»DICHTERISCH WOHNET DER MENSCH … «
Das Wort ist einem “späten und eigentümlich überlieferten Gedicht Hölderlins entnommen. Es beginnt: »In lieblicher Bläue blühet mit dem metallenen Dache der Kirchturm … « (Stuttg. Ausg. 2, 1 S. 372 ff.; Hellingrath VI, S. 24 ff.) Damit wir das Wort » … dichterisch wohnet der Mensch … « recht hören, müssen wir es bedachtsam dem Gedicht zurückgeben. Darum bedenken wir das Wort. Wir klären die Bedenken, die es sogleich erweckt. Denn sonst fehlt uns die freie Bereitschaft, dem Wort dadurch zu antworten, dass wir ihm folgen.
» … dichterisch wohnet der Mensch … « Dass Dichter bisweilen dichterisch wohnen, liesse sich zur Not vorstellen. Wie soll jedoch »der Mensch«, dies meint jeder Mensch als Mensch und ständig dichterisch wohnen? Bleibt nicht alles Wohnen unverträglich mit dem Dichterischen? Unser Wohnen ist von der Wohnungsnot bedrängt. Selbst wenn es anders wäre, unser heutiges Wohnen ist gehetzt durch die Arbeit, unstet durch die Jagd nach Vorteil und Erfolg, behext durch den Vergnügungs- und Erholungsbetrieb. Wo aber im heutigen Wohnen noch Raum bleibt für das Dichterische und abgesparte Zeit, vollzieht sich, wenn es hoch kommt, eine Beschäftigung mit dem Schöngeistigen, sei dieses geschrieben oder gesendet. Die Poesie wird entweder als ein verspieltes Schmachten und Verflattern ins Unwirkliche verleugnet und als Flucht in die. Idylle verneint, oder man rechnet die Dichtung zur Literatur. Deren Geltung wird mit dem Massstab der Jeweiligen Aktualität abgeschätzt.” Das Aktuelle seinerseits ist durch die Organe der öffentlichen zivilisatorischen Meinungsbildung gemacht und gelenkt Einer ihrer Funktionäre, das heisst Antreiber und Getriebener zugleich, ist der literarische Betrieb. Dichtung kann so nicht anders erscheinen denn als Literatur. Wo sie gar bildungsmässig und wissenschaftlich betrachtet wird, ist sie Gegenstand der Literarhistorie. Abendländische Dichtung läuft unter dem Gesamttitel »Europäische Literatur«.
Wenn nun aber die Dichtung zum voraus ihre einzige Existenzform im Literarischen hat, wie soll da menschliches Wohnen auf das Dichterische gegründet werden? Das Wort, der Mensch wohne dichterisch, stammt denn auch nur von einem Dichter und zwar von jenem, der, wie man hört, mit dem Leben nicht fertig wurde. Die Art der Dichter ist es, das Wirkliche zu übersehen. Statt zu wirken, träumen sie. Was sie machen, ist nur eingebildet. Einbildungen sind lediglich gemacht. Mache heisst griechisch ΠοίησιϚ. Das Wohnen des Menschen soll Poesie und poetisch sein? Dies kann doch nur annehmen, wer abseits vom Wirklichen steht und nicht sehen will, in welchem Zustand das heutige geschichtlich-gesellschaftliche Leben der Menschen – die Soziologen nennen es das Kollektiv – sich befindet.
Doch ehe wir in so grober Weise Wohnen und Dichten für unvereinbar erklären mag es gut sein, nüchtern auf das Wordt des Dichters zu achten. Es spricht vom Wohnen des Menschen. Es beschreibt nicht Zustände des heutigen Wohnens. Es behauptet vor allem nicht, Wohnen bedeute das innehaben einer Wohnung. Es sagt auch nicht, das Dichterische erschöpfe sich im unwirklichen Spiel der poetischen Einbildungskraft. Wer also unter den Nachdenklichen möchte sich dann anmassen, bedenkenlos und von einer etwas fragwürdigen Höhe herab zu erklären, das Wohnen und das Dichterische seien unverträglich? Vielleicht vertragen sich beide. Mehr noch. Vielleicht trägt sogar das eine das andere, so nämlich, dass dieses, das Wohnen, in jenem, dem Dichterischen, beruht. Wenn wir freilich solches vermuten, dann ist uns zugemutet, das Wohnen und das Dichten aus ihrem Wesen zu denken. Sperren wir uns gegen diese Zumutung nicht, dann denken wir das, was man sonst die Existenz des Menschen nennt, aus dem Wohnen. Damit lassen wir allerdings die gewöhnliche Vorstellung vom Wohnen fahren. Nach ihr bleibt das Wohnen nur eine Verhaltungsweise des Menschen neben vielen anderen. Wir arbeiten in der Stadt, wohnen jedoch ausserhalb. Wir sind auf einer Reise und wohnen dabei bald hier, bald dort. Das so gemeinte Wohnen ist stets nur das lnnehaben einer Unterkunft.
