Buches Jesaja (Kapitel 40-66), auf das Schim-on in V. 29-35 denn auch wiederholt anspielt. Laut Jesaja sollte der Messias den Menschen den Trost Gottes bringen ( s. Jesaja 40, 1; 49, 13; 52, 9).
29-32 Diese Verse sind in der westlichen Welt als Nunc Dimittis bekannt, das, wie Mirjams Magnifikat (1,46-55&n) und Secharjahs Benedictus (1,68-79&n), in Stil und Thematik stark an die Tenach angelehnt ist. V. 30-31 stehen in engem Zusammenhang mit Jesaja 52,10 und mit Jesaja 40,5 in der Version der Septuaginta, wo es heisst, »alles Fleisch wird die Rettung Gottes sehen «.
30 Jeschu-ah. Das ist die Übersetzung des griechischen Begriffs sōtērion; beide Wörter bedeuten »Rettung«. Hier liegt ein Wortspiel vor, denn das hebräische Wort jeschu-ah ist zugleich die Femininum-Form des Namens des Messias, Jeschua (s. Mt 1, 21&n).
32 Ein Licht, das den Gojim Offenbarung bringt. Vgl. Jesaja 42,6, »Ich bin Adonai … und ich will dich zum Bund für das Volk ernennen «, d. h. für die Juden, »und zum Licht für die Gojim» (Heiden, Nationen, Anhänger heidnischer Religionen; s. Mt 5,47n). S. auch Jesaja 49,6: »Ich will dich auch zum Licht der Gojim machen«, und Jesaja 51, 4.
34 Vgl. Jesaja 8,14.
36 Stamm Ascher, einer der »zehn verlorenen Stämme Israels«, die nach der Eroberung des Nordreiches im Jahr 722 v. u. Z. ( s. Joch 4, 9n) untergingen. Ausser dem Stamm Levi, der im Tempel Dienst tat, blieben nur die Stämme Jehudah und Benjamin im Land. Dennoch haben einzelne Familien ihre Geschlechtsregister überliefert und so ihre Identität bewahrt.
37 Jetzt war sie vierundachtzig. Oder, was allerdings sehr unwahrscheinlich ist: »Sie war seit vierundachtzig Jahren Witwe«.
38 Wartete, dass Jeruschalajim befreit würde, oder: »erlöst würde«. Vgl. Jesaja 52,9: “Denn Adonai hat sein Volk getröstet; er hat Jeruschalajim erlöst«. Alle in V. 25-28 zitiertenJesaja-Passagen beziehen sich auf diejenigen Teile des Buches Jesaja, in denen der Messias mit dem Volk Israel identifiziert wird; s. V. 25n; Mt 2,15n.
Bron:
Stern, D.H., Kommentar zum Jüdischen Neuen Testament, Neuhausen Stuttgart 1996 Bd1, (Hänssler-Verlag), pag. 187-191
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Wüste / Talmud
Noll, Chaim, Die Wüste. Literaturgeschichte einer Urlandschaft des Menschen, Leipzig 2020, (Evangelische Verlagsanstalt), Pag. 167-172
8. Wüstensehnsucht: Der Talmud
Das hebräische Wort talmud ist denkbar als Substantivierung zweier Verben, limed, Iehren, oder lamad, lernen. Im religiösen Judentum ist der Unterschied zwischen lehren und lernen weitgehend aufgehoben: Der Lehrende lernt, indem er lehrt, umgekehrt wird von Lernenden erwartet, dass sie andere an ihren Kenntnissen teilhaben lassen und am Weg ihrer Aneignung. 376
Der Talmud ist, kurz gesagt, Kommentdlich ar zur Mischna, der im 2. Jh. erfolgten Sammlung und Kodifizierung des bis dahin mündlich überlieferten jüdischen Gesetzesmaterials. Auf den ersten Blick, schon durch sein typographisches Erscheinungsbild, demonstriert der talmudische Text das Verwobensein von Kenntnis und Kenntnissuche. Zugleich gibt es ein beständiges Gegeneinander verschiedener Auslegungen, einander ergänzender, aber auch widersprechender Exegese. Den Hauptstrang des Textes in der Seitenmitte begleiten seitlich, oben und unten Kommentare, Anmerkungen, Nebendiskussionen, alternative Übersetzungen, gesetzliche Erörterungen, Beispiele, Fallstudien, exemplarische Episoden. Selbst eine Buchseite im Folioformat scheint zu klein, um dieses Tableau von Gedanken zweidimensional wiederzugeben.