Wenn Hölderlin vom Wohnen spricht, schaut er den Grundzug des menschlichen Daseins. Das »Dichterische« aber erblickt er aus dem Verhältnis zu diesem wesentlich verstandenen Wohnen.
Dies bedeutet freilich nicht, das Dichterische sei nur eine Verzierung und eine Zugabe zum Wohnen. Das Dichterische des Wohnens meint auch nicht nur, das Dichterische komme auf irgendeine Weise bei allem Wohnen vor. Vielmehr sagt das Wort: » …dichterisch wohnet der Mensch … «: das Dichten lässt das Wohnen allererst ein Wohnen sein. Dichten ist das eigentliche Wohnenlassen. Allein, wodurch gelangen wir zu einer Wohnung? Durch das Bauen. Dichten ist, als Wohnenlassen, ein Bauen.
So stehen wir vor einer doppelten Zumutung: einmal das, was man die Existenz des Menschen nennt, aus dem Wesen des Wohnens zu denken; zum anderen das Wesen des Dichtens als Wohnenlassen, als ein, vielleicht sogar als das ausgezeichnete Bauen zu denken. Suchen wir das Wesen der Dichtung nach der jetzt genannten Hinsicht, dann gelangen wir in das Wesen des Wohnens.
Allein, woher haben wir Menschen die Auskunft über das Wesen des Wohnens und des Dichtens? Woher nimmt der Mensch überhaupt den Anspruch, in das Wesen einer Sache zu gelangen? Der Mensch kann diesen Anspruch nur dorther nehmen, von woher er ihn empfängt. Er empfängt ihn aus dem Zuspruch der Sprache. Freilich nur dann, wenn er und solange er das eigene Wesen der Sprache schon achtet. Indessen rast ein zügelloses, aber zugleich gewandtes Reden und Schreiben und Senden von Gesprochenem rings um den Erdball. Der Mensch gebärdet sich, als sei er Bildner und Meister der Sprache, während doch sie die Herrin des Menschen bleibt. Wenn dieses Herrschaftsverhältnis sich umkehrt, dann verfällt der Mensch auf seltsame Machenschaften. Die Sprache wird zum Mittel des Ausdrucks. Als Ausdruck kann die Sprache zum blossen Druckmittel herabsinken. Dass man auch bei solcher Benutzung der Sprache noch auf die Sorgfalt des Sprechens hält, ist gut. Dies allein hilft uns jedoch nie aus der Verkehrung des wahren Herrschaftsverhältnisses zwischen der Sprache und dem Menschen. Denn eigentlich spricht die Sprache Der Mensch spricht erst und nur, insofern er der Sprache entspricht, indem er auf ihren Zuspruch hört. Unter allen Zusprüchen, die wir Menschen von uns her mit zum Sprechen bringen dürfen, ist die Sprache der höchste und der überall erste. Die Sprache winkt uns zuerst und dann wieder zuletzt das Wesen einer Sache zu. Dies heisst jedoch nie, dass die Sprache in jeder beliebig aufgegriffenen Wortbedeutung uns schon mit dem durchsichtigen Wesen der Sache geradehin und endgültig wie mit einem gebrauchsfertigen Gegenstand beliefert. Das Entsprechen aber, worin der Mensch eigentlich auf den Zuspruch der Sprache hört, ist jenes Sagen, das im Element des Dichtens spricht. Je dichtender ein Dichter ist, um so freier, das heisst um so offener und bereiter für das Unvermutete ist sein Sagen, um so reiner stellt er sein Gesagtes dem stets bemühteren Hören anheim, um so ferner ist sein Gesagtes der blossen Aussage, über die man nur hinsichtlich ihrer Richtigkeit oder Unrichtigkeit verhandelt
… dichterisch, wohnet der Mensch …
sagt der Dichter. Wir hören das Wort Hölderlins deutlicher, wenn wir es in das Gedicht zurücknehmen, dem es entstammt. Zunächst hören wir nur die zwei Verszeilen, aus denen wir das Wort herausgelöst und dadurch beschnitten haben. Sie lauten:
Voll Verdienst, doch dichterisch, wohnet
Der Mensch auf dieser Erde.

Der Grundton der Verse schwingt im Wort »dichterisch« Dieses ist nach zwei Seiten herausgehoben: durch das ihm voraufgeht, und durch das, was ihm folgt.
Vorauf gehen die Worte: »Voll Verdienst, doch … « Das klingt beinahe so, als brächte das folgende Wort »dichterisch « eine Einschränkung in das verdienstvolle Wohnen des Menschen. Allein, es ist umgekehrt. Die Einschränkung wird durch die Wendung »Voll Verdienst« genannt, dem wir ein »zwar« hinzudenken müssen. Der Mensch macht sich zwar bei seinem Wohnen vielfältig verdient. Denn der Mensch pflegt die wachstümlichen Dinge der Erde und hegt das ihm Zugewachsene. Pflegen und Hegen (colere, cultura) ist eine Art des Bauens. Der Mensch bebaut jedoch nicht nur das, was von sich aus ein Wachstum entfaltet, sondern er baut auch im Sinne des aedificare, indem er solches errichtet, was nicht durch Wachstum entstehen und bestehen kann. Gebautes und Bauten in diesem Sinne sind nicht nur die Gebäude, sondern alle Werke von Hand und durch Verrichtungen des Menschen. Doch die Verdienste dieses vielfältigen Bauens füllen das Wesen des Wohnens nie aus. Im Gegenteil: sie verwehren dem Wohnen sogar sein Wesen, sobald sie lediglich um ihretwillen erjagt und erworben werden. Dann zwängen nämlich die Verdienste gerade durch ihre Fülle überall das Wohnen in die Schranken des genannten Bauens ein. Dieses befolgt die Erfüllung der Bedürfnisse des Wohnens. Das Bauen im Sinne der bäuerlichen Pflege des Wachstums und des Errichtens von Bauten und Werken und des Herrichtens von Werkzeugen ist bereits eine Wesensfolge des Wohnens, aber nicht sein Grund oder gar seine Gründung. Diese muss in einem anderen Bauen geschehen. Das gewöhnlich und oft ausschliesslich betriebene und darum allein bekannte Bauen bringt zwar die Fülle der Verdienste in das Wohnen. Doch der Mensch vermag das Wohnen nur, wenn er schon in andere Weise gebaut hat und baut und zu bauen gesonnen bleibt.
»Voll Verdienst (zwar), doch dichterisch, wohnet der Mensch … « Dem folgen im Text die Worte: »auf dieser Erde«. Man möchte diesen Zusatz für überflüssig halten; denn wohnen heisst doch schon: Aufenthalt des Menschen auf der Erde, auf »dieser«, der sich jeder Sterbliche anvertraut und ausgesetzt weiss.
… Allein, wenn Hölderlin zu sagen wagt, das Wohnen der Sterblichen sei dichterisch, dann erweckt dies, kaum gesagt, den Anschein, als reisse das »dichterische« Wohnen die Menschen gerade von der Erde weg. Denn das »Dichterische« gehört doch, wenn es als das Poetische gilt, in das Reich der Phantasie. Dichterisches Wohnen überfliegt phantastisch das Wirkliche. Dieser Befürchtung begegnet der Dichter, indem er eigens sagt, das dichterische Wohnen sei das Wohnen »auf dieser Erde«. Hölderlin bewahrt so das »Dichterische« nicht nur vor einer naheliegenden Missdeutung, sondern er weist durch die Beifügung der Worte »auf dieser Erde« eigens in das Wesen des Dichtens. Dieses überfliegt und übersteigt die Erde nicht, um sie zu verlassen und über ihr zu schweben. Das Dichten bringt den Menschen erst auf die Erde, zu ihr, bringt ihn so in das Wohnen.
Voll Verdienst, doch dichterisch, wohnet
Der Mensch auf dieser Erde.
Wissen wir jetzt, inwiefern der Mensch dichterisch wohnt? Wir wissen es noch nicht. Wir geraten sogar in die Gefahr, von uns aus Fremdes in das dichtende Wort Hölderlins hineinzudenken. Denn Hölderlin nennt zwar das Wohnen des Menschen und sein Verdienst, aber er bringt das Wohnen doch nicht, wie es vorhin geschah, in den Zusammenhang mit dem Bauen. Er spricht nicht vom Bauen, weder im Sinne des Hegens, Pflegens und Errichtens, noch so, dass er gar das Dichten als eine eigene Art des Bauens vorstellt. Hölderlin sagt demnach vom dichterischen Wohnen nicht das gleiche wie unser Denken. Trotzdem denken wir das Selbe, was Hölderlin dichtet.
Hier gilt es freilich, Wesentliches zu beachten. Eine kurze Zwischenbemerkung ist nötig. Das Dichten und das Denken begegnen sich nur dann und nur so lange im selben, als sie entschieden in der Verschiedenheit ihres Wesens bleiben. Das selbe deckt sich nie mit dem gleichen, auch nicht mit dem leeren Einerlei des bloss Identischen. Das gleiche verlegt sich stets auf das Unterschiedlose, damit alles darin übereinkomme. Das selbe ist dagegen das Zusammengehören des Verschiedenen aus der Versammlung durch den Unterschied. Das Selbe lässt sich nur sagen, wenn der Unterschied gedacht wird. lm Austrag des Unterschiedenen kommt das versammelnde Wesen des selben zum Leuchten. Das selbe verbannt jeden Eifer, das Verschiedene immer nur in das gleiche auszugleichen. Das selbe versammelt das Unterschiedene in eine ursprüngliche Einigkeit. Das gleiche hingegen zerstreut in die fade Einheit des nur einförmig Einen. Hölderlin wusste auf seine Art von diesen Verhältnissen. Er sagt in einem Epigramm, das die Überschrift trägt: »Wurzel alles Übels« das folgende:
Einig zu seyn, ist göttlich und gut; woher ist die Sucht denn
Unter den Menschen, dass nur Einer und Eines nur sei?