8.1 Gefürchtete Gemara: Gründe ihrer Entstehung
Über Jahrhunderte wurden die Lehre und gesetzlichen Regelungen der Schriftgelehrten mündlich überliefert, durch heute nur noch rudimentär vorhandene spezielle Techniken der Repetition und des Auswendiglernens, die in der Antike bekannt und verbreitet waren. “Repetitoren” oder “Rezitatoren” (aramäisch tanna) “rezitierten im Lehrhaus […] aus ein Gesetztext […], Schüler, ausgewählt wegen ihrer ausserordentlichen Gedächtnisleistung, nicht unbedingt wegen ihrer Intelligenz”. Zur Sicherung hinterlegte man Schriftrollen in einem Archiv im Tempelbezirk, so dass sich die Texte im Fall von Unklarheiten verifizieren ließen.377 Man konnte daher, solange der Jerusalemer Tempel stand, an der flexiblen Form mündlicher Überlieferung festhalten.
Mit dem Fall des Tempels und der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 entstand die Notwendigkeit, das mündlich Überlieferte der Lehrhäuser zu sammeln und schriftlich zu fixieren. Die in Javne (einem Ort zwischen Beer Sheva und der Mittelmeerküste) neuinstallierte Große Synode begann mit der Suche und Redaktion der im Land verstreuten Überlieferungen der mündlichen Auslegung. So entstand zunächst die Mischna, die schriftliche Fixierung des bereits vorliegenden mündlichen Gesetzes (benannt nach dem hebräischen Wort für “Wiederholung”), dann die Gemara, die abschließende, zwei Jahrhunderte dauernde Diskussion (nach dem Verb gamar, beenden), womit formal vollzogen wurde, was man so lange hatte vermeiden wollen: das Ewig-Bewegliche, In-Diskussion-Befindliche festzuschreiben und damit zu kanonisieren.
Die Scheu vor dem Aufschreiben des mündlichen Gesetzes galt jedoch nicht dem Vorgang des Schreibens als solchem, der den Hebräern seit Jahrhunderten vertraut war, sondern der Festlegung des in Bewegung Befindlichen. Bezeichnenderweise bedeutet das hebräische Verb gamar – von dem sich das Substantiv Gemara herleitet – sowohl abschließen, vollenden, als auch zerstören. In der Doppelbedeutung zeigt sich die Furcht vor der Zerstörung der Vitalität eines immer noch in Diskussion oder Erwägung befindlichen Textes durch seine Beendigung.
Entstanden ist das gigantische Buch über den Zeitraum von mindestens einem Jahrtausend, wobei spätere Kommentare es beständig ergänzen, verkomplizieren, ausweiten und präzisieren, neue Problemfelder und neue Diskussionen eröffnen – vom Schriftvolumen her ist der Text kaum zu fassen. “Sein schierer Umfang”, findet ein moderner Herausgeber, »schreckt den Anfänger ab«, der sich »im Dickicht religionsgesetzlicher Diskussionen rettungslos verloren« fühle.378
Erschwerend kommt hinzu, dass der Hauptkorpus des in mehreren Kolumnen nebeneinander laufenden Textes in aramäischer Sprache verfasst ist, während eine Reihe hebräischer Kommentare in einer speziellen, im spanisch-arabischen Judentum entwickelten Schrift gedruckt wird, der sogenannten Rashi-Schrift,379 so dass, wer sich in das Werk vertiefen will, mehrere antike Sprachen, mindestens zwei Alphabete sowie ein System über die Jahrhunderte entwickelter Abbreviationen, Stichworte und rabbinischer Termini einigermaßen kennen muss. Womit über die zum Textverständnis notwendige historische und religiöse Vorbildung noch nichts gesagt ist.