(Stuttg. Ausg. I, 1 S. 305)
Wenn wir dem nachdenken, was Hölderlin über das dichterische Wohnen des Menschen dichtet, vermuten wir einen Weg, auf dem wir durch das verschieden Gedachte hindurch uns dem Selben nähern, was der Dichter dichtet.
Doch was sagt Hölderlin vom dichterischen Wohnen des Menschen? Wir suchen die Antwort auf die Frage, indem wir auf die Verse 24 bis 38 des genannten Gedichtes hören. Denn aus ihrem Bereich sind die beiden zunächst erläuterten Verse gesprochen. Hölderlin sagt:
Darf, wenn lauter Mühe das Leben, ein Mensch
Aufschauen und sagen: so
Will ich auch seyn? Ja. So lange die Freundlichkeit noch
Am Herzen, die Reine, dauert, misset
Nicht unglüklich der Mensch sich
Mit der Gottheit. Ist unbekannt Gott?
Ist er offenbar wie der Himmel? Dieses
Glaub’ ich eher. Des Menschen Maass ist’s.
Voll Verdienst, doch dichterisch, wohnet
Der Mensch auf dieser Erde. Doch reiner
ist nicht der Schatten der Nacht mit den Sternen,
Wenn ich so sagen könnte, als
Der Mensch, der heisset ein Bild der Gottheit.
Giebt es auf Erden’ ein Maass? Es giebt
Keines.
Wir bedenken nur weniges aus diesen Versen und zwar mit der einzigen Absicht, deutlicher zu hören was Hölderlin meint, wenn er das Wohnen des Menschen ein »dichterisches« nennt. Die ersten der gelesenen Verse (24 bis 26 ) geben uns einen Wink. Sie stehen in der Form einer zuversichtlich bejahten Frage. Diese umschreibt, was die bereits erläuterten Verse unmittelbar aussprechen: »Voll Verdienst, doch dichterisch, wohnet der Mensch auf dieser Erde.« Hölderlin frägt:
Darf, wenn lauter Mühe das Leben, ein Mensch
Aufschauen und sagen: so
Will ich auch seyn? Ja.
Nur im Bezirk der blossen Mühe ist der Mensch um »Verdienst « bemüht. Er verschafft es sich da in Fülle. Aber dem Menschen ist zugleich verstattet in diesem Bezirk, aus ihm her, durch ihn hindurch zu den Himmlischen aufzuschauen. Das Aufschauen durchgeht das Hinauf zum Himmel und verbleibt doch im Unten auf der Erde. Das Aufschauen durchmisst das Zwischen von Himmel und Erde. Dieses Zwischen ist dem Wohnen des Menschen zugemessen. Wir nennen jetzt die zugemessene Durchmessung, durch die das Zwischen von Himmel und Erde offen ist, die Dimension. Sie entsteht nicht dadurch, dass Himmel und Erde einander zugekehrt sind. Die Zukehr beruht vielmehr ihrerseits in der Dimension. Diese ist auch keine Erstrekkung des gewöhnlich vorgestellten Raumes; denn alles Raumhafte bedarf als Eingeräumtes seinerseits schon der Dimension d. h. dessen, worein es eingelassen wird.
Das Wesen der Dimension ist die gelichtete und so durchmessbare Zumessung des Zwischen: des Hinauf zum Himmel als des Herab zur Erde. Wir lassen das Wesen der Dimension ohne Namen. Nach den Worten Hölderlins durchmisst der Mensch die Dimension, indem er sich an den Himmlischen misst. Dieses Durchmessen unternimmt der Mensch nicht gelegentlich, sondern in solchem Durchmessen ist der Mensch überhaupt erst Mensch. Darum kann er diese Durchmessung zwar sperren, verkürzen und verunstalten’, aber er kann sich ihr nicht entziehen. Der Mensch hat sich als Mensch immer schon an etwas und mit etwas Himmlischem gemessen. Auch Luzifer stammt vom Himmel. Darum heisst es in den folgenden Versen (28 bis 29): »Der Mensch misset sich … mit der Gottheit.« Sie ist »das Maass«, mit dem der Mensch sein Wohnen, den Aufenthalt auf der Erde unter dem Himmel, ausmisst. Nur insofern der Mensch sein Wohnen auf solche Weise ver-misst, vermag er seinem Wesen gemäss zu sein. Das Wohnen des Menschen beruht im aufschauenden Vermessen der Dimension, in die der Himmel so gut gehört wie die Erde.
Die Vermessung vermisst nicht nur die Erde, γῆ, und ist darum keine blosse Geo-metrie. Sie vermisst ebensowenig je den Himmel, οὐρανόϛ für sich. Die Vermessung ist keine Wissenschaft. Das Vermessen ermisst das Zwischen, das beide, Himmel und Erde, einander zubringt. Dieses Vermessen hat sein eigenes μέτρον und deshalb seine eigene Metrik.
Die Vermessung des menschlichen Wesens auf die ihm zugemessene Dimension bringt das Wohnen in seinen Grundriss. Das Vermessen der Dimension ist das Element worin das menschliche Wohnen seine Gewähr hat, aus der es währt. Das Vermessen ist das Dichterische des Wohnens. Dichten ist ein Messen. Doch was heisst Messen? Wir dürfen das Dichten, wenn es als Messen gedacht werden soll, offenbar nicht in einer beliebigen Vorstellung von Messen und Mass unterbringen.
Das Dichten ist vermutlich ein ausgezeichnetes Messen. Mehr noch. Vielleicht müssen wir den Satz: Dichten ist Messen in der anderen Betonung sprechen: Dichten ist Messen. lm Dichten ereignet sich, was alles Messen im Grunde seines Wesens ist. Darum gilt es, auf den Grundakt des Messens zu achten. Er besteht darin, dass überhaupt erst das Mass genommen wird, womit jeweils zu messen ist. lm Dichten ereignet sich das Nehmen des Masses. Das Dichten ist die im strengen Sinne des Wortes verstandene Mass-Nahme, durch die der Mensch erst das Mass für die Weite seines Wesens empfängt. Der Mensch west als der Sterbliche. So heisst er, weil er sterben kann. Sterbenkönnen heisst: den Tod als Tod vermögen. Nur der Mensch stirbt – und zwar fortwährend, solange er auf dieser Erde weilt, solange er wohnt. Sein Wohnen aber beruht im Dichterischen. Das Wesen des »Dichterischen« erblickt Hölderlin in der Mass-Nahme, durch die sich die Vermessung des Menschenwesens vollzieht.
Doch wie wollen wir beweisen, dass Hölderlin das Wesen des Dichtens als Mass-Nahme denkt? Wir brauchen hier nichts zu beweisen. Alles Beweisen ist immer nur ein nachträgliches Unternehmen auf dem Grunde von Voraussetzungen. Je nachdem diese angesetzt werden, lässt sich alles beweisen. Doch beachten können wir nur weniges. So genügt es denn, wenn wir auf das eigene Wort des Dichters achten. In den folgenden Versen frägt nämlich Hölderlin allem zuvor und eigentlich nur nach dem Mass. Dies ist die durch den offenbaren Himmel verhüllte, fremde Gottheit, womit der Mensch sich misset. Das Fragen beginnt mit Vers 29 in den Worten: » Ist unbekannt Gott? « Offenbar nicht. Denn wäre er dies, wie könnte er als Unbekannter je das Mass sein? Doch – und dies gilt es jetzt zu hören und festzuhalten – Gott ist als der, der Er ist, unbekannt für Hölderlin, und als dieser Unbekannte ist er gerade das Mass für den Dichter. Darum bestürzt ihn auch das erregende Fragen: wie kann, was seinem Wesen nach unbekannt bleibt, je zum Masss werden? Denn solches, womit der Mensch sich misset, muss sich doch mit-teilen, muss erscheinen. Erscheint es aber, dann ist es bekannt. Der Gott ist jedoch unbekannt und ist dennoch das Mass. Nicht nur dies, sondern der unbekannt bleibende Gott muss, indem er sich zeigt als der, der Er ist, als der unbekannt Bleibende erscheinen. Die Offenbarkeit Gottes, nicht erst Er selbst, ist geheimnisvoll. Darum frägt der Dichter sogleich die nächste Frage: »Ist er offenbar wie der Himmel? « Hölderlin antwortet: »Dieses / glaub’ ich eher.«
Weshalb, so fragen jetzt wir, neigt die Vermutung des Dichters dahin? Die unmittelbar anschliessenden Worte antworten. Sie lauten knapp: »Des Menschen Maass ist’ s.« Was ist das Mass für das menschliche Messen? Gott? Nein! Der Himmel? Nein! Die Offenbarkeit des Himmels? Nein! Das Mass besteht in der Weise, wie der unbekannt bleibende Gott als dieser durch den Himmel offenbar ist. Das Erscheinen des Gottes durch den Himmel besteht in einem Enthüllen, das jenes sehen lässt, was sich verbirgt, aber sehen lässt nicht dadurch, dass es das Verborgene aus seiner Verborgenheit herauszureissen sucht, sondern allein dadurch, dass es das Verborgene in seinem Sichverbergen hütet. So erscheint der unbekannte Gott als der Unbekannte durch die Offenbarkeit des Himmels. Dieses Erscheinen ist das Mass, woran der Mensch sich· misset.
Ein seltsames Mass, verwirrend, so scheint es, für das gewöhnliche Vorstellen der Sterblichen, unbequem für das billige Allesverstehen des täglichen Meinens, das sich gern als das Richtmass für alles Denken und Besinnen behauptet.