Im Unterschied zu Grundlagentexten anderer Religionen sind die rabbinischen nicht auf Massenwirkung konzipiert. Vertiefung des Gedankens, möglichst erschöpfende Auslegung, Komplexität der Erkenntnis haben in der talmudischen Darstellung Vorrang vor leichter Verständlichkeit. Dabei ist der Talmud kein mysteriöses Buch: Die meisten darin verhandelten Probleme betreffen Regulierungen für das’ Zusammenleben von Menschen, nicht selten alltägliche und prosaische, die erst dadurch eine spirituelle Bedeutung erlangen, dass sie Gegenstand einer theologischen Debatte werden. Beim Studium dieses Buches wird großer Aufwand an Zeit, Nachdenken und Mühe nicht nur empfohlen, sondern erwartet, mehr noch, als tiefes Bedürfnis vorausgesetzt. So heißt es im Traktat Shabat 127a:
»Folgende.Vorhaben verschaffen dem Menschen höchstes Glück in dieser Welt: Das Ehren von Vater und Mutter, das Ausüben von Wohltaten, das frühzeitige Erscheinen im Lehrhaus morgens und abends, die Bewirtung von Fremden, die Fürsorge für Kranke, die Ausstattung einer Braut, die Begleitung von Toten, die Andacht im Gebet, Friedenstiften zwischen Mensch und Nebenmensch, doch das Studium der Tora wiegt sie alle auf.«380
8.2 Basisdemokratische Bewegung: Die Pharisäer
Von der Methode her ist der Talmud Bibelauslegung. Zunächst war, was im Talmud niedergelegt wurde, die »mündliche Lehre«, hebräisch torah she be al pe. Sie wurde, so die rabbinische Darstellung, Moses auf dem Sinai als Vervollständigung und Begleitkommentar zum schriftlichen Tora-Text übergeben, zum in Stein gehauenen Gesetzeskodex, der sich nicht selten als schwer deutbar und schwer anwendbar erweist und ergänzender Auslegung für die vielen Eventualitäten historischen Daseins und alltäglichen Lebens bedarf.
In diesem Sinne nannte es der deutsche Rabbiner Samson Raphael Hirsch eine »unvorstellbare Ungeheuerlichkeit«, wenn die schriftliche Tora das einzige Gesetzeswerk des jüdischen Volkes hätte bleiben sollen – so extrem und exzeptionell, so unvollständig und unzureichend fand er die schon in ihrer Anzahl beschränkten Regulierungen des schriftlichen Gesetzes der mosaischen Bücher. Neben der »Kurzversion« der geschriebenen Tora müsse daher das »lebendig gebliebene Wort der Gesetzesüberlieferung«, also ein in Bewegung und Veränderung befindliches Interpretations- und Regelwerk, das Lebensgesetz des jü dischen·Volkes bilden.381 Diesen gleichfalls von Gott inspirierten Kommentar, heißt es in der Mishna Avot, hätte Moses mündlich den siebzig Ältesten weitergegeben, diese den Propheten, diese wiederum der »großen Versammlung«, der knesset-ha-gdolah.382
Ursächlich verbunden mit der Verbreitung dieser zweiten, mündlichen Lehre war eine neue Richtung im Judentum: die pharisäische. Das Wort bezeichnet eine Reihe neuer Phänomene, die durch das »babylonische Exil« begünstigt wurden, vor allem einen alternativen Zugang zu Studium und Gottesdienst, der sich aus der Nicht-Erreichbarkeit des Jerusalemer Tempels ergab. Statt des mit Tieropfern verbundenen antiken Tempelrituals entstanden Formen gemeinsamen Gebets im bet-knesset, dem »Haus der Versammlung«, heute weltweit bekannt unter der griechischen Übersetzung des Wortes, Synagoge. Die Synagoge wurde zu einer zweiten religiösen Instanz. Neben der Priesterschaft, die in Ausübung des Rituals an den Tempel gebunden war und durch Nicht-Erreichbarkeit des Heiligtums fast bedeutungslos wurde,383 bildete sich aus dem Volk eine Schicht von Schriftkundigen und Schriftauslegern, die perushim oder Pharisäer.
Die Pharisäer waren eine basisdemokratische Bewegung, ein grassroots movement, sie wuchsen lautlos und zahlreich, als hätte das Volk nur darauf gewartet, die Sache der Schrift – bislang Vorrecht der Priester, Propheten und Schreiber – zu seiner eigenen zu machen. Als basisdemokratische Bewegung neigten die Pharisäer zu einem belebenden religiösen Radikalismus. Ihre Ausbreitung führte zu einer Vertiefung und Erneuerung des religiösen Wissens.
Perush, das hebräische Wort für Pharisäer, basiert auf parash, einem jener seltsamen hebräischen Verben, die in sich Gegenteiliges bergen. So meint parash sowohl teilen, verteilen als auch abteilen, im Sinne von abtrennen und verbergen – aus ein- und derselben Wurzel verschieden, ja diametral deutbare Weiterungen. Vermutlich verstanden sich die Pharisäer nicht als solche, die sich und ihr Volk vom Rest der Menschheit »abtrennen« wollten – wie manche christliche Autoren das Wort parash übersetzen, um den sektiererischen Charakter des rabbinischen Judentums zu betonen384 -, der Name meinte den anderen, gegenteiligen Bedeutungsgehalt, das Verteilen und Verbreiten von Wissen, gemäß der Absicht der Pharisäer, die Tora unters Volk zu bringen.