Ein seltsames Mass für das übliche und im besonderen auch für alles nur wissenschaftliche Vorstellen, in keinem Fall ein handgreiflicher Stecken und Stab; aber in Wahrheit einfacher zu handhaben als diese, wenn nur unsere Hände nicht greifen, sondern durch Gebärden geleitet sind, die dem Mass entsprechen, das hier zu nehmen ist. Dies geschieht in einem Nehmen, das• nie das Mass an sich reisst, sondern es nimmt im gesammelten Vernehmen, das ein Hören bleibt.ab
Aber warum soll dieses, für uns Heutige so befremdliche Mass dem Menschen zugesprochen und durch die Mass-Nahme des Dichtens mitgeteilt sein? Weil nur dieses Mass das Wesen des Menschen er-misst. Denn der Mensch wohnt, indem er das »auf der Erde« und das »unter dem Himmel« durchmisst. Dieses »auf« und dieses »unter« gehören zusammen. ihr lneinander ist die Durchmessung, die der Mensch jederzeit durchgeht, insofern er als Irdischer ist. In einem Bruchstück (Stuttg. Ausgabe 2, 1 S. 334) sagt Hölderlin:
Immer, Liebes! gehet
Die Erd und der Himmel hält.
Weil der Mensch ist, insofern er die Dimension aussteht muss sein Wesen jeweils vermessen werden. Dazu bedarf es eines Masses, das in einem zumal die ganze Dimension betrifft. Dieses Mass erblicken, es als das Mass er-messen und es als das Mass nehmen, heisst für den Dichter: dichten. Das Dichten ist diese Mass-Nahme, und zwar für das Wohnen des Menschen. Unmittelbar nach dem Wort »Des Menschen Maass ist’s« folgen nämlich im Gedicht die Verse: »Voll Verdienst, doch dichterisch, wohnet der Mensch auf dieser Erde. «
Wissen wir jetzt, was für Hölderlin das »Dichterische« ist? Ja und nein. Ja, insofern wir eine Weisung empfangen, in welcher Hinsicht das Dichten zu denken ist, nämlich als ein ausgezeichnetes Messen. Nein insofern das Dichten als daMasses immer s Er-messen jenes seltsamen geheimnisvoller wird. So muss es wohl auch bleiben, wenn anders wir bereit sind uns im Wesensbereich der Dichtung auf-zu-halten.
Indessen befremdet es doch, wenn Hölderlin das Dichten als ein Messen denkt. Und das mit Recht, solange Wir nämlich das Messen nur in dem uns geläufigen Sinne vorstellen. Da wird mit Hilfe von Bekanntem, nämlich den Massstäben und Masszahlen, ein Unbekanntes abgeschritten, dadurch bekannt gemacht und so in eine jederzeit übersehbare Anzahl und Ordnung eingegrenzt. Dieses Messen kann sich je nach der Art der bestellbaren Apparaturen abwandeln. Doch wer verbürgt denn, dass diese gewohnte Art des Messens, nur weil sie die gewöhnliche ist, schon das Wesen des Messens trifft? Wenn wir vom Mass hören, denken wir sogleich an die Zahl und stellen beides, Mass und Zahl, als etwas Quantitatives vor. Allein das Wesen des Masses ist sowenig wie das Wesen der Zahl ein Quantum. Mit Zahlen können wir wohl rechnen, aber nicht mit dem Wesen der Zahl. Wenn Hölderlin das Dichten als ein Messen erblickt und es vor allem selber als die Mass-Nahme vollbringt, dann müssen wir, um das Dichten zu denken, immer wieder zuerst das Mass bedenken, das im Dichten genommen wird; wir müssen auf die Art dieses Nehmens achten, das nicht in einem Zugriff, überhaupt nicht in einem Greifen beruht, sondern in einem Kommenlassen des Zu-Gemessenen. Was ist das Mass für das Dichten? Die Gottheit; also Gott? Wer ist der Gott? Vielleicht ist diese Frage zu schwer für den Menschen und zu voreilig. Fragen wir darum zuvor, was von Gott zu sagen sei. Fragen wir erst nur: Was ist Gott?
Zum Glück und zur Hilfe sind uns Verse Hölderlins erhalten, die sachlich und zeitlich in den Umkreis des Gedichtes »In lieblicher Bläue blühet … « gehören. Sie beginnen (Stuttg. Ausgabe 2, 1 S. 21 O):
Was ist Gott? unbekannt, dennoch
Voll Eigenschaften ist das Angesicht
Des Himmels von ihm. Die Blize nemlich
Der Zorn sind eines Gottes. Jemehr ist eins
Unsichtbar, schiket es sich in Fremdes …
Was dem Gott fremd bleibt, die Anblicke des Himmels, dies ist dem Menschen das Vertraute. Und was ist dies? Alles, was am Himmel und somit unter dem Himmel und somit auf der Erde glänzt und blüht, tönt und duftet, steigt und kommt, aber auch geht und fällt, aber auch klagt und schweigt, aber auch erbleicht und dunkelt. In dieses dem Menschen Vertraute, dem Gott aber Fremde, schicket sich der Unbekannte, um dar in als der Unbekannte behütet zu bleiben. Der Dichter jedoch ruft alle Helle der Anblicke des Himmels und jeden Hall seiner Bahnen und Lüfte in das singende Wort und bringt darin das Gerufene zum Leuchten und Klingen. Allein, der Dichter beschreibt nicht, wenn er Dichter ist, das blosse Erscheinen des Himmels und der Erde. Der Dichter ruft in den Anblicken des Himmels Jenes, was im Sichenthüllen gerade das Sichverbergende erscheinen lässt, und zwar: als das Sichverbergende. Der Dichter ruft in den vertrauten Erscheinungen das Fremde als jenes, worein das Unsichtbare sich schicket, um das zu bleiben, was es ist: unbekannt.