Entsprechend fühlten sie sich als Lehrer und bemühten sich, Vorbild zu sein. Ihren Verhaltenskodex beschreibt Josephus Flavius, der sich trotz Geburt in einer sadduzäischen Priesterfamilie der pharisäischen Richtung des Judentums anschloss: »Die Pharisäer verachten die üppige Kost und geben nichts auf das verweichlichend Wirkende. Sie befolgen, was die Vernunft als gut erachtet […] Den Alten zollen sie Ehrfurcht […) Alles geschieht durch das .Schicksal, davon sind sie überzeugt, und gleichwohl nehmen sie dem menschlichen Willen nichts von der Kraft seines inneren Antriebes […] Ihr Glaube ist, dass den Seelen Unsterblichkeit innewohnt […]«385
Für die Jesusanhänger unter den Juden stellte sich die Frage, ob überlieferte Treue zum Gesetz zugunsten seiner wirksameren Verbreitung preisgegeben werden dürfe, bis hin zur Aufgabe des essentiellen Beschneidungsgebots (Apg 15,1-20), die den endgültigen Bruch mit der Überlieferung markierte. Die römische Gesetzgebung stürzte die frühen Christen in ein unüberwindliches Dilemma, indem sie die rituelle Beschneidung aller römischen Subjekte – mit Ausnahme geborener Juden und ägyptischer Priester – , also auch die brit mila potenzieller Proselyten, bei Todesstrafe verbot. Wahrscheinlich besiegelte erst dieses Verbot die Abtrennung der christlich-messianischen Bewegung vom Mainstream-Judentum, indem man dazu überging, auf die brit mila zuverzichten, um weiterhin möglichst vielen Proselyten den Eintritt möglich zu machen. Man begnügte sich fortan mit dem nach der brit üblichen Tauchbad, das griechisch baptisma, Taufe, genannt wurde.
Von beiden Seiten verstärkten sich die Bemühungen um Abgrenzung: Die Rabbiner implantierten in das dreimal täglich zu sprechende Achtzehn-Segen Gebet den berühmten zwölften Segen la malshinim al-tehi tikva … (Keine Hoffnung für die Verleumder …), der Strafen für Abtrünnige erbittet386 und es jüdischen Jesusanhängem unmöglich machte, sich weiterhin in den Synagogen am Gottesdienst zu beteiligen.387 Andererseits verbot die christliche Synode von Elvira um das Jahr 300 Ehen zwischen Christen und Juden (Canon 16), das Segnen von Früchten christlicher Landbesitzer durch Rabbiner (Canon 49) und die Tischgemeinschaft von Christen und Juden (Canon 50), was alles, wenn es so nachdrücklich untersagt werden musste, offenbar bis dahin immer noch üblich und verbreitet war.388
Während die Jesusanhänger immer zahlreicher, ihre Wirkungen immer weitreichender wurden, schufen die Rabbiner durch die »mündliche Lehre« eine neue Innerlichkeit. Der Talmud ist vor allem ein Buch der Sehnsucht. Jahrhundertelang lebten vertriebene Juden unter fremden Völkern, in ungewohntem Klima, an kalten Gestaden, sie konnten ihr sonniges, früchtereiches Land nur in Gedanken erleben, in Form von Erinnerungen und Debatten. Dass sie es rund 2000 Jahre lang taten, spricht nicht nur für ihre Anhänglichkeit an die verlorene Heimat, sondern auch für die Kraft ihrer Imagination.389 Im Talmud ist das Geheimnis der Überlebensfähigkeit des jüdischen Volkes durch Jahrhunderte der Verstreuung und Verfolgung dokumentiert, an ihm wurde – stellvertretend für das verlorene Land – aktiv weitergebaut, gestaltet, gearbeitet. Alle Teilnahme, die dem Land gegolten hatte, konzentrierte sich nun auf das niemals zu Ende zu schreibende Buch. Das Buch war das Land, und durch Beschäftigung mit dem Buch wurde – wo immer man sich aufhielt – weiter am Leben der biblischen Welt teilgenommen, als sei dieses imaginierte Leben der Buchseiten »realer« als das zeitgenössische in der Verstreuung.