Der Dichter dichtet nur dann, wenn er das Mass nimmt, indem er die Anblicke des Himmels so sagt, dass er sich seinen Erscheinungen als dem Fremden fügt, worein der unbekannte Gott sich »schiket«. Der uns geläufige Name für Anblick und Aussehen von etwas lautet »Bild«. Das Wesen des Bildes ist: etwas sehen zu lassen. Dagegen sind die Abbilder und Nachbilder bereits Abarten des eigentlichen Bildes, das als Anblick das Unsichtbare sehen lässt und es so in ein ihm Fremdes einbildet. Weil das Dichten jenes geheimnisvolle Mass nimmt, nämlich am Angesicht des Himmels, deshalb spricht es in »Bildern«. Darum sind die dichterischen Bilder Ein-Bildungen in einem ausgezeichneten Sinne: nicht blosse Phantasien und Illusionen, sondern Ein-Bildungen als erblickbare Einschlüsse des Fremden in den Anblick des Vertrauten. Das dichtende Sagen der Bilder versammelt Helle und Hall der Himmelserscheinungen in Eines mit dem Dunkel und dem Schweigen des Fremden. Durch solche Anblicke befremdet der Gott. In der Befremdung bekundet er seine unablässige Nähe. Darum kann Hölderlin im Gedicht nach den Versen »Voll Verdienst, doch dichterisch, wohnet der Mensch auf dieser Erde« fortfahren:
… Doch reiner
ist nicht der Schatten der Nacht mit den Sternen,
Wenn ich so sagen könnte, als
Der Mensch, der heisset ein Bild der Gottheit.
» … der Schatten der Nacht« – die Nacht selber ist der Schatten, jenes Dunkle, das nie blosse Finsternis werden kann, weil es als Schatten dem Licht zugetraut, von ihm geworfen bleibt. Das Mass, welches das Dichten nimmt, schickt sich als das Fremde, worein der Unsichtbare sein Wesen schont, in das Vertraute der Anblicke des Himmels. Darum ist das Mass von der Wesensart des Himmels. Aber der Himmel ist nicht eitel Licht. Der Glanz seiner Höhe ist in sich das Dunkle seiner alles bergenden Weite. Das Blau der lieblichen Bläue des Himmels ist die Farbe der Tiefe. Der Glanz des Himmels ist Aufgang und Untergang der Dämmerung, die alles Verkündbare birgt. Dieser Himmel ist das Mass. Darum muss der Dichter fragen:
Giebt es auf Erden ein Maass?
Und er muss antworten: »Es giebt keines.« Warum? Weil das, was wir nennen, wenn wir sagen »auf der Erde«, nur besteht, insofern der Mensch die Erde be-wohnt und im Wohnen die Erde als Erde sein lässt.
Das Wohnen aber geschieht nur, wenn das Dichten sich ereignet und west, und zwar in der Weise, deren Wesen wir jetzt ahnen, nämlich als die Mass-Nahme für alles Messen. Sie ist selber das eigentliche Vermessen, kein blosses Abmessen mit fertigen Massstäben zur Verfertigung von Plänen. Das Dichten ist darum auch kein Bauen im Sinne des Errichtens und Einrichtens von Bauten. Aber das Dichten ist als das eigentliche Ermessen der Dimension des Wohnens das anfängliche Bauen. Das Dichten lässt das Wohnen des Menschen allererst in sein Wesen ein. Das Dichten ist das ursprüngliche Wohnenlassen.
Der Satz: Der Mensch wohnt, insofern er baut, hat jetzt seinen eigentlichen Sinn erhalten. Der Mensch wohnt nicht, insofern er seinen Aufenthalt auf der Erde unter dem Himmel nur einrichtet, indem er als Bauer das Wachstum pflegt und zugleich Bauten errichtet. Dieses Bauen vermag der Mensch nur, wenn er schon baut im Sinne der dichtenden Mass-Nahme. Das eigentliche Bauen geschieht, insofern Dichter sind, solche, die das Mass nehmen für die Architektonik, für das Baugefüge des Wohnens.