Noten:
376 Höher als “Lernen, um zu Lehren” steht freilich “Lernen um Auszuüben”. Mischna Avot 4,6, vgl. S. Bamberger (Hg.), Sidur Sefat Emet, Basel 1978, S. 4 und 161.
377 Vgl Saul Lieberman, The Publication of the Mishnah, in: Hellenism in Jewish Palestine. Studies in the Literature Transmission Beliefs and Manners of Palestine in the Century B.C.E. IV Century C. E., New York 1962, pp. 83. Das Hinterlegen schriftlicher Aufzeichnungen in Tempeln war auch andernorts üblich, es gab dafür eingerichtete, geschützte Archivräume. Vgl. Hans-Georg Gadamer, Der Anfang des Wissens, Stuttgart 1999, S. 12.
378 Sternberger, Talmud (s. Anm. 157), S. 7.
379 Rashis Tora-Kommentar war das erste im Buchdruck gedruckte hebräische Buch (1475 in Reggio di Calabria, Italien), man bediente sich einer halb-kursiven sephardischen Schrift, die im 13. Jh. aufgekommen war und bei einigen jemenitischen und nordafrikanischen Schreibern bis heute in Gebrauch ist. Vgl. Ada Yardeni, The Book of the Hebrew Script, Jerusalem 1997, p. 97.
380 Meine deutsche Wiedergabe dieser hebräischen Sätze basiert auf Bamberger, Sidur Sefat Emet (s. Anm. 189), S. 4.
381 Samson Rafael Hirsch, Der Pentateuch übersetzt und erläutert, Bd. 2, Frankfurt am Main 1869, Kommentar zu 2. Mose 21,2, S. 250.
382 Mishna Avot 1,1, vgl. Bamberger, Sidur Sefat Emet (s. Anm. 189), S. 150.
383 Den jüdischen Priestern obliegen heute nur noch die symbolische »Auslösung des Erstgeborenen«, ein archaisches Ritual, und der wenige Zeilen umfassende Priestersegen während des Gottesdienstes. Sie werden außerdem als erste zur Tora-Lesung aufgerufen und unterliegen einer Reihe von Restriktionen.
384 Exemplarisch etwa die Übersetzung des Wortes durch den deutschen Historiker Heinrich Leo: »Leute, die sich aussondern aus dem großen Haufen«; vgl. Heinrich Leo, Vorlesungen über die Geschichte des Jüdischen Staates, gehalten an der Universität Berlin, Berlin, 1828, Zwanzigste Vorlesung, S. 223. Auch R. Mayer, Der Talmud. Ausgewählt,_übersetzt und erklärt von Reinhold Mayer, München 1986, S. 14, folgt dem seit der Antike verbreiteten Stereotyp, die Juden seien ein Volk, das besonderen Wert auf Separierung lege. Bereits antike Autoren verbreiteten diese Ansicht, etwa Seneca, Tacitus und Juvenal, vgl. Friedländer, Sittengeschichte (s. Anm. 268), Bd. 3, S. 216. Steigerungen finden sich im Neuen Testament, wo es heißt, die Juden seien »allen Menschen feind« (1. Thess 2,15).
385 Bin Gorion, Leben des Flavius Josephus (s. Anm. 361), S. 9.
386 Die gängige, im orthodoxen Judentum verbreitete Erklärung in: Sidur Kol Yakov (The Complete Art Scroll Sidur). A new translation and anthologized commentary by Rabbi Nosson Sherman, S. 106f., wo es heißt: »The blessing was composed in response to the threats of such heretical Jewish sects as the Sadducees, Boethusians, Essenes, and the early Christians(…].«
387 Vgl. Ismar Elbogen, Der jüdische Gottesdienst in seiner geschichtlichen Entwicklung, Leipzig 1913, S. 36 ff.
388 Vgl. Eckhard Reichert, Die Canones der Synode von Elvira. Einleitung und Kommentar, Dissertation (Universität Hamburg), 1990.
389 »Sie (die Juden) haben stets die Verbindung zu ihrer großen Geschichte gehalten, und deshalb finden sie sich heute wieder im Heiligen Land (…)«, sagte Joseph Ratzinger 1994 in einem Interview in Jerusalem. Vgl. Chaim Noll, Revolution der Rückkehr. Papst Benedikt XVI. und die Juden, in: Komma. Magazin für christliche Kultur. Aachen, Heft 53, 2008, S. 48 ff.
Noll, Chaim, Die Wüste. Literaturgeschichte einer Urlandschaft des Menschen, Leipzig 2020, (Evangelische Verlagsanstalt), Pag. 167-172