Hölderlin schreibt am 12. März 1804 aus Nürtingen an seinen Freund Leo von Seckendorf: »Die Fabel, poëtische Ansicht der Geschichte und Architektonik des Himmels beschäfftiget mich gegenwärtig vorzüglich, besonders das Nationelle, sofern es von dem Griechischen verschieden . ist.« (Hellingrath V2, S. 333
… dichterisch, wohnet der Mensch …
Das Dichten erbaut das Wesen des Wohnens. Dichten und Wohnen schliessen sich nicht nur nicht aus. Dichten und Wohnen gehören vielmehr, wechselweise einander fordernd, zusammen. »Dichterisch wohnet der Mensch.« Wohnen wir dichterisch? Vermutlich wohnen wir durchaus undichterisch. Wird, wenn es so steht, das Wort des Dichters dadurch Lügen gestraft und unwahr? Nein. Die Wahrheit seines Wortes wird auf die unheimlichste Weise bestätigt. Denn undichterisch kann ein Wohnen nur sein, weil das Wohnen im Wesen dichterisch ist. Damit ein Mensch blind sein kann, muss er seinem Wesen nach ein Sehender bleiben. Ein Stück Holz kann niemals erblinden. Wenn aber der Mensch blind wird, dann ist immer noch die Frage, oh die Blindheit aus einem Mangel und Verlust kommt oder oh sie in einem Überfluss und Übermass beruht. Hölderlin sagt im selben Gedicht, das dem Mass für alles Messen nachsinnt (Vers 75 / 76): »Der König Oedipus hat ein Auge zuviel vieleicht.« So könnte es sein, dass unser undichterisches Wohnen, sein Unvermögen, das Mass zu nehmen, aus einem seltsamen Übermass eines rasenden Messens und Rechnens käme.
Dass wir und inwiefern wir undichterisch wohnen, können wir in jedem Falle nur erfahren, wenn wir das Dichterische wissen. Ob uns und wann uns eine Wende des undichterischen Wohnens trifft, dürfen wir nur erwarten, wenn wir das Dichterische in der Acht behalten. Wie unser Tun und Lassen und inwieweit es einen Anteil an dieser Wende haben kann, bewähren nur wir selbst, wenn wir das Dichterische ernst nehmen.
Das Dichten ist das Grundvermögen des menschlichen Wohnens. Aber der Mensch vermag das Dichten jeweils nur nach dem Masse, wie sein Wesen dem vereignet ist, was selber den Menschen mag und darum sein Wesen braucht. Je nach dem Mass dieser Vereignung ist das Dichten eigentlich oder uneigentlich.
Darum ereignet sich das eigentliche Dichten auch nicht zu jeder Zeit. Wann und wie lange ist das eigentliche Dichten? Hölderlin sagt es in den bereits gelesenen Versen (26 / 29). Ihre Erläuterung wurde bis jetzt absichtlich zurückgestellt. Die Verse lauten:
… So lange die Freundlichkeit noch
Am Herzen, die Reine, dauert, misset
Nicht unglüklich der Mensch sich
Mit der Gottheit…
»Die Freundlichkeit« – was ist dies? Ein harmloses Wort, aber von Hölderlin mit dem Grossgeschriebenen Beiwort »die Reine« genannt. Die “Freundlichkeit” – dieses Wort ist, wenn wir es wörtlich nehmen, Hölderlins herrliche Übersetzung für das griechische Wort χάριϚ. Von χάριϚ sagt Sophokles im »Aias« (v. 522):
χάριϚ χάριν γάρ ἐστιν ἡ τίκτουσ’ ἀεί
Huld denn ist’s, die Huid hervor-ruft immer.
»Solange die Freundlichkeit noch am Herzen, die Reine, dauert … « Hölderlin sagt in einer von ihm gern gebrauchten Wendung: »am Herzen«, nicht: im Herzen; »am Herzen«, das heisst angekommen beim wohnenden Wesen des Menschen, angekommen als Anspruch des Masses an das Herz so, dass dieses sich an das Mass kehrt.
So lange diese Ankunft der Huld dauert, so lange glückt es, dass der Mensch sich misset mit der Gottheit. Ereignet sich dieses Messen, dann dichtet der Mensch aus dem Wesen des Dichterischen. Ereignet sich das Dichterische, dann wohnet der Mensch menschlich auf dieser Erde, dann ist, wie Hölderlin in seinem letzten Gedicht sagt, »das Leben der Menschen« ein »wohnend Leben«. (Stuttg. Ausg.· Il, 1 s. 312)
Die Aussicht
Wenn in die Ferne geht der Menschen wohnend Leben,
Wo in die Ferne sich erglänzt die Zeit der Reben,
ist auch dabei des Sommers leer Gefilde,
Der Wald erscheint mit seinem dunklen Bilde.
Dass die Natur ergänzt das Bild der Zeiten,
Dass die verweilt, sie schnell vorübergleiten,
ist aus Vollkommenheit, des Himmels Höhe glänzet
Den Menschen dann, wie Bäume Blüth’ umkränzet.
In:
Heidegger, Martin, Bauen Wohnen Denken, Vorträge und Aufsätze, Stuttgart 2022, (Klett-Cotta), pag. 215-236
